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Weltwirtschaft: Damokles-Dollar

Damokles-Dollar

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Chinas Premierminister Wen Jiabao machte gute Miene zum bösen Spiel. Stets mit einem diplomatischen Lächeln auf den Lippen, achtete der Politiker jüngst bei seinem Staatsbesuch in Washington darauf, einen guten Eindruck zu hinterlassen und nirgends anzuecken. Denn China gilt in den USA derzeit als Sündenbock Nummer eins. Im beginnenden US-Präsidentschaftswahlkampf wird die florierende Wirtschaft des Reiches der Mitte mitverantwortlich gemacht für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in den USA. George W. Bush reagiert auf die innenpolitische Diskussion mit protektionistischen Reflexen: Mitte November verhängte er Zölle über chinesische Büstenhalter und Bademäntel aus chinesischer Produktion, kurze Zeit später wurden auch in China hergestellte Fernseher auf die wirtschaftliche Watchlist gesetzt.

Als Zeichen guten Willens hatte Premierminister Wen einige Großaufträge für die amerikanische Industrie im Gepäck. Auch beim Einläuten des Handelstages an der New Yorker Börse ließ sich der kommunistische Staatsmann medienwirksam ablichten. Doch es half alles nichts: Nur Stunden nach seiner Abreise prüfte Washington schon die Einführung neuer Zölle – diesmal auf chinesische Möbel.

Zaungast. Europa ist in den schwelenden Handelsstreit zwischen dem boomenden China und der Wirtschaftsmacht USA, deren Konjunktur jüngst ebenfalls beachtliche Zuwachsraten verzeichnen kann, nicht direkt involviert. Dennoch könnte die Auseinandersetzung gerade auf die Wirtschaft des Alten Kontinents erhebliche Auswirkungen haben: Ihr Ausgang hat maßgeblichen Einfluss auf den Dollarkurs und damit auch auf die Entwicklung der europäischen Konjunktur. Denn der Aufschwung in Europa, der sich nach drei Jahren Flaute endlich ankündigt, ist vor allem von einem Faktor abhängig: dem Erfolg der europäischen Exporte.

Seit Monaten zeigen die meisten Konjunkturindikatoren in Europa wieder nach oben. So kletterte in der Woche vor Weihnachten der viel beachtete ifo-Geschäftsklima-Index in Deutschland, in dem die Unternehmer der größten Volkswirtschaft Europas ihre Geschäftsaussichten beurteilen, zum achten Mal in Folge in die Höhe.

Und nicht nur die Stimmung steigt: „Wir haben auch schon klare Anzeichen für den Aufschwung in den harten Daten“, sagt Silvia Pepino, Europa-Ökonomin der JP-Morgan-Bank in London. „Vor allem die Exportzahlen in Deutschland sind stark.“ Auch Stefan Bielmeier, Konjunkturexperte bei der Deutsche Bank, sieht konkrete Anzeichen für eine Erholung: „Die Wachstumsimpulse kommen vom Export und setzen sich in höheren Investitionen fort.“

Zurückhaltung. Während die Unternehmen also langsam ihren Optimismus zurückgewinnen, sind die Konsumenten – der wichtigste Faktor bei einem Aufschwung – noch nicht ganz überzeugt. Ob in Deutschland, Frankreich oder Italien, sie halten sich trotz der Weihnachtszeit mit ihren Ausgaben noch zurück. „Die Bevölkerungen in Europa sind durch die Reformen der Sozialversicherungen verunsichert und sparen mehr als früher“, weiß Bielmeier. Viele würden versuchen, sich ihren Lebensabend durch private Vorsorge abzusichern, und das drücke auf den Konsum. „Das Wachstum wird daher sehr moderat ausfallen“, so der Ökonom.

Allgemein wird in Europa für 2004 ein Wachstum von zwei Prozent erwartet. Das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo teilt diese Prognose: „Im Vergleich zur Vergangenheit ist dieser Aufschwung eine matte Sache“, urteilt Wifo-Ökonom Markus Marterbauer. Für Österreich sagt das Wifo gar nur 1,7 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) voraus. Erst 2005 soll es sich auf 2,4 Prozent beschleunigen, durch die Steuerreform könnte dann sogar noch ein halber Prozentpunkt mehr herausspringen.

Um eine nennenswerte Anzahl neuer Jobs zu schaffen und die Arbeitslosenzahlen signifikant zu senken, ist dieses Wachstum jedoch vermutlich zu schwach: „Es gibt keine Trendwende, die österreichische Arbeitslosenrate bleibt bis 2005 über sieben Prozent“, prophezeit Marterbauer. Am Institut für Höhere Studien (IHS), das für 2004 ein österreichisches Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent prognostiziert, sieht man die Sache ähnlich. „Am Arbeitsmarkt ändert sich in den nächsten zwei Jahren kaum etwas“, so IHS-Chef Bernhard Felderer.

So bietet sich für die europäische Konjunktur eine laue Perspektive. In den USA hingegen jagt eine Rekordmeldung die nächste: Unternehmensgewinne, Produktivität und BIP wachsen so schnell wie seit Jahrzehnten nicht, die Inflation ist am Tiefststand, und der Dow-Jones-Index der New Yorker Börse hat erstmals seit Mai 2002 wieder die psychologisch relevante 10.000-Punkte-Marke überschritten. Für 2004 zeichnet sich ein Wirtschaftswachstum von über vier Prozent ab.

