Der bigotte ­glücklose Rebell Andreas Hofer

Warum der bigotte ­glücklose Rebell Andreas Hofer in Tirol nach wie vor gefeiert wird

Warum er in Tirol noch immer gefeiert wird

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2009 ist das Jahr der Jubiläen. Darwin, Haydn, Händel, Edgar Allan Poe, Schlacht im Teutoburger Wald und bei Solferino, Überfall auf Polen, Fall des Eisernen Vorhangs, Mondlandung und Megaparty bei Woodstock. Auch in Tirol wird gefeiert: ein Ereignis, das vor 200 Jahren stattfand, aber wenig Folgewirkung hatte. Im Jahr 1809 hatten sich ein paar tausend Tiroler Bauern gegen die mit Napoleon verbündeten Bayern erhoben und waren nach anfänglichen Erfolgen vernichtend geschlagen worden. Ihr Anführer, der bärtige Südtiroler Wirt und Viehhändler Andreas Hofer, wurde als Aufständischer nach kurzem Prozess exekutiert. Bis heute ist er die meistverehrte historische Figur sowohl in Nord- wie auch in Südtirol.
Kein Wunder also, dass die 200. Wiederkehr von „Anno neun“ – so werden die ­Ereignisse von 1809 in offizieller Tiroler Diktion genannt – kalenderfüllend als Gedenkjahr begangen wird. Erstaunlich dabei: welch weite Aufmerksamkeitskreise das eher lokale Jubiläum zieht. So lieferte den medialen Auftakt zum Jubeljahr 2009 weit weg von den Bergen die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Am 12. Februar erklärte das Großformat für Intellektuelle seinen über zwei Millionen Lesern, wie der Tiroler Rebell zum „Helden für jeden Anlass“ wurde, verehrt und vereinnahmt im Laufe der Zeit von Liberalen und Konservativen, Austrofaschisten und Nazis. Bald nach der „Zeit“ widmete dann die Ö1-Renommiersendung „Diagonal“ dem polternden Schützenkommandanten zwei ganze Samstagnachmittagsstunden, wobei unter anderen Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol und der grüne Innsbrucker Gemeinderat Gerhard Fritz die Frage diskutierten, ob Andreas ­Hofer, wie der Grüne behauptet hatte, mit den fundamentalistischen islamischen Taliban-Terroristen zu vergleichen sei. ÖVP-Pensionistensprecher Khol, der stolz darauf ist, seinen Vornamen dem berühmten Aufständischen zu verdanken, verneinte das vehement und erklärte Hofer zum verehrungswürdigen Freiheitshelden, da er mit dem Leben für seine Leitkultur eingetreten sei.

Schon Wochen vor dieser Diskussion war, wie jedes Jahr, eine Delegation von Nord- und Südtiroler Schützen mit Fahnen und Gewehren nach Mantua in Oberitalien gereist, um an Hofers Hinrichtungsstätte Salutschüsse abzugeben. Für nächstes Jahr, zum 200. Todestag, plant das Provinzmuseum in Mantua eine Andreas-Hofer-Ausstellung, zu der jeder Tiroler freien Eintritt haben wird. Dafür wurde der Museumsleiter Rodolfo So­gnorini mit dem Tiroler Adler-Orden in Silber dekoriert. Noch einmal meldete sich dann „Die Zeit“ am 4. April mit einem großen History-Report zu Wort, der hinter dem Mythos den Menschen Hofer aufzuspüren versprach, dabei allerdings abseits der bekannten Klischees wenig Neues zutage förderte.

Im Kampf um die Erinnerung an den traurigen Bauernrebellen bleiben die Mythen stets die Sieger, vom nie bewiesenen Hofer-Aufruf, „Mander, ’s isch Zeit“, mit dem mehr als ein Jahrhundert später dann der Bundeskanzler des autoritären Ständestaats, Kurt Schuschnigg, die Österreicher zu einer Volksabstimmung gegen die Nazis zu begeistern versuchte, bis hin zur ebenfalls unbelegten Anklage gegen den Habsburger Kaiser, der den Verwegenen schnöde hatte fallen lassen. „Franzl, Franzl, des verdonk i dir“, soll Hofer in seiner Todeszelle gerufen haben.

