Materialforschung: Kleingekriegt

Werkstoffe: Kleingekriegt

Mikro- & Nanokomposite verändern die Technik

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Das glasähnliche Material besitzt eine Eigenschaft, die einen absoluten Weltrekord markiert. In der März-Ausgabe des renommierten Fachmagazins „Nature Photonics“ präsentieren Wissenschafter des Rensselaer Polytechnic Institute in Troy im US-Bundesstaat New York einen von ihnen geschaffenen Werkstoff, der nach Aussagen der Forscher „das erste Material der Welt ist, das praktisch kein Licht reflektiert“. Die neuartige Struktur könnte einen Durchbruch bei der Herstellung von Solarzellen ermöglichen: Wenn die Zellen nahezu kein Licht mehr reflektieren, steht fast die gesamte auf sie auftreffende Strahlenmenge für die Erzeugung von elektrischem Strom zur Verfügung. Das hieße maximale Effizienz.

Die gegenüber herkömmlichen Materialien um eine Zehnerpotenz verringerte Lichtreflexion wurde dadurch ermöglicht, dass die Forscher mikroskopisch kleinste Stäbchen aus Siliziumdioxid auf ein Trägermaterial aufbrachten und dort in einem Winkel von exakt 45 Grad zur Oberfläche positionierten. Doch die Verwendung solch winzigster Nanostäbchen zur Herstellung effizienterer Solarzellen ist nur ein Beispiel von vielen aus der jüngsten Vergangenheit, wo sich durch den Einsatz von Nanopartikeln Werkstoffe mit völlig neuen Eigenschaften herstellen ließen.

Am Mittwoch dieser Woche versammelt sich im Tech Gate Vienna in der Wiener Donaucity eine Schar internationaler Spezialisten, um bei der 2. Wiener Internationalen Mikro- und Nanotechnologie-Konferenz Ideen und Konzepte zu diskutieren, deren praktische Umsetzung teils noch Jahre in der Zukunft liegt. Denn die Nanotechnologie, die Technik im mikroskopisch kleinsten Bereich, ist noch eine junge Wissenschaft. Aber schon die bisher von diesem Forschungsbereich hervorgebrachten Werkstoffe sind herkömmlichen Materialien derart eindeutig überlegen, dass sie in so unterschiedlichen Produkten wie Flugzeugteilen, Fahrrädern oder Zahnfüllungen Verwendung finden. Es handelt sich dabei um so genannte Nanokomposite aus Polymeren, die durch Beimischung von Nanopartikeln neue mechanische Eigenschaften wie besondere Zähigkeit, Härte oder geringes spezifisches Gewicht entwickeln. Inzwischen arbeiten Chemiker bereits an der Entwicklung viel exotischerer Materialien. Die neuen Kunststoffe sollen beispielsweise die Fähigkeit besitzen, Strom zu leiten oder selbsttätig Materialschäden anzuzeigen.

Verbundstoff. Herkömmliche Kompositkunststoffe werden schon seit mehr als zehn Jahren verwendet. Der Begriff „Komposit“ beschreibt die Verbindung einer organischen harzartigen Grundsubstanz mit winzigen anorganischen Partikeln. So werden beispielsweise dem Ausgangsmaterial für die Herstellung von Autoreifen Rußpartikel beigemengt, um dem Kautschuk mehr Festigkeit und Langlebigkeit zu verleihen. Die Beimischung von nur wenige tausendstel Millimeter kleinen Glas- oder Kohlenstofffasern wiederum ermöglicht die Herstellung von besonders leichten und stabilen Kunststoffen. Die aus diesem Material gefertigten Skier, Fahrräder und Tennisschläger sind allerdings auch vergleichsweise teuer. Daher trachten die Forscher, zu den neuen Eigenschaften auch immer kostengünstigere Herstellungsverfahren zu entwickeln.

Die Versuche, anorganische Partikel mit einer organischen Kunststoffmasse fest zu verbinden, stießen lange Zeit auf eine Reihe unüberwindbar scheinender Hürden. Der Durchbruch bei der Verbesserung der jeweiligen Materialeigenschaften gelang in den vergangenen Jahren dadurch, dass die beigemischten Partikel im Vergleich zu herkömmlichen Werkstoffen um das Hundert- bis Tausendfache verkleinert wurden. Wenn viele kleine statt wenige größere Partikel beigemischt werden, entsteht eine Substanz mit einer weitaus gleichmäßigeren inneren Struktur, und es kommt zu einem intensiveren Oberflächenkontakt zwischen Partikeln und Grundsubstanz. Optische Brillen zum Beispiel profitieren bereits heute von solchen Nanokomposit-Kunststoffen.

