"Wir sind nicht aufzuhalten"

Haider destabilisiert die große Koalition

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Jörg Haider mit dem Victory-Zeichen; Jörg Haider inmitten seiner uniform in Kärntnerbraun gehüllten Fraktion als einziger im sportiven Sakko; Jörg Haider, listig lächelnd, vor einem Türschild "Zum Landeshauptmann": Vergangenen Dienstag, eine halbe Stunde vor der Sitzung des neuen Kärntner Landtags, posierte der Triumphator im Hof des Klagenfurter Landhauses für die Fotografen.

Tags darauf nahm er im Parlament die Huldigungen seiner Abgeordneten entgegen. Zu dieser Stunde aber, Mittwoch nachmittag, ist das bislang beeindruckendste politische Manöver des FPÖ-Obmanns bereits gescheitert: Haiders Partner, der Kärntner ÖVP-Obmann Christof Zernatto, hatte sich entschlossen, abzuspringen und den 48 Stunden alten Pakt zu kündigen.

So endete vorerst eines der groteskesten Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte, in dem jeder der Beteiligten heilige Versprechen im 24-Stunden-Takt widerrief, in dem drei unterschriebene Abkommen gebrochen und so ziemlich alle Prinzipien - nicht nur in der Landespolitik, sondern auch auf Bundesebene - über Bord geworfen wurden.

In einem von SPÖ und ÖVP amateurhaft abgespulten Verhandlungsmarathon hätte Haider fast erreicht, was einem Obmann einer 33-Prozent-Partei noch nie vergönnt war:

* die totale Macht in einem Land, dem ein aller wichtigen Kompetenzen entkleideter Landeshauptmann nur noch als Grüß-August vorstehen sollte;

* die vertragliche Zusicherung, in drei Jahren Landeshauptmann werden zu können, sollte die FPÖ dann vor der ÖVP liegen. Derzeitiger Stand: 33 Prozent FPÖ, 23 Prozent ÖVP;

* und vor allem: das Durchbrechen der vom SPÖ-Vorsitzenden Franz Vranitzky und vom ÖVP-Chef Erhard Busek verhängten politischen Quarantäne.

Als es dann nach 48 Stunden mit der Haider-Macht vorbei war, zog der Kärntner ÖVP-Klubobmann Herwig Hofer Donnerstag früh ein bitteres Resümee: "In dieser kurzen Zeit degenerierte Macht zu Brutalität."

"Haiders Leibstandarte", wie der "Kurier" die in Kärnten eingesetzte Buberl-Truppe des FPÖ-Chefs nannte, hatte - obwohl die neue Landesregierung noch nicht einmal formell angelobt war - schnell gezeigt, wie sie sich Politik vorstellt: die Eroberung von Fernsehanstalten, Säuberungen mißliebiger Beamten, Demütigung des kleineren Koalitionspartners, Ausschaltung kritischer Kulturinstanzen.

So schnell ließ noch nie eine Politikergarde die Hosen herunter wie die Haider-Yuppies in Klagenfurt.

Die Maske des H. J. ist seit dessen Machtübernahme in der FPÖ im September 1986 allerdings immer wieder gefallen.

Als die Kärntner Freiheitlichen von 1989 bis 1991 mit der ÖVP regierten, war der Kärntner Parteiführer nicht weniger brutal mit dem Juniorpartner umgesprungen als jetzt: Beschimpfungen im Landtag, Drohungen im Bierzelt. Der frühere ÖVP-Klubobmann Georg Wurmitzer, auch jetzt eines der fünf Vorstandsmitglieder, die gegen den FPÖ/ÖVP-Pakt gestimmt haben, erinnert sich: ",Ungeziefer` oder ,keine Schonzeit für Rot und Schwarz` haben sie uns geheißen." Die ÖVP schluckte schon damals.

Erst sein Ausspruch von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" im Juni 1991 brachte Haider kurzfristig zum Absturz. ÖVP-Chef Zernatto wurde mit Hilfe der SPÖ zum neuen Landeshauptmann gekürt und unterschrieb als Gegenleistung ein Papier, in dem er versprach, das nächste Mal solle die stärkste Partei zum Zug kommen. Haider verschärfte daraufhin seinen Ton und sprach, laut ÖVP-Mann Wurmitzer, von "roten und schwarzen Filzläusen, die mit Blausäure bekämpft werden sollten".

