„Wahnsinnige Sachen!“

Interview. Burg-Chef Matthias Hartmann über das Arbeitsklima in seinem Haus

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Interview: Karin Cerny, Angelika Hager

profil: Das Arbeitsklima am Burgtheater hat gegenwärtig keine gute Nachrede.
Hartmann: Ich finde es wirklich ¬irritierend, dass ein Artikel einer U-Bahn-Gratisbeilage eine solche Dynamik entfachen kann – und dass dann im ganzen deutschen Sprachraum auch noch davon abgeschrieben wird. Die Sache hat ja einen ganz anderen Ursprung.

profil: Verraten Sie ihn uns?
Hartmann: Anlässlich einer Ausstellungseröffnung war ich im Essl Museum und beging dort den Fehler, Frau Dichand nicht zu kennen. Als ich versuchte, diesen Fauxpas zu korrigieren, bin ich gleich in den nächsten Fettnapf gesprungen. Da war die Zeitbombe dann gestellt, und ich habe nur mehr darauf gewartet, wann sie losgehen würde.

profil: Ungeachtet dessen gab es am Freitag vor zwei Wochen eine Sonderversammlung des ¬Ensembles, in der einige Mitglieder, die in der Öffentlichkeit nicht genannt werden wollen, sich von Ihrem Führungsstil distanzierten.
Hartmann: Ich finde es wirklich schwierig, Gerüchte zu kommentieren.

profil: Diese Ensembleversammlung ist aber kein Gerücht, sondern eine Tatsache.
Hartmann: Und nach dieser Versammlung ist der Ensemblevertreter bei mir gewesen und hat im Gegensatz zu Ihnen von einer sehr konstruktiven Sitzung gesprochen. Ich respektiere die ¬Tatsache dieses Treffens, glaube aber, dass die vermeintlich schlechte Stimmung von außen nach innen denn andersrum ging. Wir werden uns ansehen, was in den vergangenen beiden Jahren gut lief und was man verbessern kann. Ich bin wirklich der Letzte, der behauptet, es bestehe kein Verbesserungsbedarf.

profil: Welchen Führungsstil pflegen Sie? Kann man ohne Voranmeldung in Ihr Büro platzen?
Hartmann: Ja! Und die Leute kommen ständig, wollen etwas und stören mich. Bei mir stehen die Türen, außer wenn ich ein Interview führe, immer offen. Nur: Wenn mich eine Schauspielerin nachts am Handy anruft und erklärt, sie sei beleidigt, weil eine andere ihre Rolle bekommen habe, bitte ich sie, meine Nummer lieber zu löschen, bevor sie noch einmal in die Versuchung kommt. Ich habe ja schon früher als Regisseur an diesem Haus gearbeitet. Und im Vergleich zu dem, was ich damals erlebt habe, ist die Atmosphäre jetzt konstruktiv und gut. Ich bin hier wirklich nicht der Piefke, der nach seiner Ankunft erst mal alle entlassen hat.

profil: Was hatten Sie denn unter Claus Peymann erlebt?
Hartmann: Wahnsinnige Sachen! Ich bin von meiner Psychostruktur her einer, der nicht mit dem Kopf durch die Wand will, sondern konstruktiv, freundlich und eigentlich harmoniesüchtig ist. Das kommt daher, dass ich aus einer Familie stamme, in der ständig gestritten wurde. In der Vätergeneration gibt es genug abschreckende Beispiele von Tyrannen und Despoten, die ihre Schauspieler fest im Würgegriff hielten. Ich versuche, sie als mündige Künstler zu respektieren und ihnen so viele Freiheiten wie möglich einzuräumen – im Gegensatz zu anderen Direktoren, die ihren Schauspielern nicht gestatten, anderswo zu arbeiten.

profil: Eine Schauspielerin hatte nun sogar die Freiheit, eine ganze Produktion zu kippen. Nach der „Lulu“-Absage von Birgit Minichmayr denkt sich Lieschen Müller, die Burg muss echte Luxusprobleme haben, wenn wegen Auffassungsunterschieden zwischen einem Regisseur und einer Starschauspielerin Zigtausend Euro in den Sand gesetzt werden. Konnten die beiden ihre Probleme nicht bei den Vorbereitungen klären?
Hartmann: Da Sie sich hier zum Anwalt von Lieschen Müller machen, möchte ich gern hier durch Sie an Lieschen Müller diese Antwort weitergeben: Die beiden haben sich extrem gut vorbereitet. Frau Minichmayr hat verschiedene Aufführungen von Herrn Bosse gesehen, sie haben sich getroffen, miteinander gesprochen, hatten einen sehr guten Diskurs laufen.