Weit über Tirol hinaus brach heuer ein kaum für möglich gehaltener Andi-Hofer-Hype los. Die „Salzburger Nachrichten“ widmeten dem Loser eine Wochenendbeilage, „Vom Verlierer zum Mythos“, der „Standard“ durchleuchtete die Verstrickungen des Habsburger Erzherzogs Johann in den Tiroler Aufstand, die Napoleon-Ausstellung auf der Schallaburg kommt ohne den tollkühnen und glücklosen Gegner des Korsen ebenso wenig aus wie das österreichische Fernsehen, das die vor einigen Jahren gedrehte Hofer-Soap mit Tobias Moretti in der Hauptrolle wieder ins Programm kippte. Die Illustrierte „Stern“ erklärte Hofer zur Kreuzworträtselfrage, der bayrische Radikalkomiker Georg Ringsgwandl gestaltet mit ihm einen Heimatabend, und die Deutsche Bahn lässt zwischen Münster und Innsbruck einen Andreas-Hofer-Eurocity rollen.

Den Löwenanteil am Hofer-Hype lassen sich die Tiroler freilich nicht nehmen. Eine Flut von Hofer-Literatur überschwemmt seit Jahren den Buchmarkt. Am 24. April wurde im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum die offizielle Jubiläumsausstellung eröffnet, unter dem, wie Museumsleiter Wolfgang Meighörner betont, bewusst doppeldeutigen Titel „Hofer Wanted“. Darin werden unter anderem die Hosenträger, das Essbesteck und einige Barthaare des Alpenrebellen gezeigt. Historiker, Künstler, Politiker und Bergsteiger dürfen in Videos ihre Meinung sagen, und die Übermalung eines Hofer-Porträts von Arnulf Rainer ist zu sehen.

„Jubiläumskäse“. Gesponsert wurde die Schau von der Lebensmittelgenossenschaft Tirol Milch, die dafür im Museumsshop ihren „Andreas-Hofer-Jubiläumskäse“ verkaufen darf. Rechtzeitig zur Ausstellung erschien auch ein von Jeannine Meighörner, der Frau des Museumsdirektors, verfasster rührender Roman über Andreas Hofers Frau Anna, die bemüht gewesen war, Hof und Kinder im Südtiroler Passeiertal auf die Reihe zu bringen, während ihr Mann im fernen Innsbruck zum Helden wurde. Kurz tauchte in Tirol daraufhin im heurigen Sommer die bange Frage auf, ob Hofer eine Geliebte hatte, wie dies im Film mit Moretti dargestellt wird. Die „Tiroler Tageszeitung“ konnte Entwarnung geben: alles nur eine Erfindung des Drehbuchautors Felix Mitterer. Tatsächlich war dem bigotten Helden, der nach seinem Einmarsch in Innsbruck allzu freizügig dekolletierte Bürgerinnen mit den Worten „Luck zua, du Fack“ zurechtgewiesen haben soll, wahrscheinlich jede Unkeuschheit fremd gewesen.

Der Höhepunkt des Tiroler Jubeljahres steht unmittelbar bevor. Am 20. September werden sich Schützen aus Nord- und Südtirol plus Delegationen aus dem ehemaligen Welschtirol, dem heutigen Trentino, in Innsbruck zum großen Festumzug versammeln. Wie schon vor 25 und 50 Jahren wird dabei eine riesige Dornenkrone mitgetragen, zur Erinnerung an die Abtrennung Südtirols von Österreich nach dem Ersten Weltkrieg – eine ausdrückliche Forderung der Schützen. In der Diskussion, ob ein solches Symbol im Vereinten Europa am Beginn des 21. Jahrhunderts noch zeitgemäß sei, wurde nach langem Hin und Her eine wahrhaft bauernschlaue Lösung gefunden, die dem Festzugkoordinator Andreas Khol außergewöhnlich gut gefällt: Die Dornenkrone wird mitgetragen, aber mit Rosen umwunden, um so auf eine hoffnungsfrohe Zukunft zu verweisen.

