Warnhinweise und Verbote fruchten nicht

Warnhinweise und Verbote fruchten nicht: Die Zahl der Nikotinabhängigen bleibt gleich

Die Zahl der Nikotin-abhängigen bleibt gleich

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Margit S. ist hartnäckige Raucherin. Nach der Matura, mit 18, hatte sie damit angefangen. Sie hat immer geraucht – bis zu 60 Zigaretten täglich. Heute, mit 67, versucht die pensionierte Privatangestellte aus Wien mühsam, ihren Zigarettenkonsum einzudämmen. Dass sie davon völlig loskommen könnte, wagt sie nicht zu hoffen. Sie hat alle Höhen und Tiefen der Sucht durchlebt. Jetzt ist sie gesundheitlich so angeschlagen, dass das Aufhören zu einer Überlebensfrage wird.

Warum ist es so unendlich schwer, von der Zigarette loszukommen? Was macht diese Sucht aus, dass zwar jeder dritte Raucher mit seiner Situation massiv unzufrieden ist und lieber heute als morgen aufhören möchte, es tatsächlich aber nur verhältnismäßig wenige auf Anhieb schaffen? Viele Raucher haben mehrere Entwöhnungsversuche hinter sich und fallen trotzdem immer wieder in ihr Suchtverhalten zurück.
„Nikotin hat das höchste Abhängigkeits­potenzial von allen Substanzen und die schlechteste Langzeit-Abstinenzprognose“, sagt die Wiener Suchtforscherin Gabriele Fischer von der Medizinischen Universität Wien. Die Leiterin der Drogenambulanz im Wiener AKH begründet das so: Die Lunge hat die größte Perfusionsfläche aller Organe. Dadurch gerät das Nikotin besonders rasch ins Gehirn, wo es zu einer schnellen Dopamin-Ausschüttung führt, einem Botenstoff, der direkt auf das Belohnungszentrum des Gehirns wirkt.

Dieser Vorgang läuft laut Fischer in kürzerer Zeit ab als etwa beim Alkohol und macht es für die Abhängigen oft extrem schwer, von der Zigarette loszukommen. Die Suchtexpertin verweist auf den oftmaligen Zusammenhang von Depression und Sucht: Depressive sind antriebslos, deprimiert, das Nikotin gibt ihnen den raschen Kick. Depressionen nehmen aber weltweit zu. Daher gibt es auch weltweit mehr Raucher – Länder wie China holen rasant auf, vor allem bei Frauen.

Immer mehr Frauen rauchen während der Schwangerschaft. Das ist laut Fischer einer der wissenschaftlichen Ansätze dafür, dass es auch mehr Kinder und Jugendliche mit „Zappelphilipp-Syndrom“ gebe. Sie sind hyperaktiv und leiden unter einem Aufmerksamkeitsdefizit. Nikotin schafft Abhilfe – einer der Gründe dafür, warum Jugendliche zur Zigarette greifen.
Frauen neigen stärker zu Depressionen als Männer. Noch stärker als für Männer ist für sie die Zigarette ein „Anhaltspunkt“, der Freiheit und Eigenständigkeit vermittelt. Frauen bauen aber auch das Nikotin rascher ab als Männer und haben für die Entwöhnung eine schlechtere Prognose: Sie sind in der Langzeitabstinenz noch weit weniger erfolgreich als Männer. Diese Erkenntnisse der Suchtforschung wurden von Anti-Raucher-Kampagnen bisher nie berücksichtigt.

