Erfolgskonzept

Warenwirtschaft: Bestellt und abgeholt

Bestellt & abgeholt

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Wir sind kein Verlag", sagt Ute Nöth, Marketingmanagerin des Hamburger Unternehmens Books on Demand (BoD). "Wir machen Bücher auf Bestellung." Während üblicherweise ein Buch zuerst produziert, im Handel angeboten und dann verkauft wird, läuft es beim Hamburger Buchproduzenten genau umgekehrt: Erst wenn eine Bestellung einlangt, wird das Buch gedruckt und versandt.

Ab einem Preis von 236 Euro kann jeder seine Texte auf diese Weise drucken lassen und im Online-Shop von Books on Demand (www.bod.de) zum Kauf anbieten. "Die Autoren reichen von der Hausfrau, die Gedichte schreibt, bis zu Firmenjahrbüchern und wissenschaftlichen Arbeiten", so Nöth. "Für viele ist es die Erfüllung eines Traums."

Was 1998 als Versuchsprojekt des Großbuchhändlers Lingenbrink begann, ist mittlerweile ein Unternehmen mit mehr als 9000 Titeln im Sortiment. Technisch möglich machte diese Umkehrung des Produktionsvorgangs der Digitaldruck: Während im konventionellen Offsetdruck zunächst kostspielige Druckplatten hergestellt werden und mit diesen möglichst große Auflagen produziert und verkauft werden müssen, damit sich der Aufwand lohnt, entfällt beim Digitaldruck die Druckplatte zur Gänze: Ein elektronisches Dokument wird vom Computer direkt an die Druckmaschine übermittelt, weshalb die Höhe der Auflage kaum mehr eine Rolle spielt - und auch geringe Stückzahlen kostengünstig produziert werden können.

Sonderdruck. Deshalb sei, so Nöth, das finanzielle Risiko für den Autor weit geringer: "Er muss nicht die Produktion einer vollen Auflage im Voraus bezahlen und bleibt im Nachhinein auch nicht auf seinen Büchern sitzen." Drei bis vier Prozent aller Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum werden laut Nöth inzwischen on Demand, also auf Nachfrage, produziert.

Der Trend, Güter erst auf Anfrage des Kunden und nach dessen individuellen Wünschen zu produzieren, hat in den vergangenen Jahren in vielen Branchen Einzug gehalten. Thorsten Blecker vom Institut für Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement der Universität Klagenfurt begründet diese Entwicklung damit, dass "eine immer größere Anzahl von Kunden individualisierte Konsumgüter in immer kürzerer Lieferzeit und zu moderaten Preisen fordert". Zwei Gründe können laut Blecker für die On- Demand-Produktion ausschlaggebend sein: "Entweder ist die Nachfrage der Kunden nach einem Produkt so gering, dass sich eine Massenanfertigung nicht lohnt, oder es sind zur Herstellung eines Produktes detaillierte Spezifikationen des Kunden notwendig."

Stand bisher vor allem "just in time", die Belieferung zum optimalen Zeitpunkt und ohne Wartezeiten, im Vordergrund, so setzt der On-Demand-Gedanke bereits beim Produktionsvorgang an - eine Vorgehensweise, die laut Blecker wesentliche Vorteile mit sich bringt: "Die Unternehmen können die Lagerkosten für Endprodukte reduzieren, Fehlprognosen vermeiden und die Flexibilität in der Produktion steigern. "

Auch Frank Piller, Leiter des Forschungsbereichs Mass Customization an der Technischen Universität München, ortet eine allmähliche Abkehr von der traditionellen Massenproduktion. "Mit On Demand rückt der Konsument als Individuum verstärkt in den Mittelpunkt", konstatiert Piller. Nicht nur wann und wie viel produziert wird, sondern auch wie das Produkt aussehen soll, bestimmt zusehends der Kunde. "Gerade in westlichen Industrieländern merken die Konsumenten immer mehr, dass sie keine Kompromisse mehr eingehen müssen ", so Piller.

Individualverkehr. Seit einigen Jahren zeigen auch Großkonzerne wie Procter & Gamble, Lego oder adidas Ansätze, Millionen von Kunden individuell zu bedienen. Die quattro GmbH, eine Tochtergesellschaft des deutschen Audi-Konzerns, setzte schon in den achtziger Jahren erste Schritte in diese Richtung. Mit einem erweiterten Logistikprogramm namens "Perlenkette" bietet Audi seit November 2002 Gestaltungsspielraum bei der Konfiguration des Wunschautos: Lackfarbe, Material der Sitzbezüge, die Holzsorte für Türen und Armaturenbrett sind den Vorstellungen des Kunden überlassen und können noch bis zwei Tage vor dem Karosseriebau beliebig geändert werden.