Bei allem bleibt die Frage offen, wie es dazu kommt, dass der Aufstand von ein paar starrköpfigen Bauern, der letztlich in eine Katastrophe mündete und kaum dauerhafte Spuren in der Geschichte hinterlassen hat, zweihundert Jahre später nicht nur in Tirol, sondern weit darüber hinaus in solchem Ausmaß emotionalisiert. Haben wir es da mit einem David-und-Goliath-Syndrom zu tun? Ein sturer Hinterwäldler legt sich mit dem mächtigsten Herrscher des Kontinents an, ein kleiner Asterix, ganz ohne Zaubertrank, sieht man einmal vom Rotwein ab, von dem der Sandwirt schon auf seinen Handelsreisen stets ein Fässchen vom besten für den Eigenbedarf mitgeführt haben soll.

Nicht übersehen werden darf allerdings, dass die Tiroler ja nicht in einer biblischen oder Comicwelt agierten, sondern in einem für die europäische Politik hochsensiblen Raum. Schon mehr als ein Jahrhundert vor „Anno neun“ war Tirol als habsburgisches Kronland in die Wirren des Spanischen Erbfolgekriegs geraten. Durch ein Privileg nur zur Verteidigung der eigenen Grenzen verpflichtet, wehrten sich die Tiroler 1703 erfolgreich gegen die Einfälle von Bayern und Franzosen. Sie entwickelten dabei eine ebenso primitive wie wirkungsvolle Taktik. In engen Tälern kesselten sie den Feind mit Steinlawinen ein und beschossen ihn durch Scharfschützen, die auf den Höhen postiert waren. Damals entstand der Mythos von den wehrhaften Tiroler Bauern, damals erkannte Habsburg auch die strategische Bedeutung der durch Tirol führenden Nord-Süd-Verbindung. Ende des 18. Jahrhunderts herrschten nicht nur in Tirol chaotische Verhältnisse. Die Französische Revolution erschütterte ganz Europa. Von den Jakobinern verfolgte Geistliche durchstreiften die Länder und predigten gegen jede Aufklärung, nachweislich auch in Hofers engerer Heimat, im Passeiertal. Hofer selbst war in dieser Situation ein zutiefst Zerrissener.

Einerseits war er durch Umgebung und Erziehung sehr religiös geprägt, in einem Land, das die Reformen Josephs II. vehement ablehnte. Andererseits war er ein Nutznießer der Aufklärung. 1767 geboren, war er einer der ersten Jahrgänge, die in den Genuss der theresianischen allgemeinen Schulpflicht kamen. Hofer lernte lesen, rechnen und leidlich gut schreiben. Als aufgeweckter Sohn eines Pferdehändlers und Schmugglers kam er schon als Jugendlicher weit herum und erkannte früh die Wichtigkeit, Italienisch zu lernen. Er war gesellig, ein weitum bekannter „Robler“ (Raufbold), guter Kartenspieler, treffsicherer Schütze und charismatischer Wortführer. Schon als 23-Jähriger nahm er 1790 am „Offenen Tiroler Landtag“ in Innsbruck teil.

Prinz Hansl. Als Tirol 1805 vom siegreichen Napoleon dem neuen Königreich Bayern zugeschlagen wurde, hatten die einziehenden Beamten den Auftrag, das 300.000 Einwohner zählende Land in ein modernes Verwaltungsgebiet zu verwandeln, Steuern einzuführen und Truppen zu rekrutieren. Die unverhältnismäßig hohe Zahl an kirchlichen Feiertagen und Priestern sollte reduziert werden, ebenso die vielen Wallfahrten und Bittgänge. Keine leichte Aufgabe, der die Besatzer – viele von ihnen strafversetzt – oft gehörig anmaßend gegenüber den „Hinterwäldlern“ nachkamen. Während die Bürger in den Städten – Andreas Khol spricht heute verächtlich von den „Bozner Pfeffersäcken“ – und auch ein Teil des höheren Klerus sich mit der neuen Verwaltung arrangierten – in Innsbruck wurde etwa die angekündigte Wiedereröffnung der Universität begrüßt –, opponierte die Landbevölkerung, unterstützt von den Dorfgeistlichen, gegen jede Neuerung. Sogar die von Bayern verordnete Pockenschutzimpfung wurde abgelehnt.

