Wissenschaft & Spaß: Summa cum gaude

Harvard-Uni feiert ein Spaßnobelpreis-Jubiläum

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Kein Wissenschafter wird, wenn er ehrlich ist, abstreiten, dass er auch zu dem Zwecke forscht, um irgendwann einmal einen Anruf zu erhalten, in dem ein Mitglied eines wissenschaftlichen Komitees höflich und sachlich mitteilt, dass eine Auszeichnung fällig sei. Am begehrtesten sind derartige Anrufe Anfang Oktober; dann könnte der Anrufer nämlich in Stockholm sitzen. Was das bedeutet, weiß jeder: Ruhm, Reichtum und einen Platz in der Galerie der Nobelpreisträger. Aber es gibt auch noch jene Telefonate, die Marc Abrahams von der Universität Harvard alljährlich führt.

Einen solchen erhielt etwa der Psychologe Stefano Ghirlanda von der Universität Bologna vor zwei Jahren. Der Italiener hatte gemeinsam mit Kollegen herausgefunden, dass Hühner und Menschen ein nahezu identes Idealbild von der Gattung Homo sapiens haben: Das Federvieh pickte im Lauf einer langen Versuchsreihe mit vorgelegten Fotos exakt bei jenen Gesichtern intensiver an seinen Körnern, deren Konterfeis auch die Probandinnen und Probanden als begehrenswert schön fanden. Die Studie „Hühner bevorzugen schöne Menschen“ erschien im Fachblatt „Human Nature“. Marc Abrahams entschied, dass diese Arbeit würdig sei, den so genannten Ig-Nobelpreis für interdisziplinäre Forschung zu erhalten – und verstörte Ghirlanda zunächst. „Ich brauchte ein paar Stunden, um zu entscheiden, ob das gut oder schlecht für mich sei“, erzählte der Psychologe später, „und ich kann mir immer noch vorstellen, dass dieser Preis mehr Ablehnungen erfährt als ein echter Nobelpreis.“

Heuer verleiht Marc Abrahams die Ig-Nobelpreise bereits zum 15. Mal, wie immer im ehrwürdigen Sanders-Theater, dem Vorlesungssaal an der Universität Harvard. Und auch wenn stets behauptet wird, dass „Ig“ für Ignatius Nobel stehe, einen mysteriösen Verwandten von Alfred Nobel und Erfinder des Brausepulvers (wobei völlig unklar bleibt, ob er je existiert hat), so wissen doch die meisten, die ihn erhalten haben oder sollen, dass mit dem Kürzel eher das englische Wort „ignoble“ gemeint ist: unwürdig.

Nekrophilie. Auch Kees Moeliker vom Naturgeschichtlichen Museum Rotterdam betrachtete seine Auszeichnung mit dem Biologiepreis zunächst als „zweifelhafte Ehre“ und erst später als „sehr nette Sache“. Zu verdanken hat er sie einer seltsamen Beobachtung vor seinem Arbeitsplatz. Er sah eines Tages, wie eine männliche Stockente gegen sein Museum krachte und tot zu Boden fiel. Kurz darauf kam ein anderer Enterich und begann den Kadaver zu begatten: 75 Minuten lang. Moeliker beschrieb den Vorfall im Fachmagazin des Museums, garnierte ihn mit Ergebnissen anderer Studien, wonach bis zu 20 Prozent aller Entenpaarungen homosexuell verlaufen, und fügte hinzu, dass insgesamt 450 Arten im Tierreich zu diesem Verhalten neigen, er aber der Erste sei, der „homosexuelle Nekrophilie bei Stockenten“ (so der Titel seines Aufsatzes) beobachtet habe.

Ist solche Forschung bloßer Humbug? Stimmt all das, was an Vorurteilen über die Käuze in den Elfenbeintürmen im Umlauf ist? Und treibt, wer solches Tun mit zweifelhaften Preisen ins Rampenlicht stellt, üble Scherze mit der hehren Wissenschaft? Wenn Leute wie der Kölner Biologe Mark Benecke argumentieren, der Spaßnobelpreis (so werden die Ig-Nobelpreise im deutschen Sprachraum meist genannt) zeige doch bloß, wie bunt und lebensnah es im Reich der Forschung zugehe und wozu akademische Tüftler bereit sind, um auch nur „einen Splitter der Welt zu verstehen“, dann mag das noch wie eine Rechtfertigung wirken. Schließlich ist Benecke Mitglied in Abrahams’ Komitee und veröffentlichte gerade ein Buch über Blüten aus dem Labor. Aber hochseriöse Anhänger des akademischen Kabaretts gibt es mittlerweile zuhauf.