Nach den Landtagswahlen im März 1994 war alles anders. Zernatto, der in Wähler-Umfragen rund acht Prozent über den Werten seiner Partei lag, wollte unbedingt Erster im Lande bleiben. Michael Ausserwinkler, der aus Wien abkommandierte SPÖ-Retter, hatte den Auftrag, für sich und die Partei das Maximum herauszuholen.

Zernatto, schließlich vermeintlicher Sieger im Tanz um Haider, warf sich dem FPÖ-Chef in beispielloser Selbstunterwerfung in die Arme: Nicht weniger als 21 der 31 Ressorts der Landesregierung sollten von der FPÖ kontrolliert werden, je 5 von SPÖ und ÖVP. Ursprünglich war noch Weitergehendes vereinbart gewesen: Erst nachdem das Präsidium der Kärntner ÖVP vergangenen Montag früh mit der nicht gerade beeindruckenden Mehrheit von 6 zu 3 Stimmen den Vertrag bewilligt hatte, gestand die FPÖ Zernatto die Agrarkompetenz zu. Nicht ohne dieses Referat eines wichtigen Inhalts zu entkleiden: Das Spielgeld für die Bauern, der ländliche Straßen- und Güterwegebau, wanderte zu FPÖ-Landesrat Mathias Reichhold.

Die Kärntner Sozialdemokraten, die das Land mehr als 40 Jahre mit eiserner Hand regiert hatten, wurden wie eine Splittergruppe abgefunden: Sie sollten sich um die finanziell ausgezehrten Krankenhäuser kümmern, ihr Sozialreferat wurde um die entscheidende Familienkompetenz reduziert. Zudem wurde den Roten nur noch Bergwacht, Natur- und Tierschutz, Smogalarm und "Wegefreiheit im Bergland" zugestanden.

Alle Schlüssel-Abteilungen beanspruchte Haider für die FPÖ: Wirtschaft und Finanzen, Gemeinden und Schulen, Kultur und Sport, Jugend und Bauwesen. Die schwarz-blauen Vorstellungen über die Machtverteilung wurden der SPÖ vergangenen Dienstag zwei Stunden vor der Landtags-Konstituierung per Fax mitgeteilt.

Die ÖVP, der "nur der Landeshauptmann" blieb (Haider), sollte bald erfahren, daß auch sie vom neuen alten Bündnispartner geringgeschätzt wurde.

Dienstag früh, 15 Stunden nachdem Zernatto mit Haider vereinbart hatte, gemeinsam die Inhalte des Abkommens der Öffentlichkeit zu präsentieren, trat Jörg Haider im Penthouse des Wiener Hotels "Plaza" vor die Presse. Im dunkelgrauen Jackett, ganz Staatsmann, machtbewußt und gnädig zugleich, aber auch der alte Haider, der seine Gegenspieler als Tölpel hinstellt. "Ich habe mir auch nicht vorstellen können, daß die ÖVP alles aus der Hand gibt, nur um den Landeshauptmann zu kriegen", höhnte der blaue Führer.

In Richtung SPÖ feixte er: "Da mußte man doch zugreifen. Ausserwinkler hat ohnehin die Krankenanstalten gekriegt." Und: "So mächtig, wie die FPÖ mit ihren Regierungsreferaten jetzt ist, war nicht einmal die SPÖ in der Zeit der Alleinregierung." Für ihn, so kostete Haider seinen Triumph aus, sei der Pakt auch zeitlich sehr günstig. Nach drei Jahren könne er disponieren, ob er als Kanzler nach Wien oder als Landeshauptmann nach Kärnten gehe.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Freiheitliche alles erreicht, wovon er nach seinem Rausschmiß als Kärntner Landeshauptmann vor drei Jahren, nach dem Flop des Anti-Ausländer-Volksbegehrens Anfang 1993 und dem darauffolgenden Absprung der Liberalen um Heide Schmidt nur träumen konnte: Das Erfolgsprinzip Vranitzkys schlechthin - Haiders Ausgrenzung - unglaubwürdig gemacht; die kleinkoalitionäre Fraktion in der Volkspartei zu neuem Leben erweckt und damit den Ausgrenzer Busek empfindlich geschwächt; für Zwist in der großen Koalition am Vorabend der EU-Volksabstimmung gesorgt; persönliche Rache an Zernatto für die Abwahl-Schmach genommen. Haider war wieder im Spiel, nicht zuletzt, weil er die Macht-Versessenheit von SPÖ und ÖVP richtig kalkuliert hatte.

