Rainer Nikowitz

Was gibt es Neues?

Was gibt es Neues?

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Fritz Neugebauer starrte ausdrucksstark an seinem Gegenüber vorbei und gab sich seinem bevorzugten Tagtraum hin, in dem er eine leidenschaftliche Affäre mit einer Mehrleistungszulage hatte. Natürlich hatte auch er schon das Gerücht gehört, die große Koalition solle diesmal eine mit neuem Stil sein. Er konnte sich zwar nicht mehr genau entsinnen, ob ihm nun der Taxifahrer, mit dem er von einem sehr berührenden Abend bei der Selbsthilfegruppe „Beamte, die an einem eingewachsenen Zehennagel leiden, deren Antrag auf Invaliditätspension aber skandalöserweise abgelehnt wurde“ nach Hause gefahren war, davon erzählt hatte oder doch der Enkel seines Nachbarn.

Wie auch immer. Fritz hatte noch nie viel auf Gerüchte gegeben. Und dem Enkel seines Nachbarn traute er sowieso nicht mehr, seit dieser beim Bildungstest für Dreijährige auf die Frage, wer denn Hannes Missethon sei, geantwortet hatte: „Wen interessiert’s?“ Zu seinem Glück hatte er mit Wilhelm Haberzettl einen Verhandlungspartner bekommen, der als Vorsitzender der bekannt innovationsfreudigen Eisenbahnergewerkschaft große Würfe durchaus schätzte – im Diskus-Sport. Mit ihm gemeinsam über eine Gesundheitsreform nachzudenken war sehr angenehm, weil schnell vorbei.

Fritz seufzte zufrieden, als sich in seinen Tagtraum mit einem Mal auch noch eine zu allem bereite Kleidungspauschale einmengte.
Die großen Probleme des Landes mussten bei den Koalitionsverhandlungen ohne falsche Rücksichten angepackt werden, darüber war man sich in den internen Gesprächen im ÖVP-Vorstand rasch einig geworden. Das allergrößte Problem war natürlich, dass die SPÖ schon wieder die Wahl gewonnen hatte, ohne es zu verdienen. Dagegen half nur ein Verhandlungsteam, das von vornherein klarmachte, wie wurscht das war.

Ursula Plassnik war dennoch gewillt, sich gleich wieder ihrem Gegenüber – einem gewissen Schieder, den sie nicht kannte und eigentlich auch nicht kennen wollte – zu widmen. Allerdings gestaltete sich das Telefonat mit ihrer Schneiderin komplizierter als gedacht, weil die Auffassungsunterschiede darüber, ob Lindgrün im Spätherbst noch tragbar sei, doch größer waren, als sie anfangs gedacht hatte. Anschließend musste sie unbedingt noch Willi Molterer anrufen, um ihn zu fragen, ob ihm gerade auch so fad sei. Exakt das versuchte Willi Molterer seit einer geschlagenen halben Stunde – aber bei Ursula war ständig besetzt. Er befand sich gerade in einer Pattsituation mit Christoph Matznetter, der erwartungsgemäß keine konstruktiven Vorschläge auf den Tisch legte – während Willi die erste Verhandlungsrunde sofort mit einem beeindruckenden „Nein!“ eröffnet hatte. Er würde es ungern tun – aber es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als dies später in einer Presseaussendung, die dem Land endlich die Augen öffnen sollte, zu thematisieren.

Währenddessen war Fritz Neugebauer einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Er hatte vorgeschlagen, nach dem Abschluss des Kapitels „Gesundheit“ gleich mit „Soziales“ weiterzumachen, und Haberzettl hatte geantwortet: „Eh.“ Ein Sieg jagte den anderen. Das mit dem „neuen Stil“ war schließlich nicht ihr eingefallen, dachte Ursula Plassnik leicht abwesend, während ihre Schneiderin fragte: „Rostrot?“ Wenn Faymann einen neuen Stil wollte, dann sollte er ihn eben pflegen. Auch Willi Molterer hatte schon klargemacht, dass es sich aus seiner Sicht wieder einmal um eine rote Bringschuld handle. Apropos: „Kobaltblau!“, sagte Ursula.
Mit einer entschiedenen Handbewegung schnitt Willi Molterer Christoph Matznetter das Wort ab. Eben hatte dieser, nach einer längeren Phase des gegenseitigen Belauerns, „Aber!“ gesagt. So ging es nun wirklich nicht. Was es hier brauchte, waren vertrauensbildende Maßnahmen. Ein Miteinander. Kein „Aber!“. Willi beschloss, auch dies später in einer Presseaussendung zu thematisieren.

Und was sollte „neuer Stil“ überhaupt bedeuten? Fritz Neugebauer war mit seinem Stil immer hervorragend gefahren, fand Fritz Neugebauer. Die Mehrleistungszulage in seinem Tagtraum nickte zustimmend. „Die Gesamtschule kommt mir nicht ins Land“, brach es aus ihm heraus. Ha­berzettl schluckte. „Aber das verhandeln wir doch gar nicht“, sagte er tonlos. „Dann ist es ja gut“, schnaubte Neugebauer. Die Gespräche waren eben haarscharf an einem Abbruch vorbeigeschrammt. Werner Faymann und Josef Pröll hatten indessen gerade Bruderschaft getrunken – Josef hatte Werner das Sie-Wort angeboten –, als Faymann aus heiterem Himmel einen Streit vom Zaun brach. „Die ganzen Schüssel-Leute im Verhandlungsteam – war das wirklich nötig?“, fragte er provokant. Und Josef Pröll wusste in der Sekunde: So würde das sicher nichts werden.