Inzwischen hatten die widerborstigen Tiroler einen prominenten Verbündeten am Wiener Hof erhalten: Erzherzog Johann, von den Tirolern vertraulich „Prinz Hansl“ genannt, führte geheimen Briefwechsel mit den Bauernführern. Als Österreich im April 1809 Frankreich und Bayern neuerlich den Krieg erklärte, durfte es mit der Unterstützung der Tiroler rechnen, die auch prompt losschlugen und in zwei Schlachten am Berg­isel erfolgreich waren. Sie besetzten Innsbruck, es kam zu Ausschreitungen und Plünderungen, auch von jüdischen Häusern, die Hofer ausdrücklich missbilligte. Bald hatte sich aber das Blatt erneut gewendet. Napoleon besetzte Wien, die österreichischen Truppen zogen aus Tirol ab, nur die Tiroler kämpften weiter.

Die entscheidende dritte Schlacht am Bergisel am 13. August endete mit einem Patt. Beide Seiten glaubten, verloren zu haben, bis Hofer, der sich in seiner Kommandozentrale betrank, überraschend gemeldet wurde, dass die bayrischen und französischen Truppen unter Marschall Lefebvre abgezogen waren. Zwei Tage später, am 15. August, dem zu Ehren der hl. Maria bis heute festlich begangenen „Hohen Frauentag“, zog er in Innsbruck ein und residierte mit seinen Ratgebern in der kaiserlichen Hofburg, wo er Tanzfeste verbot und Ehestreitigkeiten regelte. Landsleuten, die seine Autorität anzweifelten, begegnete er mit den Worten: „I red im Namen des Koasers und des Prinzen Johann.“ Bald war er großen Gemütsschwankungen unterworfen, er hörte auf Einflüsterer, wie den fanatischen Kapuzinerpater Joachim Haspinger, neigte unter Alkoholeinfluss zu Depressionen und verfiel dann in einen religiösen Fatalismus.

Napoleons Rache. In Wien hatte man zu diesem Zeitpunkt Hofer und Tirol bereits aufgegeben. Dem Erzherzog Johann, der das Land im Gebirge als „selbstständige Festung“ verteidigen wollte, wurde von seinem kaiserlichen Bruder die Einreise nach Tirol verboten. Noch am 4. Oktober allerdings wurde Andreas Hofer von Kaiser Franz I. eine goldene Ehrenkette verliehen, die auch in der Innsbrucker Ausstellung zu bewundern ist. Sie war eine perfide Verabschiedungsgeste des wankelmütigen Herrschers, die die biederen Tiroler nicht durchschauten. Nur zehn Tage später unterzeichnete der Kaiser den Friedensvertrag von Schönbrunn, in dem Tirol wieder bayrisch wurde. Den Aufständischen wurde bei Kapitulation Straffreiheit zugesichert, aber Hofer kämpfte weiter und stürzte sich am 1. November in die desaströse vierte Bergisel-Schlacht. Viele seiner ehemaligen Kampfgefährten hatten ihn verlassen, arbeitslose Knechte, Pöbel aus Innsbruck, Deserteure und bayrische Überläufer füllten die Reihen seiner Kombattanten auf. Hofer war gar nicht am Schauplatz, er saß in Matrei am Brenner, betete Rosenkranz und trank.

