Walfang. Ewige Jagdgründe

Trotz Verbot geht der Walfang weiter

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Die Schreckensbilder gehen in regelmäßigen Abständen um die Welt: ein frisch harpunierter Wal im blutgefärbten Wasser; ein auf das Walfangschiff gehievter Riesenleib, der mit lanzenartigen Messern in Stücke geschnitten wird. Der Medienkonsument muss den Eindruck gewinnen: Die Waljagd ist eine einzige Schlächterei, eine Grausamkeit sondergleichen – und obendrein eine akute Gefährdung der Artenvielfalt, da die sanften Säuger seit jeher zu den bedrohten Tierarten zählen.

Seit 1986 verbietet ein von der Internationalen Walfangkommission (IWC) verfügtes Moratorium den kommerziellen Walfang. Dennoch wird auf breiter Front Jagd auf Wale – auf Lateinisch: Cetacea – gemacht, weil die IWC samt ihrem Moratorium zahnlos ist. Länder wie Norwegen und Island pochen auf ihr Recht des Walfangs und scheren sich wenig um das Verbot, Japan bemäntelt seine Jagd mit „wissenschaftlichen Zwecken“. Große Staaten wie Russland und China sind für den kommerziellen Walfang, während die USA und etliche Länder der EU, darunter Österreich, dagegen sind.

In der Walfangkommission herrscht seit vielen Jahren ein Patt, daher fällt keine Entscheidung pro oder kontra Walfang, wie zuletzt Ende Juni bei der IWC-Jahrestagung in Santiago de Chile. Walfanggegner beschuldigen den Kommissionsvorsitzenden William Hogarth, er betreibe gegenüber den Walfangnationen Japan, Norwegen und Island eine schändliche Politik der Beschwichtigung, was für viele Wale den Tod bedeute. Die Nachrichtenagentur Reuters fasste ihren Bericht über den IWC-Gipfel unter dem Titel zusammen: „Wale verlieren, Japan gewinnt bei eben beendeter Walfang-Tagung“.

Doch so hoffnungslos, wie sie oft dargestellt wird, ist die Situation nicht. Zwar stehen einige Walarten nach wie vor auf der Liste der bedrohten Tierarten, aber die meisten Bestände haben sich so weit erholt, dass sie nicht mehr als gefährdet gelten. Zwergwale zum Beispiel, die mehr als 80 Prozent der in der vergangenen Saison getöteten Wale ausmachen, gehören nicht mehr zu den bedrohten Tierarten. Die Zahl der Grauwale, lange Zeit Sorgenkinder der Tierschutzorganisationen, hat sich im westlichen Nordpazifik seit den achtziger Jahren auf mehr als 20.000 Exemplare verdoppelt. „Das dürfte etwa dem Bestand entsprechen, den es vor Beginn des kommerziellen Walfangs gab“, schätzt Michael Stachowitsch, österreichischer Delegierter im Wissenschaftskomitee der IWC.

Lange Tradition. Die Jagdbefürworter berufen sich auf die lange Tradition des Walfangs. Höhlenmalereien in Korea und Skandinavien sowie Knochenfunde in Nordamerika belegen, dass Walen schon vor Jahrtausenden nachgestellt wurde. Erst mit der Erfindung des Fabrikschiffs um 1880 – und damit der Möglichkeit, die erlegten Wale bereits auf hoher See zu verarbeiten – wuchs die Anzahl der getöteten Tiere dramatisch. Laut Schätzungen wurden bis zu 90 Prozent der damaligen Bestände getötet; allein in der Saison 1930/31 wurden um die 29.000 Blauwale erlegt, also mehr als zehnmal so viele wie der gesamte heutige Bestand. Um die Ausrottung der Wale zu verhindern, gründeten die Vereinten Nationen 1946 die IWC. Diese beschloss 1986 als äußerste Maßnahme ein komplettes, zunächst nur bis 1990 geplantes Moratorium für den kommerziellen Walfang, das aber auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. Trotzdem wurden und werden Wale gejagt. Denn Norwegen und Island erhoben Einspruch gegen das Moratorium und betreiben weiterhin kommerziellen Walfang. Allein auf das Konto ihrer Fangflotten gehen in der Saison 2007/08 mehr als 600 erlegte Zwergwale, was fast einem Drittel aller in diesem Zeitraum getöteten Wale entspricht.

