Wie viel Mutter braucht ein Kind?

Wie viel Mutter braucht ein Kind? Experten bringen Licht in den Ideologiestreit

Experten bringen Licht in den Ideologiestreit

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Es geht schon im Kreißsaal los. „Angenommen, man hätte mich – versehen mit einer Augenbinde – entführt an einen fremden Ort, dann würde ich anhand dieser panisch gekreischten und animalisch gegurgelten Urlaute auf einen Folterkeller tippen. Oder auf ein Bombenattentat“, erinnerte sich die 41-Jährige an die befremdliche Szenerie. Tatsächlich war Lisa Ortgies, seit Kurzem Chefredakteurin der deutschen Zeitschrift „Emma“, nur in die Klinik gekommen, um ihr zweites Kind zu gebären. Die Menschheit von der Geißel Schmerz zu befreien gehöre zwar „zu den größten Errungenschaften der modernen Medizin“, so Ortgies. Aber statt eine lokal betäubende Periduralanästhesie in Anspruch zu nehmen, erlebe Mutter das Naturereignis Geburt, das laut Ratgeberliteratur durchaus der Entstehung einer Vulkaninsel gleichen kann, vorzugsweise „rittlings auf dem explodierenden Magmadeckel“ – aus Angst, ihr könnte sonst „die Medaille wegen Doping aberkannt werden“.
Warum Ortgies derart auf Frauen „herumhackt“, fragte sich, angesichts solcher Polemik gegen das von vielen Frauen verklärt beschworene Geburts­erlebnis, die Soziologin und Buchautorin Felicitas Römer: auf Frauen nämlich, „die eigentlich nichts weiter verbrochen haben, als ohne chemische Keule gebären zu wollen“. Dabei sind die persönlichen Gestaltungsvorlieben, ein Kind in die Welt zu setzen, ohnehin Kinderkram gegen die unterschiedlichen, meist ideologisch unterfütterten maternalen Lebensmodelle, die letztlich auf ein Hickhack zwischen Glucken und Raben hinauslaufen.

„Die Mutterliebe ist in der heutigen Zeit keineswegs selbstverständlich“, sagt etwa die Halleiner HAK-Lehrerin und Psychologin Gundy Rettenbacher, deren Diplomarbeit von maternaler Intimität, Leidenschaft und Verpflichtung handelt. „Die jungen Mütter wollen sich verwirklichen, weil Emanzen und Werbeindustrie Druck ausüben.“ Ihre eigenen vier Kinder jedenfalls seien ziemlich lange schutzbedürftig gewesen, erinnert sich Rettenbacher.
Die Unternehmensberaterin Lilly Dippold aus Großrußbach sieht das ganz anders: „In der Karenzzeit bildet sich ein Vakuum.“ Die zweifache Mutter weiß das nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus Gesprächen mit anderen „Business-Mamas“, für die sie ein Online-Netzwerk geschaffen hat. „Meinem Sohn war bald fad bei mir, und – ehrlich gesagt – mir bei ihm auch.“ Er kam mit einem Jahr in den Kindergarten – und blieb gerne. „Aber hier mitten im Weinviertel sind wir, das gebe ich zu, doch ein Überraschungsfaktor.“

Atombombe Muttertrieb. Was immer Mütter tun, ist oft auch in den Augen von ihresgleichen falsch, angreifbar oder zumindest dringend einer Hinterfragung würdig. Von Anfang an, ein Leben lang. Als die US-Forscherin Paula Caplan stapelweise Psychologiemagazine analysierte, die zwischen 1970 und 1982 erschienen waren, destillierte sie aus 125 Artikeln 72 verschiedene kindliche Störungen, für die Mütter verantwortlich gemacht wurden, darunter Bettnässen, Lernstörungen, Schizophrenie, Transsexualität und Autismus. Zumindest einiges davon ist längst überzeugend widerlegt. „Der Muttertrieb ist gefährlicher als die Atombombe“, glaubt der deutsche Humorist Loriot („Ödipussi“) trotz allem.