Sau rauslassen. Alljährlich marschieren sie zur Verleihung ins Sanders-Theater, verkleiden sich dort als Enten, pusten in Tröten oder turnen mit Hula-Hoop-Reifen, weil einem Forscher gerade ein Preis dafür überreicht wurde, dass er die komplexen Bewegungsabläufe analysierte, die nötig sind, um den Reifen in Schwung zu halten: echte Nobelpreisträger wie Dudley Herschbach (Chemie, 1986), William Lipscomb (Chemie, 1976) oder Richard Roberts (Medizin, 1986). „Die Leute sollen wissen, dass Wissenschafter nicht einfach ein Haufen humorloser Superdeppen sind“, sagt Herschbach über seine Motive, in Harvard ab und zu die Sau rauszulassen. Roberts, seit 1994 Mitglied im Ig-Nobel-Komitee, wünscht sich bei der Harvard-Zeremonie sogar etwas mehr Chaos und Desorganisation: „Das wird mir langsam zu professionell.“

Die Wurzeln der Lust, einmal auch auf akademische Etikette zu pfeifen, liegen, so analysiert Benecke, ganz in der Nähe der Elite-Universität, am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT): „Als die Leute dort in den sechziger Jahren begannen, in Bereiche künstlicher Intelligenz vorzustoßen, mussten sie sich auch mit der Frage auseinander setzen, ob Computer sich zu Persönlichkeiten entwickeln können. Darüber nachzudenken war damals wirklich noch bizarr und komisch. Und so fingen sie an, das Thema nicht mehr bloß blutig ernst zu reflektieren.“ Man könnte es auch so ausdrücken: Die geistigen Koryphäen des MIT machten verrückte Sachen, um nicht verrückt zu werden – und zunehmend häufiger taten das auch Kollegen in aller Welt. „Murphy’s Law“, der aus den vierziger Jahren stammende Klassiker der Spaßwissenschaft, der besagt, dass schief geht, was schief gehen kann – ein Butterbrot also meistens auf die Butterseite fällt –, ist seither in Harvard ebenso lustvoll nachgewiesen worden wie im englischen Newcastle und vielen anderen Universitäten.

Zu den bekennenden Freunden des Spaßnobelpreises zählt mittlerweile auch Al Teich, Vorsitzender der Amerikanischen Vereinigung für wissenschaftlichen Fortschritt, die das anerkannte Fachmagazin „Science“ herausgibt. Nirgendwo werde deutlicher, „dass wissenschaftliche Methoden auch dort angewendet werden können, wo man sie eigentlich nicht für geeignet hält“. Welche Geistesanstrengungen Teich damit meint, lässt sich regelmäßig in den von Abrahams herausgegebenen „Annals of Improbable Research“ (den Annalen der unglaublichen Forschung) nachlesen:

* Da füttern Biologen Venusmuscheln mit dem Antidepressivum Prozac, was deren Vermehrung binnen Kurzem verzehnfacht.

* Eine Psychologin veröffentlicht im Fachblatt „Journal für angewandte Psychologie“ eine Studie über Furzen als Abwehrmechanismus gegen übermäßigen Leistungsdruck.

* Soziologen fällt die Selbstmordrate in Nashville auf, worauf sie Texte oft im Radio gespielter trauriger Songs mit den Suizidmotiven abgleichen und feststellen, dass es eine Korrelation zwischen Countrymusik und Freitod gibt.

* Japanische Meteorologen erforschen in einer siebenjährigen Studie, ob die Flossenschläge von Welsen Erdbeben auslösen können.

* Britische Chirurgen gehen Ungereimtheiten bei der testikularen Asymmetrie an antiken Statuen nach. Warum sind die tiefer hängenden Hoden oft die kleineren? Die aus den Untersuchungen abgeleitete Theorie: Den Künstlern war die griechische Links-rechts-Symbolik wichtiger als die Gravitation. Sie glaubten, dass Söhne aus den rechten Hoden kommen, den größeren und höheren.