Raucherräume. Mit höheren Zigarettenpreisen, immer neuen Warnhinweisen auf den Packungen, mit rigorosen Rauchverboten in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln sowie mit verschärftem Nichtraucherschutz in Betrieben versuchen die Gesundheitsbehörden seit Jahren, den Rauchern das Leben schwer zu machen. Nachdem etliche Länder in Europa strikte Rauchverbote auch in Bars und Restaurants eingeführt haben, folgt nun Österreich ab 1. Jänner mit weniger strikten Regeln: Lokalen bis 50 Quadratmeter steht es frei, sich entweder als Raucher- oder Nichtraucherlokale zu deklarieren. Überall sonst ist Nichtrauchen die Norm, das Rauchen nur dort gestattet, wo es das Gesetz ausdrücklich erlaubt. Lokale über 50 Quadratmeter müssen über separate Raucherräumlichkeiten verfügen. Einzige Ausnahme bei Lokalen bis 80 Quadratmeter: Die bauliche Trennung ist nicht möglich.

Doch alle bisherigen Maßnahmen, das Rauchen zu erschweren, haben praktisch nichts gefruchtet. Der Anteil der Raucher an der österreichischen Bevölkerung verringert sich, wenn überhaupt, nur marginal. Es rauchen zwar weniger Männer als früher, dafür aber immer mehr Frauen. Der Nachwuchs bei jugendlichen Rauchern wächst ungebremst weiter. Auch wenn die Zahl der Lungenkrebstoten bei Männern leicht zurückgeht, bei Frauen steigt sie sukzessive an.

Nach den jüngsten, von der Statistik Austria in den Jahren 2006/07 erhobenen Daten rauchen in Österreich 27,5 Prozent der Männer ab 16 Jahren und 19,4 Prozent der Frauen. Seit 1972 hat sich der Anteil der rauchenden Männer um mehr als zehn Prozentpunkte verringert, der Anteil der rauchenden Frauen jedoch nahezu verdoppelt. Mit leichten Schwankungen ist der Anteil der Raucher an der Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg konstant geblieben. Seit Jahren sind zahllose Mittel auf dem Markt, die Raucher bei ihren Versuchen, von der Sucht loszukommen, unterstützen sollen. Die meisten dieser Präparate stellen jedoch nur andere Formen der Nikotinzufuhr dar: von der Nikotinpille über den Nikotinkaugummi, den zigarettenförmigen Nikotininhalator bis zum Nikotinpflaster. Der Konsument erhält dabei zwar die gewünschte Nikotinmenge, um den nötigen „Kick“ im Gehirn zu erleben, erspart sich dabei aber die gesundheitsschädlichen Rauchinhaltsstoffe, von denen laut Experten etwa 40 krebserregend sind.

Dazu gab es schon mehrere Versuche seitens der Pharmaindustrie, das Rauchverlangen durch spezielle Wirkstoffe zu bekämpfen. Das erste dieser Art von Medikamenten wurde durch Zufall entdeckt. Es handelte sich um ein in den USA schon länger zugelassenes Antidepressivum, das als unverhoffte „Nebenwirkung“ auch das Rauchverlangen drosselte.

Wundermittel. Daraufhin bewarb die Herstellerfirma GlaxoSmithKline das Präparat unter dem Handelsnamen Zyban als neues Wundermittel gegen das Rauchen. Nach einem fulminanten Start in den USA und ab Juli 2002 auch in Europa tauchten jedoch immer mehr Berichte über unangenehme Nebenwirkungen auf: Unruhe, Schwitzen, Schlafstörungen, vereinzelt auch epileptische Anfälle. Auch die Mediziner des Wiener Nikotininstituts verschrieben das Mittel als Entwöhnungshilfe. „Wir haben gesehen, dass bei uns doppelt so oft Nebenwirkungen auftraten wie in den klinischen Studien“, berichtet Institutsleiter Ernest Groman. „Es gab Leute, denen man förmlich angesehen hat, dass sie Zyban nehmen: Sie waren blass, schwitzten, klagten über Schlafstörungen.“ Obwohl das Medikament vielen Menschen dabei half, ihr Rauchverlangen zu bezwingen, wird es heute kaum noch verschrieben. Der Hersteller hat auch die Bewerbung des Präparats längst eingestellt.