„Helicopter mums“ werden im englischen Sprachraum jene Frauen genannt, die Mutterschaft als umfassende Lebensaufgabe sehen und deshalb so beharrlich über ihren Kindern kreisen wie weiland die Polizei über dem flüchtenden O. J. Simpson. Wer die Lufthoheit über den Nachwuchs aufgibt, findet sich schnell in den Nachrichten und Talkshows wieder – als „America’s worst mum“ beispielsweise. So erging es erst kürzlich der Kolumnistin Lenore Skenazy, die beschrieb, wie sie sich überwunden hatte, ihren neunjährigen Sohn in Manhattan allein mit der U-Bahn nach Hause fahren zu lassen – freilich nicht, ohne vorher kurz zu überlegen, ihn lieber doch zu beschatten. Ein Merkmal der so genannten „helicopter mum“ ist im Übrigen, dass sie längst nicht nur den eigenen Nachwuchs umkreist, sondern auch die anderen Mütter. Eine „feindselige und gespannte Atmosphäre unter Müttern“ hat die Pädagogin und Ratgeber-Autorin Regine Schneider schon ausgemacht. Sobald ein Kind geboren sei, entstehe um die frisch gebackene Mutter „ein unsichtbarer Überwachungsapparat, an dessen Schaltstellen die andere Mütter sitzen“. An diesem Umstand trägt aber wohl auch Schneider eine gewisse Mitverantwortung. Ratgeber zu unterschiedlichen mütterlichen Lebensmodellen überschwemmen den Markt, und sie geben sich selten damit zufrieden, nur verschiedene Optionen aufzuzeigen. Da heißt es apodiktisch „Dein Kind will dich“ oder „Gute Mütter arbeiten“, wobei je nach Lektüre der Weg weiter in „Die Mami-Falle“ oder zu „Kindern, Küche, Konferenzraum“ führt. Oft liegt auch nur ein Kuss oder eine Streicheleinheit zwischen der berechtigten Frage „Wie viel Mutter braucht der Mensch?“ und dem freudianisch anmutenden Befund „Wenn Mütter zu sehr lieben“.

Dazu kommt, dass vor allem vor dem Muttertag mit derselben Regelmäßigkeit, mit welcher Konsumentenschützer vor dem Aschermittwoch Rollmöpse analysieren, Unmengen von verklärenden Forschungsergebnissen über die einschlägige Klientel hereinprasseln. Was Versuche mit Labormüttern verraten: dass etwa die Hormone Oxytocin und Prolactin, die im weiblichen Hirn dort wirken, wo es auch Sex und Drogen tun, gar nichts anderes zulassen als maternalen Liebesrausch; dass Mutterliebe blind macht, weil die eigenen Kinder unweigerlich als schön empfunden werden; dass Mütter per se „Wetten, dass …?“-tauglich sind, weil sie aus einer beliebigen Anzahl benützter Windeln jene des eigenen Sprösslings herausschnuppern können: Es ist immer die, vor der ihnen – evolutionär bedingt – am wenigsten ekelt. Wodurch Wickeltisch-Verweigerin Britney Spears schon mal als gute Mutter ausscheidet, aber die ist, vom Sorgerecht befreit, ohnedies zur Ikone der britischen „bad mothers“ aufgestiegen.

Spears bestätigt immerhin jene Forscher, die aus dem Verhalten von Primaten schließen, dass es den angeborenen Mutterinstinkt überhaupt nicht gibt. Warum sonst hüpfte das seit jeher im Zoo lebende Gorillaweibchen Mimi aus dem Stuttgarter Tiergarten erschreckt zurück, als die ersten Babys aus ihr gekrochen waren? Weil sie Mutterschaft nie in einer Affengruppe im Regenwald beobachten und erlernen habe können, so die Verhaltensforscher. Doch auch diese These kann via Experiment simpel falsifiziert werden. Unbefleckte Mäuseweibchen, die mittels Hebeldruck winzige nackte und blinde Mäusebabys in den Käfig purzeln lassen können, hören nicht mehr auf zu drücken, bis das Gehäuse rappelvoll ist. Dennoch glauben Forscher, dass die Übermutter Maus nicht so einfach auf den Homo sapiens übertragbar ist. Der Wunsch, dem sattsam beschriebenen Idealbild der Mutter zu entsprechen, sei kulturell bedingt: „ein tief verwurzeltes Verhaltensmuster, das sich über lange Zeit eingespielt hat und auch entgegen kognitiven Einsichten beibehalten wird“, so der Wiener Entwicklungspsychologe Harald Werneck.

