„Wir werden jeden Tag besser“

Interview mit Herbert Demel, Fiat -Vorstandschef

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profil: Herr Dr. Demel, Sie haben kürzlich die Geschäftszahlen für das zweite Quartal 2004 präsentiert und dabei gegenüber dem Vorjahr einen deutlich höheren Verlust bekannt gegeben.
Demel: Die Zahlen des zweiten Quartals sind quasi deckungsgleich mit 2003.
profil: Nun, ein paar Millionen schlechter sind sie dennoch. Sind das Zahlen, die den angekündigten Turnaround widerspie-geln?
Demel: Klingt nicht so und ist trotzdem ein Zeichen dafür. Wir haben ein erstes Quartal gehabt, das eindeutig in die richtige Richtung zeigt. Das zweite Quartal war durch einen relativ dicken Streik, der mit knapp 50 Millionen Euro zu Buche schlug, belastet. Und es gab auch einige Einmaleinflüsse wie Garantierückstellungen. Wenn Sie das erste Halbjahr insgesamt anschauen, sind wir sogar besser als im Vorjahr. Das gilt auch für den Cash Flow.
profil: Die Konzernführung hat das Erreichen der Gewinnschwelle für die Autosparte nun aber von 2005 auf 2006 verschieben müssen.
Demel: Operativ ja, netto nein.
profil: Macht Sie das nicht nervös, dass der vor Ihnen liegende Berg offenbar doch steiler sein könnte als ursprünglich angenommen?
Demel: Nein, das entspricht nicht meiner Natur. Wir arbeiten, sind eindeutig besser geworden und werden weiterhin jeden Tag besser.
profil: Sie haben jetzt eine neue Managementstruktur bei Fiat geschaffen. Der Chef der Gewerkschaft hat kürzlich alle bisherigen Sanierungspläne als Flop bezeichnet. Ist bisher tatsächlich alles schief gelaufen?
Demel: Gewiss nicht. Fiat war im Jahr 2002 wesentlich besser als 2001 und wiederum 2003 besser als im Jahr davor. Wir befinden uns eindeutig auf dem richtigen Weg: von einer groben Verlustposition Richtung Break-even.
profil: Was sind denn die wichtigsten Dinge, die bei Fiat in zwei Jahren anders sein werden als jetzt, die eine Voraussetzung für den Break-even darstellen werden?
Demel: Zuerst einmal eine geänderte Verhaltensweise durch bessere, flachere Strukturen, wie wir sie jetzt in unserer neuen Matrix-Führungsstruktur geschaffen haben. Zudem schnellere Entscheidungsflüsse, eine wesentlich stärkere Orientierung an Ausführung und Umsetzung. Damit hängt auch eine mentale und tatsächliche Internationalisierung zusammen. Und letztlich sind es einige neue Modelle, die vor der Tür stehen und die Palette so erneuern, dass die Voraussetzungen für den Turnaround geschaffen werden.
profil: Welche Modelle sind das?
Demel: Es wird sowohl bei Fiat als auch bei Alfa und Lancia einige interessante neue Modelle geben.
profil: Das ist ja nun nicht sehr konkret.
Demel: So sind wir. Journalisten wollen immer wissen, was in fünf Jahren sein wird, und wir können und wollen nur sagen, was heute ist, und grob umreißen, was morgen sein wird.
profil: Was wird denn grob sein?
Demel: Das hab ich Ihnen ja gerade gesagt.
profil: Nur zu sagen, dass Sie gelegentlich neue Autos auf den Markt bringen werden, das ist nicht einmal grob umrissen.
Demel: Mehr werden Sie aber jetzt nicht erfahren.
profil: Eines der gravierendsten Probleme von Fiat ist der Umstand, dass neue Modelle bislang kaum etwas an der Tatsache geändert haben, dass die Fahrzeuge als wenig zuverlässig gelten. In diversen Pannenstatistiken schneidet Fiat regelmäßig ziemlich schlecht ab.
