„Wie ein Fremder vor der Tür“

Diözesanbischof Egon Kapellari im Interview

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profil: Gott darf nicht in die EU-Verfassung, der Katholik Rocco Buttiglione nicht in die EU-Kommission – befürchten Sie, dass das Christentum aus Europa ausgesperrt wird?
Kapellari: Das würde nicht gelingen. Die Christen tragen und beseelen in Europa ja insgesamt so viel, dass man sie nicht auf Dauer ins Private verdrängen könnte. Probiert wird das jetzt aber an vielen Orten schon. Zum Schaden für die ganze Gesellschaft. Sie verliert damit viel von dem, was sie zusammenhalten kann. Die Situation in Holland gibt schon vielen bisherigen Kirchenkritikern zu denken.
profil: Können Sie nachvollziehen, dass die Europäer nicht unbedingt an ihre so genannten christlichen Wurzeln erinnert werden wollen? Schließlich war die Kirche, solange sie an der Macht war, ein Bollwerk gegen Demokratie, Menschenrechte, unabhängige Wissenschaft …
Kapellari: Christen haben in 2000 Jahren viele Fehler gemacht, wie andere Religionen auch. Als einziger religiöser Verantwortlicher von Weltrang hat der Papst um Vergebung gebeten. Die modisch gewordene Meinung, dass die Christen, vor allem die Katholiken, sozusagen „an allem schuld sind“, beruht, glaube ich, weniger auf bösem Willen als auf Unkenntnis der wirklichen Geschichte.
profil: Welche Werte sind es, die nur das Christentum der Gesellschaft beisteuern kann?
Kapellari: Da zitiere ich am besten den kirchenkritischen Schriftsteller Heinrich Böll. Er hat gesagt: „Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.“
profil: Christliche Politik führt einen Abwehrkampf: gegen Ehescheidung, gegen Abtreibung, gegen Homo-Ehe, gegen Sterbehilfe, gegen Stammzellenforschung. Als katholischer Bischof hoffen Sie auf eine Abschaffung all dieser Geißeln?
Kapellari: Als Christen müssen wir vor allem klar machen, wofür wir sind. Wir sind – kurz gesagt – für ein Leben in größtmöglicher Würde und Fülle. Daraus ergibt sich dann auch, wogegen wir sind. Das müssen wir möglichst verstehbar begründen und uns in der Praxis strikt an demokratische Regeln halten.
profil: Der verhinderte EU-Kommissar Rocco Buttiglione hat Homosexualität als Sünde bezeichnet und damit nur das ausgesprochen, was jeder Katholik glauben muss. Haben sich christliche und gesellschaftliche Moral so weit auseinander entwickelt, dass strenggläubige Christen notwendigerweise außerhalb des Konsenses stehen?
Kapellari: Buttiglione hat auf Fragen nach seinen persönlichen Wertmaßstäben ehrlich geantwortet und ist dafür verlacht und bestraft worden. Die Intoleranz lag da wohl bei seinen politischen Gegnern, denn er konnte und wollte ja als Politiker keinen Zwang ausüben.
profil: Christliche Vertreter kritisieren, dass in der Türkei der Islam trotz Laizismus besser gestellt sei als andere Religionen. Ist das für Sie ein Grund für einen Vorbehalt gegenüber der Türkei als EU-Beitrittskandidat?
Kapellari: Die Allianz gegen einen EU-Beitritt der Türkei ist bekanntlich sehr breit. Auch viele Christen sind dagegen, und zwar nicht wegen einer Geringschätzung des Islam, sondern weil sie die EU vor einer massiven Destabilisierung bewahren wollen.
profil: Wenn Mehrheitskirchen in europäischen Ländern – etwa in Österreich – besser gestellt sind, warum nicht auch der Islam in anderen Ländern?
Kapellari: Der Islam ist gefragt, wie er in seinem Herrschaftsbereich mit religiösen und anderen Minderheiten umgeht. Ob er einen Wechsel der Religionszugehörigkeit unter Strafe stellt. Die Bilanz ist diesbezüglich gerade in der Türkei sehr dürftig.
profil: Nicolas Sarkozy, Parteichef der französischen Konservativen, sagt in seinem neuen Buch, der Staat dürfe niemals eine Religion gegenüber der anderen bevorzugt behandeln. Wie soll das in Österreich in Zukunft gehandhabt werden?
Kapellari: Die in Jahrhunderten gewachsene religiöse Situation ist von Land zu Land etwas oder sehr verschieden. Wir haben dies für den Islam in den von ihm dominierten Ländern zu respektieren, und auch die nach Europa kommenden Muslime müssen dies respektieren. Frankreich ignoriert seit 1905 die Kirchen so weit wie möglich und hat es bei diesem Modell schwer, den dort neuen Islam zu integrieren. Sarkozy möchte die Ignoranz überwinden, und das ist gut so. Gleichmacherei auf Kosten des Christentums, ohne Respekt vor der Geschichte, sollte es aber nicht geben. Ich glaube auch nicht, dass er das will.
profil: Warum schafft es Gott selbst im mehrheitlich katholischen Österreich nicht in die Verfassung?
Kapellari: Gott bittet nicht um einen Platz, aber die Menschen täten gut daran, ihn nicht zu behandeln wie einen Fremden vor der Tür. In vielen Verfassungen Europas gibt es ja eine Nennung Gottes in der Präambel.