Wie leicht es im Grunde ist, maternale Projektionen jedweder Spielart zu unterlaufen, beweisen auch die „Desperate Housewives“ – das populärste Sammelsurium überzeichneter Mutterstereotypen, das je über den Bildschirm flimmerte. Feministinnen wie Ger­maine Greer sehen in der US-Peripheriemeile Wisteria Lane ein reaktionäres Mutterbild gezeichnet. Für „One Million Mums“ hingegen, einen Stoßtrupp der konservativen American Family Association, müsste die Serie, die angeblich den von der amerikanischen Muttertagserfinderin Anna Jarvis befeuerten Mythos unterhöhlt, eigentlich „Cynical Suburban Sluts“ heißen – zynische Vorstadtschlampen.

Wie Nonnen im Kloster. Kein Wunder also, dass Mutterschaft oft als Leben in der Zwickmühle gesehen wird: Wie funktioniert das genau mit dem Bemuttern (hauptsächlich gegenüber den Kindern) und Loslassen-Können (oft auch gegenüber dem Partner)? Ist beispielsweise der Bestseller „Jedes Kind kann schlafen lernen“, der vorschlägt, Schreibabys auch mal ein paar Minuten nur hinter der Tür zu belauschen und nicht gleich zu hätscheln, ein Folterhandbuch oder Retter in der Not? Wie lange dürfen Mütter sich zum Zweck ihrer beruflichen Selbstverwirklichung vom Nachwuchs entfernen, dem sie in einzigartiger Weise verpflichtet sind, weil er „aus ihrem Leib geschlüpft ist“, wie die konservative deutsche Kinder­therapeutin Christa Meves betont?
Wenigstens warum solche Fragen überhaupt im Raum stehen, ist relativ leicht zu beantworten. Sie wurzeln in einem lange tradierten, von Männern dekretierten Muttermythos. Schon Aufklärer Jean-Jacques Rousseau unterschied zwischen „Weltweibern“ und „richtigen Familienmüttern“, die „wie Nonnen im Kloster“ ihr Glück daheim zu finden haben. Für die NS-Ideologen war die Frau sowieso eine „unemanzipierte, blondbezopfte, breithüftige Gebärkuh“, deren einziger Lohn Hitlers Wertschätzung und das Mutterkreuz war, wie die Romanis­tikprofessorin Barbara Vinken in ihrem Buch über den Muttermythos schreibt.

Heute hält das 2005 gegründete deutsche Familiennetzwerk die guten alten Zeiten hoch. Ganz vorne mit dabei: Frauen wie die TV-Moderatorin Eva Herman, die arbeitende Mütter als „ihr wahres Selbst verleugnende Opfer des Emanzipationswahns“ sieht, und Christa Müller, die ehemalige Links­politikerin und Ehefrau von Oskar Lafontaine, die – seit sie selbst Mutter ist – körperliche Verletzungen durch Genitalverstümmelung mit seelischen durch Krippenbetreuung vergleicht. Glaubt man der Kindertherapeutin Christa Meves, so ist der mütterliche Instinkt zu Beginn des 21. Jahrhunderts derart verkümmert, dass er dringend nachjustiert werden muss. Meves fordert zum Beispiel einschlägige Erziehungskunde bereits in den Schulen, damit Mädchen lernen, ihrer Bestimmung „wirkungsvoll nachzulauschen“. Analog zum männlichen Wehrdienst sollten junge Frauen ein „Familienjahr“ bei Müttern absolvieren, denn „die Hormonforschung beweist, dass die junge Frau, die dann im vollen Hormonstatus steht, so auch Lust auf Babys bekommt“. Dazu gehören für Meves natürlich auch Mutterschutz ab dem zweiten Schwangerschaftsmonat zur störungsfreien Hirnreifung des Fötus – und Ausbildung der Frau zur Mutter, „mit Zertifikat“. Ob Meves denn auch bewusst ist, dass junge Frauen so etwas schon einmal absolvieren mussten – wenn sie nämlich einen SS-Offizier heiraten wollten?

Sollen sie doch reden, könnte man meinen, die Apologeten einer überkommenen „Prädestinationslehre“, so die „Zeit“-Journalistin Iris Radisch – der Zug in die neue Zeit ist schon längst abgefahren. Wir stehen vor einer „kopernikanischen Wende in der Familienpolitik“, sagt selbst CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Frauen bekennen stolz, Rabenmütter zu sein, vor allem, wenn sie wissen, dass das negativ besetzte Wort aus der Zoologie stammt: Raben bugsieren ja nur zur rechten Zeit ihren flugfaulen Nachwuchs aus dem Nest, weil er den Bürzel sonst nicht hochkriegen und verhungern würde. So sieht das mittlerweile auch die Frühpädagogik. Qualifizierte Krippenbetreuung schadet nicht, im Gegenteil. Depravierte familiäre Verhältnisse können durch Zuwendung in der Kleinkindergruppe sogar ausgeglichen werden.