profil: Warum kam es dann zum Eklat?
Hartmann: Es ging um unterschiedliche künstlerische Auffassungen.

profil: Nichts ganz Neues an der Burg: Regisseur Stefan Bachmann stieg in der vergangenen Saison aus den „Geschichten aus dem Wienerwald“ aus, auch beim Franzobel-Stück über den Boxer Orsolics gab es in der Endphase einen Regiewechsel, und die letzte Produktion der Needcompany verließ erst Martin Wuttke, dann Paulus Manker.
Hartmann: Die Menschen, die hier arbeiten, tun dies nicht in künstlerischer Harmonie, sondern in einer Dauerkrise und in einem ständigen Heilungsprozess. Das ist immer ein Hin und Her. Nur aus diesen komplexen Prozessen können auch Kunstwerke entstehen – die manchmal eben auch extrem porös sind. Schauspieler sind nun einmal schutzsüchtige, verwundbare, aber auch aggressive Feen und Monster.

profil: Gab es nach dem „Lulu“-Eklat Tadel von Ministerin Claudia Schmied bezüglich Subventionsverschwendungen?
Hartmann: Nein, unsere Einnahmen sind sehr hoch. Bevor man uns Schindluder vorwirft, müsste einiges passieren. Es gibt keinen Grund einzuschreiten.

profil: Sie sind bekannt für Ihre Netzwerkfähigkeiten. Wie viele Abendessen mit Politikern haben Sie schon hinter sich?
Hartmann: Keine, dafür habe ich zu viele Abendproben. Aber ich habe erlebt, dass der damals gerade ernannte Kanzler Alfred Gusenbauer mich auf seiner ersten Auslandsreise zu einem Treffen in Zürich einlud – ausgerechnet als ich mich dort mit den Politikern komplett überworfen hatte. Das machte auf die Schweizer Politik ungeheuren Eindruck: In Österreich wird das Theater so ernst genommen, dass sogar der Bundeskanzler den zukünftigen Burg¬theater-Direktor kennen lernen möchte!

profil: Welchen Rotwein haben Sie getrunken?
Hartmann: Keinen, das Treffen fand im Rahmen eines Empfangs in einem Hotel statt und dauerte eine Viertelstunde.

profil: Ihr „Königsmacher“ war der umstrittene Wende-Kulturstaatssekretär und ehemalige Burg-Mime Franz Morak. War das ein schlechter Einstieg?
Hartmann: Ich bin ja nicht in die Politik eingetreten, sondern habe meine Arbeit als Intendant angefangen. Ich wollte von Zürich weg und mich auf eine andere Stadt freuen.

profil: Es heißt, Sie hätten seit 1994 darauf hingearbeitet, das Burgtheater zu übernehmen.
Hartmann: Ich eigne mich offenbar wahnsinnig gut für Projektionen. Ich habe mich oft gefragt, was an meinem Charakter dies erzeugt. Einmal war ich der Sportwagenfahrer, der mit zwei Windhunden und ¬einem Model durch die Gegend fährt. Damals fuhren wir mit unserer Promenadenmischung einen alten Saab. Dann wieder¬um war ich das reiche Bürgersöhnchen, aber meine Mutter war Lehrerin, mein Vater ein radikaler Linker. Schon in meinen jungen Jahren haben die Kritiker mich immer in dieses Eck geschoben.

profil: Inzwischen bedienen Sie aber ein Klischee und fahren Porsche.
Hartmann: Ja, der „Falter“-Kritiker Wolfgang Kralicek und ich haben das gleiche Auto. Es ist übrigens alt. Soll ich mir
jetzt einen Passat kaufen, um diesem Image zu entgehen? Ich mag es nicht, mich von ¬Klischees einengen zu lassen. Aber den Bentley vom Zadek traue ich mich nicht.