Es ging ihm mit Blick auf die Bundespolitik während des Kärntner Verhandlungspokers offensichtlich nur um das eine: zu beweisen, daß er nicht länger ausgegrenzt werden kann. Von seinem früheren Partner Zernatto forderte er in der letzten Verhandlungsphase Unterwerfungsgesten. Der ÖVP-Obmann hatte noch am Abend der Landtagswahlen verkündet: "Es wäre inkonsequent, jemanden zu wählen, den man einmal abgewählt hat." Nun verlangte Haider, Zernatto müsse öffentlich eingestehen: "Auch Haider ist als Landeshauptmann denkbar." Das tat der Schwarze dann auch.

Auch in der SPÖ kam die Strategie der Ausgrenzung empfindlich ins Wanken. Dort war ein Pakt im Gespräch, der Ausserwinkler für fünf Jahre und dann den Kandidaten der stärksten Partei zum Landeshauptmann gemacht hätte.

"Der hätte auch Jörg Haider heißen können", gab SP-Verhandler Anton Leikam im "ORF-Inlandsreport" zu. Kanzler Vranitzky, so der FP-freundliche Sozialdemokrat (siehe Kasten Seite 21), sei damit schon einverstanden gewesen. Etwa zwei Drittel des Kärntner Parteivorstands waren in dieser Verhandlungsphase von einer Rückeroberung des Landeshauptmannes derart berauscht, daß sie eine solche Vereinbarung mit dem Brandstifter akzeptiert hätten.

Eine Kehrtwendung der SPÖ-Spitze wurde erst nach dem Europa-Parteirat Donnerstag vorvergangener Woche eingeleitet. Diskussionen innerhalb des SP-Regierungsteams bewegten Vranitzky zum Handeln. "Wenn Ausserwinkler mit Hilfe der FPÖ gewählt wird", argumentierte ein Minister, "hat Vranitzky im Wahlkampf den Scherben auf. Dann trommelt Haider das Ende der Abgrenzung."

Am selben Abend tagte in Klagenfurt die mittlerweile legendäre rot-blaue Brunello-Runde. Die Fernsehbilder - beschwingte Politiker inmitten leerer Rotweinflaschen - mobilisierten die Parteibasis in Wien und Klagenfurt. Die Parteizentralen mußten Dutzende empörte Anrufe entgegennehmen.

Die Meinung der einfachen Mitglieder über die fröhlichen Zecher war verheerend. Für zusätzliche Unruhe sorgte, daß die Verhandlerrunde am frühen Morgen über die neue FPÖ-Forderung nach einer Teilzeitlösung diskutiert hatte. Michael Ausserwinkler hatte sich danach zwar entschlossen, seinem Vorstand am Montag vorzuschlagen, die Verhandlungen mit der FPÖ abzubrechen, in der Wiener Zentrale herrschte dennoch blanke Angst, die Süd-Genossen könnten Haider doch noch auf den Leim gehen, zumal der FP-Chef nach der Rotwein-Nacht im Kreise von Journalisten nicht mit großen Tönen sparte: "Ich habe nur sehen wollen, wie weit sie kriechen, wenn sie mich brauchen."

Im Kanzler-Büro war fortan Feuer am Dach. Vranitzky eilte am nächsten Tag zu einem Krisentreffen ins steirische Niklasdorf und verbat seinen Genossen jegliche Vereinbarung mit der FPÖ.