Seit dem Jahr 2006 ist nun ein neues, ähnliches Medikament namens Champix auf dem Markt. So wie Zyban ist Champix ein Antidepressivum, das allerdings auf zweifache Art direkt im Gehirn ansetzt. Einerseits gaukelt es den Nikotinrezeptoren vor, ein vergleichbar befriedigender Stoff zu sein, andererseits blockiert es die Rezeptoren, wodurch das Verlangen nach Nikotin schwindet. Wie schon bei Zyban wird aber auch bei Champix seit Wochen von teils erheblichen Nebenwirkungen berichtet. Die US-Arzneimittelbehörde FDA sowie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnen davor, dass der in Champix enthaltene Wirkstoff Varenicline Sehstörungen, Halluzinationen und Depressionen auslösen kann. Verschiedentlich wird sogar von Selbstmordfällen berichtet, wie erst in der Vorwoche ein Fall in Großbritannien. Der Wiener Selbstmordforscher Gernot Sonneck gibt allerdings zu bedenken, dass Raucher „generell eine leicht erhöhte Basissuizidität haben“.

Die heimische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) weist zwar auf ihrer Homepage auf die Nebenwirkungen von Champix hin, doch der zuständige Referent Marcus Müllner sagt: „Der Nutzen steht höher als die Nachteile.“ Die meisten Ärzte wissen von den möglichen Nebenwirkungen und raten daher psychisch labilen oder depressiven Patienten von einer Einnahme ab. Auch Margit S. hatte im Lauf ihrer Raucherkarriere eine schwer depressive Phase und magerte auf 40 Kilo ab. Seit vielen Jahren leidet sie an einer chronisch obstruktiven Bronchitis (COPD) mit erheblicher Leistungsminderung. Sie bekommt schwer Luft, Stiegen sind eine oft unüberwindliche Hürde. Und in der Ebene schafft sie aufgrund von Gefäßverengungen kaum mehr als 100 Meter am Stück. Dann schmerzen ihre Beine so sehr, dass sie stehen bleiben muss.

Vergangene Weihnachten lag sie mit Beinahe-Gefäßverschlüssen an den Nieren und im linken Bein auf der internen Abteilung des Wiener Wilhelminenspitals. Da es in der Nähe kein Raucherzimmer gab, fuhr sie mit dem Lift immer wieder in den eisigen Keller, um sich dort eine Zigarette anzustecken. Nachdem die Mediziner sie wiederholt vergeblich gedrängt hatten, mit dem Rauchen aufzuhören, herrschte sie ein Arzt an: „Ich sehe schon, das wird auf eine Beinamputation hinauslaufen.“ Seither versucht Margit S. mit großer Kraftanstrengung und mit moralischer Unterstützung durch Betreuer des Nikotininstituts, ihren Zigarettenkonsum zurückzuschrauben. Wöchentlich kommt sie zumindest einmal ins Nikotininstitut, um den Kohlenmonoxidgehalt in ihrer Ausatemluft messen zu lassen und sich neue Motivation zu holen. Immerhin hat sie es schon geschafft, ihre Monatsration von ursprünglich sieben auf knapp vier Stangen Zigaretten zu reduzieren. S. weiß, dass das noch nicht genügt, aber sie ist sichtlich stolz und wird darin auch von ihrem Medizincoach Ernest Groman bestärkt: „Es ist schwierig, den Leuten zu vermitteln, dass das schon ein Erfolg ist.“ Die Frau anzuschreien, wie es ein Arzt im Wilhelminenspital getan hat, sei jedenfalls nicht sinnvoll.

