BAWAG: Der Skandal- Prozess wird zur Farce

Wildernde Umstände: Wird die gerichtliche Aufarbeitung der BAWAG-Affäre zur Farce?

Politische Interventionen, verschlampte Protokolle

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Die neue Zeitrechnung beginnt am 16. Juli 2007, 9.15 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit. Für die folgenden dreieinhalb Monate, möglicherweise auch mehr, wird der Nullmeridian gleichsam mitten durch den Großen Schwurgerichtssaal am Landesgericht für Strafsachen in Wien verlaufen.

Am Montag dieser Woche startet der Prozess um die zwischen 1998 und 2000 in der Karibik verschwundenen Bawag-Milliarden. Ein Verfahren, das Maßstäbe setzt, noch ehe es überhaupt richtig in Gang gekommen ist: 109 Seiten Anklageschrift, 70.000 Seiten Gerichtsdokumente, vorerst 40 Verhandlungstage, 50 Zeugen, ein Dutzend Rechtsanwälte, neun Beschuldigte, 1,44 Milliarden Euro Schaden. Vor allem aber: unzählige offene Fragen um die Rolle von Investmentbanker Wolfgang Flöttl. Der Bawag-Prozess droht zur Farce zu verkommen, noch ehe er richtig begonnen hat.

Bis Ende Oktober soll feststehen, wer die Verantwortung am größten Finanzskandal der Zweiten Republik trägt. Die Staatsanwaltschaft will im Hauptverfahren sechs frühere Bawag-Manager hinter Gitter bringen, außerdem den ehemaligen Aufsichtsratspräsidenten, den Wirtschaftsprüfer und einen gescheiterten Investmentbanker.

Helmut Elsner, ehedem Generaldirektor der Bank, muss sich wegen schweren Betrugs, Untreue und Bilanzfälschung verantworten; die Exvorstände Johann Zwettler, Peter Nakowitz, Christian Büttner, Hubert Kreuch und Josef Schwarzecker werden ebenso der Untreue und Bilanzfälschung bezichtigt wie Günter Weninger, langjähriger ÖGB-Finanzchef und Aufsichtsratspräsident der Bawag. Robert Reiter, Wirtschaftsprüfer der damaligen Gewerkschaftsbank, wird Bilanzfälschung zur Last gelegt. Schließlich: Wolfgang Flöttl, Sohn des legendären Bawag-Generaldirektors und Gründer des US-Investmenthauses Ross Capital. Er wird zwar ebenfalls der Untreue verdächtigt, jedoch lediglich als „Beitragstäter“. Am Rande muss sich auch der frühere Konsum-Chef Hermann Gerharter wegen eines angeblichen Geldgeschenks durch Helmut Elsner 2003 verantworten – die Causa hat jedoch nichts mit der Karibik-Affäre zu tun (siehe Kasten „Der Wiedergänger“ auf S. 22).

Die Anklage, vertreten durch Staatsanwalt Georg Krakow, fordert für alle Beteiligten die Höchststrafe von jeweils zehn Jahren. Die Verteidiger, darunter Koryphäen wie Wolfgang Schubert (Elsner), Herbert Eichenseder (Flöttl), Richard Soyer (Weninger) und Gerald Toifl (Zwettler), plädieren allesamt auf Freispruch. Für die Angeklagten gilt bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung ausnahmslos die Unschuldsvermutung. Die Urteile sollen nach vorläufiger Planung am 31. Oktober, dem Weltspartag, verkündet werden.

Zweierlei Maß. Elsner wird zum Verfahren als Untersuchungshäftling vorgeführt – als Einziger. Er war im September 2006 infolge eines internationalen Haftbefehls an seinem Alterssitz in Südfrankreich festgenommen und nach monatelangem Hickhack im Februar dieses Jahres nach Österreich überstellt worden. Die Staatsanwaltschaft vermutete damals „Fluchtgefahr“, weil der an Herzinsuffizienz laborierende Elsner einen Vernehmungstermin in Wien hatte platzen lassen.

Für die übrigen Angeklagten stand eine Untersuchungshaft nie zur Diskussion. Mit einer Ausnahme: Wolfgang Flöttl.

Er ist eine der zentralen Figuren im Bawag-Skandal. Er war es, der zwischen 1998 und 2000 mehr als eine Milliarde Euro von der Bank zur Veranlagung übernommen hatte. Bis heute konnte nicht annähernd geklärt werden, was mit dem Geld der Bank unter Flöttls Verwaltung tatsächlich passiert ist. Fest steht nur: Es ist weg. Flöttl war es auch, der sich den Ermittlungen der Behörden über Monate hinweg entziehen konnte. Möglicherweise mit fremder Hilfe.

