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Wie gefährlich sind Dieselabgase?

Umwelt. Wie gefährlich sind Dieselabgase?

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An der Kreuzung Äußerer Gürtel/Thaliastraße in Wien-Ottakring wartet eine junge Mutter mit Baby im Kinderwagen auf die Grünphase. Der Wiener Gürtel gehört zu den meistbefahrenen Straßen Österreichs. Unter den zahlreichen Autos, die am Mittwochnachmittag der Vorwoche auf drei Fahrspuren über die Kreuzung rollen, sind nicht nur Diesel-Pkws neuerer Bauart, sondern auch etliche „Stinker“ – Schwerlastfahrzeuge und alte Taxis, aus denen schon mal deutlich sicht- und riechbarer Dieselruß qualmt.

Seit Stunden beginnen die Radionachrichten mit der Top-Meldung des Tages: „Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind Dieselabgase in hohem Maße krebserregend und gleich giftig wie Arsen, Asbest und Senfgas.“ Das habe eine Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) mit Sitz in Lyon eindeutig ergeben. Ob die Mutter an der Kreuzung die Hiobsbotschaft schon vernommen und jetzt vermehrte Ängste um ihr Baby hat, ist nicht bekannt. Aber spätestens am Abend hat vermutlich auch sie die Meldung aufgeschnappt und ist beunruhigt.
Kaum eine Zeitung, welche die Nachricht nicht in ihrer Online- und/oder Print­ausgabe unters Volks brachte. „Der wissenschaftliche Beweis ist überzeugend“, zitierten sie den Leiter der IARC-Studie, Christopher Portier. Aber die von profil befragten Experten zeigen sich von der Nachricht nicht überrascht: Dass Dieselabgase potenziell krebserregend sind, sei ebenso lange bekannt wie die Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit einer Gesundheitsgefährdung für den Durchschnittsösterreicher gering sei und durch die wachsende Zahl von Dieselfahrzeugen mit Partikelfilter immer geringer werde.

Laut Meinung von Wiener Krebsforschern und Lungenfachärzten verstelle die von WHO und Medien geschürte Aufregung nur den Blick auf die wahren Krebsursachen – und die seien mit riesigem Abstand ungesunde Ernährung und Rauchen, während Umweltfaktoren mit einem Anteil von zwei Prozent am Krebsgeschehen nur eine untergeordnete Rolle spielten. Der Emissionsexperte Hans Puxbaum von der TU Wien geht im profil-Interview noch einen Schritt weiter, indem er erklärt, durch die immer strengeren EU-Vorschriften würde die Abgasbelastung aus dem Autoverkehr in den nächsten zehn bis 20 Jahren nahezu gegen null tendieren.

Prompt meldete sich noch am Mittwoch der Vorwoche die deutsche Autoindustrie zu Wort, die das Verdikt der zur WHO gehörenden IARC nicht unwidersprochen stehen lassen wollte. Die präsentierten Studienergebnisse basierten auf Untersuchungen an veralteten Dieselmotoren ohne Abgasfilter. „Die über acht Jahre alten Motoren repräsentieren in keiner Weise die heute am Markt vorhandene fortschrittliche Dieseltechnologie“, hieß es in einer Aussendung des Verbands der Automobilindus­trie (VDA).
Aber solange laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) etwa die Hälfte der hierzulande angemeldeten 2,5 Millionen Dieselfahrzeuge noch ohne Partikelfilter unterwegs sind, lässt sich eine Gesundheitsgefährdung durch Dieselabgase nicht vom Tisch wischen. „Die Gefahr ist zwar nicht sehr groß, aber dennoch erkennbar“, sagt beispielsweise der Toxikologe Wilfried Bursch vom Institut für Krebsforschung der Wiener Medizinuniversität. Schon vor 20 Jahren hatten Forscher entdeckt, dass Dieselabgase krebserregende Rußpartikel enthalten und dass sich diese Partikel mit Stoffen wie polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen verbinden, die das Erbgut schädigen und langfristig Krebs auslösen können – eine beunruhigende Erkenntnis, die allerdings nur durch Tierexperimente hinreichend abgesichert war.

Zwei im heurigen Frühjahr publizierte Studien machten nun eine Neubewertung seitens der IARC erforderlich. Dabei kamen die Experten einstimmig zu dem Schluss, dass Dieselabgase auch für den Menschen als eindeutig krebserregend einzustufen sind. Als Konsequenz aus diesem Befund hoben sie das von Dieselabgasen ausgehende Gefährdungspotenzial von Klasse 2a auf Klasse 1 an – jene Gruppe, zu der auch Arsen, Asbest und Senfgas gehören. Neben Lungenkrebs könnten Dieselabgase auch Blasenkrebs auslösen, heißt es. Nachdem die beiden Untersuchungen aber an extrem exponierten Minenarbeitern in den USA vorgenommen wurden, ist die Übertragbarkeit auf Durchschnittsbürger, die sich bloß im Straßenverkehr bewegen, mehr als zweifelhaft. Die Toxikologin Bettina Grasl-Kraupp vom Wiener Institut für Krebsforschung sieht denn auch weniger mögliche Krebserkrankungen im Vordergrund als beispielsweise Lungen- und Herz-Kreislauf-Leiden.

Denn die in Feinstaub und speziell in Dieselabgasen enthaltenen Partikel geraten über die Atemluft in die Lunge, wo sie so genannte Makrophagen aktivieren, das sind Fresszellen des Immunsystems. Während große Partikel ausgehustet werden, schnappen sich die Fresszellen die kleineren Partikel und transportieren sie im Lauf von Monaten ins Lymphsystem ab. Dabei produzieren sie Botenstoffe und Wachstumsfaktoren, die je nach Dauer und Dosis der Exposition zu chronischen Entzündungsprozessen und über einen längeren Zeitraum auch zu Krebs führen können. In der Lunge führen die permanenten Entzündungen beispielsweise zur chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD, zu immer neuen Vernarbungen und damit zu einem Anwachsen des Bindegewebes (Fibrose) und zunehmender Atemnot.