Dies führe mitunter zu recht ausgefallenen Kreationen, berichtet Eric Felber, Pressesprecher der Audi AG im deutschen Ingolstadt. "Wir haben schon Autos produziert, bei denen das Dach eine andere Farbe hatte als die übrige Karosserie", so Felber. Doch nicht nur der Kunde profitiere von solchen Angeboten: "Der Kontakt zwischen Kunde und Fertigungsbereich wird intensiver. Dadurch gewinnt auch die Marke." Etwa 25 Fahrzeuge werden täglich bei der quattro GmbH individualisiert hergestellt.

Eine ähnliche Entwicklung konstatiert Georg Haberl, Pressesprecher von IBM Österreich, im IT-Bereich. "Informationstechnik wird von einem Investitionsgut zu einer frei verfügbaren Dienstleistung", glaubt Haberl. Vor knapp einem Jahr startete IBM den Service "E-Business on Demand", welcher auf dem so genannten "pay per use"-Prinzip basiert: Wie beim Konsum von Wasser oder Strom soll der Nutzer nur noch für den tatsächlichen Verbrauch zahlen - "Informationstechnik als abrufbare Dienstleistung" wird das bei IBM genannt. "Früher musste sich jeder Betrieb für teures Geld eigene Server anschaffen", so Haberl. Die Auslastung solcher Geräte betrage jedoch erfahrungsgemä ß nur zwischen fünf und maximal sechzig Prozent. Heute bietet IBM seine Großrechner als flexible Service- Maschinen an: Die Rechner gehören dem Anbieter, nicht mehr dem Kunden, der nur noch die genutzte Computerleistung bezahlen muss.

Wunschkonzert. Dem USComputerhersteller Apple gelang es sogar, Services im Bereich Music on Demand zu etablieren - ein aufgrund von illegalen Downloads traditionell besonders sensibler Sektor. Unter der Bezeichnung "iTunes" stellte Apple eine Datenbank mit mehreren hunderttausend Musiktiteln im MP3-Format ins Internet. Gegen eine Gebühr von 99 US-Cent pro Titel kann jeder Nutzer Hits auf den PC herunterladen und sich derart auf legalem Weg seine individuelle CD zusammenstellen.

Günstige Preise, Benutzerfreundlichkeit und das umfangreiche Titelangebot brachten den erhofften Erfolg: Innerhalb von zwei Monaten verkaufte Apple auf diese Weise fünf Millionen Musiktitel und widerlegte die herrschende These, dass niemand bereit sei, für Musik im Internet zu zahlen. "Apple hat der ganzen Branche wieder Mut gemacht", sagt Andreas Kolm von der Verwertungsgesellschaft Austro Mechana. "Noch vor drei Monaten hätte niemand geglaubt, dass man mit Music on Demand so viel Geld verdienen kann."

Dass sich kluge On-Demand- Strategien auch für klassische Einzelhändler lohnen können, beweist der Winzer Willi Opitz aus Illmitz im Burgenland. Opitz stellt auch Wein "auf Bestellung " her: "Wir richten uns nach dem individuellen Geschmack des Kunden", erklärt Opitz. "Erst bei Auftragseingang füllen wir den gewünschten Wein ab." Zudem lädt der Händler Kunden im Rahmen von Veranstaltungen oder Seminaren ins Haus. "Create your own cuevee" heißt eines dieser Seminare. "Aus vielen verschiedenen Weinsorten kann jeder nach Lust und Laune seinen Lieblingswein mischen", so Opitz.

Auch Unternehmen kreieren auf diese Weise ihren bevorzugten Wein, dem Opitz auf Wunsch auch noch ein Etikett mit Firmenlogo verpasst. Seine Wine-on-Demand-Strategie hat Opitz inzwischen zu internationaler Bekanntheit verholfen: ob McLaren Mercedes, British Airways oder das Londoner Kaufhaus Harrods - sie alle bestellen "ihren" Wein bei dem Burgenländer. Sogar im Weißen Haus zeigte man sich angeblich beeindruckt: Als Opitz einst "aus reiner Neugier" mehrere Flaschen edler Tropfen an den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton persönlich adressierte, kam prompt eine Bestellung für das gesamte Weiße Haus zurück.

