Im Zeichen des Ziesels

Bürgerinitiativen: Ziesel statt Wohnung?

Kommunalpolitik. Herbert Lackner über fragwürdige Bürgerinitiativen

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Hier lässt sich’s leben: Das Grätzel hinter dem Heeresspital in Wien-Floridsdorf ist zwar nicht zentrumsnah, dafür umso idyllischer: Malerisch schlängelt sich der Marchfeldkanal - ein künstlicher Donauarm - durch eine Aulandschaft. Der begleitende Radweg ist ideal für die sportliche Stunde nach Dienstschluss. Ganz in der Nähe wird das modernste Krankenhaus Österreichs gebaut, das Sozialmedizinische Zentrum Nord. Und der beliebte Heurigenort Stammersdorf liegt gleich nebenan.

Dennoch ist das Land hinter den wenigen Genossenschaftsbauten mit hübschen Vorgärten noch weitgehend ungenützt. Einige der Flächen werden landwirtschaftlich verwendet, andere liegen einfach brach.

Wenig verwunderlich, dass Wien die Grundstücke an der Brünner Straße als wichtiges Stadterweiterungsgebiet sieht: Es gibt öffentliche Verkehrsmittel und ein gut entwickeltes Straßennetz. Hier lässt sich vernünftig bauen, wie einige verkehrsberuhigte, mit viel Grün ausgestattete Wohnhausanlagen auf der anderen Seite der Brünner Straße zeigen.

Und Wohnungen müssen gebaut werden: Jährlich ziehen "netto“ 22.000 Menschen in Wien zu, das entspricht der Einwohnerzahl von Bregenz. Noch vor 2030 wird Wien mehr als zwei Millionen Einwohner haben. Mehrheitlich kommen die Neu-Wiener aus anderen Bundesländern, weil es hier bessere Bildungseinrichtungen und Jobs gibt. Ohne den Neubau geförderter Wohnungen würden die Mietpreise in Wien wegen der großen Nachfrage explodieren.

Darum sollen auf der brachliegenden Fläche hinter dem Heeresspital 900 Wohnungen für junge Familien entstehen. Nichts Luxuriöses: Zwischen 40 und 125 Quadratmeter groß sollen sie sein. Das Projekt geplant und das Grundstück von der Stadt gekauft hatten die Wohnbaugenossenschaften "Kabelwerk“ und "Donaucity“ schon 2008. Aber dann wurden auf der Brache plötzlich die Ziesel entdeckt …

Spermophilus, Samenfreund
, ist der wissenschaftliche Name des zu den Hörnchen zählenden Geschöpfes. Das possierliche Tierchen wird bis zu 30 Zentimeter groß und lebt in unterirdischen Gängen. Dort pennt der Ziesel von Ende August bis Mitte März im Winterschlaf. Es gibt ihn in Nordamerika, in Asien und in Teilen Europas. Ostösterreich ist die westliche Verbreitungsgrenze des Ziesels. Größere Kolonien gibt es im Wiener Raum in Süßenbrunn, am Bisamberg, am Laaerberg und in Perchtoldsdorf.

Nicht überall sieht man ihn gern, weil er als landwirtschaftlicher Schädling und möglicher Überträger von Tollwut gilt. In Kanada wird der Ziesel daher gezielt gejagt. Auch im Tullnerfeld wurde dem Ziesel früher nach dem Leben getrachtet. Inzwischen ist die Zahl der Ziesel hierzulande so weit gesunken, dass sie auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten stehen und daher besonderen Schutz genießen.

Unter den Schutzmantel des Ziesels schlüpften, als die Baupläne in Stammersdorf bekannt wurden, auch Anrainer und schlossen sich zur IGL-Marchfeldkanal zusammen: Nie dürfe hier gebaut werden - die Ziesel!

Solche Argumente wiegen in Österreich schwer.
2010 beschäftigte sich sogar der oberösterreichische Landtag mit der panikartigen Flucht einiger Exemplare des Großen Brachvogels während eines AC/DC-Konzerts auf dem Welser Flugplatz. Im verkehrsgeplagten Wieselburg (NÖ) wird seit Jahren der Bau einer Umfahrung verhindert - unter anderem deswegen, weil an der projektierten Straße das Kleine Mausohr nistet, eine sechs Zentimeter große Fledermaus.

Auf dem Gelände einer aufgelassenen Zementfabrik in Wien-Rodaun, wo demnächst 400 neue Wohnungen entstehen sollen, müssen vorher alle auffindbaren Exemplare der Mauereidechse händisch gefangen und übersiedelt werden. Der Wachtelkönig verhindert seit Jahrzehnten den Bau einer leistungsfähigen Straße durch das Ennstal. Tierschützer beklagen, dass auf der Perchtoldsdorfer Haide Kinder mit Drachen und Modellflugzeugen spielen. Die hier hausenden Ziesel würden das Spielzeug für Raubvögel halten und sich nicht aus dem Bau wagen.