Zögernde Väter. Neue Kindergeldregelungen, die auf solchen Erkenntnissen beruhen, zeigen auch allmählich Wirkung, selbst wenn der neue Vater statis­tisch immer noch zu wünschen übrig lässt. So dümpelt der paternale Karenz­anteil in Österreich immer noch bei 3,8 Prozent; das waren im Jänner 2008 gerade 6272 Männer. Freilich, die Gründe liegen vielfach noch im Selbstverständnis des Mannes als Ernährer der Familie, die Einkommensschere zwischen den Geschlechtern spielt aber eine ebenso bedeutende Rolle: Eine Karenzmutter verringert die Verluste. Das neue Modell des Kinderbetreuungsgeldes, bei dem Männer zumindest drei von 18 Monaten zu Hause bleiben müssen und dafür immerhin 800 Euro monatlich ausbezahlt bekommen, ist statistisch noch wenig aussagekräftig; zwar beträgt da der Männeranteil 15 Prozent, doch in absoluten Zahlen waren das Anfang des Jahres bloß sieben Väter.

Richtig los geht es wohl erst in anderen finanziellen Dimensionen. Seit in Deutschland der Höchstbetrag bei 1800 Euro liegt, verdreifachte sich die Zahl der Väter am Wickeltisch innerhalb eines Jahres: auf 9,7 Prozent Ende 2007. Und Island scheint überhaupt das Do­rado schlechthin für Väter zu sein, die sich um die Kinder kümmern. 90 Prozent nehmen im Schnitt 96 Tage Auszeit und erhalten dafür monatlich 80 Prozent ihres letzten Bruttobezuges. Die finanzielle Deckelung liegt dort, wo die wenigsten Männer selbst im Full-­time-Job hingelangen: bei 6200 Euro. Aber es ist hierzulande längst nicht so, dass ein überwältigender Anteil der Frauen sich intensive Betreuung des Nachwuchses durch den Vater wünscht. 67 Prozent der Österreicher glauben, Mütter seien bessere Betreuungspersonen; 60 Prozent glauben, eine Mutter sollte den ganzen Tag mit einem Kind unter eineinhalb Jahren verbringen; 56 Prozent der Männer und immerhin 43 Prozent der Frauen halten es mit dem Bild einer guten Mutter eher oder gar nicht vereinbar, dass sie einen Beruf ausübt.

Der kleine Unterschied. Ambivalent ist auch die Erwartungshaltung an den Mann. Fast alle Frauen wollen, dass er die Familie finanziell absichert und sich gleichberechtigt um das Kind kümmert. Aber wie soll das gehen, wenn etwa 60 Prozent der Mütter glauben, ein bis drei Stunden täglich mit dem Kind seien für Väter völlig ausreichend? „In den Köpfen hat sich noch nicht viel verändert“, sagt Doris Klepp, Psychologin am Österreichischen Institut für Familienforschung, „auch wenn sich längst gezeigt hat, dass der einzige Unterschied zwischen Vater und Mutter die weibliche Fähigkeit des Gebärens und Stillens ist.“

So argumentiert auch die Psychotherapeutin Britta Reiche: „Das alte Bild der Dyade von Mutter und Kind, zu der sich ein Vater nur als Dritter unterstützend dazugesellen kann, ist wissenschaftlich überholt.“ Väter, fand der US-Kinderpsychologe Michael E. Lamb schon vor 30 Jahren heraus, reagieren auf schreiende Kinder genau wie Mütter. Ihr Prolactinspiegel im Blut, über den auch sie verfügen, steigt mit der Geburt ebenfalls signifikant, während – eine in diesem Zusammenhang wirklich beruhigende Nachricht – das Testosteron sinkt. Dabei wächst der Beschützerinstinkt – ein Phänomen übrigens, das bei Männchen aller monogamen Arten zu beobachten ist, die sich zumindest einigermaßen sicher sein können, den eigenen Nachwuchs großzuziehen. Dennoch erziehen sie anders: weniger pflegerisch als Mütter, sondern eher spielerisch durch optische und akustische Stimulierungen; sie sind, so das Fazit von mittlerweile zahlreichen Studien, strenger, achten stärker auf Disziplin und Regeln, fördern aber im Gegenzug auch eher die Autonomie. Bei Buben sind sie, das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, als männliche Rollenvorbilder von entscheidender Bedeutung. Diese stehen nämlich schon längst auf dem Prüfstand: als verhaltensauffällige PISA-Verlierer, die zwischen Mutter und koedukativer Betreuung durch fast durchwegs weibliches Personal in Kindergärten und 90 Prozent Lehrerinnen an Volksschulen pendeln (Schuljahr 2006/2007 in ganz Österreich) und dabei gegenüber den auf bessere Anpassung konditionierten Mädchen benachteiligt werden. Wahrscheinlich hat der Entwicklungspädagoge Wassilios Fthenakis gerade auch diese frühen Jahre im Sinn, wenn er meint, Väter seien „in manchen Entwicklungsphasen wichtiger als die Mütter“.

