Warenverfolgung: Funk-Verkehr

RFID soll neuer Logistikstandard werden

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Wenn heute ein Lastkraftwagen der Deutschen Post ein Verteilerzentrum verlässt, muss sich der Fahrer in keinem Büro mehr abmelden oder die Nummer der Container angeben, die er geladen hat. Ebenso wenig muss er sich bei der Rückkehr melden oder in einer Zentrale nach der Rampe fragen, an der er die nächste Fracht aufnehmen soll. In 33 Logistikzentren der Deutschen Post werden die Bewegungen der Lkws mit „Radio Frequency Identification“ (RFID) berührungslos aufgezeichnet.
RFID-Systeme sind zwar im Grunde nicht neu – sie wurden erstmals Ende der achtziger Jahre zur Tieridentifikation eingesetzt. Doch nun gewinnt die Technologie in Bezug auf deutlich breitflächigere Anwendung an Bedeutung und könnte in absehbarer Zukunft auch im Alltag zu einem Begriff werden: Denn mittelfristig soll RFID die bisherigen Barcodes ersetzen – und damit fixer Bestandteil der Warenetikettierung in Supermärkten und Kaufhäusern werden.

Vorerst allerdings ist das System eher noch auf Logistikanwendungen im engeren Sinn beschränkt. Grundsätzlich besteht RFID aus zwei Komponenten: einem Datenträger sowie einem Lese- und bei komplizierteren Anwendungen auch einem Schreibgerät. Der Datenträger, Transponder genannt, ist das eigentliche Herz der Technologie: In den Verteilzentren der Deutschen Post beispielsweise speichert er auf einer Chip-Einheit die zu einem Lkw oder Container gehörende Information und sendet diese über eine Antenne per Funksignal an eine der 66 Lesestationen, die bei den Einfahrten zu den Zentren errichtet wurden.

Entwickelt wurde die RFID-Lösung für die Deutsche Post von einem österreichischen Unternehmen: Die Identec Solutions AG mit Zentrale im Vorarlberger Lustenau ist seit ihrer Gründung 1999 weltweit als Anbieter von RFID-Systemen tätig, welche sich jedoch in den Details deutlich von den geplanten Systemen zur Warenidentifikation in Supermärkten unterscheiden: Bei den Transpondern von Identec handelt es sich um batteriebetriebene Einheiten, die ihre Informationen aktiv an die Empfangsstation übermitteln und nicht auf eine Abfrage durch das Lesegerät warten müssen. Zudem können die Informationen mehr als 100.000-mal überschrieben werden, und die Daten bleiben bis zu zehn Jahre lang am Chip erhalten.

Auf Knopfdruck. „Wir haben uns bewusst von Anfang an entschlossen, auf hohe Qualität zu setzen“, sagt Identec-Solutions-Vorstand Wilhelm Gantner. Mit 35 Beschäftigten erwirtschaftete er 2003 sechs Millionen Euro Umsatz. Eine patentierte „Long Range“-Technologie mit Reichweiten von bis zu hundert Metern, so Gantner, komme derzeit vor allem bei Fahrzeug- und Behälterlogistik zum Einsatz, wo man über Standplatz und Anzahl genau informiert sein müsse und durch Stehzeiten oder fehlende Behälter massive finanzielle Einbußen drohten. Außerdem könne man mit dem Identec-System in einem Lager jederzeit auf Knopfdruck Inventur machen, weil das Antennensystem imstande sei, die Informationen von mehreren tausend Artikeln gleichzeitig abzurufen.

So gelang es nicht nur der Deutschen Post, durch den Einsatz von RFID die Lkw- und Containerbewegungen genau zu erfassen, besser zu steuern und damit Leerzeiten sowie Personalaufwand zu reduzieren. Auch Paketdienste wie DHL und UPS oder Konzerne wie die Volkswagen AG setzten in Pilotprojekten bereits auf die Technologie aus Vorarlberg.