Versuche der Staatsanwaltschaft Wien, des Investmentbankers zu einem frühen Zeitpunkt habhaft zu werden, scheiterten kläglich. Bereits am 27. März des Vorjahres – die Ermittlungen standen am Anfang – stellte Staatsanwalt Krakow gemeinsam mit dem mittlerweile strafversetzten Abteilungsleiter Ronald Schön (siehe Kasten „Privatunterricht“ auf S. 20) Antrag auf Erlassung eines internationalen Haftbefehls. Begründung, wie später auch bei Elsner: Fluchtgefahr. Es blieb beim Antrag. Untersuchungsrichterin Gerda Krausam wollte – oder konnte – dem Ansinnen der Staatsanwälte nicht Folge leisten. Die Ermittler wandten sich daraufhin an das Oberlandesgericht Wien, das Krausam den Entscheid zunächst zwar zurückschmiss. Am 3. April 2006 aber wurde die Ablehnung des Haftantrags ein für alle Mal bestätigt. Flöttl blieb auf freiem Fuß.

Der versandete Haftbefehl ist nur eines von mehreren Indizien dafür, dass der Investmentbanker als einziger von neun Beschuldigten fortgesetzt mit Glacéhandschuhen angefasst wurde.

Aber warum?

Seit Monaten halten sich hartnäckig Gerüchte, wonach aus dem Umfeld der früheren ÖVP-BZÖ-Regierung zu Flöttls Gunsten in die Ermittlungen eingegriffen worden sein soll. Im Falle von BZÖ-Chef Peter Westenthaler sind diese mittlerweile sogar erhärtet. Ende August 2006, beim Wahlkampfauftakt des steirischen BZÖ in Lannach, soll Westenthaler den Pressesprecher der damaligen Justizministerin Karin Gastinger ersucht haben, in der Bawag-Causa bei Staatsanwalt Krakow zu intervenieren. Flöttl sollte auf Westenthalers Anregung hin von der Bawag-Anklage „ausgeklammert“ werden und ein „gesondertes Verfahren“ bekommen. Wenige Wochen darauf soll Westenthaler Parteifreundin Gastinger direkt auf Flöttl angesprochen haben. Die frühere Justizministerin bestätigte dies später im parlamentarischen Banken-U-Ausschuss. Zugleich beteuerte sie jedoch, dass die Interventionsversuche allesamt an ihr abgeprallt seien. Westenthaler wiederum will nur versucht haben, eine möglichst „rasche Anklage“ zu erreichen. U-Richterin Krausam sagt zum konkreten Fall nichts. Auf die allgemeine Frage nach Interventionen hält sie ausdrücklich fest: „Gehen Sie davon aus, dass so etwas bei mir grundsätzlich nicht vorkommt. Ich würde Interventionen niemals tolerieren.“

Dennoch: Das bisherige Vorgehen der Behörden wirft gerade im Lichte des beginnenden Prozesses unangenehme Fragen auf.

• Zur Spurensuche:

Flöttl ist der einzige Verdächtige, der keine Hausdurchsuchung im klassischen Sinn über sich ergehen lassen musste. „Nachdem der Haftbefehl nicht durchgegangen ist, hatte es keinen Sinn, eine Hausdurchsuchung anzuordnen“, sagt ein Ermittler. „Flöttl war ja ab diesem Zeitpunkt alarmiert.“ Die mehr als bemerkenswerte Konsequenz: Um überhaupt an Unterlagen zu kommen, mussten Beamte des Bundeskriminalamtes Mitte des Vorjahres die Reise zu Flöttls Domizil in New York antreten – als Bittsteller mit dem höflichen Ersuchen, eine „freiwillige Nachschau“ vornehmen zu dürfen. Was Flöttl den Kriminalisten aushändigte, blieb ihm offensichtlich selbst überlassen.

Im August 2006 wiederholte sich das Spiel auf slowakischem Boden. In der Lobby eines Hotels im Zentrum Bratislavas traf Flöttl im Beisein seines zweiten Rechtsbeistands, Christian Hausmaninger, auf Staatsanwalt Krakow und einen Experten der Finanzmarktaufsicht (FMA). Der Ort war nicht ganz zufällig gewählt. Der Arm der österreichischen Justiz reicht nicht über die Staatsgrenze hinaus. Weshalb Flöttl sicher sein konnte, auch hier wieder nur ausgewählte Informationen preisgeben zu müssen. Warum die Justiz auf diesen Deal überhaupt einstieg, bleibt unklar.

