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Warum ein Austritt aus dem Euro machbar, aber wirtschaftlicher Unfug wäre

Eurokrise. Ist ein Austritt aus der gemeinsamen Währung machbar?

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Ließe sich die griechische Tragödie in einem Code verdichten, dann käme dabei etwa Folgendes her­aus: GR 0401000240000000026132462.

Seit März 2010 führt die griechische Nationalbank unter dieser Nummer ein „Solidaritätskonto zur Tilgung der Staatsschulden“. Bürger und Auslandsgriechen sind seither aufgerufen, gegen die drohende Zahlungsunfähigkeit des Staats zu spenden. Allein, die Solidarität scheint enden wollend. Bis heute soll so wenig Geld eingegangen sein, dass die Nationalbank sich beharrlich weigert, den Kontostand öffentlich zu machen.

Er stünde ohnehin in keiner Relation zu den ausufernden Verbindlichkeiten der Hellenen. Das Land sitzt mittlerweile auf (eingestandenen) Schulden in der Höhe von 328 Milliarden Euro, was fast dem Eineinhalbfachen der Wirtschaftsleistung eines Jahrs entspricht – der höchste Wert der Eurozone.
Wie brisant die Lage ist, zeigte sich am vergangenen Freitag. „Spiegel online“ berichtete über ein angebliches Geheimtreffen von Finanzministern der Euro-Gruppe, bei dem angeblich über einen möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro verhandelt werden sollte. Doch die Dementis der Finanzminister folgten umgehend.

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, am 2. Mai 2010, hatten die Euroländer, die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds (IWF) ein insgesamt 110 Milliarden Euro schweres Paket geschnürt, das Griechenland eigentlich vor dem Kollaps bewahren sollte. Im Gegenzug verordnete Athen Steuererhöhungen, radikale Einschnitte im Pensionssystem und bei den Beamtengehältern. Doch die Tantalusqualen zeigten bisher nicht die erhoffte Wirkung. Griechenland bekommt auf den internationalen Märkten kein Geld mehr – und wenn, dann nur gegen halsbrecherische Zinsen (die Renditen für zweijährige Staatsanleihen etwa liegen mittlerweile bei 25 Prozent). Ein alarmierendes Indiz dafür, dass eine Zahlungsunfähigkeit nicht länger eine Frage des Ob ist, sondern eher eine des Wann.

Vor den Griechen hatten die Iren sich bereits um Hilfsgelder anstellen müssen – und die Portugiesen sind die nächsten. Sie benötigen nun ihrerseits annähernd 80 Milliarden Euro, um eine ernste Schieflage abzu­wenden.

Hans-Werner Sinn, Chef des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), fand bei einem Vortrag in Wien auf Einladung der Hypo NÖ Mittwoch vergangener Woche unmissverständliche Worte: „Den Pakt für den Euro können sich die Politiker sonst wo hinstecken.“ Die Gemeinschaftswährung, sinnierte Sinn in aller Offenheit, sei „entgegen offiziellen Beteuerungen sehr wohl gefährdet und in der Krise“.

Der deutsche Ökonom rüttelt an einem Tabu:
Die Verfasstheit der Währungsunion infrage zu stellen war bisher allenfalls hysterischen Rechtspopulisten vorbehalten. Regierungen, Notenbanken und die Mehrheit der Ökonomen dagegen halten – allen Unbilden zum Trotz – unbeirrbar am Konzept Euro fest, weil es, wie es auf Befragen stets reflexartig heißt, „alternativlos“ sei.

Aber ist es das wirklich? Was passierte, wenn etwa Pleitestaaten wie Griechenland aus der Eurozone flögen? Oder vergleichsweise solidere Mitglieder wie Deutschland, Österreich und der Benelux-Raum sich vorsorglich in eine neue Währung flüchteten?

Raus aus dem Euro: Geht das überhaupt?

I. Die Steißgeburt
In der Krise wird deutlich, dass die Idee, alle Mitglieder vor dem Euro gleich zu behandeln, zu sehr vom Prinzip Hoffnung getragen wurde. Um die Misere der Währungsunion zu verstehen, muss man weit in die neunziger Jahre zurückblicken. Als die Staats- und Regierungschefs der EU Ende 1991 die Einführung einer gemeinsamen Währung beschlossen, saßen sie dem Trugschluss auf, allfälligen späteren Schieflagen der Mitglieder mittels bestimmter Parameter vorbeugen zu können: der notorischen Maastricht-Kriterien. Diese willkürlich gesetzten Grenzen für Budgetdefizit, Gesamtschulden und Inflation gelten heute als einer der folgenreichsten Geburtsfehler des Euro.