Im März dieses Jahres investierten bestehende und neu hinzugekommene Venture-Capital-Fonds weitere vier Millionen Euro in das Unternehmen, die nun genutzt werden sollen, um die internationale Expansion voranzutreiben. In den USA kann Identec bereits auf erfolgreiche Projekte verweisen: So hat Club Car Inc., ein Hersteller von Golffahrzeugen, den Produktionsprozess mithilfe einer RFID-Lösung der US-Niederlassung von Identec Solutions komplett neu strukturiert. Früher wurde auf jedem Fahrzeug ein Barcode-Aufkleber angebracht, den die Arbeiter mit einem tragbaren Scanner bei jedem Arbeitsschritt einlesen mussten, damit der Produktionsfortschritt für das Management jederzeit nachverfolgbar und abrufbar war. Außerdem wurden die Karossen händisch zwischen den einzelnen Fertigungsstationen verschoben.

Beim neuen System gibt es nur noch eine automatisierte Montagestrecke, deren Stationen mit RFID-Leseeinheiten ausgestattet sind. Nähert sich ein mit einem Transponder ausgestattetes Fahrzeug einer Station, wird seine Information automatisch ausgelesen und über Computer mit der Produktionssoftware kurzgeschlossen, die wiederum dem Roboter der Station Anweisungen für die nächsten Montageschritte übermittelt.

Effizienzsteigerung. Die Herstellungszeit für ein Fahrzeug wurde derart von 88 auf 46 Minuten reduziert. Außerdem können nun Spezialanfertigungen leichter programmiert und ausgeführt werden. Zwar erzielen die Vorarlberger momentan noch den Großteil ihres Umsatzes in Europa, doch die aktuellen Pilotprojekte in den USA lassen eine tendenzielle Verschiebung der regionalen Gewichtungen erwarten, so Vorstand Gantner: „Die USA sind wegen der Größe der Unternehmen als Markt sehr interessant.“

Marktforscher untermauern diese Einschätzung. Dass RFID als Zukunftstechnologie bei Produktion, Lagerbewirtschaftung und Logistik, jüngst aber auch im Einzelhandel zunehmend als Ersatz für die bisherigen Barcodes diskutiert wird, liegt laut Experten auch an Veränderungen auf der Nachfrageseite: So erwartet das angesehene US-Beratungs- und Marktforschungsunternehmen International Data Corporation (IDC) einen erheblichen Anstieg der Investitionen für RFID, weil 2003 sowohl das US-Verteidigungsministerium als auch Wal-Mart, der weltgrößte Einzelhandelskonzern, Zulieferer angewiesen hätten, die neue Technologie künftig einzusetzen. Bis Jänner 2005, so die Planung, sollen möglichst alle Lieferanten von Wal-Mart auf RFID umstellen. Ähnliche Vorbereitungen laufen in Europa bei den Handelskonzernen Metro und Tesco.

Bei den Einzelhandelszulieferern in den USA könnten die Investitionsausgaben durch RFID bis zum Jahr 2008 auf bis zu 1,3 Milliarden US-Dollar anwachsen, prognostiziert IDC, was dem 14-fachen der Ausgaben im Jahr 2003 entsprechen würde. Allein die Ausstattung der Unternehmen mit der dafür erforderlichen Hardware werde im Jahr 2007 ein Investitionsvolumen von 875 Millionen US-Dollar erreichen. Industrielle Anwendungen in den Bereichen Logistik und Produktion gelten dabei als stärkste RFID-Wachstumssektoren. Bereits 2007 sollen sie nach Angaben der Marktforscher von Allied Biz Intelligence mit einem weltweiten Umsatz von 1,1 Milliarden Euro mehr als 50 Prozent des gesamten RFID-Transponder-Marktes ausmachen.

Kompetenzzentren. Aber auch aufseiten der Technologieanbieter hat sich zuletzt einiges getan. Konzerne wie Siemens, Intel und Infineon eröffneten Anfang des Jahres auch in Österreich Kompetenzzentren, in denen sie anhand konkreter Geschäftsszenarien Unternehmen von den Vorteilen des RFID-Einsatzes überzeugen wollen. Parallel dazu wird an der Technologie gearbeitet, um die Systeme leistungsfähiger und zuverlässiger zu machen. Softwarehäuser wie Oracle, SAP und Microsoft entwickeln Programme, mit denen die über RFID gesammelten Daten an die internen Verwaltungssysteme weitergegeben werden können.

