Interview

„Warum soll Lügen schlecht sein?“

„Warum soll Lügen schlecht sein?“

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profil: Frau Professor Dietz, Sie sind Sprachphilosophin und befassen sich mit der Lüge.
Dietz: Mit dem Sprechakt der Lüge. Die Lüge gibt es eigentlich nicht, es gibt nur jeweilige Lügen.
profil: Die Sie wie charakterisieren?
Dietz: Zu fragen ist, unter welchen Umständen, mit welcher Absicht, zu welchem Zweck hat jemand eine andere Person angelogen.
profil: Und was ist dann die jeweilige Antwort?
Dietz: Man kann sehr unterschiedliche Urteile fällen. Man kann die Lüge moralisch akzeptieren, oder man kann sie für ein Verbrechen halten.
profil: Von welcher Art Lüge sprechen Sie eigentlich?
Dietz: Von der beabsichtigten sprachlichen Täuschung. Mir geht es nicht um Irreführungen in einem ganz weiten Sinne, wie etwa gefärbte Haare.
profil: Das heißt, es geht Ihnen um bewusste Täuschung, um sich einen Vorteil zu verschaffen?
Dietz: Nein, das ist schon eine Einengung. Es gibt viele Motive, weshalb man jemanden mit seinen sprachlichen Behauptungen bewusst täuschen will. Es kann darum gehen, sich einen Vorteil zu verschaffen, aber auch darum, jemanden oder sich selbst zu schützen …
profil: … oder sich besser zu machen, als man ist.
Dietz: Das wäre schon eher ein Fall von Vorteilsverschaffung. Aber die typische Schutzlüge, die ich auch moralisch für absolut zulässig halte, ist, dass man seine Privatsphäre schützen möchte gegenüber jemanden, der darauf kein Anrecht hat.
profil: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Dietz: Nehmen wir an, ein Nachbar fragt mich: „War das gestern der Herr Sowieso, der aus Ihrer Wohnung gekommen ist?“, und ich sage: „Nein, das war mein Schwager, der sieht dem Herrn Sowieso ähnlich“ oder was auch immer.
profil: Eine Zwecklüge?
Dietz: Eine bewusste Täuschung. Denn ich weiß, dass das nicht mein Schwager war. Aber dieser Nachbar hat überhaupt kein Recht darauf zu erfahren, wer bei mir aus und ein geht. Und ich habe durchaus das Recht, meine Privatsphäre in dieser Situation zu schützen.
profil: Sie haben zum Thema Lüge zwei Bücher geschrieben, erst kürzlich ist von Ihnen „Die Kunst des Lügens“ erschienen.
Dietz: Es geht darin um eine Fertigkeit, die wir erwerben und die zu guten und schlechten Zwecken eingesetzt werden kann.
profil: Wird sie nicht viel mehr zu schlechten Zwecken eingesetzt?
Dietz: Es geht um die Frage: Unter welchen Aspekten weisen denn die Leute das Lügen als an sich schlecht zurück? Was ist denn die Begründung dafür? Warum soll Lügen schlecht sein? Nach einer öffentlichen Diskussion übers Lügen ist eine Frau zu mir gekommen und hat gesagt: „Wissen Sie, ich glaube, in Zukunft werde ich etwas unbelasteter lügen können.“