Maßarbeit. Konsumforscher sagen vor allem der Luxusgüterindustrie für die kommenden Jahre einen rapiden Wertewandel voraus. An die Stelle von protzigen Statussymbolen und angesehenen Markenprodukten werde der ganz persönliche, individuelle Luxus treten. Auf dieses Konzept setzte vor zwei Jahren das Schweizer Unternehmen Factory121 im Kanton Vallis. Mit dem Slogan "Create your own Swiss made watch" werben die Unternehmer im Internet für die individuelle Schweizer Uhr nach Maß. "Wir wollten die Distribution umgehen und direkt an den Kunden liefern, um bei den Preisen konkurrenzfähiger zu sein", erklärt Mitgründer Daniel Morf. Uhren hätten sich dabei geradezu angeboten. "Eine Uhr besteht aus zwölf bis 15 Komponenten, die ich beliebig gestalten und kombinieren kann", so Morf.

Auf der Website des Unternehmens (www.factory121.com) entscheidet man sich zunächst für einen Modelltyp. Ein Online- Konfigurator hilft, anhand dieses Modells die gewünschte Uhr am Bildschirm zu entwerfen. Anschließend wählt der Kunde aus Optionen wie etwa Wasserdichte oder gibt Sonderwünsche, wie eine spezielle Gravur, bekannt. Die Daten schickt Factory121 dann zu einem Schweizer Uhrmacher, und zehn Tage später hält der Kunde das fertige Schmuckstück in Händen. Rund 250 Euro kostet die Traumuhr nach Maß. "On-Demand-Leistungen sind ein wirksames Marketinginstrument ", ist Morf überzeugt, der sich über monatlich steigende Umsatzzahlen freut. "Langfristig wird man sich wieder über Qualität, Design oder Preis definieren."

Das größte Potenzial für On-Demand-Produkte ortet Experte Frank Piller in der Bekleidungsindustrie. Nach Pillers Schätzung könnten schon in den nächsten Jahren bis zu zwanzig Prozent dieser Güter auf Nachfrage produziert werden. Als Beispiel dient vielen Textilunternehmen der New Yorker Jeanshersteller ic3d. Die Interactive Custom Clothes Company erkannte als eines der ersten Unternehmen, dass kaum ein Kunde auf Anhieb eine Hose findet, die nicht nur gut aussieht, sondern auch perfekt passt. Seither verkauft ic3d maßgeschneiderte Jeans über das Internet, wobei der Kunde verschiedene Möglichkeiten hat, die Maße für seine Traumhose zu ermitteln: Er kann sich selbst vermessen, die Maße einer gut passenden Hose nehmen oder diese Hose einschicken. Farbe, Stoff und Schnitt bestimmt der Kunde selbst.

Mit dem individuell maßgefertigten Sportschuh gehen auch Sportartikelhersteller wie Nike und adidas zur Produktion auf Wunsch über. "mi adidas" heißt die individuelle Sonderanfertigung von adidas, bei der Kunden in ausgewählten Sportfachgeschäften an bestimmten Tagen im Jahr ihren eigenen, einzigartigen Sportschuh kreieren können.

Mittels Footscan kann der Kunde zunächst Länge, Breite und Druckverteilung seines Fußes ermitteln lassen. Ein so genannter Fitting-Experte analysiert anschließend die Daten und wählt das geeignete Schuhmodell aus. Steht die Passform fest, kann der Kunde seinen Schuh testen, noch bevor er sich für ein Design entscheidet. Farben, Materialien, sogar persönliche Stickmotive wählt er selbst aus, am Bildschirm verfolgt er jeden Schritt der Erstellung seines Sportschuhs. Innerhalb von drei Wochen werden ihm seine individuell angepassten Schuhe ins Haus geliefert. Der Preis liegt etwa dreißig Prozent über einem regulären Sportschuh. "Mit ¸mi adidas` wollen wir Kunden den gleichen Service bieten, den Top-Athleten wie David Beckham haben", erklärt Georg Kovacic, Pressesprecher von adidas Österreich. Die intensivere Kundenbetreuung komme auch der Marktforschung zugute. "Wir erfahren jetzt viel mehr über unsere Kunden als je zuvor. Die Daten helfen uns, unsere sonstige Schuhproduktion zu verbessern. " Zwar sei "mi adidas" nur eine kleine Sparte innerhalb des Konzerns, die Werbewirkung sei jedoch enorm.

Ein Effekt, den auch Piller bestätigt: "Der Nutzen von On Demand liegt nicht nur in gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit oder in der Reduktion von Lagerständen. " Zudem schlage er sich in Werten wie Image oder Innovationsführerschaft nieder: "Das Prinzip ¸On Demand` hilft Firmen, ihre Massenproduktion zu verbessern, effizienteren Zugang zu Kundendaten zu bekommen und ihre Marke zu stärken."