Auch wenn solches für Laien absurd wirkt, den Forschern schwebt in den meisten Fällen ein Ziel vor Augen. Australische Wissenschafter zogen nicht einfach zum Spaß massenweise Schafe über verschieden strukturierte Oberflächen, sondern taten dies, um die Schurprozesse in großen Zuchtanlagen zu rationalisieren. US-Chirurgen im Dienste der Navy schoben selbstlos alle Ängste vor Spott und Hohn beiseite, als sie in Reißverschlüsse eingeklemmte Penisse näheren Untersuchungen unterzogen, um Methoden zu entwickeln, die Glieder ohne Traumata zu befreien. Erste und wichtigste Regel: Nur nicht hektisch herumzupfen, das macht alles noch schlimmer. Und als Zoologen erst kürzlich entdeckten, dass Heringe mittels laut klickender Luftblasen kommunizieren, die sie aus dem Anus pressen, brachte das nicht nur Erkenntnisse über das Schwarmverhalten der Fische, sondern erklärte auch, warum Raubwale ihre Opfer so leicht orten können. Ein darwinistisches Dilemma: Die Flatulenz der Fische ist nützlich, kann aber auch lebensgefährlich werden.

Feines Gespür. Ig-Nobel-Zeremonienmeister Marc Abrahams hat mittlerweile ein feines Gespür dafür entwickelt, wie weit er mit den ironischen Preisverleihungen gehen kann, und unterscheidet deutlich zwischen mehr oder weniger würdevoll gescheiterten Zunftgenossen einerseits und andererseits jenen Leuten, die von seinem Komitee dann mit einer ordentlichen Portion Zynismus beziehungsweise Kritik bedacht werden. Wer bloß schwule Enten beobachtet oder das Schönheitsideal von Hühnern studiert, darf den Preis auch ablehnen und ungeschoren davonkommen. Abrahams: „Wir machen uns über diese Leute nicht lustig und fragen jeden, ob ihm eine Auszeichnung beruflichen Schaden zufügen könnte.“

Politischer Charakter. Leute wie Jacques Chirac oder die Staatsoberhäupter von Indien und Pakistan haben dieses Recht nicht. Sie alle wurden bereits für ihre Atombombenversuche mit dem Ig-Friedensnobelpreis bedacht; Chirac sogar mit der ausdrücklichen Begründung, er habe die Tests im Südpazifik gleichsam zur Feier des Jahrestages von Hiroshima angeordnet. „Damit“, sagt Mark Benecke, „bekommt die Veranstaltung auch einen ernst zu nehmenden politischen Charakter. Harvard ist traditionell ein liberales Pflaster.“

Und so drängt sich trotz aller Geheimhaltung vor der ausgelassenen Zeremonie am 6. Oktober bereits ein heißer Kandidat für den diesjährigen Ig-Friedenspreis auf. Erst kürzlich grub Abrahams eine Studie mit dem Titel „Jesus, der strategische Führer“ aus. Autor Gregg F. Martin vom U.S. Army War College beschreibt auf 51 Seiten – angereichert mit zahlreichen Bibelzitaten und baumförmigen Grafiken, welche die Wirkungspyramide illustrieren sollen –, wie der Religionsgründer die Welt veränderte. Martin: „Die genaue Analyse dessen, was er tat und wie er es tat, enthüllt Verhaltensmuster, die auch für moderne strategische Führer äußerst nützlich und relevant sein können.“ Als der Offizier im Jahr 2000 die Handlungsweisen des Gottessohnes erforschte, hatte er den Rang eines Oberstleutnants. Vor wenigen Wochen ernannte ihn US-Präsident George W. Bush bereits zum Brigadegeneral.

Ob die Jesus-Strategie auch heute noch die Welt verändern kann, bleibt weiterhin umstritten. Eine Erfindung, die bereits mit dem Ig-Nobelpreis für Technologie prämiert wurde, hat das in jedem Fall getan. Der Australier John Keogh erfand am 2. August 2001 offiziell das Rad. Weil ihm aufgefallen war, dass sich in Australien noch niemand diese Errungenschaft patentieren lassen hatte, reichte er die Idee ein – und kam damit durch. Jetzt gehört ihm das Patent Nr. AU 2001100012 A4. Die in der Urkunde erwähnte Beschreibung des Geräts lautet: „Kreisförmige Vorrichtung zur Erleichterung von Transporten.“

Von Klaus Kamolz