Demel: Das kommt sehr darauf an, welche Statistik man heranzieht. Wenn man sich jene ansieht, die objektiv vergleichen, liegen wir gar nicht so schlecht. Wir gehören sicher noch nicht zu den Besten, aber auch nicht zu den Schlechtesten. Unsere qualitative Realität ist heute weit besser als im Bewusstsein der Kunden angekommen.
profil: Selbst wenn Ihnen das auf der technischen Ebene tatsächlich gelingt, wird es erheblich länger dauern, bis sich auch das diesbezügliche Image von Fiat ändert.
Demel: Jedes neue Produkt der letzten zwölf Monate hat unsere Imageposition verbessert, und wir werden dafür sorgen, dass sich dies fortsetzt. Wenn Sie Kundenmeinungen einholen, sehen Sie, dass die mittlerweile wieder ganz zufrieden sind mit uns.
profil: Fakt ist jedenfalls, dass die Marktanteile von Fiat in den vergangenen Jahren sukzessive gefallen sind.
Demel: Unbestritten war das viele Jahre hindurch so. Bei Fiat wurde viele Jahre wenig in die Produktentwicklung investiert. Nach einer Periode der Diversifizierung fokussiert sich der Konzern wieder ganz auf die Autosparte, und die Investitionen liegen zumindest auf Wettbewerbsniveau. In diesem Jahr sind wir volumenmäßig so stark gewachsen wie kaum ein anderer vergleichbarer Hersteller.
profil: Was sind denn Marktanteilsgrößen, die Sie für notwendig und machbar halten?
Demel: Nennen Sie einen Markt!
profil: Sagen wir: Westeuropa, die alten EU-Länder.
Demel: Dann sage ich 8,5 Prozent. Heute liegen wir bei 7,5 Prozent. Diese Steigerung sollte in drei Jahren möglich sein.
profil: Sie haben selbst wiederholt das Problem der zu starken Abhängigkeit vom italienischen Markt angesprochen. Wo liegt denn der Fokus im Wachstum für die nächsten Jahre?
Demel: Wir konzentrieren uns sicher auf Europa, wenngleich nicht nur auf die alten EU-Länder, sondern die EU in ihrer heutigen Größe. In Italien wollen wir unsere Position zumindest verteidigen ...
profil: Die derzeit bei einem Marktanteil von etwas unter 30 Prozent liegt.
Demel: Das wird sicher ein Ziel sein. Und in der EU-neu sind sicher neun bis 9,5 Prozent möglich. Und ein Thema werden für uns sicher auch Südamerika, die Türkei und China.
profil: Wenn wir schon bei der Geografie sind: Ein nicht ganz unwichtiger Markt wären natürlich die USA. Gibt es dahin gehend irgendwelche Bestrebungen?
Demel: Es gibt keine konkreten Beschlüsse dazu, aber Alfa Romeo in den USA auf den Markt zu bringen ist sicher eine Option, die in unseren Hinterköpfen präsent ist.
profil: Mit welchem Zeithorizont?
Demel: 2006 könnte ein realistisches Datum für eine diesbezügliche Entscheidung sein.
profil: Fiat war über Jahrzehnte der Kleinwagenhersteller per se. Zuletzt haben Sie aber viel Terrain an andere Marken, vor allem Japaner und Koreaner, verloren. Und nun hat VW angekündigt, einen neuen Kleinwagen, den Sie ja bestens kennen, um unter 10.000 Euro herauszubringen.
Demel (lacht): Ich weiß nicht, was Sie meinen ...
profil: Na, den Fox haben Sie doch seinerzeit als Chef von VW do Brasil entwickelt. Damals trug das Projekt noch den Namen Tupi. Und jetzt macht Ihnen Ihre eigene Erfindung Konkurrenz.
Demel: C’est la vie! Fiat beherrscht 50
Prozent des Kleinwagensegments. Da sind wir eindeutig Könige. Auch der neue Panda übertrifft mit über 280.000 Bestellungen in den ersten elf Monaten unsere Erwartungen. Im Segment des Punto liegen wir auf Platz vier. Erst bei etwas größeren Modellen wie dem Stilo sinkt unsere Marktdurchdringung dann eindeutig. Daran müssen wir sicher noch arbeiten.
profil: Fiat bemüht sich schon seit Jahren um die so genannte Golf-Klasse – mit eher überschaubarem Erfolg.