Während der Walfang indigener Völker noch am wenigsten umstritten ist, wird der wissenschaftliche Walfang, wie ihn Island und vor allem Japan praktizieren, heftigst debattiert. Die IWC gestattet den Walfang zu wissenschaftlichen Zwecken, allerdings ist es letztlich Sache des jeweiligen Staats, einen entsprechenden Antrag zu bewilligen. Die Quoten, die Japan sich selbst setzt, genehmigen jährlich nicht nur den Fang von mehr als 1000 Zwergwalen, sondern auch von 100 Sei-, 50 Finn-, 50 Buckel- und zehn Pottwalen, die allesamt zu den gefährdeten Tierarten gehören. Umso entschiedener stemmen sich Umweltschutzorganisationen, allen voran Greenpeace, gegen die Jagd. Die wissenschaftlichen Programme seien nichts weiter als „ein Deckmantel für den trotz Moratorium weiter betriebenen kommerziellen Walfang“, so die Greenpeace-Meeresbiologin Antje Helms. Mit wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn seien die hohen Fangzahlen sicher nicht zu rechtfertigen. „Wichtige Fragen wie etwa die Wanderwege der Säugetiere kann man nur mithilfe von Sendern klären, die den Walen aufgesetzt werden. Und dafür müssen sie weiterleben.“

Zweifelhafte Forschung. Der australische Umweltminister Peter Garrett präsentierte bei der IWC-Tagung in Santiago ein neues, nicht letales, länderübergreifendes Forschungskonzept, das prinzipiell für alle interessierten Nationen offen ist. Japan hat seine Teilnahme noch nicht zugesagt, was Helms kritisiert: „Solange sie da nicht einsteigen, glauben wir nicht, dass sie irgendein echtes Interesse an Walforschung haben.“ Der japanische Botschafter in Österreich, Akio Tanaka, teilt diese Einschätzung freilich nicht. „Daten wie das Alter des Wals kann man nur durch Untersuchung des Ohrenschmalzes beziehungsweise der Zähne gewinnen und Aufschlüsse über die Nahrung nur durch Untersuchung des Mageninhalts. Diese Daten sind nur zu erhalten, wenn der Wal getötet wird“, verteidigt Tanaka die angeblich wissenschaftliche Arbeit seiner Landsleute. Und dem Vorwurf, der anschließende Verkauf des Walfleischs in Gourmetsupermärkten sei kommerzieller Natur, begegnet Tanaka mit dem Hinweis, dass „der Gewinn wieder der Forschung zufließt“.

Tatsächlich sinkt die Nachfrage der Japaner nach Walfleisch jedoch. Die japanische Tageszeitung „Asahi Shimbun“ berichtete im vergangenen Februar, dass die Einnahmen aus dem Walfleischverkauf zuletzt um sechs Prozent zurückgegangen seien. Laut einer Studie der unabhängigen britischen Marktforschungsagentur MORI gaben bereits 1999 knapp 62 Prozent der befragten Japaner an, Walfleisch noch nie oder zuletzt in ihrer Kindheit gegessen zu haben. Walfangbefürworter berufen sich auf die Tradition, die sie erhalten wollten. Allerdings entstand der Massenkonsum von Walfleisch aus der Notsituation nach dem Zweiten Weltkrieg, als in Japan großer Eiweißmangel herrschte. Laut einer von „Asahi Shimbun“ durchgeführten Meinungsumfrage befürworten zwar 65 Prozent der Japaner die Fortsetzung des wissenschaftlichen Walfangs. Andererseits scheint sich dies nur auf die weniger umstrittene Küstenjagd zu beschränken, da sich 71 Prozent der Befragten gegen den Walfang auf hoher See aussprachen. Darüber hinaus wussten 87 Prozent der Befragten nicht, dass die japanische Walfangindustrie von der Regierung subventioniert wird. „Aus irgendeinem Grund sind Menschen von Walen sehr, sehr beeindruckt“, schrieb der Meeresbiologe Roger Payne in der „New York Times“. Ein Indikator für die Faszination ist der wachsende „Whale watching“-Tourismus. Imposant ist nicht allein die Größe dieser Säugetiere. Sie sind auch auffallend gesellig und haben ein komplexes Sozialverhalten. Parallelen zum Menschen zeigen sich in der langen Säugezeit, der daraus entstehenden engen Mutter-Kind-Bindung und in der variantenreichen, manchmal unverwechselbaren Art der Kommunikation untereinander.