Kleinste Feinstaubpartikel können aber über die Lunge auch in den Blutkreislauf geraten und dort die Viskosität des Bluts verändern. „Das kann Thrombosen, Schlaganfall und Herzinfarkt auslösen, besonders bei vorgeschädigten Patienten“, erklärt Toxikologin Grasl-Kraupp. Auch wenn die Gefahr für den Einzelnen gering ist, so führt die Exposition der Gesamtbevölkerung gegenüber Feinstäuben laut Berechnung einer italienischen Forschergruppe allein in Österreich zu geschätzten 5000 bis 6000 zumeist nicht bösartigen Krankheitsfällen im Jahr.

Der Schwerpunkt liegt also trotz der nunmehr bestätigten Krebsgefahr durch Dieselabgase nicht bei bösartigen Erkrankungen. Umso mehr verweisen alle von profil befragten Experten auf die wahren Krebsauslöser und plädieren dafür, die Relationen zu sehen: Ungesunde Ernährung ist für etwa ein Drittel der Krebserkrankungen verantwortlich, Rauchen für etwa ein weiteres Drittel. Demgegenüber rangieren Umwelteinflüsse wie Dieselabgase mit einem verschwindenden Bruchteil ganz weit unten in der Liste. „Wenn die IARC sagt, dass Dieselabgase krebserregend sind, dann darf man nie außer Acht lassen, dass die größte Feinstaubquelle das Rauchen ist“, sagt Grasl-Kraupp. Und ihr Institutskollege Bursch fügt hinzu: „Aber wenn man die Leute fragt, dann stehen Umweltfaktoren an erster Stelle.“

Manfred Neuberger, Umwelthygieniker an der Wiener Medizinuniversität sowie stellvertretender Vorsitzender der Initiative „Ärzte gegen Raucherschäden“, zeigt sich vom Befund der IARC „nicht überrascht, das ist aus der Arbeitsmedizin lange bekannt“, plädiert aber ebenfalls dafür, bei der Bewertung der Krebsgefahren die Relationen zu sehen. An erster Stelle nennt er das Aktivrauchen, an zweiter das Passivrauchen beispielsweise von selbst tabakabstinenten Kellnern in stark verrauchten Lokalen. An dritter Stelle kommt für ihn die berufsbedingt hohe Exposition gegenüber Dieselabgasen, beispielsweise in Garagen, wo Dieselloks oder Lkws gewartet werden. Erst an vierter Stelle nennt er die Abgas-Exposition an stark befahrenen Straßen.

Neuberger verspricht sich eine deutliche Verbesserung der Luftqualität durch die in den Jahren 2013/14 in Kraft tretende strengere Abgasnorm Euro 6, sieht aber zugleich neue Probleme: „Direkteinspritzer erzeugen vermehrt ganz feine Partikel, die bisher gar nicht gemessen wurden. Erst wenn die EU auch das schafft, wird es eine nachhaltige Verbesserung geben.“

Der Emissionsexperte Stefan Hausberger, Professor am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik der TU Graz, hat soeben im Auftrag des Bundesumweltamts eine Berechnung aller in Österreich emittierten Verkehrsabgase vorgenommen, samt einer Vorschau auf die Entwicklung bis zum Jahr 2030. ­Demnach blasen in Österreich alle Straßenfahrzeuge einschließlich Traktoren und Baumaschinen zusammen pro Jahr 3400 Tonnen Abgase in die Luft. Bis zum Jahr 2020 wird sich dieser Ausstoß laut Hausberger auf 1580 Tonnen verringern, bis zum Jahr 2030 könnten die Emissionen aus dem Straßenverkehr dann gegen null sinken.

Aber wie es derzeit aussieht, wird dann noch immer ein Drittel der Österreicher rauchen und damit die Mortalitätsstatistik bei Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen anführen. Es gibt nur wenige Krebsarten, die nicht mit Rauchen assoziiert sind. Ein besonderes Problem sind laut Toxikologin Grasl-Kraupp Mädchen, die in der Pubertät rauchen. Die wachsende Brustdrüse ist aufgrund der hohen Zellteilungsrate für krebserregende Stoffe, die zigfach im Tabakrauch enthalten sind, besonders empfänglich. „Das wissen die Mädchen aber nicht, daher ist es so wichtig, dass Sie das schreiben“, sagt die Forscherin.

Der Wiener Lungenfacharzt Wolfgang Popp, Primarius an der Privatklinik Döbling, ist durchaus dafür, dass man Umweltstandards verbessert, Kraftfahrzeuge mit Partikelfiltern ausstattet und immer wieder nachrüstet, „aber in Relation zum Rauchen, wo das Krebsrisiko 20-fach höher ist, kann man den Faktor Luftverschmutzung und Auspuffgase vernachlässigen“.
Sein Fachkollege Christian Funk, Oberarzt der Pulmologischen Station auf der Wiener Baumgartner Höhe, sieht das ähnlich: „90 Prozent unserer Patienten sind ehemalige Raucher oder Raucher. Sie leiden an COPD oder Lungenkrebs.“

Aber das interessiert die Österreicher viel weniger als Umweltgefahren wie die Dieselabgase. „Es macht ­einen großen Unterschied, ob Sie im grünen Neuwald­egg oder in einer Parterrewohnung am Gürtel wohnen. Aber aufregen tun sich die in Neuwaldegg. Früher war es das bodennahe Ozon, jetzt sind es die Dieselabgase“, meint Lungenfacharzt Popp.