Demel: Der Golf ist noch immer ein hervorragendes Auto und verdient seinen Erfolg. Aber auch der Golf verkauft sich nicht mehr so leicht wie früher.
profil: Aber der Fiat Stilo ist schon ein besonderes Problemkind.
Demel: Wenn Sie die ursprünglich beim Produktionsstart ins Auge gefassten Stückzahlen meinen, dann haben Sie zweifellos Recht. Wenn Sie aber nicht das angepeilte, sondern das tatsächlich realistische Potenzial betrachten, dann liegen wir mit dem Stilo gar nicht so schlecht.
profil: Welche Strategie verfolgen Sie nun?
Demel: Erstens: Wir werden unsere Produktpalette weiter kontinuierlich erneuern und erweitern. Zweitens: Wir werden unser Wachstum vorwiegend außerhalb Europas erzielen. Drittens: Wir konzentrieren uns auf ein besseres Service-Angebot von Händlern und Werkstätten. Und viertens: Wir wollen unseren Marken wieder mehr von dem gewissen Etwas geben, die „Italianità“ im Auto sichtbar machen.
profil: Ein wichtiger Punkt wird doch auch die Reduktion der Anzahl der unterschiedlichen Fahrzeugplattformen sein, damit die Fertigungskosten gesenkt werden können. Wo liegt da die Latte?
Demel: Wir haben derzeit 15 Plattformen und wollen diese in den kommenden fünf, sechs Jahren auf sieben reduzieren. Wir werden sicher früher oder später Panda, Seicento und Uno zusammenführen. Gleiches gilt für Punto, Idea, Musa, Ypsilon sowie für Palio, Siena, Marea. Wenn alles umgesetzt ist, dann hätten wir auf diesen drei Plattformen bereits zwei Drittel des Volumens. Wir haben bei den leichten Nutzfahrzeugen bereits seit langem eine Kooperation mit Peugeot, die wir erweitern wollen, und werden in Zukunft auch Produkte gemeinsam mit Suzuki entwickeln.
profil: Die Zusammenführung auf weniger Plattformen macht ja nicht zuletzt deshalb Sinn, weil man einige Fertigungslinien auflassen und Mitarbeiter abbauen kann. Wie wollen Sie das denn der Belegschaft und den Gewerkschaften beibringen?
Demel: Gar nicht, oder zumindest nicht in grausamen Größenordnungen. Fiat Auto fertigt mit 46.000 Mitarbeitern rund zwei Millionen Autos. Fiat hat kein Beschäftigungsproblem. Unser großes Manko war die Positionierung der Marken, die Kundenbetreuung und ein zu hohes Maß an technischer Diversifizierung.
profil: Einige vorübergehende Werksschließungen wurden aber bereits angekündigt.
Demel: In Italien ticken die Uhren diesbezüglich völlig anders. Hier zahlen alle Unternehmen in einen Topf ein, und wenn es zu Produktions- oder Arbeitszeitkürzungen kommt, werden die Mitarbeiter zum Großteil aus diesem Topf entlohnt. Hier ist also das Herausschneiden einer Produktionswoche nicht vergleichbar mit derartigen Aktionen in anderen Ländern.
profil: Die Kosten müssen aber runter, wenn nicht über Kündigungen, dann über Lohnsenkungen. Und mit solchen Aktionen haben Sie es in Italien mit den traditionell starken und streikbereiten Gewerkschaften sicher schwerer als in anderen Ländern.
Demel: Ich bezweifle, dass sich die italienischen Gewerkschaften von den deutschen oder österreichischen wesentlich unterscheiden. Meine bisherige Erfahrung zeigt, dass die italienischen Arbeitnehmer durchaus leistungswillig sind.
profil: Bei den künftig geplanten gemeinsamen Plattformen wird es außerdem sehr wichtig sein, die emotionale Positionierung der jeweiligen Marken klar herauszuarbeiten. Wie wird diese denn aussehen?
Demel: Fiat wird eine Produktfamilie sein, die als Volumensmarke positioniert ist, aber wieder eindeutig italienisch sein muss. Und diese Palette soll vom Panda bis zur Mittelklasse reichen.
profil: Eine neue Limousine als Nachfolger für den Croma ist also fix geplant?
