„Wie nach dem Sturz einer Diktatur“

Die Nerven des Bawag-Chefs Ewald Nowotny

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Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky findet es irgendwie unfassbar: „Das ist in der Tat ein ungeheuerlicher Vertrauensbruch.“

Die Rede ist davon, wie der ÖGB im Herbst 2005 den Universitätsprofessor und sozialdemokratischen Ex-Parlamentarier Ewald Nowotny gebeten hat, die Leitung der Bawag zu übernehmen – und zwar, und das ist der Punkt, ohne ihm zu sagen, wie es tatsächlich um diese Bank und ihren Eigentümer bestellt ist.

Als Nowotny statt Johann Zwettler in die Bawag-Führung eintrat und sich den Medien als neuer Generaldirektor präsentierte, hatte man ihm weder im ÖGB noch in der Bank etwas von den düsteren Geheimnissen verraten, auf die er bald stoßen sollte: Bei seinem Amtsantritt wusste Nowotny nichts von Verlusten in der Karibik, nichts von einer die Existenz der Bank sichernden ÖGB-Garantie, und er kannte nur einen kleinen Teil der sinistren Verbindungen zwischen der Bawag und Phillip Bennett, dem früheren Chef des US-Brokerhauses Refco.

Die Gewerkschaftsspitze konnte damit rechnen, dass sie sich nichts als Absagen einhandeln würde, wenn sie Zwettlers Nachfolgekandidaten die Wahrheit über die Bawag verriete. Aus diesem und anderen Gründen beschloss man, weiterhin niemandem, auch nicht dem neuen Bawag-General, reinen Wein einzuschenken.

Kandidaten. Das war nicht dazu angetan, den Kreis infrage kommender Kandida-ten für die neue Bankführung zu vergrößern. Klar war den Gewerkschaftern zunächst nur, dass es sich bei dem neuen Bankchef um einen Sozialdemokraten handeln musste: Denn sobald der Neue einmal entdeckt haben würde, was sich in der Bawag während der letzten Jahre tatsächlich abgespielt hat, erschien es den ÖGB-Spitzen essenziell, dass er zumindest noch eine Art Restloyalität für die gute alte Gewerkschaftsbewegung und ihre Repräsentanten aufzubringen bereit und imstande war.

Andererseits kamen „Rote“, die ins bisherige Muster der Bawag-Führung passten und also für Geheimniskrämerei und Verhaberung zugänglich waren, für diesen neuen Job – eine Feuerwehr- und Sanierungsaufgabe – nicht infrage. Das war sogar den Gewerkschaftern klar. Womit sich ihr suchender Blick auf solche Kandidaten richtete, die man als seriöse Zeitgenossen sowie aufrechte und selbstständig denkende Sozialdemokraten einschätzte. Ein solcher Typus ist freilich, wusste die ÖGB-Führung, viel schwerer berechenbar. Jedenfalls von dem Moment an, zu dem er die Leichen im Keller der Bank entdeckt.

Der ÖGB musste also jemanden ausfindig machen, der zweierlei auf die Waage brachte: Einerseits musste diese Person vom Kaliber her in die Schuhe eines Bankgeneraldirektors passen. Andererseits musste es sich um jemanden handeln, der die wahre Situation der Bawag weder kannte noch ernsthaft erahnte und von dem man überdies annehmen durfte, dass er, sobald die Wahrheit ans Licht kommt, trotzdem so viel Loyalität besäße, nicht alles sofort hinzuschmeißen. Alles in allem also ein Anforderungsprofil, das einer Quadratur des Kreises verdammt nahe kommt. Die Chancen standen schlecht.

Aber der ÖGB hat eine solche Person tatsächlich gefunden: Ewald Nowotny.

Nowotny selbst beantwortet die Frage, wie er mit der Art und Weise seiner Bestellung fertig würde, differenziert. Er habe zunächst nicht glauben können, was da ans Tageslicht kam. „Natürlich“ sei es so, sagt er, „dass sich mein persönliches Verhältnis zu einzelnen Leuten aus Gewerkschaft und Bank massiv verändert hat“. Als heuer die Karibikverluste aufflogen, sei es für ihn auch „überhaupt nicht selbstverständlich“ gewesen weiterzumachen: „Aber mir war eines ziemlich klar“, sagt er: „Wenn ich zu diesem Zeitpunkt ausscheide, stellt das ein derart massives Signal dar, dass ich mit diesem Schritt die Bank gefährde.“

Aussprache. Das, was man ihm seitens der Gewerkschaft und seiner Vorgänger in der Bank zugemutet hat, habe er allerdings auch nicht wortlos zur Kenntnis genommen. Einzelne der betreffenden Personen habe er zur Rede gestellt. Nicht alle. Helmut Elsner zum Beispiel, seinen Vorvorgänger, nicht. Elsner habe ihn anfangs immer wieder mal angerufen, erzählt Nowotny, „um mir sozusagen gute Ratschläge zu erteilen“. Das habe sich aber bald gelegt.