Nanokomposite. Zersplitternde Brillen aus Glas können das Auge verletzen, Kunststoffbrillen hingegen sind für gewöhnlich kratzempfindlich, da ihre Oberfläche nicht so hart wie Glas ist. Um eine Brille herzustellen, die weder splittern noch zerkratzt werden kann, werden in jüngster Zeit viele Kunststoffbrillengläser mit Nanokomposit beschichtet, da dieses Material durch die darin enthaltenen Partikel enorme Festigkeit aufweist. Die dabei verwendeten Nanoteilchen sind weniger als 100 Nanometer (0,0001 Millimeter) groß, also kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichts. Das Licht wird an ihnen nicht gestreut, sodass die Partikel unsichtbar bleiben. Derartige Nanokomposite können deshalb nicht nur für Brillen verwendet werden, sondern auch für andere optische Bauteile wie etwa Glasfaserkabel, durch welche die Information in Form von Lichtimpulsen geleitet wird.

Bei Fahrrädern der obersten Preisklasse wiederum gelang durch die Verwendung von Kompositkunststoffen eine erhebliche Gewichtsreduktion. Die neuesten PAVO-Rennräder des Vorarlberger Unternehmens Simplon zählen mit 895 Gramm Rahmengewicht zu den leichtesten der Welt, und der Schweizer Hersteller BMC bringt noch heuer ein Mountainbike namens Fourstroke 01 auf den Markt, dessen Rahmen komplett aus Nanokomposit hergestellt sein wird.

Aufgrund der hohen Herstellungskosten haben sich Mikro- und Nanokomposite beim Bau von Autokarosserien bisher nicht durchgesetzt. Ganz anders verhält es sich im Flugzeugbau, wo die Kombination aus geringem Gewicht und enormer Festigkeit den teuren und klimagefährdenden Treibstoffverbrauch beträchtlich senken könnte. Speziell für Grundlagenforschung dieser Art wurde im Jahr 2002 das Polymer Competence Center Leoben (PCCL) mit Standorten in Leoben, Graz und Linz gegründet. Das neue Forschungsinstitut vereint das Know-how der Montanuniversität Leoben, der TU Graz und der Johannes-Kepler-Universität Linz. „Wir kooperieren unter anderem mit dem Flugzeughersteller Airbus und dessen Zulieferer FACC (Fischer Advanced Composite Components, Anm.) in Ried im Innkreis“, berichtet Reinhold Lang, Leiter des PCCL.

Kosteneffizienz. Bei den Flugzeugtypen der neuesten Generation werden Kompositwerkstoffe bereits in großem Umfang eingesetzt. So bewirbt der US-Flugzeughersteller Boeing seinen Langstreckenjet 787 „Dreamliner“ mit besonderer Kosteneffizienz. Einer der wesentlichen Faktoren dabei: Das Flugzeug, dessen Erstflug für den Sommer 2007 geplant ist, besteht zu großen Teilen aus so genannten Mikrokompositen, deren Partikel jedoch deutlich größer sind als bei Nanokompositen. Aber auch diese Verbundwerkstoffe ermöglichen durch ihre hohe Stabilität eine aerodynamisch besonders günstige Formgebung und bewirken, dass sowohl Gewicht als auch Treibstoffverbrauch um rund 20 Prozent geringer ausfallen als bei vergleichbar großen herkömmlichen Flugzeugen. Dadurch liegen die Betriebskosten des „Dreamliners“ um acht bis zehn Prozent unter jenen der Boeing 767-300, was sich längerfristig trotz der hohen Fertigungskosten wirtschaftlich auszahlen soll.

Faserverstärkt. Auch der derzeit in Erprobung befindliche Airbus A380, das größte in Serie hergestellte Passagierflugzeug der Welt, setzt aus Gründen der Gewichtseinsparung auf faserverstärkte Kunststoffe, wenn auch in etwas geringerem Umfang. Seine Rumpfoberseite besteht aus einer Aluminium-Glasfaser-Kunststoff-Kombination, die Unterseite jedoch aus herkömmlichem Aluminium. Der A380 absolvierte seinen Erstflug bereits 2005, die Auslieferung des ersten kommerziellen A380 verzögert sich allerdings aufgrund von Problemen mit der Kabinenelektronik. Sie ist derzeit für Oktober 2007 geplant.

„Gemeinsam mit dem Airbus-Zulieferer FACC entwickeln wir derzeit Komposite, die nicht nur Mikrofasern, sondern auch Partikel im Nanometerbereich enthalten“, erzählt Lang. „Kürzlich hatten wir einen Workshop mit Airbus, bei dem die Möglichkeit erörtert wurde, diese hochmodernen Flugzeugbaustoffe für eine nächste Airbus-Generation einzusetzen.“ Zwar spreche derzeit fast jeder in der Kunststoffforschung von Nanokompositen, aber laut Lang ist auch das nicht zu unterschätzende Potenzial der derzeit verwendeten Mikrokomposite hinsichtlich neuer Eigenschaften noch lange nicht ausgeschöpft.

