Weltall

Weltall: Lebens-Zeichen

Lebens-Zeichen

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Tagelang hatte ein ganzes Orchester hoch empfindlicher, minuziös aufeinander abgestimmter Instrumente perfekt zusammengespielt: Die ersten Hinweise hatte Omega, eine Kombination aus Kamera und Infrarotspektrometer, am 18. Jänner geliefert. Dann folgte die Bestätigung durch PFS, das Planetary Fourier Spectrometer, ein hochauflösendes Spektrometer, das mit zuvor noch nie erreichter Genauigkeit arbeitet. Das Gerät dient zur Bestimmung der Zusammensetzung der Marsatmosphäre und der Erstellung eines Druck- und Temperaturprofils von Kohlendioxid – jener Kohlenstoffverbindung, die 95 Prozent der Marsatmosphäre ausmacht.

Zahlreiche weitere Präzisionsinstrumente erfüllten ihre Mission ebenfalls genau nach Plan: das MaRS Instrument, eine Sende- und Empfangseinheit, die Signale an eine Erdstation überträgt; ein Gerät namens Aspera, dessen Bestimmung es ist, die Anzahl von Sauerstoff- und Wasserstoffatomen zu ermitteln; eine Apparatur mit der Bezeichnung Spicam, welche mit Ultraviolett- und Infrarot-Sensoren operiert; die High Resolution Stereo Camera (HRSC), die aus 275 Kilometer Höhe ihre Bilder schoss.

All die Gerätschaften lieferten eine Vielzahl beeindruckender Daten – Ozonmessungen ebenso wie 100 Gigabyte Speichermenge umfassende Bilder, die eine Fläche von 1,87 Millionen Quadratkilometern zeigen.

Doch all diese Erkenntnisse werden vorerst überschattet von jenem einen Resultat, auf das die Wissenschaft seit Jahren gehofft hatte und das vergangenen Freitag um elf Uhr mitteleuropäischer Zeit in einer eigens zu diesem Zweck angesetzten Pressekonferenz im Space Operation’s Center der europäischen Raumfahrtagentur ESA im deutschen Darmstadt präsentiert wurde: „Wasser auf dem roten Planeten entdeckt“, vermeldete wenig später die Austria Presse Agentur, „ESA weist Eis auf dem Mars nach.“

Wasserspuren. All die Hightech-Geräte – verpackt in die europäische Raumsonde Mars Express, welche am 2. Juni 2003 an Bord einer Soyuz-Trägerrakete vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur zu ihrer 400 Millionen Kilometer langen Reise zum Planeten Mars geschickt worden war – hatten zur Verifizierung des sensationellen Befunds beigetragen: Die erst seit Ende des Vorjahres im Zielgebiet befindliche Sonde – Europas erste Marsmission überhaupt – fand gefrorenes Wasser, so genanntes Wassereis, und konnte dessen exakte Menge und Lage bestimmen. In der Atmosphäre des Mars wurde sogar Wasserdampf entdeckt. „Wir können sicher sagen, dass es auf der Oberfläche des Mars Wasser gegeben hat“, kommentierte Gerhard Neukum, einer der Konstrukteure der Bordinstrumente, die nun vorliegenden Daten. Mit ihrer Entdeckung glauben die Forscher, dem größten Traum der Raumfahrt womöglich ein großes Stück näher gekommen zu sein: dem Fund von Spuren extraterrestrischen Lebens, und seien sie noch so marginal.

Entsprechend enthusiastisch war die Stimmung bei der Präsentation der Erkenntnisse, die Omega geliefert hat. Von einer „Sensation“ und einem „gigantischen Erfolg für die europäische Raumfahrt“ sprach die deutsche Forschungsministerin Edelgard Buhlmann. Förmlich „erschlagen“ fühlte sich Rudolf Schmidt, der aus Österreich stammende Projektleiter der Mission, von den Nachrichten. Bloß die Konkurrenz bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA mochte nicht recht in den Jubel einstimmen. Es handle sich keineswegs um Neuigkeiten, vom Vorkommen gefrorenen Eises wisse man längst – spätestens seit der Mission „Mars Odyssey“ 2001. Allerdings sei die genauere Lokalisierung der Eisreservoirs begrüßenswert.

Freilich wundern die Animositäten kaum: Schließlich rittern Europäer und Amerikaner erstmals zeitgleich um die spektakulärsten Daten und Bilder vom Mars. In den vergangenen Wochen hatte die NASA praktisch täglich Informationen über mehr oder minder sehenswerte Bilder veröffentlicht, welche ihre Sonde Spirit zurzeit vom Mars überträgt. Zuletzt war jedoch Sendepause: Am Mittwoch riss der Kontakt zu Spirit ab, und nur kurzzeitig konnte zwei Tage später eine Verbindung hergestellt werden.