Am Tag nach der Niederlage erklärte sich Hofer nach dem Rat vernünftiger Freunde zur Unterwerfung bereit, neun Tage später widerrief er sie. Ihm war die Führung entglitten. Ein infernalisches Trio, Kapuzinerpater Haspinger, der psychopathische, stets mit Säbel und Pistole herumstolzierende Osttiroler Schützenführer Johann von Kolb und Peter Mayr, Wirt am Mahrhof bei Brixen, führten einen fanatischen Durchhaltekrieg. Auf heftige Bitten seiner Frau und einflussreicher Bozner Bürger hatten die Franzosen Peter Mayr zugesagt, ihn zu begnadigen, falls er vom Wiener Frieden nichts gewusst habe. „Mit einer Lüge erkauf’ ich mir mein Leben nit“, soll er geantwortet haben. Am gleichen Tag wie Hofer wurde er in Bozen erschossen und lebt bis heute in Tirol als „Held der Wahrheit“ weiter. Alte Mitkämpfer wie Jakob Sieberer und Josef Daney, die nach der verlorenen Allerheiligenschlacht Hofers Friedensaufruf verfasst hatten, wurden vom offensichtlich betrunkenen nunmehrigen Desperado zum Tod verurteilt. Paradoxerweise rettete eine Kolonne von Franzosen ihr Leben.

Napoleon hatte längst endgültig genug von den wild gewordenen Berglern, die ihn Truppen und Geld, aber auch Reputation bei den Verbündeten kosteten. Er ordnete Sanktionen an. „Seien Sie schrecklich“, befahl er seinem Marschall Lefebvre, und der von den Tirolern genug gedemütigte Marschall nutzte seinen Freibrief weidlich. Spontane Hinrichtungen verdächtiger Widerständler waren an der Tagesordnung. Aber Hofer wurde immer apathischer. Betend und trinkend saß er auf einer Almhütte im Passeier und küsste weinend die kaiserliche Goldkette. Noch einmal schrieb er an Prinz Hansl und bat um Unterstützung für ein neues Losschlagen, ahnungslos, dass Marie-Louise, die Nichte Johanns und Tochter Franz I., bereits zur Hochzeit mit Napoleon rüstete.

Auf Hofer war ein Kopfgeld von 1500 Gulden ausgesetzt. Als ein Nachbar, der Bauer Franz Raffl, Hofers Versteck entdeckte, verriet er ihn. Eine französische Abteilung, bestehend vorwiegend aus italienischen Soldaten, stellte den Gesuchten am Morgen des 28. Jänner 1810 und brachte ihn wie angeordnet nach Mantua, wo er am 20. Februar 1810 erschossen wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war Hofer bereits zum Helden verklärt. Adelige Damen wie Erzherzogin Maria Elisabeth, in Tirol wegen ihres Blähhalses allgemein die kropferte Liesl genannt, hatten Spendenaufrufe erlassen. Beträchtliche finanzielle Unterstützung kam von Napoleons Erzfeinden, den Engländern. Deren größter Dichter, William Wordsworth, beschwor 1809 in mehreren Sonetten Hofer als Führer in großer Not, und in der Folge entstand ein englischer Hofer-Tourismus, der vor allem dem Berg­isel und Hofers Geburtshaus galt.

Auch die deutschen Befreiungskriege kamen nicht ohne Tirol-Verehrung aus. Von Theodor Körner über Eichendorff und Brentano bis zu Joseph von Görres und Friedrich Rückert sangen Romantik, Junges Deutschland und Biedermeier das Hohelied der Lederhosen und Federhüte. „Ganz Deutschland ach in Schmach und Schmerz“, heißt es in dem von einem Sachsen verfassten Hofer-Lied, der Tiroler Landeshymne.

Nur Heinrich Heine, der große Spötter, ergoss gnadenlosen Hohn über die Rebellen, als er schrieb: „Von der Politik wissen sie nichts, als dass sie einen Kaiser haben, der einen weißen Rock und rote Hosen trägt.“ Als sie erfuhren, „dass sie jetzt einen Fürsten bekommen, der einen blauen Rock und weiße Hosen trage, da griffen sie zu ihren Büchsen, küssten Weib und Kind und stiegen von den Bergen hinab und ließen sich totschlagen für den weißen Rock und die lieben alten roten Hosen“.

