Affäre Mensdorff und der Siemens-Skandal

Wie die Siemens-Schmiergeldcausa mit Alfons Mensdorff-Pouilly zusammenhängt

Wie zwei Affären zusammenwachsen

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Von Josef Barth, Josef Redl, Ulla Schmid und Martin Staudinger

Es ist der Abend des 2. Oktober 2008. Über die sanften Hügel des Piestingtals hallt ein Schuss. Nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend Niederösterreichs, wo Jäger gerne durch die Wälder streifen. Dieser Tag sollte für einen von ihnen tödlich enden: Ein dreifacher Familienvater steigt vom Hochstand ab, zieht sein Gewehr nach. Die polizeilichen Erhebungen werden später ergeben, dass sich dabei ein Schuss löst und ihn in den Kopf trifft. Roland K., 54, ist auf der Stelle tot. Fremdverschulden sowie Selbstmord, auch das wird polizeilich festgestellt werden, sind ausgeschlossen. Der Unfallakt wird geschlossen. Doch Roland K. bleibt in Justizakten präsent. Da wäre zum einen jener über den Siemens-Schmiergeldskandal: K. soll laut Vernehmungsprotokollen der Münchner Staatsanwaltschaft für Siemens Millionen von Schmiergeldern auf Offshore-Firmen transferiert hat.

Und nun taucht K. auch noch in einem weiteren Akt auf, der sich mit einer der derzeit brisantesten Affären beschäftigt: Der Niederösterreicher hatte offenbar detaillierten Einblick in jenes Netzwerk, das der Waffenlobbyist Alfons Mensdorff-Pouilly über die Jahre hinweg geknüpft hat. Wie mehrfach berichtet, soll Mensdorff für den britischen Rüstungskonzern British ­Aerospace (BAE) Schmiergelder gezahlt haben, um Entscheidungsträger in Tschechien und Ungarn davon zu überzeugen, Jagdflugzeuge des Typs JAS-39 ­Gripen zu kaufen (BAE ist am schwedischen Gripen-Hersteller Saab ebenso beteiligt wie an der Eurofighter GmbH). Für Mensdorff gilt die Unschuldsvermutung.

Krimi. Je mehr Fakten der Justiz in dieser Affäre vorliegen, umso konkreter treten die Konturen eines Wirtschaftskrimis bisher ungeahnten Ausmaßes hervor. Es geht um eine Gesellschaft, die über Jagdausflüge lose Kontakte knüpft, um sich derer im Bedarfsfall bedienen zu können; um Firmen, die offenbar gegründet wurden, um Millionen zu verschieben; und um politische und wirtschaftliche Entscheidungen, die möglicherweise nur vom Ausmaß finanzieller Zuwendungen abhängig gemacht wurden.

Letzteres wusste Roland K. offenbar nur zu gut. K. pflegte das, was man gemeinhin ein gutbürgerliches Leben nennt. Ehemann, Vater dreier Kinder und mehrere Jahre lang Geschäftsführer der Werbeagentur Young & Rubicam in Wien. Fürs Kreative war Alois Schober zuständig, für die Finanzen K., doch auch er bewies bis zu seinem Ausscheiden 2007 ein gerüttelt Maß an Einfallsreichtum. Ständig brütete er an neuen Geschäftsideen, plante Projekte und knüpfte Kontakte. In seinem unermüdlichen Treiben diente sich K. auch jenem innersten Zirkel des Managements von Siemens an, der in der Konzernzentrale in München mit der Bildung so genannter schwarzer Kassen betraut war. Einer der Organisatoren der Schmiergeldkassen erinnerte sich bei einer Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft München Ende 2006 an einen „Dr. K., der offensichtlich zusammen mit einer Anwaltskanzlei eine so genannte Briefkastenfirma in Nikosia/Zypern unterhält. Über diese Firma wurden beziehungsweise werden offensichtlich Provisionszahlungen von Siemens Com Wien (…) abgewickelt.“ Und weiter: „Er war sozusagen die Spinne im Netz“ (profil berichtete). Keine Frage: K. dürfte Spezialist für das Verbringen hoher Geldbeträge über Offshore-Gesellschaften gewesen sein.