profil: Ein Klischee, das Sie selbst gern pflegen, ist Ihre Affinität zum Scheitern. Vor Ihren Inszenierungen der beiden „Faust“-Teile oder „Krieg und Frieden“ haben Sie stets den Misserfolg zum Thema gemacht. Das wirkte fast ein wenig kokett.
Hartmann: War es aber nicht. Ich war sogar schon einmal so weit, eine ganze Inszenierung hinzuwerfen. Bevor ich „Was ihr wollt“ (Dezember 2010, Anm.) herausbrachte, dachte ich, das wird nichts – und zwar ein paar Tage vor der Premiere. Nach der Probe ging ich in mein Büro und brütete. Ich kam zu dem Schluss: Ich mach’s nicht, ich werd’s hinwerfen.

profil: Hatten Sie diesen Wunsch öfter?
Hartmann: Noch nie. Ich kam also wieder raus; alle guckten mich mit erwartungsfrohen Augen an. Und während ich absagen will, höre ich mich sagen: „Wir spielen das heute Abend. Und zwar als öffentliche Probe.“ Ich wollte einmal sehen, ob das Ding fliegt – und zwar nicht, indem ich es einer kritischen Meute von mit ¬Vorurteilen beladenen Besserwissern zum Fraß vorwerfe.

profil: Wie wichtig ist Kritik denn heute noch als Theaterwährung?
Hartmann: Shakespeare und Molière hätten sich nie damit getröstet, große Künstler zu sein, wenn ihre Säle halb leer gewesen wären. Wenn ein Abend zu Ende war, konnten sie auf die Münze beißen und wussten, was sie wert waren. Wir können uns nicht mehr über die Eintrittskarten finanzieren, da Arbeit so teuer geworden ist. Das ruft die Hüter des öffentlichen Auftrags auf den Plan, und es gilt die Währung der Bedeutung. Es gibt einen Bedeutungsmarkt, in dem sich Kritiker und Thea¬terleute versammelt haben, um dieses Monopol zu steuern und zu verwalten. Bedeutung ist eine der Möglichkeiten, sich dem Tod entgegenzustellen.

profil: In der kommenden Saison stehen nach vier Regiearbeiten in der vergangenen Spielzeit nur zwei Inszenierungen von Ihnen auf dem Spielplan: Kleists „Zerbrochner Krug“ und „Troja“, nach Homers „Ilias“. Das ist wieder so ein monumentales Ding, das nach Scheitern riecht.
Hartmann: Natürlich, deswegen habe ich mir diesen Stoff ausgesucht. Den „Zerbrochnen Krug“ mache ich, weil ich Lust habe, mich auf eine sehr herausfordernde Textpartitur einzulassen. Es geht mir dabei um den Umgang mit Macht.

profil: Warum setzen Sie „Romeo und ¬Julia“ in der Regie von David Bösch noch einmal auf den Spielplan? Das Stück wurde erst unter Ihrem Vorgänger Klaus Bachler in einer nicht geglückten Inszenierung an der Burg gespielt.
Hartmann: Ich wollte nicht einsehen, dass ich nicht noch einmal eine Chance habe, das zu machen. Ich habe sogar ein Rundschreiben an die Abonnenten ausschicken lassen, ob sie Lust hätten, dieses Stück wieder zu sehen. Die meisten meinten, dass sie sich darauf freuten. Einige bestanden auf einer klassischen Inszenierung. Damit können wir natürlich nicht dienen.

profil: Sie schreiben Abonnenten an? Machen Sie das öfter?
Hartmann: Bis jetzt nur einmal, da gibt es auch Preise zu gewinnen.

profil: Ein Abendessen mit Ihnen?
Hartmann: Unter Umständen. Aber mit ¬Ihnen gehe ich lieber nicht essen. Sie ¬wirken so aggressiv.

profil: Kritiker sollten sowieso nicht mit Theaterdirektoren essen gehen. Nun stehen erstmals in Ihrer Intendanz auch zwei Stücke von Elfriede Jelinek am Plan. Warum inszenieren Sie diese nicht selbst?
Hartmann: Das würde ich wahnsinnig gern. Aber zugunsten des Theaterdirektors muss der Regisseur in mir lernen, seinen Neid zu unterdrücken.

profil: Die Uraufführung von Jelineks „Winterreise“, in dem auch das Kampusch-Thema aufgegriffen wird, fand in München statt. Ärgert Sie das?
Hartmann: Überhaupt nicht.

