Eine Befragung und sieben Lehren

Wehrpflicht: Eine Befragung und sieben Lehren

Direkte Demokratie. Sieben Lehren aus der Wehrpflicht-Volksbefragung

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1. Direkte Demokratie ist kein Mittel der Reformpolitik.

Der Schlüsselsatz der Ereignisse um die Bundesheer-Volksbefragung stammt von ÖVP-Obmann Michael Spindelegger. Befragt von Armin Wolf, warum der Zivildienst länger dauert als der Wehrdienst, antwortete Spindelegger im „ZiB2“-Studio wie aus der Pistole geschossen: „Weil’s immer so war.“ Und weil’s immer so war, muss auch alles immer so bleiben.

Die Instrumente der direkten Demokratie – Volksbegehren, Volksbefragung, Bürgerinitiativen etc. – eignen sich blendend dafür, den Status quo einzuzementieren. Erfolg hat, wer gegen Veränderung ist, ­diesfalls eben gegen das Berufsheer. 25 der 35 bisher abgehaltenen Volksbegehren richteten sich gegen etwas, weitere fünf hatten weitgehend appellativen Charakter. Das erfolgreichste Volksbegehren war mit 1,36 Millionen Unterschriften jenes der ÖVP gegen den Bau des Wiener Konferenzzentrums im Jahr 1982. Dass Bundeskanzler Bruno Kreisky mit den Mitteln der repräsentativen Demokratie, also per Parlamentsbeschluss, das Volksbegehren aushebelte, erwies sich als Segen: Das Konferenzzentrum hat sich seither Dutzende Male amortisiert, die Teilnehmer der internationalen Ärzte- und Wissenschaftskongresse haben laut Schätzungen rund 1,8 Milliarden Euro in der Stadt gelassen.
Auf den Plätzen zwei und drei der Bestenliste folgen die Volksbegehren gegen Gentechnik und gegen die Fristenlösung.

Kurz nach dem Volksbegehren gegen das Konferenzzentrum gab es eines für die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen. Die ohne Zweifel bedeutsame Initiative erreichte ganze 219.000 ­Unterschriften. Hannes Androschs Volksbegehren für eine grundlegende Bildungsreform blieb im Vorjahr mit 383.000 Unterschriften ebenfalls unter den Erwartungen.
Gegenargument: Die Volksabstimmung für den EU-Beitritt. Aber auch das stimmt nur bedingt: Kanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Erhard Busek hatten damals eindringlich und erfolgreich argumentiert, Österreichs wirtschaftlicher Status quo ließe sich nur innerhalb der EU bewahren …

2. Der Boulevard kann gegen etwas mobilisieren, aber nicht für etwas.

Sowohl die „Kronen Zeitung“ als auch „Österreich“ und – in geringerem Ausmaß – die U-Bahn-Zeitung „Heute“ hatten entschlossene Kampagnen für das Berufsheer gefahren. Das Ergebnis ist bekannt. Selbst unter den „Krone“-Lesern waren die Wehrpflicht-Befürworter mit 56 Prozent deutlich in der Mehrheit.
Die „Kronen Zeitung“ hatte immer dann ihre stärksten Momente, wenn es galt, etwas zu verhindern: Die Verbauung des Wiener Sternwarteparks (1973), den Bau des Kraftwerks Hainburg oder zuletzt ein Bauobjekt auf den Wiener Steinhofgründen. Die Anti-Temelin-Kampagne, das Anti-Gentechnik-Volksbegehren und die Kampagne gegen den neuen EU-Vertrag waren Machtdemos. Letztere führte Herausgeber Dichand sen. so nachdrücklich, dass sich Werner Faymann im Juni 2008 zu dem bekannten Brief hinreißen ließ.

Für etwas ist man am Boulevard weit seltener – und es funktioniert offenkundig auch nicht.

Vielleicht sind die Boulevardmedien in Österreich insgesamt überschätzt. Laut einer Studie der Politikwissenschafter Fritz Plasser und Günther Lengauer glauben 87 Prozent der Journalisten anderer Zeitungen und 86 Prozent der Politiker, die „Kronen Zeitung“ habe „starken Einfluss“ auf das politische Geschehen. Als man den Lesern dieselbe Frage stellte, ordneten nur 65 Prozent dem Boulevard-Marktführer so viel Macht zu. Eine internationale Vergleichsuntersuchung zeigt übrigens, dass die Boulevardgläubigkeit der Meinungseliten nirgends so groß ist wie in Österreich: In Frankreich halten nur 30 Prozent der Politiker und Journalisten die Boulevardzeitungen für einflussreich, in Slowenien 20 und in Schweden gar nur 18 Prozent.