• Zum Bawag-Gutachten:

Die Affäre um dunkle Zahlungsflüsse und manipulierte Bilanzen ist derart komplex, dass das Landesgericht im Vorjahr einen Gutachter beizog: Thomas Keppert, Wirtschaftsprüfer und gerichtlich beeideter Sachverständiger. Er gilt in Bilanzfragen als echter Experte und war in mehrere große Wirtschaftsprozesse der jüngeren Vergangenheit eingebunden. Im Fall der Bawag hätte die Wahl verhängnisvoller kaum sein können, gibt es doch eine manifeste Querverbindung zwischen Flöttl und Keppert.

Der Sachverständige war nach 1991 für den skandalumwitterten Fondsanbieter Amis, vormals AMV, als Steuerberater tätig (siehe auch Kasten „Warten auf Krakow“ auf S. 18). Unter den damaligen AMV-Investoren: Wolfgang Flöttl. Wie sich erst im Verlauf des Banken-Ausschusses zeigte, hatte Flöttl Anfang 1992 eine so genannte stille Einlage in der Höhe von einer Million Dollar geleistet. 1998 schied er aus dem Kreis der Gesellschafter aus, ohne die Einlage zurückzufordern.

Auch Keppert wurde dazu im parlamentarischen U-Ausschuss befragt. Er entschlug sich der Aussage – mit Verweis auf seine Verschwiegenheitspflicht.

Keppert arbeitete seinerzeit also für ein Unternehmen, an dem Wolfgang Flöttl maßgeblich beteiligt war.

Nun sitzt Flöttl auf der Anklagebank – und Keppert tritt als Gutachter auf. „Als das Gutachten beauftragt wurde, war uns die Verbindung zwischen Flöttl, Keppert und Amis nicht bekannt“, so ein hochrangiger Vertreter der Justiz. „Die Optik ist zweifellos nicht die beste.“

Sie dürfte deshalb bereits zu Prozessbeginn Konsequenzen zeitigen. Nach profil vorliegenden Informationen soll Kepperts Expertise auf Drängen einzelner Verteidiger nun durch einen neutraleren Sachverständigen auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Aussichtsreichster Kandidat: der Wiener Wirtschaftsprüfer Gerhard Altenberger. Richterin Claudia Bandion-Ortner soll intern bereits klargemacht haben, dass Keppert in der Causa Bawag keine weiteren Aufträge bekommen werde. Die Richterin gegenüber profil: „Kein Kommentar.“

Mehr noch: Offenbar erwägen die Verteidiger, gleich zu Beginn des Verfahrens eine Reihe so genannter Beweisanträge zu stellen, um mögliche Ungereimtheiten im Vorfeld des Prozesses aufzuklären. Richard Soyer, Strafverteidiger von Ex-Bawag-Präsident Günter Weninger, sagt dazu nur: „Das Keppert-Gutachten müssen wir uns ganz genau anschauen.“

• Zur Aktenlage:

Die Bawag-Anklage ist seit Jahresbeginn 2007 rechtskräftig. Dessen ungeachtet sind essenzielle Dokumente bis heute weder bei der Richterin noch bei den Verteidigern eingelangt. Da die Affäre zu einem nicht unbeträchtlichen Teil in den USA und in der Karibik spielt, sind zahlreiche Belege aus Flöttls Besitz in englischer Sprache abgefasst. Bereits im Sommer des Vorjahres ergingen entsprechende Übersetzungsanträge an das Justizministerium. Die zuständigen Stellen sind mit ihrer Arbeit aber offenbar in Verzug.

Besonders delikat: das bis heute nicht in die Prozessakten eingegangene Vernehmungsprotokoll eines gewissen Kaveh Alamouti. Der in London tätige iranisch-stämmige Investmentbanker wurde 1999 nach vorläufigen Erkenntnissen von Flöttl mit der Gestion eines großen Teils der verschwundenen Gewerkschaftsmilliarden beauftragt. Er könnte somit eine der Schlüsselfiguren für die Lösung des Bawag-Rätsels sein: Flöttl hat sich bisher damit verteidigt, das Geld der Bawag stets in bester Absicht veranlagt zu haben. Das frühere Bawag-Management dagegen beteuert, Flöttl habe die Gelder nur deshalb verloren, weil er sich nicht an Abmachungen gehalten habe. Die Staatsanwaltschaft wiederum vermutet eine Konspiration: Demnach hätte Flöttl die verlustreichen Geschäfte mit ausdrücklicher Billigung des Bawag-Managements getätigt.

