Wait and Tea

Wait and Tea

Drucken

Schriftgröße

Vergangenen Mittwoch wurden wohl unser aller Augen feucht, und auch die Hände wollten ewig beben. Denn an diesem Tag schleuderte eine herzlose Statistik heraus, dass der Teekonsum der Engländer seit dem Jahr 2000 um zwölf Prozent zurückgegangen sei – und wir fühlten mit unseren mitten ins Herz getroffenen britischen Blutsgeschwistern natürlich weh mit.

Nur noch 165 Millionen Tassen Tee trinken die 60 Millionen Staatsbürger täglich – also nicht einmal drei Häferln pro Kopf. Was Wunder, dass die seriöse Zeitung „The Guardian“ dieser Schreckenskunde nur mittels einer mächtigen Schlagzeile gerecht werden konnte; verständlich auch, dass die ehrwürdige „Times“ dem ehrwürdigen Getränk gleich einen Leitartikel widmen musste; allein dank dieses Gebräus habe „die Nation Kriege, Rezessionen und Montag-Vormittage überstanden“, hieß es da mahnend. Eilfertig versicherte Premier Tony Blair, von dem manche schon argwöhnten, er sei bloß mit allen Wassern gewaschen, dass er leidenschaftlicher Schlürfer sei, und darum konnte auch der Oppositionsführer Michael Howard nicht trockenen Mundes schweigen und bekannte sich, wie es einem Tory zusteht, zu „Earl Grey mit einem Schuss Milch“.

Das mochte noch, vor allem bei Blair, von dem sich viele Engländer seit dem irakischen Hurra fragten, ob er noch alle Tassen im Schrank hätte, nach Publicity schmecken, aber der Popsänger Boy George versuchte, seine Generation zurück zur Schale zu holen: „Sex? Eine Tasse Tee ist mir lieber.“

Gleichwohl ist die Nation erschüttert, denn die Jungen driften ab zu dekadenten Getränken wie Fruchtsaft, Mineralwasser oder gar Kaffee – da fragt manch Sohn Albions, „ob’s edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden, oder …“, denn es ist was faul im Staate Engelland.

Dabei verbindet das United Kingdom mit dem Tee ein wechselhaftes Schicksal. Einerseits war es ein Teeschiff, das in der Nähe von Boston von den Aufständischen der Neuen Welt versenkt wurde, woraus ein elementarer Wickel entstand, der schließlich zur Unabhängigkeit der USA führte. Anderseits gibt es die Anekdote, dass Feldmarschall Montgomery gesagt haben soll, er habe im Zweiten Weltkrieg in Afrika den „Wüstenfuchs“ Rommel auch deshalb besiegen können, „weil unser Tee besser ist als der deutsche Kaffee“. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Tee konnte immer schon abtötend oder anregend sein; was die süße Xanthippe dem weisen Sokrates, als sie seine ständige Besserwisserei satt hatte, verabreichte, war schließlich Schierlingstee; die schwarzen Novellen (für jüngere Leser: Horror-Hämmer) des Edgar Allen Poe wurden dank des Genusses von Tee gezeugt, nur minderbegabte Neider neigten zur Exegese, es hätte sich vorwiegend um Punsch gehandelt. Lord Byron war über solchen Verdacht erhaben, und auch Edgar Wallace, dessen Mischung allerdings eher Zucker mit Tee war.

Künstler waren zu allen Zeiten dem Tee liebend zugetan. Mary Shelley („Frankenstein“) trank ihn, der kongenial blutige Bram Stoker („Dracula“), Oscar Wilde nahm ihn mit Brandy, Norman Mailer mit dem Bourbon „Old Grand Dad“, Stummfilmstar Jean Harlow durfte auf dem Set „nicht vor meiner dritten Tasse Tee“ angesprochen werden, und der „Hollywood Reporter“ notierte, dass Charles Spencer Chaplin von seiner Oona bei einer Teeparty erhört wurde, „weil sie vom chinesischen Tee wie berauscht schien“.

Tee war auch das, was Frank Sinatra angeblich stets auf der Bühne trank; bei einem Konzert im New Yorker Madison Square Garden verriet er dem Publikum den Inhalt seines Bechers, der’s wohl in sich hatte, denn im zweiten Teil vergaß Ol’ Blue Eyes seinen Text. Auf die Kryptik, wozu man alles „Tee“ sagen konnte, nahm auch Billy Wilder in „Some Like It Hot“ Bezug, als der Kellner in einem in der Zeit der Prohibition vorsorglich „speakeasy“ genannten, getarnten Lokal bei „Omas Beerdigung“ flüssig „Scotch-Tea, Canadian-Tea …“ offerierte.

Als Indien noch bei England war, vor 70 Jahr’, da galt als größte Ehre für englische Offiziere, von einem Maharadscha eingeladen zu werden auf „eine trübselige Tasse Tees“, ein Understatement, das stets ein üppiges Gelage versprach.

Österreich hat zum Tee immerhin den sprichwörtlichen Beziehungssatz: „Mit’n Tee umschütt’n“, was bedeutet, jemandem billig zu schmeicheln. Dafür ist im deutschsprachigen Raum durchaus zu bemerken, dass eine zunehmende Verweigerung eines Nationalgetränks sehr wohl gravierende politische Folgen haben kann: als in Deutschland weniger Bier getrunken wurde, kam jäh Rot-Grün an die Macht; als weniger Österreicher einen kleinen Braunen bestellten, geriet die FPÖ prompt in Malversationen.

Doch noch ist nicht aller Tassen Abend, abwarten und Tee trinken. Schließlich schrieb George Gershwin 1940 für das Musical „No, no, Nanette“ den Liebesklassiker „Tea for two, and two for tea, I love you, and you love me“.
Und gegen solch eherne Zusammenhänge hat, schon per Vers, Grapefruitsaft keine Chance.