Erfolgszwang. Doch auch die ESA hatte die nun heftig debattierte Erfolgsmeldung dringend notwendig. Denn vor der Verlautbarung des Wasserfundes hatte es danach ausgesehen, als wäre die Mission bereits gescheitert, bevor sie richtig begonnen hat: Gemeinsam mit dem Orbiter sollte im Schlepptau der Sonde die 60 Kilogramm schwere Landeeinheit Beagle 2 den Mars erkunden – und direkt auf der Oberfläche des Planeten in Form von Boden- und Gesteinsanalysen nach Spuren von Leben suchen. Am 19. Dezember des Vorjahres wurde Beagle 2 von der Sonde abgetrennt, sieben Tage später sollte er mithilfe eines Fallschirms am Mars aufsetzen – doch seit damals fehlt von dem Lander jede Spur. In der Folge wurde spekuliert, das Vehikel könnte in einen Krater gefallen sein.

Freilich taugen die Eisfunde nicht nur dazu, das traditionell weniger intensiv ausgeprägte Selbstbewusstsein der Europäer aufzupolieren. Auch in rein wissenschaftlicher Hinsicht werden die nun vorliegenden Erkenntnisse als durchaus bedeutungsvoll erachtet.

Zwar ist längst bekannt, dass auf dem Mars nicht nur große Vulkane und breite Schluchten existieren. Schon lange gab es Hinweise darauf, dass auf dem Planeten einstmals enorme Wassermassen vorhanden gewesen sein könnten, die für die Kanäle, Rinnen und Canyons auf der Oberfläche verantwortlich sein könnten – Strukuren jedenfalls, die nach Meinung vieler Forscher nur durch Wasser entstanden sein können. Der Krater Olympus Mons etwa ist mehr als 24.000 Meter hoch.

Bildmaterial, welches diese geografischen Phänomene immer genauer zeigt, wurde bei verschiedenen Missionen bereits angefertigt. Und die Erkenntnisse werden permanent erweitert oder präzisiert. So berichteten US-Forscher erst im November des Vorjahres im Fachblatt „Science“, sie hätten nach Analysen hochauflösender Bilder des Orbiters Mars Global Surveyor Strukturen entdeckt, die möglicherweise auf einstige Flüsse und Seen hindeuten könnten. Derartige fächerförmige Ablagerungen, wie sie in einem deltaähnlichen Krater auf dem Mars zu beobachten seien, entstünden auch auf der Erde, wenn ein Fluss in einen See mündet.

Die NASA, von der all die derartigen Basisdaten stammen, besitzt daher zwar seit langem deutliche Hinweise auf Wasservorkommen auf dem erdnächsten Planeten. Aber der letzte Beweis fehlte. Den lieferte nun Mars Express. Der österreichisch-schweizerische Biochemiker Gottfried Schatz formuliert es so: „Die haben den Nagel eingeschlagen.“

Von vornherein stand über allen Marsforschungen die zentrale Frage nach der Existenz von organischen Molekülen als Urform des Lebens. Und mit dem Beweis für das Vorhandensein von Wasser hat man auch die Voraussetzung für die Entstehung von Leben entdeckt. Das heißt noch nicht, dass es auf dem Mars tatsächlich Leben gibt oder gab – es ist aber um vieles wahrscheinlicher geworden, dass es so ist oder war. Darin liegt die Bedeutung dieser Entdeckung.

Breite Kanäle münden in die nördlichen Ebenen, was auf das Vorhandensein eines längst vergangenen Ozeans hindeutet, der sich über einen Großteil der nördlichen Mars-Hemisphäre erstreckt haben muss. Ganze Netzwerke von Tälern, welche die südlichen Hochebenen durchfurchen, könnten ebenso von Wasser geformt worden sein. Und viele höher gelegene Krater sehen aus, als ob sich durch Ausschwemmungen ein ringförmiger Kranz aus Geröll um einen in den Schlamm gefallenen Stein gebildet hätte. All diese Formationen deuten darauf hin, dass es da in früher Zeit Untergrundwasser oder -eis gegeben haben könnte.

Wenn es Wasser war, das diese Oberflächenstrukturen geformt hat, dann ist es seit langer Zeit verschwunden: Der Großteil der Hinweise ist älter als 3,8 Milliarden Jahre. Daher muss schon relativ früh in der Marsgeschichte (der Mars ist etwa so alt wie die Erde, nämlich 4,5 Milliarden Jahre) nicht nur ein Großteil seiner Atmosphäre, sondern auch seines gesamten Oberflächenwassers verschwunden sein.

