Wirtschaftsstunde

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„Ich kaufe um einen Euro und verkaufe um zwei Euro, und von dem einen Prozent lebe ich“
Traditionelles österreichisches Wirtschaftlichkeitsgesetz

Bis heute wissen nicht einmal Helene Karmasin und Rudolf Bretschneider, ob die ÖsterreicherInnen ihre Minderwertigkeitskomplexe wirklich haben oder nur spielen. In der Sprache des Volkes gefragt: Sind sie so blöd oder tun sie nur so? Wir wollen hoffen, dass es nur ein Trick ist, um die Gegner einzulullen und in Sicherheit zu wiegen, wenn jeder Dritte herumschreit, wir seien der Arsch der Welt.

Selbst Stubenhocker müssten allmählich begreifen, dass es kein friedlicheres Land gibt, ausgenommen vielleicht die Schweiz. Kein schöneres, ausgenommen vielleicht Südafrika. Und keines, das sich im vergangenen Jahrzehnt summarisch besser entwickelt hätte, ausgenommen vielleicht Irland. Pro Kopf der Bevölkerung hat zuletzt auch kein anderes Land so viele aufregende Kunsttempel geschaffen, etwa das Wiener Museumsquartier, das Linzer Lentos, das Kunsthaus Graz und das Salzburger Museum der Moderne.

Dramatisch unterschätzt wird die eigene Wirtschaft. Die Jugendlichen wissen es nicht besser, da moderner Wirtschaftsunterricht in den Grundschulen unbekannt ist. Ich riskierte einmal einen Blick in einschlägige Schulbücher und warf sie als inoperabel sofort wieder zu. Nicht viel besser freilich die erfahrenen Werktätigen, Manager und Unternehmer. Diese leiden weniger unter Wissensmangel. Sie haben nur eine schiefe Optik. Sie sehen nicht unsere relativen Vorzüge im Verhältnis zu anderen Staaten, sondern nur die lange, kalte Wirtschaftsphase, in der alle hoch entwickelten Industriestaaten frieren. Die lustige Yuppie-Zeit der achtziger und halben neunziger Jahre ist wie ein Rückblick in eine sommerliche Kindheit.

Nie zuvor gab es solche Gegenwarts-Frustrationen und Arbeitsplatz-Zukunfts-Ängste. Denn nie zuvor gab es zeitgleich so viele Schatten. Die Staaten versuchen Sozialabbau und Bilanzdisziplin im Rahmen der strengen EU-Richtlinien. Bei den Konsumenten wich Konsumlust dem Angstsparen. Kleinunternehmer fahren ihre Ford-Transit- und VW-Transporter zwei Jahre länger als normal und reparieren sie selbst. Und manche gesunde Multi-Töchter setzen befehlsgemäß den Rotstift an, um die Bilanzen und Karrieren der Top-Manager in den fernen Headquarters zu retten. Dazu erhebt ein Gespenst der siebziger Jahre wieder sein hässliches Haupt: Ölpreis-Inflation. Dies schreckt nicht nur die Autobranche. Auch die Angst vor Stagflation steigt wieder auf, was Konsumlust und Investitionslust weiter bremst.
Diese politischen und betriebswirtschaftlichen Sonderfährnisse spielen zu allem Überfluss in einer Übergangssituation der Volkswirtschaft. Kurz wiederholt, da schon früher beschrieben: die Transfers von Handarbeit zur Kopfarbeit, von analog zu digital, von lokal zu global und die gleitende Ablöse der Kondratieff’schen Führungsbranche: von der bisher dominierenden High-Tech- (Datenverarbeitung, Telekommunikation, Unterhaltungselektronik) zur Freizeit-Wellness-Fun-Economy. Jeder dieser Übergänge ist verbunden mit Kinderkrankheiten und Reibungsverlusten.

Wo soll bei dieser Problemfülle eine Hoffnung herkommen? – so lautete die Frage bei zwei Vortragsveranstaltungen (Xerox in Wien und Volksbank in Wr. Neustadt).
Erstens: Die Rettung kommt eben aus dieser Fülle. Mehr ist nicht denkbar. Eine Sache nach der anderen wird sich einschleifen. Die Maschine wird immer runder laufen, zunächst graduell, dann progressiv.

Zweitens: Vermutlich wird sich zuerst der Investitionsstau der Unternehmen auflösen. Ab einem bestimmten Alter kommt eine neue Maschine billiger als eine alte. Investitionszuwächse haben multiple positive Wirkungen auf Arbeitsmarkt, Haushaltseinkommen, Individualkonsum und die Geschäfte nachgelagerter Dienstleister – ein Schneeballeffekt.

Drittens: Bereits jetzt wächst heimlich eine Produkt-Innovations-Welle. Man will für den unvermeidlich kommenden Aufschwung gerüstet sein. Besonders krass gilt dies für die führenden Lokomotiv-Branchen. Thermen, Hotellerie, Therapie und Pharmazie sind kreativer denn je. Schwierige Zeiten sind geistig fruchtbare Zeiten. Das Angst-Adrenalin belebt die Sinne. Auch die High-Tech zeigt keine Spur des prognostizierten Einschleifens. Warum auch? Diese Prognose klang immer umnachtet. Neun Zehntel der Analogwelt sind noch nicht digitalisiert. Und die „alten“ Digitalprodukte wie PC, TV und Handy werden ständig verbessert und billiger.

Der Effekt zeigt sich am deutlichsten beim Universal-High-Tech-Anbieter Hartlauer. Die 155 Österreich-Filialen sind ein All-Time-High. Für neue Mitarbeiter und Lehrlinge wurde eine weitere Ausbildungsakademie errichtet. Keine Sekunde zu früh: Die Digitalfotografie zeigte auf der photokina Köln den größten Erneuerungsschub in der 155-jährigen Geschichte der Fotografie. Ähnliches gilt für Gesundheitstechnik wie Brillen und Hörgeräte. Apropos: Es wird endlich auch Videorecorder mit riesigen Festplattenspeichern und DVD-Brennern geben, die jede Oma programmieren kann.

ÖsterreicherInnen können ruhiger in die Zukunft blicken als andere. Alle wichtigen Kennzahlen sind mittlerweile besser als jene des einst übermächtigen Nachbarn Deutschland. Es wird auch so weitergehen. Wir haben in der Problemphase alle Schienen in den Ex-Ostblock verlegt. Sobald es wieder aufwärts geht, können wir dort mit Volldampf fahren, in erstklassigen Business-Waggons. Alle Ausländer, die sich einst einbildeten, sie könnten diesen mentalitär schwierigen Markt von Paris, Frankfurt oder Mailand aus bearbeiten, werden bereuen – und bei österreichischen Bankern um ein Ticket bitten.