Graue ­Theorie

Wirtschaftskammer. Der Pensionsfonds erweist sich als schwarzes Loch

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Die Entscheidung fiel dem Mann 1997 relativ leicht. Wofür er auch optieren würde – um seinen Ruhegenuss brauchte er sich in keinem Fall Sorgen zu machen. Bleibt er im alten System, stehen ihm am Ende seiner Berufslaufbahn 23.126 Euro zu; wechselt er ins neue, kann er mit exakt derselben Summe rechnen. So stand es, schwarz auf weiß, auf dem „Pensionskassenangebot“, welches die Wirtschaftskammer ihrem Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre vorgelegt hatte. Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Heute weiß der Pensionist: Er schlug den falschen Weg ein – jenen in eine Sackgasse namens Pensionskasse.

Die Zusagen, die die Wirtschaftskammer Österreich langjährigen Mitarbeitern 1999 gab, waren das Papier nicht mehr wert, auf dem sie standen. Die Organisation steht heute vor den Trümmern ihrer Pensionssysteme, deren Reparatur sie teuer zu stehen kommen wird. Die Realität ließ auch eine Ideologie in sich zusammenbrechen: An die Idee, wonach über den Kapitalmarkt üppige Zusatzrenten zu erzielen seien, glauben heute nicht einmal mehr die eigenen Funktionäre. Tatsächlich ist das Finanzierungsloch, das die Wirtschaftskammer in den nächsten Jahrzehnten füllen wird müssen, um ein Vielfaches größer als bisher zugegeben. Laut einem Bericht der Wirtschaftsprüfungskanzlei KPMG bräuchte der Pensionsfonds der Wirtschaftskammer schon jetzt zusätzlich 360 Millionen Euro, um die Renten der Anspruchsberechtigten abdecken zu können.

Wie berichtet, hat die Kammer zwei Pensionssysteme. Mitarbeiter, die bereits vor 1997 in der Interessenvertretung tätig waren, konnten im alten System bleiben, das ihnen 70 Prozent ihres zuletzt bezogenen Gehalts garantierte. Ihre Ansprüche sollten über einen Pensionsfonds abgesichert werden. Für alle anderen wurde eine Pensionskasse eingerichtet, die – so versprachen es zumindest die Hochrechnungen Ende der Neunziger – so viel Rendite abwerfen würde, dass ebenfalls mit einem Ruhegenuss gerechnet werden konnte, der einer „Beamtenpension“ gleichkommt.

Heute stehen beide Vorsorgemodelle unter Wasser.

Wie profil in der Vorwoche berichtete, hat der Pensionsfonds seit 2005 über 130 Millionen Euro an Substanz abgebaut. Wie es dazu kommen konnte – damit wollten die zuständigen Herren in der Kammer erst nicht so klar herausrücken. Als profil vorvergangene Woche um eine Erklärung bat, wurde wortreich die Finanzkrise beklagt, welche, als der Fonds eingerichtet worden war, noch nicht absehbar gewesen sei. Man habe aber „verantwortungsvoll veranlagt“ und sich „an alle Vorgaben“ gehalten, sagte Josef Moser, zuständiger Vorstand für den Pensionsfonds und die Pensionskasse der Kammer.

48 Stunden später war alles anders. In einer Aussendung vom Wochenende revidierte die Kammer die von ihr getroffenen Aussagen: „Der Großteil des Kapitalabflusses erklärt sich vor allem daraus, dass der Fonds laufend Pensionen auszahlt, andererseits aber immer weniger Beiträge einfließen“; die Veranlagungsverluste würden sich lediglich auf 15 Millionen Euro belaufen.

Offenbar wollte man den Eindruck, wonach hier „ein paar Kämmerer vor sich hin dilettiert hätten“ (Moser), nicht auf sich sitzen lassen. Dann schon lieber die Wahrheit – wenn auch nur die halbe. Denn wie sehr man sich bei der Dotierung des Fonds verspekuliert hat, davon gibt der profil vorliegende „Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 2010“ des Pensionsfonds eine Ahnung. Dieser wurde von der KPMG durchgeführt und im März dieses Jahres abgeschlossen. Dem Papier zufolge müsste das „versicherungsmathematische Deckungskapital“, das der Fonds benötigt, um 1500 Anspruchsberechtigten (knapp hundert davon sind noch aktiv) 70 Prozent ihres Letztbezugs im Alter zu garantieren, jetzt schon bei 678,9 Millionen Euro liegen. Nun wies der Pensionsfonds Ende 2010 lediglich 310,9 Millionen (inklusive Bilanzgewinn 318,7 Millionen) aus. Somit beläuft sich der Fehlbetrag schon mit Jahresende 2010 auf 350 Millionen Euro. Dies allerdings nur unter der – aus heutiger Sicht irrealen – Annahme, dass künftig jährlich 7,5 Prozent Veranlagungsgewinn erwirtschaftet werden. Andernfalls würde der Deckungsbedarf weiter nach oben klettern.