Aber auch in der Haltung gegenüber der ÖVP blieb der Kanzler hart: Zernatto solle nicht von der SPÖ gewählt werden. Vranitzky ging davon aus, daß der amtierende Landeschef mit Haider nie und nimmer einen Vertrag schließen würde. ÖVP-Generalsekretär Wilhelm Molterer hatte diese Fehleinschätzung Vranitzkys mit einer deutlichen Aussage verstärkt: "Die ÖVP betrachtet die FPÖ unter Jörg Haider weiterhin als nicht pakt- und partnerschaftsfähig."

Ausserwinkler hatte so keinen Spielraum. Und Zernatto hatte sich von Anfang an die Einmischung der Bundespartei verbeten. Daß Wiener Zentrale und Busek den blauäugigen Kärntner nicht vom Zusammengehen mit Haider abbringen konnten, überrascht kaum. Beim letzten Parteivorstand stand einer nach dem anderen auf, um Zernatto Tips für die Verhandlungen zu erteilen. Der Landeshauptmann bedankte sich artig und erklärte, er werde in jedem Fall das tun, was er für richtig erachte. Seine Begründung: Kärnten ist anders.

Zumindest diese Beurteilung traf ins Schwarze. Blamabel für alle Beteiligten, als ein Geheimvertrag nach dem anderen in der heißen Phase der Verhandlungen ausgespielt wurde. Zernatto mußte sich das von ihm unterschriebene Papier mit SPÖ-Chef Peter Ambrozy aus dem Juni 1991 vorhalten lassen. Wenige Tage zuvor hatte der VP-Landeschef die Existenz eines solchen Abkommens noch rundweg geleugnet.

SP-Verhandlungsführer Michael Ausserwinkler wiederum stolperte post festum beinahe über ein von ihm unterfertigtes Papier, das er sogar seiner Partei und dem eigenen Verhandlungsteam verschwiegen hatte: Schon am 8. April hatte er Christof Zernatto per Unterschrift für eine verkürzte Periode die Wahl zum Landeschef zugesichert, wenn die ÖVP das nächste mal einen Sozialdemokraten wählt, sollte die SPÖ stärkste Partei bleiben.

Jeder spielte mit falschen Karten. Vorvergangenen Samstag war Zernatto vor SPÖ-Verhandlern bei einem Abendessen im oberitalienischen San Daniele noch in langen Monologen über den blauen Führer hergezogen. Genau acht Tage später unterwarf er sich ihm.

Haider profitierte von dieser Trickserei, stolperte aber im allerletzten Moment - im Siegestaumel - über sich und seine N.A.Z.I.-Brigaden (Copyright Klagenfurts FPÖ-Vizebürgermeister Reinhard Gaugg: Neu. Attraktiv. Zielstrebig. Ideenreich).

Zum ersten ernsten Eklat der neuen Brüder kam es Mittwoch vormittag vergangener Woche. FP-Mann Reichhold hatte für Donnerstag zu einer Pressekonferenz geladen. Thema: "Regierungserklärung" - seit jeher ein Vorrecht des Landeshauptmanns. Zunehmend brachen dann auch andere Dämme. Haiders Vize, Jörg Freunschlag, designierter Kulturlandesrat, verkündete ohne Absprache mit dem Partner, er werde dem politisch unbequemen Klagenfurter Stadttheater keine ausreichenden Mittel mehr zuschießen.

Auch die personelle Machtübernahme der FPÖ nahm überfallsartige Formen an: Landesschulratspräsident Hartmann Glantschnig (ÖVP) sollte durch die FPÖ-Dame Renate Wintermann ersetzt werden. Der Chef des Wirtschaftsförderungsfonds, Wolfgang Bulfon (SPÖ), sollte dem Unternehmer Wolfgang Röhrs, einem bekannten Haider-Freund, weichen. Der Spitze der Landeselektrizitätsgesellschaft KELAG richtete Haider aus, sie solle sich "langsam einen neuen Job suchen".

Auch im Regierungsgebäude in Klagenfurt brach im Laufe des Mittwochs Panik aus. "Ab Morgen habt ihr Habtacht zu stehen", habe ihm ein Sekretär von FP-Landeshauptmannstellvertreter Matthias Reichhold beschieden, berichtete ein Mitarbeiter der Finanzabteilung verstört. Jörg Freunschlag wiederum ließ Listen über die neuen Beamten seines Kultur-Ressorts anfertigen.