3. Manche Argumente für die Wehrpflicht waren haarsträubend.

Man werde uns beim Heer „die Wadln schon vire richten“, und das sei „eh schon höchste Zeit“, sagten die alten Männer uns Einrückenden Ende der sechziger Jahre. Sie waren im Weltkrieg gewesen, und man konnte sich ungefähr vorstellen, was sie unter „Wadln-vire-Richten“ verstanden.
In der Kampagne für die Wehrpflicht war erschreckend Ähnliches zu hören: Beim Heer erfahre man wenigstens „Disziplin“, es würde den jungen Männern nicht schaden, wenn sie lernen, wie man eine Stube kehrt oder ein Bett macht. Ebenfalls oft gehört: Es hat mir nicht geschadet, es wird auch den heutigen Jungen nicht schaden.

Offenbar nimmt ein nicht geringer Teil der Österreicher – und bemerkenswerterweise auch der Österreicherinnen – an, ihre Söhne oder Enkel könnten nur durch Zwangskasernierung die Kulturtechniken des Kehrens und Bettenmachens erlernen, erst ein mehrmonatiger Lehrgang in Sachen Disziplin und Gehorsam würde ihre Sprösslinge zu wahren, reifen Menschen machen. Je älter die Abstimmenden, desto eher waren sie solchen verstaubten Argumenten zugänglich: Die waren übrigens neben der Erhaltung des Zivildiensts das wichtigste Motiv der Wehrdienst-Befürworter, erhoben die Wahlforscher.

Das macht nachdenklich.

4. Militärische Fragen interessieren in Österreich nicht einmal dann, wenn es ums Bundesheer geht.

Drei Monate vor der Volksbefragung ergab eine profil-Umfrage der Karmasin-Motivforschung Bemerkenswertes. Auf die Frage, was ihnen am Bundesheer das Wichtigste sei, sagten 80 Prozent, der Katastrophenschutz; je zehn Prozent entschieden sich für das Abschrecken von Flüchtlingen an der Grenze bzw. für die militärische Landesverteidigung. Damit ist Österreich, was das Bild der Armee in der Bevölkerung betrifft, wohl weltweit ein Unikat.
Überdies ist das Bild völlig falsch: Während seiner sechsmonatigen Wehrdienstzeit leistet ein Präsenzdiener im Durchschnitt 1,2 Tage Katastrophenhilfe. Nur 2000 der insgesamt rund 25.000 Wehrdienstleistenden greifen pro Jahr irgendwann einmal zur Schaufel. Da ist dann allerdings immer das Fernsehen dabei, der übliche Kasernenalltag ist ja auch wirklich nicht TV-tauglich.

Militärische Fragen ließen sich in den Wochen vor der Volksbefragung kaum diskutieren. So blieb Entscheidendes offen: Wie sehen die möglichen militärischen Bedrohungen aus, wenn Österreich von EU- bzw. NATO-Staaten umgeben ist und von der Schweiz und Liechtenstein eher die Gefahr der Aktenverweigerung in glamourösen Korruptionsfällen ausgeht als militärische Aggression? Warum soll der Status der Neu­tralität nicht mit einem Berufsheer vereinbar sein? Und wie kann man die Miliz überhaupt noch als Faktor mitzählen – im Mobilmachungsfall mit 21.000 Soldaten –, wenn diese aus Kostengründen seit sieben Jahren nicht mehr übt?

5. Die Generalität hat sich danebenbenommen.

Was würde geschehen, würde ein Präsenzdiener im Kasernenhof seinem Ausbildner für alle hörbar zurufen, er solle ihn gefälligst in Ruhe lassen, sonst würde er ihm „die Gurke geben“ und das würde der dann „bitter bereuen“? Man kann annehmen: zwei Stunden Strafexerzieren plus Urlaubssperre satt.

Was geschah, als Edmund Entacher, Chef des Generalstabs, genau dies dem Verteidigungsminister per Interview in der „Presse“ ausrichtete? Gar nichts. So ungeschickt und wetterwendig die Politiker in der Berufsheer-Frage auch agiert haben: Solche Töne hat die Armeeführung gegenüber der Politik gefälligst zu unterlassen. Und Agitprop-Inserate gegen die politische Führung ebenfalls.