Sparkurs. Für den großen Unterschied zu Europa finden Ökonomen schnell eine Erklärung: Während die US-Administration – um den Preis eines enormen Budgetdefizits – mit Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen auf die Krise seit 2001 reagierte, sparten die EU-Regierungen an allen Ecken und Enden, um den Stabilitätspakt einzuhalten. „Auf Deutsch gesagt: Die USA haben Wirtschaftspolitik gemacht“, sagt Deutsche-Bank-Experte Bielmeier. JP-Morgan-Ökonomin Pepino pflichtet ihm bei: „In Europa hat die Politik die Konjunktur nicht so unterstützt wie in den USA.“ Für Wifo-Chef Helmut Kramer ist die Reaktion der EU auf die lange Flaute überhaupt „in jeder Hinsicht inadäquat“ (siehe Interview).

Der Preis des Versäumnisses: Die europäische Konjunktur kommt nicht von selbst auf die Beine. Den Anstoß zur Erholung kann sie nur von der Exportseite erhalten, durch steigende Nachfrage in den USA und Asien, den „zwei Säulen des globalen Aufschwungs“ (Pepino). Damit ist die Erholung der europäischen Wirtschaft maßgeblich von der Entwicklung des Dollarkurses abhängig. Seit Anfang 2003 hat die US-Währung fast 20 Prozent ihres Wertes verloren, vergangene Woche erreichte der Euro seine bisherige Rekordmarke von 1,24 Dollar je Euro. Dadurch verschlechtern sich die Chancen der für Europa so wichtigen Exporteure: Ihre Produkte werden auf den Weltmärkten, wo der Dollar als Verrechnungswährung dient, immer teurer. Der schwache Dollar hat Österreich bereits 0,4 Prozentpunkte an Wirtschaftswachstum gekostet, rechnete jüngst die Oesterreichische Nationalbank vor. JP Morgan und die Deutsche Bank erwarten bis Ende 2004 sogar einen Euro-Dollar-Kurs von 1,30. Die österreichischen Wirtschaftsforscher beurteilen ein weiteres Sinken des Dollarkurses als ernsthaft bedrohliches Szenario. „Dann bekommen die exportierenden Unternehmen echte Schwierigkeiten“, meint IHS-Chef Felderer. Und Wifo-Leiter Kramer fürchtet, dass bei diesem Kurs die schwache europäische Konjunktur tatsächlich abgewürgt würde.

Die Gefahr eines starken Dollarverfalls steht seit Monaten im Raum. Denn die US-Konjunktur weist trotz aller Rekordmeldungen der jüngsten Zeit Schönheitsfehler auf. Zum einen liegt die Leistungsbilanz über 500 Milliarden Dollar im Minus, sprich: Die Amerikaner importieren viel mehr Güter, als sie exportieren. Zum anderen gähnt im Staatshaushalt ein riesiges Loch. Um dieses doppelte Defizit zu finanzieren, sind die USA darauf angewiesen, dass täglich fast zwei Milliarden Dollar ausländischer Ersparnisse ins Land fließen. „Amerika lebt auf Pump von den Kapitalmärkten der übrigen Welt“, formuliert es Helmut Kramer.

Allerdings sind europäische Anleger in letzter Zeit immer weniger gewillt, ihr Geld in die USA zu tragen. Die Nachfrage nach dem US-Dollar sinkt, und sein Kurs fällt. Lediglich asiatische Anleger, allen voran die chinesische und die japanische Notenbank, bewahren den Dollar vor einem noch rasanteren Absturz: Sie kaufen Unmengen von Dollars, um zu verhindern, dass ihre eigenen Währungen – der Renminbi beziehungsweise der Yen – an Wert gewinnen. Denn das würde auch ihre Exportchancen unterminieren.

Aufholjagd. Vor allem China setzt mithilfe einer bewusst billig gehaltenen Währung voll auf Wachstum durch Export. Mit dieser Strategie erzielt das kommunistisch regierte Land seit Jahren beeindruckende Wachstumsraten seiner Wirtschaft – aktuell expandiert das chinesische BIP um etwa acht Prozent. Glaubt man den Prognosen, wird es auch noch einige Jahre so weitergehen. „China wird in den nächsten Jahren in den Kreis der ganz großen Wirtschaftsblöcke aufrücken“, konstatiert Wifo-Chef Kramer. Nach Berechnungen der kanadischen Bank Credit Analyst ist der Großteil des Weltwirtschaftswachstums zwischen 1995 und 2002 auf China zurückzuführen (nach Kaufkraftparitäten gerechnet, siehe Grafik Seite 28). Der große Vorteil Chinas ist das schier unerschöpfliche Reservoir an billigen Arbeitskräften.

Mithilfe seiner Exporte erwirtschaftet China enorme Devisenüberschüsse. „Die tragen sie auf den amerikanischen Kapitalmarkt und finanzieren damit das amerikanische Leistungsbilanzdefizit“, erklärt Kramer den Zusammenhang. Anders formuliert: China borgt den amerikanischen Konsumenten Geld, damit diese chinesische Waren kaufen.

Den Amerikanern wird diese Abhängigkeit von China langsam unheimlich. Präsident George W. Bush drängte Premierminister Wen Jiabao bei dessen Besuch daher, die Koppelung des Renminbi an den Dollar aufzugeben und die chinesische Währung teurer werden zu lassen. Für Bush wäre das innenpolitisch ein Erfolg, weil sich die US-Wirtschaft im Wettbewerb mit der chinesischen Konkurrenz leichter täte. Der Schuss kann aber ebenso nach hinten losgehen, warnt die renommierte britische Wochenzeitung „Economist“: Wenn chinesische Anleger ihr Kapital nicht mehr in die USA bringen, könnte der Dollar stärker fallen, als es den Amerikanern lieb ist. Die europäische Konjunktur wäre der erste Kollateralschaden.