Von Beginn an mutmaßten Skeptiker, in Stammersdorf gehe es nicht nur um die scheuen Hörnchen: "Die Bürgerinitiative hat eine Mahnwache zum Schutz der Ziesel geplant. Vielleicht auch zum Schutz der eigenen guten Aussicht“, ätzte ORF-Moderator Paul Tesarek in "Wien heute“. Natürlich: Eine unbebaute Wiese vor dem Haus wünscht sich jeder, in einer Millionenstadt ist das halt nicht immer zu haben.

Die Wiener Magistratsabteilung 22
, Naturschutz, nahm die Einwände der Ziesel-Bürgerinitiative dennoch nicht auf die leichte Schulter. Sie hatte bei einer Begehung im Jahr 2005 zwar keine Ziesel wahrgenommen, beauftragte nun aber Österreichs Ziesel-Koryphäe, die Biologin Ilse Hoffmann von der Universität Wien, mit einer Bestandsaufnahme. Die Wissenschafterin erforschte monatelang den Acker und legte im September 2011 ihren Befund vor: Nicht, wie von der Bürgerinitiative behauptet, 800, sondern 127 Ziesel, 45 Feldhamster und 18 "Sonstige (Maulwurf, Erdhummel, Igel etc.)“ leben auf dem in Frage kommenden Terrain.

Auch das genügte. Die Magistratsabteilung 22 erteilte den Auftrag, jede bauliche Tätigkeit müsse streng nach den Auflagen des Artenschutzes erfolgen. Was heißt: Die Ziesel dürfen nicht wie etwa die Eidechsen von Rodaun einfach eingefangen und auf die Nachbarwiese getragen werden.

Die Baugenossenschaften akzeptierten den Spruch und beauftragten Ziesel-Päpstin Hoffmann mit der Suche nach einer Lösung. Die Biologin entwickelte einen aufwändigen Plan: Die Bauträger mussten weitere sechs Hektar Land von der Stadt kaufen. Dort, in einem Streifen an beiden Seiten des Marchfeldkanals, sollen Büsche gerodet werden (Ziesel mögen keine Bäume und Büsche). Blumen und Gräser müssen ausgesät und Futterspuren gelegt werden, die genau nach dem Geschmack des Ziesels sind. In der neuen Heimat sollen Löcher gebohrt werden, um die Hörnchen zum Anlegen eigener Bauten zu animieren. Da Ziesel nicht gern über Brücken gehen sollen sie in extra angefertigten Röhren auch auf die andere Seite des Marchfeldkanals gelockt werden. Mit ähnlichen Maßnahmen gelang es in Wiener Neustadt, Ziesel von einem Gelände wegzustreicheln, auf dem derzeit die Anti-Krebs-Kanone MedAustron gebaut wird.

Der Magistrat akzeptierte den Umsiedlungsvorschlag der Wohnbaugenossenschaften, legte jedoch fest: Nicht mehr als zehn Ziesel dürfen händisch auf das Nachbargrundstück getragen werden. Alle anderen Ziesel müssten freiwillig gehen.

Doch ach! Inzwischen hatte sich die Politik und - noch schlimmer - die "Kronen Zeitung“ des Falles bemächtigt. In der Floridsdorfer Bezirksvertretung stimmten ÖVP, Grüne, FPÖ, BZÖ und die Liste WIFF auf Antrag der Freiheitlichen für einen Baustopp. Für die Anrainer, die wie die FPÖ der Verdacht plagt, hier würden "Migranten aus den Gürtelbezirken angesiedelt“ (eine Bewohnerin in der "Presse“), ist die Umsiedelungsaktion "inakzeptabel“. Die Bürgerinitiative ruft zu weiteren Mahnwachen auf.

Die "Kronen Zeitung“ gab die Losung aus: "Eine Baugenehmigung wird und darf es niemals geben!“

Beim profil-Besuch vergangenen Dienstag zeigte sich kein Ziesel. Ein Anrainer, der eben sein Auto ausräumte, aber offenbar nicht Mitglied der Bürgerinitiative ist, tröstete das profil-Team: Er wohne schon seit zwei Jahren da und habe auf dieser Wiese auch noch nie einen Ziesel gesehen. Aber hinten beim Kanal, da seien ganz viele.

Gleichwohl:
Weder die 127 Ziesel noch die 900 Familien werden so rasch zu einer neuen Behausung kommen. Denn im vergangenen Dezember, der Ziesel schlief tief im Erdreich, machte die "Krone“ eine Aufsehen erregende Entdeckung: Bei den Tierchen in Floridsdorf könnte es sich um ganz rare "Super-Ziesel“ handeln. Jetzt wäre es erst recht ein "blamables Fiasko“ würden die "Heeresspital-Ziesel“ (©: "Krone“) abgesiedelt. Wir bleiben dran.