Eine astronomische Summe also, die die Wirtschaftskammer „nie aufbringen“ könne, sagt Josef Moser: „Der Fonds wird diese Deckung nie erreichen.“ Jene 678,9 Millionen Euro wären „der versicherungsmathematische Idealfall, um 1500 Anspruchsberechtigten Pension bis zum Tod zahlen zu können“. Der Fonds sei aber „nicht darauf ausgerichtet, ausfinanziert zu sein. Das können wir nicht.“

Der Optimismus, mit dem 95 Körperschaften der Wirtschaftskammer 1999 Vermögen in den Fonds gescheffelt haben, wurde von der Realität offenbar empfindlich gedämpft. Immer mehr Organisationen zahlen die Renten mittlerweile lieber aus dem laufenden Budget. Gut möglich, dass sie, so Moser, tatsächlich dem Kapitalmarkt misstrauen; gut möglich auch, dass sich damit die in homöopathischen Einzelbeträgen ausbezahlten Pensionen, die sich am Aktivgehalt orientieren, besser verschleiern lassen. Denn wie viel die Kammerorganisationen jährlich für „Altpensionen“ zahlen, will Moser „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht sagen.

Die Rechnung der Versicherungsmathematiker von Pagler & Pagler, auf deren Angaben sich die KPMG stützt, lässt freilich einen Umkehrschluss zu: Die Kammer wird in den nächsten Jahrzehnten jedenfalls rund 680 Millionen Euro – das Vermögen des Fonds eingerechnet – stemmen müssen, um allein den mit Einzelverträgen abgesicherten Ansprüchen von 1500 Mitarbeitern nachzukommen. Und diese garantieren nun einmal 70 Prozent des Letztbezugs als Pension.

Dazu kommen noch geschätzte 150 Millionen Euro, die die Kammer langfristig dem zweiten Vorsorgemodell für Mitarbeiter, der Pensionskasse, zuschießen muss, um die Verluste der dort veranlagten 4500 Mitarbeiter abzumildern. Den Vorgaben entsprechend wird deren Gebarung ebenfalls jährlich von einem Sachverständigen, in diesem Fall von Helmut Holzer, überprüft. Diesem Bericht zufolge hat es die Kasse seit 2006 verabsäumt, Schwankungsrückstellungen aufzubauen. Diese sind gesetzlich vorgeschrieben, um etwaige Verluste bei der Veranlagung – welche in weiterer Folge Kürzungen bei den Pensionen nach sich ziehen – abzufedern. 2006 lag die Schwankungsrückstellung noch bei zwölf Millionen. Diese wurde damals aufgelöst, um massive Einbußen bei rund 500 Zusatzpensionen zu verhindern. Seit 2007 kann diese Vorsorge nicht mehr aufgebaut werden, obwohl sie laut Vorstandsbeschluss mit zehn Prozent des Vermögens festgesetzt sein sollte. Damit schlugen die Verluste auf die Pensionen durch: 2008 mussten die Renten um 18,7 Prozent gekürzt werden, 2009 gab es ein minimales Plus, 2010 mussten wieder 5,5 Prozent abgezwackt werden.

„Wie will die Kammer aus diesem Dilemma wieder herauskommen?“, fragt Volker Plass, Sprecher der Grünen Wirtschaft. Er vermisst von der Kammerspitze eine „nachhaltige Lösung für die Zukunft“.

Der oberösterreichische Kammerpräsident Rudolf Trauner hat vergangene Woche bereits deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Auf mittlere Sicht sollte sich die Kammer aus dem Pensionskassensystem verabschieden und jeder Mitarbeiter privat vorsorgen.

Ganz alte Schule.