Warum Ferrero?

Warum Ferrero?

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Wahrscheinlich hat die österreichische Politik einfach gute Manieren. Kaum jemand hat offen erklärt, die Entscheidung von Kanzler Wolfgang Schüssel, die amtierende österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner als Kommissarin nach Brüssel zu schicken, für einen groben Fehler zu halten. Zwar wurde die Vorgangsweise Schüssels kritisiert, aber fast alle haben sich gescheut, in aller Öffentlichkeit zu fragen, ob die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin in diesem EU-Amt wirklich gut für Europa und für Österreich ist. Da scheint auch ein gerüttelt Maß an Heuchelei mitzuspielen. So mancher, von dem man weiß, dass er Frau Ferrero – sagen wir es freundlich – nicht besonders schätzt, hat Schüssels Wahl begrüßt.

Auch hier soll nicht geschimpft werden. Nicht bloß aus Gründen der Courtoisie, sondern auch aus der Erkenntnis heraus, dass man nie wirklich wissen kann, was jemand wird, wenn er – oder in diesem Fall sie – nach Brüssel oder Straßburg geht.
Denn die Erfahrung – zumindest die österreichische – zeigt, dass es sich um magische Orte handelt. Hätte damals jemand annehmen können, dass ein durchaus akzeptabler, aber keineswegs hervorstechender ÖVP-Landwirtschaftsminister wie Franz Fischler in Brüssel zu einer großen, überaus geschätzten europäischen Figur, dieser kernige Tiroler Bauernbündler zu einem weltläufigen und weitsichtigen EU-Politiker mutieren würde? Auch die wundersame Straßburger Bekehrung des Grünen Johannes Voggenhuber vom vehement EU-gegnerischen Saulus zum Europa-enthusiastischen Paulus ist bemerkenswert. Es war offensichtlich der Genius Loci des Europaparlaments, der den Austro-Grünen zu einem prominenten und respektierten Vorkämpfer der europäischen Integration hat reifen lassen.
Der europäische Geist, wenn er die Menschen erst einmal erfasst, wirkt zuweilen Wunder.

Auch bei Frau Ferrero? Vielleicht steckt auch in ihr ein Stückchen Lernfähigkeit. Wer weiß? Aber darauf sollte man sich nicht verlassen. Und es muss schon auch gesagt werden: Eine positive Politiker-Auslese – da ist Österreich keine Ausnahme – kann man in der EU nicht registrieren. Der Zug zur personellen Mediokrität ist unverkennbar.

Zum Beispiel der Kommissionspräsident. Da hätten die europäischen Konservativen, die als relativ größte politische Familie im Europaparlament beanspruchen, den Kommissionspräsidenten zu bestimmen, durchaus große Kaliber zur Verfügung gehabt: etwa Chris Patten, einen britischen Tory, der als letzter Gouverneur der ehemaligen Kronkolonie Hongkong von den Chinesen als Garant der Demokratie geschätzt wurde und, auch als Außenpolitik-Kommissar der EU, immer wieder gezeigt hat, dass er ein unabhängig denkender und für britische Verhältnisse verlässlicher Europäer ist, der zwischen dem Kontinent und seiner Heimat hervorragend hätte vermitteln können. Man nahm nicht ihn, sondern José Manuel Barroso, einen farblosen Konservativen aus Portugal, der nicht zuletzt wegen seiner Pro-Haltung zum amerikanischen Irakkrieg kürzlich von den Wählern die rote Karte gezeigt bekam und bisher mit Europa kaum etwas zu tun gehabt hat.

Auch der zwischen den Konservativen und Sozialdemokraten ausgepackelte EU-Parlamentspräsident für die nächsten zweieinhalb Jahre, der spanische Sozialist Josep Borrell, vermag nicht zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Vor allem, wenn man ihn mit dem unterlegenen, von den Liberalen präsentierten Gegenkandidaten kontrastiert: Der Pole Bronislaw Geremek wäre eine starke Ansage gewesen, zumal in Richtung der neu aufgenommenen Osteuropäer, die sich ohnehin – nicht zu Unrecht – als Europäer zweiter Klasse fühlen. Der feinsinnige Intellektuelle, erfahrene Außenpolitiker und passionierte Parlamentarier Geremek ist ein polnischer Freiheitsheld, der für seine demokratischen und europäischen Überzeugungen lange Jahre im Gefängnis saß.

Und warum nun hat Schüssel, wenn es schon partout ein VPler sein muss, nicht Erhard Busek gebeten, Österreichs Kommissar zu werden? Der ist bekanntlich einer der gescheitesten Politiker des Landes und bringt zudem sowohl solide Regierungs- wie auch fundierte Europaerfahrung mit. Auch Busek, der zu seiner Zeit die Kämpfer gegen die kommunistischen Machthaber aktiv unterstützte, während es sich die westeuropäischen Regierungen mit den Männern der Ost-Politbüros nicht verscherzen wollten, wäre ein glaubwürdiges Signal an unsere östlichen Nachbarn gewesen.

Aber, nein, es musste Frau Ferrero sein. Schüssel wird nicht müde, ihren Mut zu rühmen. Wann war sie mutig? Sie habe in den „schwierigen Zeiten der Sanktionen“ Österreich unablässig verteidigt. Ob sie das freilich besonders für den Posten eines EU-Kommissars qualifiziert?

Da muss wieder einmal einer Legendenbildung entgegengetreten werden:

Frau Ferrero war als VP-Regierungsmitglied mit von jener Partie, die uns durch die Machtbeteiligung der Haider-FPÖ überhaupt erst die so genannten Sanktionen eingebrockt hat. Die Sanktionen wurden nicht aufgehoben, weil die Benita sie so hartnäckig, charmant oder geschickt bekämpft hätte oder weil sie ungerecht gewesen wären. Die EU-14 ließen die Sanktionen fallen, weil sie ein sehr patscherter Ausdruck der durchaus sinnvollen europäischen Empörung waren und man erkannt hatte, dass sie nicht zum Ziel führen: die Freiheitlichen aus der österreichischen Regierung zu entfernen. Besondere Achtung und Beliebtheit in Europa hat sich Benita Ferrero-Waldner während „dieser schwierigen Zeiten“ kaum erworben. Vielmehr ist die Österreicherin den anderen Mitgliedsländern „mit ihrem eisernen Lächeln“, wie Armin Thurnher im „Falter“ formuliert, „ganz schön auf die Nerven gegangen“.