Zernatto verbunkerte sich derweil im Büro des Landeshauptmanns und telefonierte mit ÖVP-Granden aus ganz Österreich. Zwischen ständig neuen Demütigungen durch die FPÖ trafen den Kärntner auch heftige telefonische Vorwürfe von Parteiobmann Erhard Busek.

Besonders erbost war die ÖVP darüber, daß ein Teil des FPÖ/ÖVP-Vetrages überhaupt das Licht der Welt erblickt hatte: Jene Passage, "wo drinsteht, daß in der zweiten Legislaturperiode die stärkste Partei - und sei es Jörg Haider - mit unserer Hilfe zum Landeshauptmann gewählt wird", sagt ÖVP-Politiker Wurmitzer, "hätte nie in der Öffentlichkeit breitgetreten werden dürfen."

Vergangenen Mittwoch um 10 Uhr vormittag empfing Zernatto einen alten Bekannten: Während Michael Ausserwinkler angeschlagen in den Seilen hing und sich auf die Sitzung mit seinem erbosten Parteivorstand vorbereitete, konnte Vorgänger Peter Ambrozy das tatenlose Zuwarten nicht länger ertragen. Die SPÖ, signalisierte der Rote dem ehemaligen Partner, sei weiter gesprächsbereit. Zernatto winkte noch ab.

Am Nachmittag eskalierte die Situation: FPÖ-Klubobmann Martin Strutz hatte die ÖVP ultimativ aufgefordert, sie möge bis Donnerstag 18 Uhr einen Teil der Räumlichkeiten ihres Landtagsklubs der FPÖ übergeben. Andernfalls würde die FPÖ in der wenig später beginnenden Landtagssitzung Christof Zernatto nicht zum Landeshauptmann wählen.

Im VP-Sekretariat in der Klagenfurter Bahnhofstraße waren inzwischen besorgte Meldungen aus Gemeinden eingetroffen, wonach örtliche FP-Mandatare allzu forsch die Machtübernahme zelebriert hätten.

Als Ambrozy am frühen Abend abermals bei Zernatto vorsprach, war dieser absprungbereit. Zernatto hatte bis dato nur einen kleinen Kreis in seine spektakulären Pläne eingeweiht: Landesparteigeschäftsführer Klaus Wutte, den Klagenfurter Parteiobmann Harald Scheucher, den zufällig im Parteihaus anwesenden VP-Seniorenbund-Chef Stefan Knafl sowie den ebenfalls nur hereingeschneiten Veldener Bürgermeister Valentin Petritsch. Jörg Haider informierte der Seitenwechsler bloß in einem knappen Telefonat.

Während Christof Zernatto das Platzen des Pakts im "ZiB-Abendstudio" begründete, hatten die Klagenfurter ORF-Mitarbeiter ein Erlebnis der neuen Art: Eine Kohorte hochrangiger FP-Funktionäre - angeführt von Reichhold, Freunschlag, Klubobmann Strutz und Gaugg - drang ins ORF-Haus ein und verlangte die Teilnahme Reichholds an der Abendsendung. Als der Trupp an der Studiotür aufgehalten wurde - Sendungsleiter Elmar Oberhauser hatte aus Wien beschieden, er leite ja keine Wunschsendung -, polterte einer der Eindringlinge: "Ihr könnt uns nicht aufhalten - wir sind nicht aufzuhalten."

Jetzt war die Zeit der Wendehälse gekommen. Praktisch dieselben ÖVP-Funktionäre, die Haider 1989 zum Landeshauptmann gekürt und ihn 1991 abgewählt hatten, stimmten vergangenen Montag mit einer 80-Prozent-Mehrheit für den abstrusen Pakt mit der FPÖ, um ihn zwei Tage später einhellig und empört wieder aufzukündigen.

Die Parteizentralen in Wien hatten knapp vor dem Platzen der politischen Bombe noch fleißig Propaganda betrieben. Im SPÖ-Parlamentsklub wurde das Gespenst eines "Bürgerblocks" an die Wand gemalt; das Kabinett von Vizekanzler Erhard Busek wiederum stellte anfragenden Journalisten gerne eine Kopie des die SPÖ kompromittierenden Zernatto/Ausserwinkler-Abkommens zur Verfügung.