Wozu braucht nun ein einfacher „Bauer“ (Mensdorff über Mensdorff) aus dem südlichen Burgenland einen Mann mit solch ungewöhnlichen Talenten? Mensdorff baute offenbar im Laufe der Jahre ein Firmennetz auf, dessen Fäden bis zu den Virgin Islands und nach Saudi-Arabien reichten. Mit von der Partie: sein 2007 verstorbener Verwandter Timothy Landon, schwerreicher britischer Staatsbürger und BAE-Lobbyist. Die Geldtransfers zwischen Landon und Mensdorff gingen verschlungene Wege. Millionen wurden zweimal über den Atlantik geschickt, bis sie beim Empfänger ankamen, und das ging so: Eine auf Panama regis­trierte Valurex International S.A., die Landon zugerechnet wird, schickte Millionen an eine Brodman Business S.A. auf den britischen Virgin Island. Diese wird Mensdorff zugerechnet. Über einen Mittelsmann bekam Mensdorff das Geld bar aufs Handerl und reichte es dann weiter. Über Sinn und Zweck dieser Transaktionen streben die Annahmen auseinander: Die Ermittler gehen davon aus, dass rund 14 Millionen, die Mensdorff zwischen 2002 und 2007 von Landon erhalten hat, für Bestechungen vorgesehen waren. Mensdorff-Anwalt Schuster bestreitet dies: Mensdorff habe die Millionen seines Verwandten lediglich in dessen Auftrag in diverse Projekte investiert. Wie undurchsichtig diese Projekte mitunter waren, lässt sich am Beispiel einer Wiener Agentur gut illustrieren.

Blue Planet. In der Gussenbauergasse in Wien-Währing logiert eine Blue Planet Information & Communication System GmbH, als deren Geschäftsführer ein gewisser Andreas Schmidt eingetragen ist. Was Blue Planet offeriert, ist aus der Homepage nicht ersichtlich: Sie besteht lediglich aus einer Startseite, auf der Name, Anschrift und Firmenbuchnummer ersichtlich sind. Googelt man Blue Planet, stößt man etwa auf eine Praterattraktion, eine Filmfirma, eine Partyveranstaltung – keinesfalls aber auf Referenzen dieses Unternehmens. Auch die Umsatzzahlen lassen auf eine eher flaue Geschäftstätigkeit schließen: 2005 (jüngere Daten sind nicht verfügbar) wies Blue Planet einen Gewinn von gerade einmal 23.768,56 Euro aus. 2004 war sogar ein Verlust von 2042 Euro eingefahren worden. Geschäftsführer Schmidt gab profil gegenüber nur einen knappen Kommentar ab: „Blue Planet ist seit Jahren stillgelegt“, sagt er, und: „Es gibt keine aufrechte Geschäftstätigkeit in Österreich.“ Und trotzdem steht Blue Planet im Fokus der Justiz. Jüngsten Ermittlungsergebnissen zufolge dürften an das kleine No-Name-Unternehmen Millionen geflossen sein. Zu welchem Zweck? Anwalt Schuster: „Landon wollte das so.“

Also: Der reiche Cousin platzt vor geschäftlicher Kreativität, und der Neffe erledigt brav dessen Aufträge, ohne nur einmal nachzufragen? Dass ihm aus den Transaktionen über die Brodman S.A. handfeste Probleme erwachsen könnten, dämmerte Mensdorff 2007. Die Briten hatten damals das erste Rechtshilfeansuchen an Österreich gestellt, und Mensdorff war zur Einver­nahme ins Wiener Bundeskriminalamt geladen worden. Thema der Aussprache: die Landon-Millionen, die über Brodman gelaufen waren. Da erinnerte er sich an K. und dessen Talente. K. war Ende 2007 aus der Werbebranche ausgeschieden und auf der Suche nach einem neuen Job.

In der Biografie der beiden Männer gibt es eine Überschneidung: Siemens. Mensdorff war nämlich für die Österreich-Tochter des deutschen Konzerns als Lobbyist unterwegs: „Siemens hatte im Jahr 2007 einmalig beim Projekt Lkw-Maut in Ungarn mit Herrn Mensdorff-Pouilly zusammengearbeitet. Siemens legt großen Wert auf die Einhaltung seiner hohen Compliance-Standards (Verhaltensrichtlinien, Anm.), auch durch Dritte. Darum wurde der entsprechende Vertrag mit Herrn Mensdorff-Pouilly seinerzeit von der Compliance-Abteilung des Hauses geprüft“, erklärt ein Siemens-Sprecher auf Anfrage.