Heimholung der Gebeine. Dem Habsburger-Kaiser und seinem Kanzler Metternich war der Hofer-Kult suspekt. Erste Theaterstücke über 1809 wurden von der Zensur verboten. Die politische Lage in Europa hatte sich gründlich verändert. Napoleon musste 1814 abdanken, Tirol war wieder österreichisch geworden, und Habsburg missachtete nun die alte Tiroler Verfassung mit ihren Privilegien ebenso wie vorher Bayern und verstärkte Zentralismus und Steuerdruck. Gegen all das hatte Hofer gekämpft. Erst als 1823 Tiroler Kaiserjäger die Gebeine Hofers in Mantua heimlich ausgruben und nach Innsbruck schafften, musste Wien gute Miene zur Verehrung machen. Man gewährte Hofer ein Grab in einer Ecke der Innsbrucker Hofkirche und erklärte ihn zum opferbereitesten Untertanen Habsburgs.
Hofer war zum Mythos geworden, der von unterschiedlichsten Seiten instrumentalisiert werden konnte: von den liberalen Studenten im Revolutionsjahr 1848, von den Katholischen gegen die Zillertaler Protestanten, von den deutschsprachigen Tirolern gegen die italienischen. 1909, bei einer monumentalen 100-Jahr-Feier in Anwesenheit Kaiser Franz Josephs in Innsbruck, wurde ­Hofer als Held des vor der Tür stehenden Ersten Weltkriegs vorausgeahnt.

Dass er indes wiederum hundert Jahre später, 2009, unter völlig veränderten politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen immer noch nicht einfach eine historische Figur sein kann, sondern – wie etwa Andreas Khols Äußerungen zeigen – machtstabilisierende Funktionen zu erfüllen hat, mag aufs Erste verwundern, ist aber, genauer betrachtet, nur allzu verständlich. Die Gesellschaft, deren Verteidiger Hofer war, eine tief religiöse, arme, regionale und bäuerliche Gesellschaft, gibt es längst nicht mehr. Aber es gibt jede Menge von Interessenvertretern, die im Namen einer solchen Gesellschaft agieren: vom Tiroler Bauernbund und den Agrargemeinschaften über den Tourismus bis zu den Traditionsverbänden, den Landesschützen, die immer noch so tun, als seien sie die Hüter einer intakten Tiroler Tradition: Noch im März 1938 hatten sich die Schützen zum österreichischen Ständestaat bekannt, um nur wenige Wochen später vor dem inzwischen einmarschierten Adolf Hitler strammzustehen.

Es gehört zur Konstruktion der Tiroler Geschichte, dass wesentliche Teile des Hofer-Kults erst sehr spät kanonisiert wurden. Aus Angst, dass sie ohne Schutz nicht mehr ernst genommen würden? Das „Andreas-Hofer-Lied“ etwa mit der Anfangsstrophe „Zu Mantua in Banden, der treue Hofer war, in Mantua zum Tode führt’ ihn der Feinde Schar“ wurde zwar bereits 1831 verfasst und 1844 vertont, aber erst 1948 per Gesetz zur Tiroler Landeshymne erhoben. Noch später, erst 1980, wurde „die Treue zu Gott und dem geschichtlichen Erbe“ einstimmig in die Präambel der Tiroler Landesverfassung aufgenommen. Ein Schutzwall gegen Kirchenaustritte und Ehescheidungen?

Schon vor Jahrzehnten begann eine neue Generation von Historikern, sich mit den Mythen im Tiroler Geschichtsdenken auseinanderzusetzen. Nicht allzu erfolgreich, wie es scheint. Einer von diesen, der Literaturforscher Sigurd Paul Scheichl von der Universität Innsbruck, fragte 1992 anlässlich eines Symposiums über „Klischees im Tiroler Geschichts­bewusstsein“, „wie man den Andreas-Hofer-Mythos in einer Zeit des europäischen Zusammenwachsens verwenden kann“, und zweifelte, ob den Jubiläumsfeiern der Jahre 1909, 1934, 1959 und 1984 im Jahre 2009 noch eine weitere folgen werde. Er hat sich getäuscht.