gastkommentar: Heide Schmidt

Wenn Christian Rainer Arigona wäre …

Wenn Christian Rainer Arigona wäre …

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Auch wenn Christian Rainer seine „unweihnachtliche Polemik“ zur österreichischen Fremdenpolitik (profil Nr. 1) mit „Verzeihung“ einleitet, halte ich sie für unverzeihlich. Die in Nr. 2 abgedruckten Reaktionen bestätigen mich.

Meine Erwartung an den Chefredakteur ist, dass er zumindest dort, wo es möglich ist, humanitäre Grundgedanken des Fremdenrechts kommuniziert, dass er für deren Umsetzung eintritt, dass er gegen Neid und Engstirnigkeit anschreibt und den Minister zur Ordnung ruft, wenn er vor RechtspopulistInnen in die Knie geht oder sie gar zu übertreffen sucht. Gerade am Schicksal von Arigona Zogaj könnte man aufzeigen, wie eine mühsam erkämpfte Öffnung der Fremdenrechtspraxis zulasten eines 16-jährigen Mädchens wieder verschlossen wird, weil man im Vorfeld von Landtagswahlen offenbar Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Es geht nämlich nicht um eine gewünschte Ausnahme für sie, wie Rainer meint, sondern im Gegenteil um die tatsächliche Verweigerung einer positiven Rechtsanwendung ihr gegenüber, weil man um den rechten Wählerrand fürchtet. Es gibt genug angesehene Rechtsexperten, die eine Anwendung des § 72 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Erteilung eines humanitären Bleiberechts für richtig halten. Das zu erörtern, hätte ich ebenso erwartet wie einen Blick auf die Situation des Mädchens, der sich nicht darauf beschränkt, ihre derzeitige wirtschaftliche Situation darzustellen, sondern sich damit auseinandersetzt, was die Abschiebung für sie bedeutet. Stattdessen lautet Rainers Botschaft: Leid sieht anders aus, „bloߓ seine ökonomische Situation verbessern zu wollen falle jedenfalls nicht darunter. (Nebenbei: Hat Rainers „Betroffenheits-Tourismus“ ihn in letzter Zeit auch einmal in den Kosovo geführt?) Zwar solle humanitäres Bleiberecht durchaus „großzügig verteilt“ werden, aber eben nur an die nach seiner Definition wirklich Leidenden. Eines jedenfalls brauche es nicht: eine Ausnahme für Arigona. Damit suggeriert er unrichtigerweise, dass eine positive Lösung nur als Ausnahme außerhalb des Gesetzes möglich wäre, und unterfüttert dies, wie schon in seiner Überschrift angekündigt, mit einer Polemik, die sowohl in als auch zwischen den Zeilen reichlich zu finden ist.

Die augenblickliche wirtschaftliche Situation scheint Arigona Zogaj offenbar österreichischer Großherzigkeit zu verdanken. Kein Wort darüber, dass die Familie relativ erfolgreich versucht hat, ihr Leben aus eigener Kraft hinzukriegen, Mutter und Vater erwerbstätig waren, und zwar so, dass der Arbeitgeber des Vaters später öffentlich erklärte, er würde ihn gern wieder einstellen, wenn er nur aus dem Kosovo, wohin er inzwischen abgeschoben war, zurückkäme. Kein Wort darüber, dass es die überraschend durchgeführte Abschiebung der integrierten Familie war, der sich einzig Mutter und Tochter zum Teil durch Flucht entziehen konnten, welche die öffentliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme mit daraus resultierender Spendenbereitschaft erregte.

Rainer stellt das Bild des profitierenden Mädchens dahinsiechenden Kindern aus Moldawien, dem Sudan und dem Kongo gegenüber, um festzustellen: „So sieht Leid aus.“ Um nicht den Vorwurf der Polemik zu bekommen, deklariert er sie gleich selbst als solche. Dieser Trick soll wohl exkulpieren, aber er tut es nicht.

Die Polemik führt zu einem scheinbar logischen, in Wahrheit aber manipulierten Ergebnis: Rainer stellt zwei richtig (wenn auch unvollständig) beschriebene Situationen gegenüber, versichert sich dadurch der Zustimmung und erklärt sodann willkürlich die eine Situation zum Maßstab der anderen. Man solle sich auf die schweren Fälle werfen, meint er, doch was ist ein schwerer Fall, gemessen an der Katastrophe im Sudan? Zu welcher Haltung baut Rainer da eine Brücke?

Was will er uns sagen, wenn er verhungernde Nigerianer gegen die Zogajs ausspielt? Rainer muss wissen, dass der Platz für die einen den anderen keinen wegnimmt. Die Gründe für humanitäres Aufenthaltsrecht (und dieses kommt erst dann infrage, wenn kein Asyl gewährt wurde) sind vielfältig, und der Grad der Integration ist eben unabhängig davon, wie qualvoll die Situation im Heimatland wäre. Es war mühsam genug, dieses Kriterium durchzusetzen, Verfassungsgerichtshof und Parlament haben einen Beitrag dazu geleistet, und es wurde nicht nur aus humanitären Gründen eingeführt, sondern auch aus wohl kalkulierten staatlichen Eigeninteressen. Die hier ausgebildete Arigona Zogaj etwa würde demnächst einer Erwerbsarbeit nachgehen, hier ihre Steuern zahlen und ihren Beitrag zum Sozialprodukt leisten. Wir wissen, dass wir Neuzuzug brauchen – auch Rainer spricht davon. Bereits Integrierte zu legalisieren kann selbst bei kühler Interessenabwägung mehr Sinn machen, als unbekannte Risken einzugehen. Aber für all dies braucht es eine bestimmte Stimmung im Land, für die wir alle Verantwortung tragen, Öffentlichkeitsarbeiter umso mehr. Die tiefe Schiene, wie gut es den Ausländern bei uns doch gehe, zu bedienen ist kein guter Beitrag dazu. Ich will nicht glauben, dass Christian Rainer das bewusst in Kauf genommen hat, auch wenn ihm manches offenbar nicht so unter die Haut geht wie mir, sonst könnte er die Todesursachen von Cheibani Wague und Marcus Omofuma nicht verwechseln.