Nicht nur die Griechen haben die eigenen Zahlenreihen in den vergangenen Jahren gewerbsmäßig frisiert, um die so genannten Konvergenzkriterien zu erfüllen. Auch Österreich war nachgerade meisterlich im „Auslagern“ von Verbindlichkeiten (ÖBB, Asfinag, Gesundheitswesen, Pensionen). Es ist mittlerweile davon auszugehen, dass alle Staaten bei der Berechnung ihrer Schulden gemogelt haben – und es auch weiterhin tun.

Zum anderen zeigt sich nun, dass etwa die Relation zwischen Staatsschulden und Wirtschaftsleistung kein allzu verlässlicher Indikator ist. Das schwer krisengeschüttelte Spanien etwa weist – offiziell – eine Schuldenquote in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in der Höhe von lediglich 60,1 Prozent aus. Das ist einer der besten Werte unter 17 Eurostaaten. Österreich dagegen liegt mit 72,3 Prozent schlechter, erst recht Frankreich (81,7 Prozent) oder Deutschland (83,2 Prozent).

Die Schwächen des Regelwerks konnte man bereits im Jahr 2005 erkennen: Ausgerechnet die Deutschen, selbst ernannte Hohepriester der Haushaltsdisziplin, verstießen, so wie auch die Franzosen, erstmals gegen die Maastricht-Kriterien. Der Stabilitätspakt wurde in der Folge aufgeweicht und in einen „Wachstums- und Stabilitätspakt“ umgewandelt. Von diesem Zeitpunkt an war klar, dass Defizitsünder keine Sanktionen mehr zu gewärtigen hatten.

Am schwersten aber wiegt die Tatsache, dass die Währungsunion in den bald 13 Jahren ihres Bestehens kaum mehr als ein loser Zusammenschluss teilnehmender Staaten geblieben ist. Der Mangel an Vorkehrungen, um bei Schieflagen einzelner Länder in geordneter Weise eingreifen zu können, wirkt bis heute eklatant. Zwar wurde mit der Euro-Einführung die Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt als oberste Währungshüterin installiert. Deren Aufgaben waren jedoch lange auf die Leitzinspolitik und damit die Inflationsbekämpfung reduziert. Erst 2009 begann sie – unter politischem Druck – auch direkt in den Kapitalmarkt einzugreifen, indem sie erstmals Euro-Anleihen aufkaufte. Darüber hinaus verfügt Europa bis heute über keine gemeinsame Fiskal- und Lohnpolitik. Genau genommen rechnen die Staaten zwar in einer Währung ab, dar­über hinaus stehen sie aber weiterhin im Wettbewerb zueinander.

II. Die Kassandrarufer

Die Zweifel am Euro sind älter als die Währung selbst. Bereits 1995 prophezeite der Europapolitiker und Philosoph Ralf Dahrendorf, der Euro werde den Kontinent nicht einigen, sondern spalten. Die derzeitige Entwicklung scheint diese Meinung zu bestätigen. Und an Argumenten mangelt es den Euro-Skeptikern heute weniger denn je: Die Regierungen in den Krisenstaaten Europas haben die niedrigen Zinsen, die ihnen der Euro beschert hat, nicht genutzt, um die wirtschaftliche Gesundung ihrer Staaten voranzutreiben. Stattdessen lebten die Länder über ihre Verhältnisse und haben notwendige Reformen verschleppt.

„Wenn wir am Euro festhalten, gibt es einen Schrecken ohne Ende. Ich plädiere für ein Ende mit Schrecken, also ein Ende des Währungsexperiments“, sagt Stefan Hombach, Leiter des Instituts für öffentliche Finanzen an der Universität Hannover. Es sei falsch zu glauben, dass strukturell schwache Länder sich an denselben harten Konvergenzkriterien orientieren könnten wie wirtschaftlich starke Länder. Im Euroverbund seien Länder zusammengeschlossen, die nicht für eine gemeinsame Währung taugten. Eine einheitliche Währung bedeutet eine einheitliche Geldpolitik und einen einheitlichen Zinssatz, auch wenn die wirtschaftlichen Bedingungen und Konjunkturzyklen in den Mitgliedsländern erheblich voneinander abweichen.

