Peter Michael Lingens

Weniger Testosteron

Weniger Testosteron

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Ich kann mich nicht erinnern, dass es je zwei derart gleichwertige Anwärter für die Nominierung zum demokra­tischen Präsidentschaftskandidaten gegeben hätte wie Hillary Clinton und Barack Obama: Wer immer von ihnen nächster Präsident der USA wird, berechtigt zu der Hoffnung, dass sich die US-Politik nicht nur im Vergleich zur Ära Bush dramatisch zum Besseren ändert. (Denn dass einer von ihnen Präsident wird, steht außer Zweifel – wer sollte dieses Amt nach Bush neuerlich einem Republikaner anvertrauen?)
Beide Kandidaten sind hochintelligent, beide sind sachkundig, beide scheinen politisch rundum anständig, wobei Obama den Vorteil hat, sich von Beginn an gegen den Irak-Krieg ausgesprochen zu haben. Aber er selbst sagt in diesem Zusammenhang: „Es gab gute Patrioten, die gegen den Krieg waren – aber es gab ebenso gute Patrioten, die für ihn waren.“ Selbst europäische Gegner des Irak-Kriegs müssten Hillary Clinton zugestehen: So dilettantisch wie Bush hätte sie den militärischen Sieg sicher nicht verspielt.

Obama hat sicherlich mehr Charisma – auf mich wirkt Clinton effizienter, ohne dass ich das durch Fakten belegen könnte: Als sie in der Ära ihres Mannes eine Gesundheitsversicherung durchbringen wollte, scheiterte sie. Aber Obama hat bisher noch nie eine Gesetzesinitiative bis zur Abstimmung gebracht. Und er äußert sich, seit er Kandidat ist, kaum mehr konkret zu offenen Fragen. Das könnte Klugheit sein – alle Spin-Doktoren raten, so wenig Konkretes wie möglich zu sagen, um keine Wählergruppe zu verprellen –, aber es könnte auch eine gewisse Scheu vor konkreten Aktivitäten spiegeln, die mir für einen US-Präsidenten von Nachteil schiene.

Obwohl Obama vor allem für junge Amerikaner den gewünschten Wechsel – „Change“ – glaubwürdiger symbolisiert als Clinton, halte ich daher für möglich, dass Clinton ihn effizienter zustande brächte. Denn die Lösung der großen amerikanischen Probleme scheint mir mehr Zähigkeit als Charisma zu brauchen, gleich, ob es um einen geordneten Rückzug aus dem Irak, die Ordnung der desolaten Staatsfinanzen oder die Bewältigung der unabwendbaren Rezession geht. Die USA scheinen mir eher eine Angela Merkel zu brauchen, die erfolgreich handelt, als einen neuen John F. Kennedy, der so aussieht, als ob er erfolgreich handeln könnte. Aber vielleicht entspringt das nur meinem Neid auf allzu gut aussehende Männer (und meiner Begeisterung für Merkel).

Auf die Gefahr hin, „feministisch“ zu erscheinen: Ich glaube an Hillary nicht zuletzt, weil sie, wie Merkel, eine Frau ist und in ihrem Verhalten – etwa in TV-Diskussionen – ungemeine Ähnlichkeit mit ihr zeigt: Nur ganz selten – und dann begründet – emotional; ungemein ruhig und sachlich, fast immer besser informiert als ihre jeweiligen männ­lichen Widersacher. Letzteres hat zwar nichts mit ihrem Geschlecht, aber es hat einiges mit dem Ausleseprozess zu tun, innerhalb dessen sie sich durchsetzen musste: Frauen, die so hoch hinaufkommen, müssen in einer nach wie vor von Männern dominierten Welt besondere Qualitäten haben.

Im Kleinen konnte ich das als profil-Herausgeber am eigenen Leib erleben: Weibliche Redakteure waren zum gleichen Gehalt meist qualifizierter als ihre männlichen Kollegen: Sigrid Löffler, Ursula Pasterk oder Trautl Brandstaller sind älteren Lesern wahrscheinlich bis heute mit ihren exzellenten Texten in Erinnerung. Aber der Ausleseprozess der sechziger Jahre barg ein Problem: Eine Frau, die sich in dieser im Grunde frauenfeindlichen Ära durchsetzen wollte, musste ein Übermaß männlicher Eigenschaften mitbringen: extreme Kampfkraft, übermäßigen Ehrgeiz, ein gerüttelt Maß an Aggression, das sie gelegentlich zu einer nicht sehr angenehmen Kollegin machte. Das ist heute anders: Im Journalismus genügt Frauen mittlerweile die exzellente Qualifikation, um ganz oben mitzuspielen. Sie müssen nicht mehr überaggressiv sein – es genügt jene Härte, die jeder mitbringen muss, der in einem Top-Job reüssieren will. Das könnte auch in der Politik so sein: Angela Merkel oder Hillary Clinton wirken jedenfalls nie aggressiv oder verbissen, sondern nur zäh, sachlich und effizient.

Ich riskiere diesbezüglich eine provokante Spekulation (gegen die vor allem Feministinnen ihre Einwände erheben werden): Frauen sind anders. Sie sind genetisch weit weniger als Männer auf Aggression angewiesen – produzieren weniger Testosteron. Dieses geringere Aggressionspotenzial scheint mir ein Vorteil im politischen Geschäft: Angela Merkel macht nicht den Eindruck, sich ständig in Szene setzen zu müssen – plustert sich nicht auf, schlägt keine politischen Räder und zeigt kein Interesse, politische Gegner k. o. zu schlagen – aber gerade deshalb ist ihr SPD-Konkurrent Kurt Beck gegen sie so chancenlos.

Ich könnte mir das bei Hillary Clinton ähnlich vorstellen: Sie wird keine K.-o.-Siege erringen, wohl aber in der Sache punkten. Und nach Bush werden die Amerikaner das hoffentlich zu würdigen wissen. Denn eines der Probleme der US-Politik ist darin begründet, dass die Wähler in der Vergangenheit zu oft Politikern mit hohem Testosteronspiegel den Vorzug gegeben haben.
Ich setze – vielleicht ist das ein Zeichen des Alters und des damit verbundenen Absinkens des eigenen Testosteronspiegels – erhebliche Hoffnungen in eine weniger von Testoste­ron geprägte Politik starker Frauen.