Um die winzigen Partikel im Kunststoff gleichmäßig zu verteilen, sind ausgeklügelte Herstellungstechniken nötig. Im Forschungszentrum Seibersdorf wird beispielsweise mittels des so genannten RTM-Verfahrens ein faserverstärktes Nanokomposit hergestellt. Dabei werden Kohlenstofffasern in eine Form eingefüllt und das Harz anschließend in die Hohlräume zwischen den Fasern eingespritzt. Nur durch die Beimischung von Nanopartikeln bleibt das Harz so dünnflüssig, dass es in die engen Faserzwischenräume eindringen kann. Nach dieser Methode wurden im Forschungszentrum Seibersdorf unter anderem Nanokomposite entwickelt, welche sich aufgrund ihrer hohen Verschleißfestigkeit und geringen Reibung optimal für die Verwendung als Gleitflächen und Lager eignen, wie der Seibersdorfer Materialforscher Andreas Merstallinger auch bei der Konferenz in der Wiener Donaucity berichten wird. Gemeinsam mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA entwickelt Seibersdorf auch Nanokomposite mit einem Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Filz (CNF), deren hohe Wärme- und elektrische Leitfähigkeit beim Bau von Satelliten genutzt werden soll.

Durch ihre Kleinheit verhalten sich manche Nanopartikel, je nach chemischer Zusammensetzung, völlig anders als größere Teilchen mit gleichem Aufbau. Sie sind beispielsweise besser wasserlöslich oder können ins Innere von Zellen eindringen. Diese Fähigkeit eröffnet einerseits völlig neue Möglichkeiten im Bereich der Diagnose und Therapie von Krankheiten (siehe Kasten „Klein und wirksam“ auf Seite 123), könnte aber auch, je nach Partikelart, gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Chemiker Guido Kickelbick, der an der TU Wien völlig neuartige Nanokomposite entwickelt, hält die Frage etwaiger Gesundheitsgefahren durch isolierte Nanopartikel für noch nicht geklärt: „Es wird aber intensiv daran geforscht.“

Clusterbildung. Auch die deutsche Fraunhofer Gesellschaft wird demnächst einen Forschungsschwerpunkt einrichten, der Fragen der Sicherheit und potenzieller Risiken bei der Verwendung isolierter Nanopartikel untersucht. Nanopartikel treten allerdings kaum in der hochreaktiven isolierten Form auf, da sie sich durch ihre hohe Oberflächenenergie binnen kürzester Zeit zu größeren Klumpen (Cluster) zusammenballen, was ja auch ihre technische Verwendung so schwierig macht. In vielen Industriezweigen umgehen die Techniker die Frage der Verträglichkeit freier Nanostäube dadurch, dass die Partikel im Herstellungsprozess nicht als freies Pulver, sondern ausschließlich in einer Flüssigkeit (Suspension) angewendet werden. Dies gilt auch für die Herstellungsverfahren, die bei der Seibersdorfer Forschergruppe entwickelt werden.

Zusätzlich zu den bisher entwickelten Kompositwerkstoffen könnte es schon in wenigen Jahren weitere derartige Materialien geben, die noch mehr ungewöhnliche Eigenschaften besitzen. Elektrisch leitende Kunststoffe beispielsweise wären für die Beschichtung von Flugzeug-Cockpitfenstern besonders geeignet. Denn durch ständig mit hoher Geschwindigkeit aufprallende Teilchen laden sich die Flugzeugfenster zuweilen statisch auf, was die empfindlichen elektronischen Geräte an Bord irritieren kann. Spezielle Nanopartikel in der leitfähigen und extrem widerstandsfähigen Beschichtung könnten nun für einen Abbau dieser Ladungen sorgen, sind dabei jedoch so klein, dass der Durchblick der Piloten nicht getrübt wird. Für die Ableitung eines Blitzschlags reicht die Leitfähigkeit dieser Kunststoffe allerdings noch nicht aus.

Ideen für zukünftige Entwicklungen gibt es viele, seien es leuchtfähige Nanopartikel, die den Kunststoff unter bestimmten Bedingungen Licht aussenden lassen, seien es piezoelektrische Fasern, die bei Verformung einen schwachen Stromimpuls abgeben und beispielsweise als Messfühler in Flugzeugflügeln oder Gebäudeteilen einsetzbar wären. Auch soll es irgendwann mit Nanokompositen beschichtete Fenster geben, die imstande sind, Gebäude zu wärmen oder zu kühlen. In wenigen Jahren werden die Forscher sagen können, welche dieser Ideen technisch umsetzbar sind – und auch vertretbar, was die Herstellungskosten betrifft.

Von Gerhard Hertenberger