Eine einheitliche Währung bedingt auch einen einheitlichen Wechselkurs gegenüber anderen Währungen. Das nimmt jedem Land der Eurozone die Möglichkeit, auf Handelsbilanzdefizite zu reagieren. Bei einer eigenen Währung würde der Wechselkurs nachgeben, dadurch würden die Exporte profitieren und die Importe erschwert werden. „Die Währungsunion war segensreich, weil sie die Wechselkursprobleme und Umrechnungskosten beseitigt hat. Doch anstelle des Wechselkursrisikos haben sich die Euroländer ein tödliches Konkursrisiko eingehandelt“, sagt Waldemar Hummer, Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck. Ohne eigene Währung bleibt den Staaten nur die Möglichkeit einer internen Abwertung, also durch sinkende Löhne oder einen Anstieg der Produktivität, um ihrer Defizite Herr zu werden. Argumente, denen sich auch die Euro-Befürworter nicht ganz verschließen können.

„Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass inzwischen viele diese Diagnose teilen, aber es ist politisch inkorrekt, über Alternativen auch nur nachzudenken“, sagt Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Der streitbare Manager schlägt eine Zweiteilung der Eurozone vor. Die wirtschaftlich starken „Nordländer“ sollen aus dem Euroverbund aus­treten und eine neue gemeinsame Währung gründen.

Rechtlich ist ein Ausstieg aus dem Euro eigentlich nicht vorgesehen. Da in allen wichtigen Entscheidungen, den Euro betreffend, Einstimmigkeit vereinbart wurde, kann kein Mitglied gegen seinen Willen ausgeschlossen werden. Bei einem freiwilligen Ausstieg sieht die Sache anders aus. Europarechtler meinen, dass ein solcher durchaus auszuhandeln wäre. Dabei würde es sich zwar um einen Rechtsbruch handeln, doch wer sollte ihn sanktionieren? Zumal auch die wichtigste Bestimmung, die No-Bail-out-Klausel, die eine verpflichtende Finanzhilfe für notleidende Euro-Mitglieder untersagt, bereits gebrochen wurde.

III. Die Schreckensvision

„Entweder kommt es zum Zusammenbruch des Euro oder zu einer Transferunion“, warnt der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn. Bei Letzterer würden reichere und sparsamer haushaltende EU-Staaten verpflichtet sein, ihre notleidenden Partner zu unterstützen. Dies würde den ­Zusammenhalt der gesamten EU bedrohen und letztlich zu einem chaotischen „Rette sich, wer kann“ aller Euroländer ­führen.

Was in Österreich im Falle eines Zusammenbruchs des Euroraums passiert, hat Bank-Austria-Chef-Ökonom Stefan Bruckbauer analysiert. Österreich würde sich – im günstigen Fall – einem „Hartwährungs-Euro“ mit Deutschland und gleichgesinnten Ländern anschließen. Dies würde zu einer Aufwertung des „harten Euro-Schilling“ führen – mit unabsehbaren Folgen für den Handel mit anderen EU-Ländern. Die österreichische Wirtschaftsleistung würde um 2,7 Prozent oder gar um das Doppelte geringer ausfallen. Unangenehme Folge: Die Wertschöpfung würde pro Jahr um 7,6 oder gar 15 Milliarden Euro sinken. Gleichzeitig wären die Österreicher mit Sicherheit beim Konsum zurück­haltender, mit allen damit verbundenen Problemen für Konjunktur und Arbeitsplätze.

Die Wiedereinführung des Schilling brächte neben der Gefahr von gezielten Spekulationen außerdem allein durch die Ausgabe neuer Geldscheine und Münzen hohe Kosten mit sich. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schätzte die Kosten für die Wiedereinführung der D-Mark auf sechs Milliarden Euro, was etwas hoch gegriffen erscheint. „Ein Austritt aus dem Euro wäre mit hohen politischen und wirtschaftlichen Kosten verbunden“, warnt Christoph Schneider, Chef der Wirtschaftspolitik-Abteilung in der Wirtschaftskammer Österreich. „Österreich wäre in der vernetzten Welt kein verlässlicher Partner mehr. Investoren würden sich aus unserem Land zurückziehen.“

