Peter Kubelka, Av-antgardefilm-Pionier

„Wie Schimpansen vor einem Wasserfall“

Interview: „Wie Schimpan-sen vor einem Wasserfall“

Drucken

Schriftgröße

profil: Die digitalen Techniken erneuern das Kino derzeit fundamental. Wie sehen Sie als Materialist des Kinos, als „analoger“ Künstler diese Entwicklung?
Kubelka: Ich stehe in dem Ruf, gegen die neuen Medien zu sein. Das ist aber nicht der Fall. Ich bin nur gegen die Vermischung, gegen die Idee, das eine sei ins andere verlustlos zu übertragen. Was das klassische Kino zu einem der tiefsten Ereignisse macht, die es heutzutage gibt, ist sein Defekt: Ein Film funktioniert bei Tageslicht nicht. Der digital hergestellte Film aber funktioniert. Ihn kann man auch unter der Dusche, auf einer Armbanduhr etwa, verwenden.
profil: Welche Eigenarten des alten Kinos gehen denn verloren?
Kubelka: Das Kinoereignis wurzelt im Theater. Noch davor liegen der Gottesdienst und das Ritual, schließlich das Grundereignis: eine Schimpansenfamilie, die staunend vor einem Wasserfall steht. Sie verharrt in Ehrfurcht vor der Natur, buchstäblich er-griffen. Man empfängt etwas, ohne selbst aktiv zu werden. Das beginnt mit dem Wiegenlied der Mutter, das Kinder nicht mitsingen, sondern empfangen. Darin steckt das Konzept Unterricht: Man empfängt Botschaften, die einem ersparen, von der Natur vernichtet zu werden. Die kleine Ohrfeige, die die Katzenmutter ihren Kindern gibt, verhindert, dass diese etwas tun, das ihr Leben kosten würde. Im Kino nun beschaut und behört man – und will eben nicht eingreifen. Das ist das Wesen erzählter Geschichten: Bei Homer will man ja auch nicht mitdichten. Darum sind alle Versuche der Interaktivität im Kino gescheitert.
profil: Ist das Computerspiel nicht letztlich ein Nebenprodukt des Kinematografischen?
Kubelka: Ich würde sagen: eben nicht. Diese technische Entwicklung führt das neue Medium weg vom klassischen Kino hin zum Agieren im Spiel. Das Spiel ist ja völlig verkannt bei uns, wird als Blödsinn heruntergemacht. Dabei ist es die eigentliche Erziehung zur späteren Lebensfähigkeit. Kinder spielen immer auch kontemporär, sie spielen, was sie brauchen können, mit allen aktuellen technischen Errungenschaften. Die neue Entwicklung führt in Bereiche, in die ihr das Kino nicht folgen kann. Dazu ist es zu schwerfällig. Es ist viel archaischer. Die Pionierleistungen des digitalen Mediums spielen sich nicht im Spielfilm ab, sondern in den Computerspielen, im Abstrakten, im Rechnerischen, im Internet. Bei den Hackern. Da ist die Avantgarde.
profil: Was unterscheidet den analogen vom digitalen Film denn so grundlegend?
Kubelka: Das klassische analoge Kino ist ein subtraktives Medium, während die Malerei – genau wie der digitale Film – ein additives Medium ist. Der Maler muss auf seine weiße Leinwand all das auftragen, was zu sehen sein soll. Den Strich, den er nicht macht, wird sein Bild später nicht haben. Beim Kino ist es, wie bei der Fotografie, umgekehrt: Wenn ich ein Foto schieße, sind immer Dinge mit drauf, die ich gar nicht haben will. Deswegen gilt Film vor Gericht auch als Beweismittel, denn jeder weiß: Was ich filme, muss geschehen sein, sonst wär’s nicht auf dem Bild. Das digitale Bild häuft persönliche Entscheidungen des Berichterstatters an und kann daher als objektives Beweismittel nicht mehr gelten. Im analogen Film dagegen ist die direkte, von der Sonne – oder den Ersatzsonnen – hinterlassene Spur auf dem Material präsent. Das sind nicht künstlich geschaffene Formen, da verrät sich die Natur. Wenn wir einen Lumière-Film heute analysieren, so ist gerade das, was sein Regisseur nicht wollte, das Interessante. Lumière wollte billige Unterhaltung für die Familie am Sonntagnachmittag, also hat er inszeniert, ganz im Stil des Theaters des späten 19. Jahrhunderts. Da ist dann die Familie beim Kartenspiel, da ist der komische Kellner, der den Herrschaften serviert. Aber man sieht auch Dinge im Bild, die dem Hersteller völlig egal waren: Sie zeigen uns etwa, welches Geschirr damals benutzt wurde, welche Kleider getragen wurden, wer im Hintergrund den Film gerade stört.
profil: Im digitalen Kino dagegen ist alles unter Kontrolle.
Kubelka: Schon, aber man gewinnt etwas anderes. Wie Van Gogh Natur malt, dazu kann man sagen, das gefällt mir nicht, das glaube ich nicht. In der Kunst wählt sich jeder die Zeugen aus, denen er glaubt. Wenn man nun wie ich Van Gogh glaubt, der in jeder Landschaft den kosmischen Sturm sieht, dann ist das etwas Wunderbares, das kein analoges Filmbild erzielen kann. Die neuen Medien sind auf dem Weg, eine viel persönlichere Vision zu realisieren als das alte Kino. Weil sich ein Filmbild schaffen lässt, das von plastischen Vorbedingungen nicht mehr abhängig ist.