Motiv Gesundheit. Der Wunsch aufzuhören verstärkt sich mit dem Alter und zunehmenden Gesundheitsproblemen. Im Durchschnitt, so berichtet Groman, sind die aufhörwilligen Raucher, die professionelle Hilfe im Nikotininstitut suchen, etwa 47/48 Jahre alt. Hauptmotiv ist die Gesundheit, vor allem dann, wenn der/die Aufhörwillige miterleben musste, dass ein starker Raucher im Freundeskreis einen Herzinfarkt erlitt. Ein zweiter Punkt ist der Zigarettenpreis: Das seit 1998 bestehende Wiener Nikotininstitut konnte schon vor Jahren zeigen, dass eine Zigarettenpreiserhöhung von einem Prozent den Konsum um 0,5 Prozent senkt – ein Wert, den auch die Weltbank bestätigt.

Aufgrund der geografischen Lage nahe den Billigzigarettenländern im Osten und zum Schutz des Markts gelten in Österreich Mindestpreise sowie Einfuhrbeschränkungen auf 25 Stück pro Person (Ungarn und Slowakei) bzw. eine Stange, wenn die Warnhinweise nicht in Deutsch verfasst sind (Slowenien und Tschechien). Schmuggelzigaretten aus Billigländern sind aber für den heimischen Markt nach wie vor ein Problem. Sie lassen den Umkehrschluss zu, dass der Zugang zu billigeren Zigaretten auch den Wunsch aufzuhören untergräbt.

Im Durchschnitt starten aufhörwillige Raucher alle drei Jahre einen Versuch – für den professionellen Entwöhnungscoach freilich viel zu selten. Dabei, so Groman, sind die Ausgangspositionen höchst unterschiedlich. So hat beispielsweise ein 55-jähriger Mann, der seit 35 Jahren raucht, gesund ist und aus eigenem Antrieb aufhören möchte, ungleich bessere Voraussetzungen für die Entwöhnung als ein 60-Jähriger, der aufgrund verschiedener Krankheitsbilder von der Ehefrau dazu gedrängt wird. Bei weniger starken Rauchern verlaufen die Versuche eher erfolgreich als bei schweren Rauchern – und in der Gruppentherapie eher als bei Einzelversuchen, vor allem in Verbindung mit bestimmten Hilfsmitteln. Eines davon ist Bewegung, sagt der Wiener Pulmologe Hartmut Zwick: „Sport ist unheimlich gut für jede Suchtentwöhnung, weil er zufriedener macht.“

Das Institut für Umwelthygiene der Wiener Medizinuniversität untersuchte in den Jahren 2004 und 2005 den Erfolg von betrieblichen Gruppenseminaren zur Raucherentwöhnung nach der Methode von Allen Carr, Autor des Bestsellers „Endlich Nichtraucher!“, der im November 2006 an Lungenkrebs verstarb. Ergebnis: Während internationale Bevölkerungs- und klinische Studien je nach angewandter Entwöhnungsmethode auf einen Langzeiterfolg zwischen 15 und 35,5 Prozent kamen, eruierten die Wiener Forscher eine Langzeiterfolgsrate von bis zu 51 Prozent. Mit jeder vor dem Seminar täglich gerauchten Zigarette sank die Erfolgsrate um ein Prozent. Die Dauer des Zigarettenkonsums hatte hingegen keinen Einfluss.

Die Wiener klinische Psychologin und Psychotherapeutin Christa Pölzlbauer, stellvertretende Vorsitzende des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, hingegen glaubt, dass Einzeltherapien vor allem deshalb erfolgreicher sein können, weil es dem Therapeuten dabei eher möglich ist, auf die individuelle Persönlichkeitsstruktur sowie zumeist biografisch geprägte Verhaltensmuster einzugehen. Eine Evidenz dafür gibt es aber nicht. Pölzlbauer kann sich vorstellen, dass auch Gruppentherapien erfolgreich sind, wenn das Umfeld das Aufhören begünstigt. Aber befragt nach den großen Erfolgen aller „Stop smoking“-Bemühungen, muss auch Pölzlbauer eingestehen: „Die Erfolge sind überschaubar.“

Von Robert Buchacher und Tina Goebel

Fotos: Michael Rausch-Schott