Durchlaufposten. Zusammengearbeitet hatten die beiden allerdings nicht. Doch jetzt sollte es so weit sein. „Die Verbindung zwischen Mensdorff und der Siemens-Affäre ist eine neue Wendung, die wir uns selbstverständlich ansehen werden“, so Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien. Mensdorff bat also K., eine Übersicht über die Brodman-Gebarung zu erstellen. Mensdorffs Anwalt Schuster: „Die Landon-Gelder waren Durchlaufposten. Mein Mandant hatte keinen vollständigen Überblick. Daher wurde K. engagiert.“

Die wohlmeinende Interpretation ist also: Ein Chaot versucht, seine Zettelwirtschaft auf Vordermann zu bringen. Die weniger wohlmeinende Interpretation: K. sollte Millionentransfers so umschreiben, damit sie, als solider Geschäftsbericht geschminkt, vor den Augen der Justiz standhalten. Kein einfaches Unterfangen: Fast ein Jahr brauchte K., um plausible Erklärungen für die Überweisungen zwischen 2002 und 2007 zu finden. Erst August 2008 hatte K. seine Arbeit erledigt. Zwei Monate später war er tot.

Nun ist es schon höchst ungewöhnlich, dass ein scheinbar braver Buchhalter Spuren gleich in zwei Schmiergeldskandalen hinterlässt. Doch damit haben die Zufälle noch kein Ende. Als K. tödlich verunglückte, war er mit seinem langjährigen Jagdkompagnon unterwegs: Herbert Kullnig, in den neunziger Jahren Pressesprecher des VP-Verteidigungsministers Werner Fasslabend und später Leiter des Pressedienstes im Heeresressort. Er hatte K. schon vor Jahren bei Young & Rubicam kennen gelernt. Die Agentur hatte in den Neunzigern Wahlkämpfe für die ÖVP betreut. Auch Mensdorff und Kullnig waren einander nicht fremd: 1991 hatte man einander bei einer Parteiveranstaltung an der burgenländischen Grenze kennen gelernt. Es sei bei losen Kontakten geblieben.

Fäden ins Heeresressort. Näherer Bekanntschaft hätte es ohnehin nicht bedurft. Mensdorff hatte im Ministerium hochrangigere Personen als Ansprechpartner, etwa Josef Bernecker, bis 2001 Leiter der Luftabteilung. Der mittlerweile pensionierte Brigadier war oft mit Mensdorff jagen gewesen, und sie teilten weitere Gemeinsamkeiten: Sie waren beide für die Firma Valurex tätig, die dem britischen Rüstungskonzern BAE zugerechnet wird. Einem internen Papier von BAE zufolge, das dem schwedischen Fernsehen zugespielt wurde, soll Bernecker gemeinsam mit Mensdorff ab 2003 sowohl in Tschechien als auch Ungarn für den schwedischen Gripen Stimmung gemacht haben. Bernecker bestätigt 2007 seine Beraterfunktion für Valurex gegenüber dem schwedische Fernsehen: „Ich war für die militärische Ebene tätig, da ich die Zu­ständigen aufgrund meiner beruflichen Vergangenheit kenne, und Mensdorff war auf der politischen Ebene tätig.“ Letzterer soll Bernecker zufolge auch bei tschechischen Politikern lobbyiert haben: „Er hat politisch und gesellschaftlich lobbyiert für den Deal. Im Namen von Valurex.“

Anwalt Schuster: „Das bestreite ich. Das deckt sich nicht mit meinen Informationen.“ Auch Mensdorff hatte dies gegenüber profil stets bestritten. Aus dem internen BAE-Papier geht hervor, dass Mensdorff für dieses Geschäft acht Millionen Euro versprochen worden wären. Schuster: „Seine Beraterverträge waren gut honoriert und wurden ordnungsgemäß verbucht. Aber diese Höhe kann ich mir nicht vorstellen.“

Bernecker hat seine Leidenschaft für den schwedischen Gripen nie verhehlt. 2001, die Ausschreibung für die Nachfolgejets der heimischen Draken war bereits angelaufen, favorisierte Bernecker in der Fachzeitschrift „Flug Revue“ den Saab als beste Lösung. Daraufhin leitete das Verteidigungsministerium ein Disziplinarverfahren ein. Die Suspendierung wurde aufgehoben, Bernecker in Frühpension geschickt. Erst dann hat er begonnen, mit Mensdorff zusammenzuarbeiten. Doch da war für den Gripen das Rennen in Österreich schon fast verloren.