profil: Nehmen wir einen Ihrer Filme, „Schwechater“ von 1958: In dem sehr harten Aufeinanderprall disparater Bilder entziehen Sie diese doch auch der Realität. Die Natur erkennt man da kaum wieder. Kann ein ungeschulter Betrachter das Analoge Ihres Avantgardefilms vom digitalen Trick denn unterscheiden?
Kubelka: Meine metrischen Filme sind vom Medium selbst diktiert, erlernt und ihm auf den Leib geschneidert, tatsächlich mit der Schere geschnitten und aneinander geklebt. Diese Filme hätten digital überhaupt keinen Sinn. Sie setzen sich direkt mit dem Lehrmeister Material auseinander. Deshalb erlaube ich auch nicht, dass sie ins Digitale übertragen werden. Sollte also Film untergehen, so gehe ich mit unter. Es hilft der Pyramide auch nichts, wenn sie jemand auf Papier aufzeichnet, ehe sie abgerissen wird.
profil: Prägt das Material die Kunst so sehr?
Kubelka: Natürlich. Ehe der Maler ein Bild ausführt, gehen Leinwand- und Farbenhersteller ans Werk. Der Endfertiger eines digitalen Films kriegt eine Reihe vorgegebener Formen, aus denen er nur zu wählen hat, die aber sein Nachbar und tausend andere Künstler auch kriegen. Sie alle haben einen Chefkünstler über sich, nämlich den, der das Programm geschrieben hat. Das ist, obwohl die Ergebnisse toll aussehen mögen, sehr normativ. Mittels Morphing kann ich einen Adlerkopf in einen Fischkopf verwandeln, indem ich einen Knopf drücke. Nur: Das macht der Nachbar auch.
profil: Wie sieht das Publikum die Eingriffe des Digitalen?
Kubelka: Man kritisiert das Neue gern mit den Worten: „Da merkt man ja, dass es digital ist.“ Warum soll das Digitale nicht nach sich selbst aussehen? Das alte Filmmaterial hat ja auch seine Körnung. Wenn man ein Medium als Wirklichkeit akzeptiert, neigt man dazu, das Material auszublenden. Wenn die Bäuerin in die Kirche beten geht, dann ist es ihr egal, ob die Madonnenstatue aus Holz oder aus Marmor ist. Sie sieht nur die Madonna, die sie um Hilfe anruft. Ähnlich ist es im Kino: Die Leute sehen Tom Cruise und nicht farbige Schatten mit Korn.
profil: Wenn man darauf hinweist, dass der Dinosaurier auf der Leinwand aber sehr künstlich aussieht, so hat der Künstler sein Ziel nicht erreicht: die Simulation von Wirklichkeit.
Kubelka: Der Fehler liegt ja schon darin, dass die Leute zu wissen glauben, wie ein Dinosaurier aussieht. Es hat ja nie einer einen gesehen. Der Begriff des Realen ist ein Mythos. Es gibt Kulturen, die Mayas oder die Azteken etwa, die völlig ohne realistisches Bild ausgekommen sind.
profil: Das Kino wird bleiben, die Frage ist nur: wie? Und wo? Nur noch in Museen?
Kubelka: Es wird definitiv bleiben. Und nicht nur museal. Es wird bleiben wie die Malerei. Dazu muss man allerdings – wie ich – der Meinung sein, dass das Kino so komplett ist, dass seine Inhalte durch ein anderes Medium nicht ersetzt werden können.
profil: Der frühe Film hat das Theater imitiert, während der digitale Film vorerst noch das analoge Kino imitiert.
Kubelka: Nun ergeben sich aber auch neue Ereignisorte. Für mich ist jeder Besuch bei e-bay hundertmal spannender als das Abspielen eines guten Films auf DVD. Aber das Schöne ist ja, dass die alten Medien durch das Auftauchen der neuen Medien erst definiert werden. Ich habe etwa die sinnliche Schönheit des Films erst erkannt, als das Fernsehen aufgekommen ist. Im Vergleich zu einem Gemälde Bellinis ist das Kinobild matt. Aber im Vergleich zum Computer- oder Fernsehbild ist es wunderbar und sinnlich. Eine klassische kontemplative Filmerzählung ist auf einem Computerschirm völlig überflüssig. Das ist, als hätte man einen Rennwagen, mit dem man aber nur im ersten Gang fährt, um damit Kartoffeln zu transportieren.

Interview: Stefan Grissemann

Peter Kubelka, 71
Der Wiener Künstler und Theoretiker gilt neben Kurt Kren vor allem seiner „metrischen Filme“ wegen als wesentlichster österreichischer Repräsentant des internationalen Avantgardefilms. In hoch verdichteten Kinoarbeiten wie „Adebar“ (1956/57) oder „Unsere Afrikareise“ (1961–66) hat Kubelka das Material Film untersucht. Auch für seine zuweilen überaus polemischen Vorträge zu Kino, Tanz, Musik, Malerei und Kochkunst ist er weit über Österreich hinaus bekannt.