Jetzt beschweren sich Bawag-Mitarbeiter, dass Elsner mit seinem Hund vor der Bank auf und ab promeniere. „Es wäre nicht mein Geschmack, in dem Haus zu wohnen, wo sich auch mein Büro befindet“, meint Nowotny. „Das ist natürlich seine Sache. Nur – mittlerweile rächt sich für Elsner seine Penthouse-Entscheidung: Er wird ja jetzt genau beobachtet.“

Wenn Nowotny Elsner auf der Straße begegnete, wer würde da die Straßenseite wechseln? Nowotny: „So wie ich Elsner einschätze, wäre das ich.“

Davon, dass er mit Ex-ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch nach dem Auffliegen des Skandals eine Aussprache herbeiführte, kann man ausgehen. Aber darüber spricht Nowotny nicht. Und was Johann Zwettler und Ex-Aufsichtsratschef Günter Weninger betrifft, beginnt er in seinen Urteilen zu differenzieren: „Natürlich“ habe er „auch nicht mehr dieselbe Haltung“ zu seinem ehemals guten Freund Zwettler. Weil er ja jetzt Dinge über Zwettler wisse, die ihm zuvor nicht bekannt waren. „Aber menschlich“, betont er, „fühle ich mit Zwettler und seiner Frau wirklich mit. Ich halte Zwettler für eine zutiefst tragische Figur. Ich bin überzeugt, er hat das alles deshalb getan, weil er sich in dieses ,System Elsner‘, wenn man es denn so nennen will, verstrickt hat und sich dann bemühte, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.“ Er habe mit Zwettler ein „sehr dramatisches“ Gespräch geführt. Seither könne er „die Belastung“ nachvollziehen, die es bedeute, „mit einem solchen Wissen über Jahre hindurch zu leben und es sogar guten Freunden nicht mitteilen zu dürfen“.

Dies würde die Sache selbst, also die „wirklich schweren moralischen Verfehlungen“, die den involvierten Personen anzulasten seien, nicht entschuldigen. Aber man müsse eben zwischen „der Sache“ und „dem menschlichen Gefühl gegenüber jemandem“ unterscheiden. Nowotny: „Ich bin wirklich überzeugt, dass Zwettler uneigennützig für die Bank gearbeitet hat. In der Literatur kommt dergleichen ja häufig vor – eine tragische Verstrickung, in die jemand hineingerät und aus der sich zu lösen ihm dann nicht mehr möglich ist.“

Ähnliches gelte für Weninger, bei dem er es ernsthaft für „möglich“ hält, dass er den Gewerkschaftspräsidenten zum Beispiel über die De-facto-Beteiligung des ÖGB an Refco nicht informiert hat – und zwar mit dem Zweck, Fritz Verzetnitsch zu „schützen“: „Eine solche Haltung kann man in kritischen Situationen dann und wann wirklich erleben“, lässt Nowotny hiefür ein gewisses Verständnis, wenn nicht gar eine Art Sympathie durchklingen. Im Gegensatz dazu hält er es für „unverzeihlich“, dass Weninger, im vollen Wissen darüber, was unter Helmut Elsner in der Bawag vor sich ging, diesen „beim Abschied so großzügig behandelt hat“.

Autoritär. Als eine der Wurzeln der fehlgelaufenen Entwicklung diagnostiziert Nowotny den Umstand, „dass es, jedenfalls früher, im Bankgeschäft eine unglaubliche Tendenz zu autoritären Führungspersönlichkeiten gab“. So was könne eine Zeit lang gut gehen. Aber eine solche Unternehmenskultur trage den Keim des Scheiterns in sich. Weder die Degeneration der Bawag unter ihren patriarchalischen Chefs Walter Flöttl und Helmut Elsner noch den Niedergang der Länderbank unter Franz Ockermüller (der die letztlich insolvent gewordene Bank, die schließlich von der Republik gerettet werden musste, bis in die siebziger Jahre geleitet hatte) sieht er in diesem Zusammenhang als zufällig. Nowotny, der als Student im volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB arbeitete und dort für eine bankwirtschaftliche Karriere vorbereitet wurde, hatte kurz nach Abschluss seines Jus-Studiums eine recht schicksalhafte Begegnung mit Ockermüller.