Der flächendeckende Einsatz von RFID in Supermärkten wird freilich noch einige Zeit auf sich warten lassen. Was heute schon klappt, ist die auf unternehmensinterne Abläufe abgestimmte Nutzung von leistungsfähigen und deshalb nicht ganz billigen RFID-Systemen. So kostet ein RFID-Transponder von Identec Solutions zwischen 15 und 30 Euro. Damit die Technologie aber auch zum Auspreisen zumindest einzelner Warensparten im Supermarkt interessant wird, müsste der Preis nach Expertenschätzung weniger als zehn Cent betragen.

„Wir raten Logistikunternehmen, mit einem Umstieg auf RFID noch etwas zu warten“, meint Steffen Binder, der für das deutsch-schweizerische Beratungsunternehmen Soreon Research eine Studie zum finanziellen Nutzen von RFID geleitet hat. Doch schon für das Jahr 2006 rechnet Binder damit, dass der Preis für die einfachsten RFID-Transponder von derzeit 50 auf 15 Cent fallen wird. Derzeit wäre die potenzielle Amortisationszeit mit annähernd vier Jahren noch zu lange, meint Soreon Research.

Eine Ansicht, die von maßgeblichen österreichischen Logistikunternehmen geteilt wird. Sowohl die inet-logistics GmbH, ein Tochterunternehmen der Spedition Gebrüder Weiss GmbH, als auch die Quehenberger Logistikgruppe bestätigen Interesse an RFID, warten mit größeren Investitionen vorerst aber noch zu. „Natürlich wäre es für uns interessant, wenn man den Inhalt eines Containers automatisch erfassen könnte“, erklärt inet-Geschäftsführer Oswald Werle. „Derzeit werden aber einzelne Warenstücke noch nicht mit RFID-Transpondern versehen.“ Deshalb beschränkt sich das Vorarlberger Unternehmen zurzeit auf die Entwicklung einer Software für das Behältermanagement, mit der Daten, die via RFID übermittelt werden, erfasst und automatisiert verarbeitet werden können.

Stolpersteine. Noch zurückhaltender gibt sich Quehenberger-Vorstandsmitglied Hermann Költringer: „Logistikunternehmen müssen bei den Entwicklungen von Industrie und Handel mithalten.“ Wenn kundenseitig mit der Auszeichnung durch Transponder begonnen werde, würde man sich um entsprechende Software zum Scannen und Auslesen kümmern. Einen technischen Stolperstein bei der Verbreitung von RFID sieht Identec-Solutions-Vorstand Gantner zudem noch in den unterschiedlichen Standards: So werden international verschiedene Frequenzen zur Informationsübermittlung vom Chip zur Lesestation verwendet, was global tätigen Unternehmen Probleme bereiten könne.

In einem Punkt ist man sich aber weit gehend einig: RFID wird kommen. Schon in zwei bis drei Jahren wird sich der Einsatz von aktiven Transpondern in geschlossenen Systemen wie eben dem Behältermanagement der Autoindustrie vollends durchgesetzt haben, meint Werle. Bei den passiven Einheiten werde der breitflächige Einsatz allerdings vermutlich noch fünf bis zehn Jahre auf sich warten lassen.

Einen zusätzlichen Impuls für die Verwendung von RFID könnte eine neue EU-Richtlinie bringen: Um die Lebensmittelqualität besser kontrollieren zu können, müssen ab Jänner 2005 alle Warenströme von Betrieben, die Lebens- beziehungsweise Futtermittel produzieren, verarbeiten oder vertreiben, transparent und rückverfolgbar sein. Dazu gehört auch eine entsprechende Kennzeichnung, die jederzeit erkennen lässt, woher das Produkt kommt und welche Prozesse es durchlaufen hat. RFID wäre aufgrund des beschreibbaren Datenspeichers eine geeignete Möglichkeit dafür. Inet-Geschäftsführer Werle: „Die Technologie wird langsam reif für einen breiten Einsatz, der sich auch ökonomisch rechnet.“