Als dann in Wien die Nachricht vom Ende der kurzen blau-schwarzen Liaison eintraf, war alles wieder anders: Natürlich, so der Tenor der Großkoalitionäre, müßten SPÖ und ÖVP nun auch in Kärnten auf das engste zusammenarbeiten.

Und in der Volkspartei verzogen sich die alten Kleinkoalitionäre urplötzlich. Keine Rede mehr vom "Vertrauensvorschuß" (Steiermarks Landeshauptmann Josef Krainer), den man dem Kärntner VP/FP-Bündnis gewähren müsse. Im Gegenteil: Franz Schausberger etwa, ÖVP-Klubchef in Salzburg, hatte nach dem schwarz-blauen Schulterschluß in Klagenfurt auch die bürgerliche Bundesoption offenhalten wollen. Jetzt argumentiert er: "Es geht nicht mit dem Haider. Das ist auf lange Sicht vorbei." Nur noch ÖAAB-Chef Josef Höchtl glaubt öffentlich unverdrossen an Haiders Pakt- und Lernfähigkeit (siehe Interview Seite 20).

Wenige aktive Politiker wollen zugeben, daß mit dem Kärntner Trauerspiel nicht nur dem FPÖ-Führer eine Niederlage bereitet wurde, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Koalition gelitten hat. Der ÖVP-Abgeordnete Günther Stummvoll: "Der Politik insgesamt wurde schwerer Schaden zugefügt. Jetzt herrscht der Eindruck vor, Politik ist gleich Postenschacher."

Vergangenen Donnerstag trat der betrogene Betrüger Haider in Wien auf und wollte gleich aufs neue schachern. Sein letztes Angebot: Die ÖVP könne gerne alle Agenden der FPÖ haben, wenn sie dafür den Landeshauptmann hergebe.

Mit müden Augen eröffnet Jörg Haider dann jenes Spiel, mit dem er glaubt, auch weiterhin punkten zu können: Er sei einem "Diktat aus Wien" zum Opfer gefallen und werde jetzt in der EU-Frage "die Gangart verschärfen".

Haider will den Termin der EU-Volksabstimmung am 12. Juni zu Fall bringen und damit die große Koalition neuerlich destabilisieren. Seine Mannen gingen vergangene Woche im Parlament mit ersten kleinen Scharmützeln an die Umsetzung dieser Strategie. SPÖ-Klubchef Willi Fuhrmann reagierte nervös und herrschte die Oppositionspolitiker an: "Reden wir doch deutsch: Sie haben ihre Gutachten, wir haben unsere, und wir ziehen die Sache durch."

Die Angst ist berechtigt
Die FPÖ hat es tatsächlich in der Hand, den Termin der Volksabstimmung am 12. Juni platzen zu lassen. "Wenn man es wirklich darauf anlegt", weiß Parlamentspräsident Heinz Fischer, "und alle Verzögerungsmöglichkeiten ausnützt, kann sich das ausgehen."

Auch wenn es Haider bestenfalls gelingt, das Referendum um eine Woche nach hinten, auf den 19. Juni, zu verschieben - neuerliches Chaos wäre programmiert.

Dem Kärntner Chaos entkam die große Koalition nur durch Zufall. Der fatalistische SP-Chefverhandler Michael Ausserwinkler hatte seiner Partei vergangenen Dienstag geraten, der Wahl Zernattos schon bei der konstituierenden Sitzung des Landtages zuzustimmen. Er sehe keine Chance mehr, den schwarz-blauen Pakt aufzubrechen. Alte Partei-Hasen wie Ex-Obmann Peter Ambrozy überredeten den Geschockten erst im letzten Moment, die Landeshauptmann-Wahl wenigstens um zwei Tage hinauszuzögern.

Erst das machte Christof Zernattos Aha-Erlebnis möglich.

Herbert Lackner, Andreas Weber, Christa Zöchling
"profil" Nr. 17/1994 vom 25.4.1994