Geteilte Herrschaft. Freilich gilt das nur, wenn sie auch da sind. Oft ist es nämlich, wie zahlreiche Studien nahelegen, gerade der Wunsch, die Familie zu versorgen, der Männer an den Arbeitsplatz fesselt. Und nicht selten lassen Frauen die Väter spüren, dass sie ihr tradiertes Rollenbild auch unbehelligt leben wollen – jenes nämlich, das der Geschlechterforscher Gerhard Amendt mit der Formel „sie herrscht drinnen, er draußen“ beschreibt. „Manche Frauen müssen lernen, abzugeben und den Vater als gleichwertige Bezugsperson anzuerkennen“, meint auch die Psychologin Britta Reiche. Für Fälle, in denen das nicht geschieht, hat die Psychologie seit einiger Zeit den Begriff „maternal gatekeeping“ parat – mütterliche Zugangs­überwachung. Als Sarah Allen und Alan Hawkins von der Brigham Young University 1999 die erste große Studie zum Thema durchführten, entdeckten sie bei 21 Prozent der Frauen „Ansichten und Verhaltensweisen, die verstärktes väterliches Engagement in der Familienarbeit behindern“. Gatekeeping, so Geschlechterforscher Amendt, werde darüber hinaus nach Trennungen oft zum „gate­closing“, und die zugeschlagene Tür hinterlässt, aus welchen Gründen auch immer, eine Armee von frustrierten Männern, die sich – wie Amendt auch aus Studien zum Thema weiß – in ihrer Verzweiflung „in schreckliche weltverschwörerische Erklärungen flüchten, die sie nicht weiterbringen und gegenüber dem Rest der Welt als schräg und hysterisch erscheinen lassen“. Die Väter, klagt auch Markus Hofer vom Vorarlberger Männerbüro, „werden zu wenig ernst genommen und manchmal gar nicht richtig angehört. Neben diesem Mutterkult verblassen sie restlos.“ Väter seien in solchen Situationen plötzlich „nicht wichtig und zudem lästig, weil sie nur dreinreden wollen“.

Ist die überwachende Frau also doch Psycho-Humbug, aus dem männerbewegten Zeitgeist geboren? Keineswegs. Auch die bekannte US-Feministin Gloria Steinem gestand schon ein, dass es nicht nur wichtig sei, „dass Männer erkennen, was Frauen können, sondern auch umgekehrt“.
Einen tiefen Einblick in die reale Existenz des Phänomens lieferten kürzlich zehn Männer aus zwei österreichischen Dörfern, die in der ATV-Dokusoap „Männer allein zu Hause“ Haushalt und Nachwuchs zu bewältigen hatten, während ihre Frauen auf Redaktionskosten in einem ägyptischen Luxusresort urlaubten. Der dramaturgische Clou des Spektakels: Die Männer murksen bei allem, was sie nur anpacken, ob Bügeln, Kochen oder Hausaufgaben betreuen. Ihre Frauen kommentieren die Szenen vom Strand aus. „Ich weiß alles, ich seh alles, und ich hör alles“, sagt eine, „du musst das ein bisschen besser im Griff haben.“ Worauf ein Vater zu Hause in Österreich ein bisschen die Augen verdreht und seufzt: „Die Mütter haben eine extreme Macht. Wenn du die Mütter gegen dich hast, hast du ein schweres Leben.“ Es besteht also auf beiden Seiten noch genug Handlungsbedarf.

Von Klaus Kamolz