Warum also fehlt bei tausenden bereits vorhandenen Gerichtsdokumenten ausgerechnet Alamoutis Einvernahmeprotokoll? Weil es Flöttl belastet?

„Ich werde, so es erforderlich ist, zum gegebenen Zeitpunkt etwaige Verfahrensmängel beanstanden“, so Elsners Anwalt Wolfgang Schubert etwas kryptisch.

• Zu Flöttls Finanzen: Flöttl hat in seinen Einvernahmen mehrfach behauptet, er habe durch die Bawag-Affäre sein gesamtes Hab und Gut verloren. Weil er auch eigenes Geld verspekulierte; weil ihn die Bawag seinerzeit zur Rechenschaft gezogen habe, um zumindest einen Teil der Verluste zu kompensieren. Das kann nicht ganz stimmen.

Wie profil im März dieses Jahres enthüllte, tätigte Flöttl bis ins Vorjahr hinein über die Bank seines Freundes Julius Meinl V. Millionendeals in der Karibik. Es ist derselbe Julius Meinl übrigens, der einst auch Flöttl und Finanzminister a. D. Karl-Heinz Grasser an Bord seiner Yacht begrüßte.

Unfeine Unterschiede. Wolfgang Flöttl muss sich ab 16. Juli vor Gericht verantworten. Er gilt, und das ist die eigentliche Überraschung, aber nicht als Hauptverdächtiger, sondern lediglich als Beitragstäter. Die Staatsanwaltschaft lastet ihm derzeit einen Schaden von gerade einmal 69,7 Millionen Euro an. Das ist zwar auch eine stolze Summe, steht aber in keiner Relation zum Gesamtschaden in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Theoretisch stehen auch auf Beihilfe zur Untreue bis zu zehn Jahre Haft. Tatsächlich kommen Beitragstäter stets glimpflicher davon.

Wurde im Zuge der Ermittlungen am Ende mit zweierlei Maß gemessen?

Hier das ehemalige Bawag-Management um Helmut Elsner, Gottseibeiuns aller Kleinsparer und Gewerkschaftsfunktionäre, der sich dem Prozess bis zuletzt angeblich mit allerlei Mätzchen entziehen wollte.

Dort der stets hilfsbereite Investmentbanker Wolfgang Flöttl, der brav jeder Behördenladung Folge leistete und so ganz en passant immer wieder mit kleinen Politaufregern aufzuwarten wusste. Seine großzügige Spende an SPÖ-Altkanzler Franz Vranitzky etwa: Ende 1998, annähernd zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Politik, erhielt Vranitzky von Flöttl unter konspirativen Umständen eine Million Schilling (72.700 Euro). Vranitzky rechtfertigte den Erhalt des Geldes später mit „Beratungstätigkeiten“ im Zusammenhang mit der Euro-Einführung. Flöttl schwört, dass er von Elsner zu der Zahlung gedrängt worden sei, der Altkanzler in Wahrheit aber keine Leistung erbracht habe. Was Elsner wiederum – zuletzt im Bankenausschuss – als „glatte Lüge“ abtut.

Der frühere Bawag-Chef muss sich der Verhandlung als U-Häftling stellen, weil die Justiz ungeachtet seiner Herzoperation Fluchtgefahr ortet. Anlässlich der letzten Haftprüfungsverhandlung vor mehreren Wochen begründete Richterin Bandion-Ortner die Haftverlängerung unter anderem damit, dass Elsner einen betuchten „Freund“ habe, der ihm zur Flucht verhelfen könnte. Gemeint ist Unternehmer Martin Schlaff. Er hatte für den Exbanker im Herbst des Vorjahres eine Kaution in der Höhe von einer Million Euro gestellt, um ihn vorübergehend aus französischer Haft zu holen. Mag sein, dass Schlaff über Geld und ein eigenes Flugzeug verfügt. Einen der engsten Freunde des amtierenden Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer als potenziellen Fluchthelfer zu titulieren entbehrt dennoch nicht einer gewissen Pikanterie.

Flöttl hingen darf zur Verhandlung als freier Mann anreisen; weil es einen Haftbefehl gegen ihn – aus welchem Grund auch immer – niemals gab. Dass auch er auf Zuruf über einen Privatjet verfügen kann, scheint niemanden bekümmert zu haben.

Von Martin Himmelbauer und Michael Nikbakhsh