In entwickelten Demokratien gilt immer noch das Primat der Politik, Offiziere sind Beamte, darauf vereidigt, die Republik und deren Einrichtungen zu schützen. Dazu zählen auch Parlament und Regierung. Oder, liebe Herren Generäle, wie es der große Militärtheoretiker Carl von Clausewitz (1780–1831) formulierte: Das Militär sei „nur ein Mittel der Politik … Dies zu sichern, ist Aufgabe einer Verfassung mittels Subordination des Militärs unter die zivile Exekutive.“
Und dem alten Clausewitz werden Sie doch wohl glauben.

6. Die Parteien waren lächerlich.

Das Versagen der SPÖ wurde in den Tagen seit der Volksbefragung bereits ausführlich diskutiert, ohne dass eine schlüssige Erklärung gefunden wurde. Dass die Sozialdemokraten ihren Verteidigungsminister zuerst öffentlich erniedrigten, um ausgerechnet ihm danach die Kampagne für ein Berufsheer im Alleingang zu überantworten, war eine politische Tollpatschigkeit, die man den Berufspolitikern an der SPÖ-Spitze nicht zugetraut hätte. Und dass Werner Faymann erst in den letzten zwei Wochen vor der Befragung ins Geschehen eingriff, ist angesichts seiner dann recht gelungenen Auftritte ein sträfliches Versäumnis: Da wäre noch etwas zu holen gewesen.

Wenige Monate vor der Nationalratswahl ist es für die Sozialdemokraten ein Alarmzeichen, dass ein Drittel ihrer Wähler von 2008 bei der Befragung zu Hause geblieben ist (Mobilisierungsgrad: 68 Prozent) und ein Viertel der 2008er-Wähler entgegen der Empfehlung der Parteiführung für die Wehrpflicht gestimmt hat. Übrigens: Auch 34 Prozent der Grün-Wähler von 2008 gingen nicht zur Befragung, jeder fünfte Grüne stimmte für die Wehrpflicht. Damit hatte die ÖVP (Mobilisierungsgrad 86 Prozent) freie Bahn.

Dass die FPÖ, die gerade noch einen NATO-Beitritt mit einem Berufsheer von 40.000 Mann (!) im Parteiprogramm stehen hatte, plötzlich zum Bollwerk für Wehrdienst und Neutralität wurde, zeigt, dass die Freiheitlichen SPÖ und ÖVP in puncto wehrpolitischer Wendigkeit durchaus ebenbürtig sind.

Die ÖVP griff vor allem auf lokaler Ebene in die Dirty-Tricks-Kiste. Als es in der Woche vor der Volksbefragung in Ostösterreich zu schneien begann, lizitierten einige ÖVP-Bürgermeister dies zur Naturkatastrophe hoch. Rudolf Striedinger, Militärkommandant von Niederösterreich und überzeugter Wehrdienst-Befürworter, lieferte hocherfreut Präsenzdiener samt Schaufeln. So kratzten gleich hundert Soldaten in Baden 30 Zentimeter Neuschnee aus der Fußgängerzone. Bürgermeister Kurt Starka dankte dem Heer ergriffen und berichtete den Lokalmedien von „begeisterten Reaktionen der Passanten“. In Korneuburg mussten 32 Grundwehrdiener der ABC-Schule ran, um den Platz vor dem Rathaus freizuschaufeln. In Neusiedl am See griff der örtliche ÖVP-Bürgermeister zur selben List, dort reichten allerdings vier Mann, um die „Katastrophe“ in den Griff zu bekommen. Es ging schließlich nur ums Foto.

7. Ein Berufsheer kommt jetzt sehr lange nicht.

Das Ergebnis einer Volksbefragung, an der mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten teilgenommen haben, wiegt schwer. Kaum vorstellbar, dass eine Partei innerhalb der nächsten zwei Legislaturperioden den Versuch unternimmt, die Wehrpflicht durch ein Berufsheer zu ersetzen. Zwei Legislaturperioden – das sind bei vollem Auslaufen zehn Jahre. Gibt es wieder eine Initiative, dann sicher nicht vor 2025. Kaum einer der derzeit aktiven Politiker wird dann noch im Amt sein.
Heute gilt noch in sechs der 27 EU-Staaten die Wehrpflicht. 2025 wird Österreich möglicherweise das letzte EU-Mitglied sein, das seine jungen Männer einberuft. Etwas kurios für ein Land in der Mitte Europas