Österreichs Unternehmen hätten bei Exporten zudem wieder das mit der Euro-Einführung beendete Wechselkursrisiko zu tragen. Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny, hält einen Austritt aus der Eurozone für „technisch und ökonomisch nicht denkbar“. Aktuell kursierende Planspiele, wonach sich besonders hoch verschuldete Euroländer ­allenfalls für eine gewisse Zeit aus der gemeinsamen Währung verabschieden könnten, um dann durch Abwertung der Währung die Exporte anzukurbeln, hält Nowotny für „Unsinn“. „Die Bürger dieser Länder würden sofort die Banken stürmen, um ihr Erspartes in Sicherheit zu bringen, was dann sofort zum Zusammenbruch dieser Banken führen würde.“ Dazu kommt der Nachteil, dass der ausgetretene Staat seine bestehenden Schulden weiterhin in Euro zurückzahlen müsste. Und wer würde etwa in griechische Staatsanleihen investieren, die in Drachmen notieren?

Schon der Austritt nur eines Euro-Mitglieds „kann die gesamte Volkswirtschaft der EU ins Wanken bringen“, warnt Finanzstaatssekretär Andreas Schieder.

IV. Die Rettungsversuche

Olli Rehn, EU-Kommissar für Währungspolitik, reagiert derzeit auf ein Wort allergisch: Umschuldung. „Die Umstrukturierung von Schulden liegt nicht auf dem griechischen Tisch und wird auf keiner Ebene diskutiert“, betonte der Finne gegenüber profil. „Sie würde Griechenland nicht bei der Überwindung der Probleme und auch nicht der Eurozone helfen, sondern für Instabilität sorgen.“

Die griechische Regierung habe „harte, aber richtige Schritte“ unternommen, so Rehn. „Ich bin zuversichtlich, dass diese Griechenland wieder auf den Wachstumspfad bringen werden.“

Die EU-Kommission hält unbeirrt an ihrem Zeitplan fest, um neue Regeln für die Hilfe notleidender Euroländer, aber auch zur Abwendung von zu hoher Neuverschuldung einzuführen. Nervosität herrscht seit dem Wahlsieg der populistischen Partei der „Wahren Finnen“, die sich gegen die Beteiligung Finnlands an neuen kostspieligen Rettungspaketen ausgesprochen haben. Am 16. Mai sollte Finnlands Parlament die Änderung des EU-Vertrags beschließen. „Wenn Finnland diese Änderung nicht akzeptiert, fällt der gesamte permanente Rettungsschirm, der ab 2013 wirksam sein soll, in sich zusammen“, warnt EU-Experte Waldemar Hummer.

Der permanente „Europäische Rettungsschirm“ ESM soll ab 2013 unter strengen Auflagen Kredite an notleidende Euroländer vergeben, wobei die Ausleihkapazität auf 500 Milliarden Euro aufgestockt werden soll.
Bereits geeinigt haben sich die 17 Euro-Mitglieder auf eine Reihe von schärferen Regelungen, die in der EU wieder für stabiles und nachhaltiges Wachstum sorgen sollen.

Der neue „Stabilitäts- und Wachstums­pakt“ soll nun bei hohen Haushaltsdefi­ziten wirksamer eingreifen: durch eine strenge Begrenzung der jährlichen Neuverschuldung analog zum BIP-Wachstum. Auch Strafzahlungen für Länder, die weiter zu hohe Schulden machen, sind nunmehr vorgeschrieben.

Der „Pakt für den Euro“ soll dafür sorgen, dass Euroländer gemeinsame Ziele auch bei Lohnkosten und in der Steuerpolitik verfolgen. Die Europäische Kommission wird künftig mit dem neuen Instrument des „Europäischen Semesters“ halbjährlich die Entwicklung der nationalen Budgets bewerten und rechtzeitig vor falschen makroökonomischen Entwicklungen warnen.

Durch dieses neue Regelnetz aus Überwachung, Empfehlungen und Strafandrohungen soll im Euroraum wieder fiskalpolitische Disziplin einkehren.

Dann würde die gemeinsame Währung wieder ihren ursprünglichen Zweck erfüllen: den wirtschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und die EU im internationalen Wettbewerb zu stärken. Doch die Bewährungsprobe des Euro ist noch lange nicht ausgestanden.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).