Umweltgefahren. Diese Faszination erklärt auch, weshalb der Walfang ein emotional so stark besetztes und medial häufig präsentes Thema ist. Denn auf nüchternen Argumenten fußt die Empathie nicht immer. Schließlich sind andere Arten weit mehr bedroht. Und auch bei den Problemen, unter denen Wale leiden, ist der Walfang eher nachrangig. „Die größte Gefahr für Cetacea ist nicht die Bejagung, sondern die Umweltzerstörung“, so der Leitsatz des Meeresbiologen Stachowitsch. „Cetacea werden von vielen Seiten bedroht: durch Beifang, durch den Klimawandel, durch Sonarlärm, durch die Küstenzerstörung, durch Shipstrikes.“ Auch Greenpeace-Meeresbiologin Helms räumt ein, dass der Walfang bei Weitem nicht die einzige Bedrohung für Wale ist, aber eine, „bei der man den Bedrohungsfaktor am schnellsten abstellen könnte“.

Ist der Walfang also wirklich noch immer ein Problem? „Manche Walarten könnten theoretisch wieder eingeschränkt gejagt werden, ohne Populationen zu schädigen“, sagt Stachowitsch. Das Problem dabei sei, die Kontrolle über die erlegten Wale zu behalten. Das IWC-Wissenschaftskomitee, dem Stachowitsch angehört, arbeitete sechs Jahre lang an einem neuen Quotenschema für eine regulierte Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs. Dieses Schema ist aber in der Berechnung derart vorsichtig, dass laut Stachowitsch „ein Großteil der Fischereibetriebe zusperren“ müsste, wenn es auf den Fischfang angewandt würde. Das Problem der Quoten sei die Unsicherheit jeglicher Bestandsschätzung. „Sie ist darauf bedacht, dass sogar bei der geringsten Walanzahl noch ein Populationszuwachs stattfinden kann.“ Allerdings ist die Frage nach der Quotenkontrolle noch nicht geklärt. Aber auch wenn dafür eine praktikable Lösung gefunden wird, wird laut Stachowitsch „der wissenschaftliche Walfang vermutlich komplett abgeschafft und dem kommerziellen in geordneten Bahnen stattgegeben“. Für Greenpeace-Biologin Helms ist jedoch jeglicher kommerzielle Walfang, ungeachtet niedriger Quoten und rigoroser Kontrolle, inakzeptabel. „Walfang ist ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert und darf einfach nicht mehr betrieben werden.“

Schließlich sind die Bestände, die es vor der Massenjagd gab, noch lange nicht erreicht, auch wenn die Zahlen der Tiere stetig wachsen und die unmittelbare Bedrohung fürs Erste gebannt scheint. Allerdings ist diese Nachricht noch nicht bei der breiten Bevölkerung angekommen, woran die drastischen Kampagnen der Tierschützer nicht ganz unschuldig sind. Nun könnte also mit dem neuen Quotenschema und einer künftigen Kontrolle Japans Wunsch nach Aufhebung des Moratoriums doch irgendwann in Erfüllung gehen. Angesichts des sinkenden Walfleischkonsums stellt sich dennoch die Frage: Wozu muss man heutzutage überhaupt noch Wale jagen?

Von Laura Bronner