profil: „Der ideale Mann“ wird am Burgtheater uraufgeführt. Hatten Sie persönlich Kontakt mit der sehr zurückgezogen lebenden Elfriede Jelinek?
Hartmann: Ja, wir hatten uns im Café Domayer verabredet. Dann hat sie kurzfristig entschieden, dass wir uns bei ihr zu Hause treffen. Ich war aber nach meiner Probe extrem unterzuckert und eigentlich darauf eingestellt, etwas zu essen. Da saß ich dann bei ihr und fragte, ob ich was zu essen haben könnte. Sie sagte, alles, was sie mir anbieten könnte, wäre ein Toast.

profil: Toast Hawaii?
Hartmann: Nein, Toast pur. Ich habe ihn gierig gegessen und muss gestehen: So gut hat mir Toastbrot noch nie geschmeckt.

profil: Ist „Der ideale Mann“ eine Oscar-Wilde-Bearbeitung?
Hartmann: Ich würde eher sagen: eine Übermalung. Der Plot versucht den ganzen Bankenskandal, inklusive der Hypo-Alpe-Adria-Affäre, zu verarbeiten. Auch Herr Grasser kommt ausführlich vor.

profil: Nach den vergangenen Wochen mit den Skandalen um den ehemaligen Innenminister Ernst Strasser, den Geldflüssen der Telekom: Empfinden Sie Österreich als eine besondere Art von Sumpf?
Hartmann: Wo Sumpf ist, kann man lange bleiben, ohne dass etwas geschieht. Es ist aber auch eine große Freude, im Sumpf zu arbeiten. Man hat mich immer vor ¬diesem Österreich gewarnt. Aber ich frage mich nach zwei Jahren in diesem Land: Wann kommt dieses Österreich, vor dem mich alle gewarnt haben? Wann fängt das Fürchterliche denn an?

profil: Es wird in Ihrer kommenden Saison auch wieder ein Stück von René Pollesch geben: „Die Liebe zum Nochniedagewesenen“. Bei seiner bisher letzten Arbeit für das Burgtheater musste Ihre Pressedame sämtliche Kritiker und VIP-Gäste durchrufen, weil Herr Pollesch zum Premierentermin nicht fertig geworden war. Verzeihen Sie so etwas?
Hartmann: Im Theater muss ständig alles verziehen werden. Da braucht man immens viel Toleranz und Offenheit. Ich komme aus einer Familie, in der, wie gesagt, ständig alle gestritten haben, deswegen mussten sich auch ständig wieder alle vertragen. Ich bin nicht nachtragend.

profil: Haben Sie auch Ihrem ehemaligen Schauspieler Harald Schmidt verziehen, dass er in dem Film „Scheitern, scheitern, besser scheitern“ Gert Voss erzählte, Sie hätten ihn überreden wollen, „Warten auf Godot“ in Wien zu machen, um nachher „die Visitkarten von allen wichtigen Leuten“ einsammeln zu können?
Hartmann: Das war doch wunderbar anekdotisch. Und Voss hat sein Haupt dazu lächelnd hin und her gewogen. Die Geschichte war natürlich aus dem Zusammenhang gerissen. Schmidt hat mir nämlich erzählt, dass er so gerne den Impresario im weißen Anzug geben würde, der im Foyer des Theaters steht. Das haben wir dann so hin und her gespielt. Schmidt ist ein hoch qualifizierter Clown, daher habe ich ihm das auch nicht übel genommen.

profil: Eine letzte unangenehme Frage: Das Burgtheater scheint sich unter Ihrer Führung in einen Familienbetrieb verwandelt zu haben: Ihre Frau inszeniert hier, ihre Schwester macht Kinderstücke, und die „Junge Burg“, der Schwager, arbeitet mit.
Hartmann: Ich bin seit zwölf Jahren Direktor, und es gab mich nie ohne diese Menschen. Das weiß man. Wir sind eine Theaterfamilie – wie es sie auch im Zirkus Knie gibt oder bei den Bennents oder den Maertens’. Mein Erfolg ist eng verknüpft mit der Arbeit dieser Menschen. Den Vorwurf würde ich ja noch verstehen, wenn man mir sagen könnte: Deine Schwester floppt rum, und deine Frau kriegt nichts gebacken. Das ist aber nicht so. Sie sind sehr erfolgreich. Sie haben genug andere Angebote.

Fotos: Philipp Horak für profil