Von Partei- und Gewerkschaftsgranden war für Nowotny also nach dessen Studium eine Bankerlaufbahn vorgesehen – beginnend mit der Rolle eines Sekretärs bei einem Länderbank-Direktor. Just während des Vorstellungsgesprächs bei diesem Direktor stürmte Ockermüller ins Zimmer, schrie den Direktor wegen irgendeines Problems rüde an und versetzte beim Verlassen des Raums einem Papierkorb einen so heftigen Fußtritt, dass dieser umstürzte. „Räumen Sie das wieder ein!“, blaffte Ockermüller den jungen Nowotny an. Sobald sich die Tür hinter Ockermüller geschlossen hatte, erklärte Nowotny dem Direktor: „Das hier ist kein Job für mich.“

Er entschied sich stattdessen für eine Post-Graduate-Ausbildung als Ökonom im Institut für Höhere Studien (IHS).

Derzeit bemüht sich Nowotny offenbar, aus der autoritätsgestörten Bawag ein Institut zu formen, in dem sich „die Mitarbeiter menschlich geschätzt und leistungsmäßig in ihrer Selbstständigkeit gefordert“ fühlen. „Ein bisschen könnte man hier jetzt das Gefühl kriegen, man befinde sich in der Phase nach dem Sturz einer Diktatur.“

„Ich versuche, einen respektvollen Umgang miteinander vorzuleben“, erläutert Nowotny. „Es wird nicht geschrien, Mitarbeiter sind als Mit-Arbeiter zu sehen, die mit eigenem Kopf denken. Wo die Leistung nicht ausreicht, sollen Konsequenzen gezogen werden – aber auf eine seriöse, nachvollziehbare Art und ohne jemanden zu demütigen.“ Er hoffe, dass sich das „schon ein bisschen in der Bank herumgesprochen“ habe. Freilich würden noch fast täglich Papiere auf seinem Schreibtisch landen, die ein Problem darstellen und dann in den Satz münden: „Mit der Bitte um Entscheidung.“ Er schicke diese Papiere stets zurück und versehe sie mit der Notiz: „Bitte selber nachdenken.“

Gleichmut. Nowotny, der stets zwischen der Wissenschaft, seinem Politikerdasein und diversen Tätigkeiten zum Thema Bankwesen (Verwaltungsratsvorsitz der P.S.K., Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, Hochschullehrer für Bankwesen) wechselte, hat sich zeitlebens sozialdemokratisch engagiert. Sein Wunsch, Finanzminister zu werden, ging nie in Erfüllung. Jetzt, mit fast 62 Jahren, zum Generaldirektor einer großen Bank berufen, erweist er sich nach allgemeiner Auffassung als „sensationelle positive Überraschung“. Vielleicht werde sich dieses Urteil wandeln, wenn und falls die Bawag je wieder zu einer „ganz normalen Bank mit der Notwendigkeit einer routinierten operativen Führung“ werden sollte, sagen Berufsbanker. Aber derzeit zieht alle Welt den Hut vor der Qualität des Krisenmanagers Nowotny. Von „Nerven wie Stahlseilen“ ist die Rede, man charakterisiert ihn als „Führungskraft, die in einem Maß belastbar ist, das ihm niemand zugetraut hätte“.

Von Bundespräsident Heinz Fischer, seit Jugendtagen mit Nowotny befreundet, wird der Satz kolportiert: „In diesem Alter noch zu einer großen Überraschung zu werden – das haben Nowotny und ich gemeinsam: Mir hat auch keiner zugetraut, dass ich einmal populär werd.“

Nowotny selbst reagiert, auf die allgemeine Anerkennung seiner evidenten inneren Ruhe angesprochen, mit dem Hinweis auf einen Sinnspruch Senecas im Büro von Bruno Kreisky, des „großen Vorbilds“ seines Lebens: Der römische Philosoph verhieß demjenigen, der „im Ungemach Gleichmut“ bewahrt, ultimativ Erfreuliches: nämlich „holdes Glück“.

Von Liselotte Palme