Wasserschwund. Die Frage ist nur: Wo ist im Lauf der Marsgeschichte das viele Wasser hingekommen? Ist es etwa denkbar, dass sich diese vermuteten enormen Mengen im Lauf von Milliarden Jahren unter die Marsoberfläche „verkrochen“ haben. Oder ist etwa denkbar, dass zumindest Teile davon im Lauf so gewaltiger Zeiträume verdunstet sind? Im März des Vorjahres wiederum meinten Forscher der Washington University in St. Louis, dass möglicherweise starke Sonnenwinde die Atmosphäre des Planeten zerstört haben könnten und damit auch die Wasservorkommen verschwanden.

Auch Forscher am Grazer Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften suchen nach einer Antwort auf diese Fragen. Die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Helmut Lammer, einem auf die Analyse von Planetenatmosphären spezialisierten Wissenschafter, befasst sich mit den Prozessen, die sich in der dünnen Atmosphäre zwischen der Marsoberfläche und dem Weltall abspielen.

Zusammen mit Kollegen im schwedischen Kiruna, die das Aspera-Gerät für den Mars Express gebaut haben, sind sie in die Datenanalyse des europäischen Marsprojekts eingebunden. Das Gerät misst Teilchen, die vom Mars in den Weltraum entfliehen. So können die Forscher auch die Frage klären, wie viel Wasser von der Marsoberfläche im Lauf der Zeit verdunstet und in den Weltraum entkommen ist und wie viel sich davon wieder auf der Marsoberfläche abgelagert hat. Mit den gewonnenen Daten füttern sie Modelle, mit deren Hilfe sie die Evolution der Marsatmosphäre zu rekonstruieren versuchen. So konnten sie auch klären, warum die Marsoberfläche eine rote Farbe hat.

Verdunstung. Lammer geht davon aus, dass es auch auf dem Mars Verdunstungsprozesse gibt. Wenn beispielsweise der Südpol des Mars, wie das jetzt evident geworden ist, eine Wassereiskappe trägt, dann entlässt dieses Eis aufgrund des in der Sonnenstrahlung enthaltenen UV-Lichts Wasserdampf in die dünne Atmosphäre, und zwar aufgrund des mehr als hundertfach geringeren atmosphärischen Drucks viel leichter als auf der Erde: Beträgt der atmosphärische Druck auf der Erdoberfläche in Höhe des Meeresspiegels ein Bar, so sind es auf dem Mars nur sieben Millibar, also mehr als hundertmal weniger.

Die UV-Strahlen spalten den Wasserdampf in leichten Wasserstoff und in schweren Sauerstoff auf. Es ist nahe liegend, dass der leichtere Wasserstoff eher in den Weltraum entkommt als ein schweres Sauerstoffteilchen. Aber zum Erstaunen der Grazer Forscher geschieht dies nicht im Verhältnis der Zusammensetzung des Gases, sondern es bleibt mehr Sauerstoff zurück. Nachdem aber die Atmosphäre des Mars nur über einen verschwindend geringen Sauerstoffanteil verfügt, muss der Sauerstoff anderswo vorhanden sein: Er reagiert mit den Oberflächenmineralien, die darauf oxidieren – also „rosten“ – und so dem Mars seine rote Farbe verleihen.

Dieser Prozess läuft seit Milliarden Jahren ab. Die Forscher schätzen, dass die Oberfläche bis zu einer Tiefe zwischen fünf und zehn Metern von diesem Oxidationsprozess erfasst ist. Nachdem das oxidierte Material aggressiv giftig ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass in dieser Oberflächenschicht Lebensspuren vorhanden sind. Wenn, so schätzt Lammer, dann findet man solche allenfalls darunter. Der Biochemiker Schatz vermutet ihre Existenz am ehesten in tiefer gelegenen Wasserreservoirs, aus denen die organischen Moleküle fernab der UV-Strahlung Energie und Sauerstoff beziehen.

In Bezug auf die Frage, wohin das – zumindest in den Kindestagen des Planeten potenziell vorhanden gewesene – Wasser gekommen sein könnte, erhofft sich die Wissenschaft von Mars Express weitere fundamentale Erkenntnisse. Denn mit dem High-Tech-Arsenal an Präzisionsgeräten, mit Kameras, Spektrometern und gewaltigen Instrumenten, die Radarimpulse aussenden, sollen in der Folge nun die Atmosphäre weiter untersucht und vor allem der Boden inspiziert werden – speziell nach weiteren Spuren von Wasser und Eis.