Demel: Ich habe nichts von einer Limousine gesagt.
profil: Also ein Mittelklassefahrzeug. Wann wird es das geben, und haben Sie schon einen Namen dafür?
Demel: Wir werden das Fahrzeug in etwa einem Jahr präsentieren. Und der Name steht noch nicht fest.
profil: Und diese gesamte Fiat-Palette wird wohl preislich ein wenig unter den klassischen deutschen Fabrikaten liegen.
Demel: Ja, davon können Sie ausgehen.
profil: Wie wollen Sie Lancia und Alfa Romeo positionieren?
Demel: Lancia soll weiterhin ein markantes Design zeigen, luxuriös und dennoch weiterhin erschwinglich sein. Und für Alfa Romeo bleibt die Devise: Sportlich, sportlich, sportlich!
profil: Es gibt so schöne Skizzen von einem Alfa C8. Wird der irgendwann Realität?
Demel: Ich gehe nicht davon aus.
profil: Um wirtschaftlich agieren zu können, braucht man natürlich auch entsprechend große Stückzahlen. Die haben Sie ja noch nicht für alle Marken.
Demel: Das geht natürlich nur, wenn wir es schaffen, uns wirklich richtig international aufzustellen.
profil: Seit vier Jahren ist General Motors an Fiat beteiligt, ebenso lange läuft ein Joint Venture in der Motoren- und Getriebefertigung. Dieses läuft bislang sehr erfolgreich, über die Zukunft der Eigentümerstruktur herrscht aber Uneinigkeit. Wie weit kann dies die Zusammenarbeit beeinträchtigen?
Demel: Die Eigentümerstruktur ist ausschließlich Sache der Aktionäre.
profil: Wenn es dort aber wegen der bestehenden Option der Fiat-Eigentümer, ihre Aktien an GM zu verkaufen, auch wenn die Amerikaner das eigentlich gar nicht wollen, zu Streitigkeiten kommt, wird das wohl auch das Joint Venture beeinträchtigen.
Demel: Bis jetzt hatte es keinen Einfluss. Und wenn die Menschen vernünftig miteinander umgehen, wird das auch so bleiben.
profil: Fiat hat die Synergien aus der 50:50-Partnerschaft mit 600 Millionen Euro beziffert. Es gibt aber Kritiker, die meinen, GM würde mehr profitieren.
Demel: Das ist wie in einer Lebensgemeinschaft. Sobald man dort anfängt aufzurechnen, wer mehr davon hat, ist man zum Scheitern verurteilt. Sagen wir, es läuft für beide gut.
profil: Ist die Änderung der Gruppenfreistellungsverordnung für Fiat eher Segen oder Problem?
Demel: Sie ist ein Faktum, mit dem wir leben müssen.
profil: War sie nicht vielmehr ein Vorteil für Sie? Sie konnten die neue rechtliche Basis nützen, um die Verträge neu zu verhandeln und die Margen zu drücken.
Demel: Die Gruppenfreistellungsverordnung hat das Ziel, den freien Wettbewerb zwischen Automobilherstellern
und Händlern zum Vorteil der Kunden zu verstärken. Mehr Wettbewerb führt im
Allgemeinen zu höherer Leistungsorientiertheit und selten zu höheren Margen, weder der Händler noch der Automobilhersteller.
profil: Durch die erfolgte Umstrukturierung der Führungsstruktur haben Sie nun mehr Zugriff auf die Marken Fiat, Lancia und Alfa Romeo. Den auf Ferrari und Maserati verwehrt man Ihnen scheinbar.
Demel: Den hatte ich nie.
profil: Aber Sie haben durch die Änderung nun deutlich mehr Macht und natürlich auch Verantwortung.
Demel: Da ging es nicht darum, mir mehr Macht einzuräumen, sondern die Macht darunter gleichmäßiger zu verteilen. Die unternehmerische Verantwortung im mittleren Management muss gesteigert, die Teambildung gefördert, die Geschwindigkeit der Entscheidungen und deren Umsetzung beschleunigt werden.