Preise: Österreichs lokale „Nobelpreise“

Wissenschaftspreise: Preiswürdig

Was haben 10 Jahre Witt- genstein-Preis gebracht?

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Zuerst ist der österreichische Spitzenphysiker Hannes-Jörg Schmiedmayer nach Heidelberg abgewandert, jetzt kommt er zurück. Schmiedmayer, der dieses Jahr den Wittgenstein-Preis zugesprochen erhält, bekommt ein eigenes von der Technischen Universität, Stadt Wien und Siemens gemeinsam finanziertes Labor am Wiener Atominstitut. Der mit 1,5 Millionen Euro dotierte Wittgenstein-Preis wird ihm am Donnerstag dieser Woche im Rahmen einer Festveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen dieser höchsten Wissenschaftsauszeichnung des Landes in der Alten Wiener Universität überreicht.

In seiner Forschungsarbeit versucht Schmiedmayer, verschiedene Elemente der Quantenphysik – Photonen, Ionen, Atome und Festkörper – in einen Atomchip zu packen. Dazu überlegt der einstige Zeilinger-Schüler, „ein Lichtteilchen, ein Quantenbit, via Teleportation in ein Atom zu schreiben und es dann intern in solche Zustände umzubauen, die sich mittels Kernspintomografie in einen Festkörper schreiben und dann wieder herausholen lassen“. Gelänge ihm die Herstellung eines derartigen Atomchips, dann hätte der Forscher für einen zukünftigen Quantencomputer etwa das geschaffen, was der Halbleiterchip für den elektronischen Computer bedeutete.

Schmiedmayers Forschungsarbeit wird am Donnerstag dieser Woche für die breite Öffentlichkeit erlebbar gemacht: Bei der Jubiläumsfeier in der Universitätsaula, zu der die gesamte Riege der 18 bisherigen Wittgenstein-Preisträger erwartet wird, soll es im Rahmen einer „Erlebniswelt Forschung“ auch eine Live-Schaltung in Schmiedmayers Heidelberger Labor geben. Die Besucher der Schau werden an den Quantenexperimenten der Heidelberger Physiker selbst aktiv mitwirken können. Eine zweite Live-Schaltung ist ins

Innsbrucker Labor des Wittgenstein-Preisträgers Rudolf Grimm, „Österreicher des Jahres“ 2005, geplant.

Schwerkraft. Zu den weiteren High-Tech-Attraktionen in den Gewölben der Alten Aula gehört eine Schwebebahn als Beispiel dafür, wie Physik Gegenstände aus den Fängen der Schwerkraft befreit. Der Wittgenstein-Preisträger Ferenc Krausz, ein gebürtiger Ungar, der unter Fachkollegen bereits als Kandidat für den Nobelpreis gilt, wird einen Femtosekundenlaser in Betrieb nehmen. Das dazu nötige Gerät wird serienmäßig von einem Spin-off seiner Forschung, der Wiener Femtolasers Produktions GmbH, erzeugt, eines Unternehmens, das bereits 24 Arbeitsplätze geschaffen hat. Der Mathematiker Peter Markowich wird dem Publikum die „Schönheit und Kraft der Mathematik“ demonstrieren.

Zugleich mit dem 1996 geschaffenen Wittgenstein-Preis wurde auch der Start-Preis für Nachwuchsforscher konzipiert und zum ersten Mal vergeben. Zusammen bilden die beiden Preise jenes Instrument des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), das sich auf besonders leistungsfähige und viel versprechende Einzelwissenschafter konzentriert (siehe Seite 129).

„Den Anstoß gab eine Abendeinladung beim damaligen SPÖ-Wissenschaftsminister Rudolf Scholten“, erinnert sich der frühere FWF-Präsident Arnold Schmidt. „Der Minister wollte neue Vorschläge für den Forschungssektor haben. Und da habe ich die Idee, die im FWF schon lange in der Luft lag, artikuliert.“ Wie wirksam das Verfahren ist, zeigt beispielsweise, dass bei den Start-Preisträgern die Publikationskurve nach Empfang des Preisgeldes zumeist steil ansteigt. Allerdings werden Preisträger immer wieder von ausländischen Forschungsstätten abgeworben – vor allem dann, wenn die hierzulande gebotenen Arbeitsbedingungen nicht stimmen. Vier der bisher 18 Wittgenstein- und zehn der bisher 54 Start-Preisträger forschen mittlerweile nicht mehr in Österreich. Um Start-Leute reißen sich weltweit die Universitäten mit Lehrstuhlangeboten.

Dass nicht einmal der Wittgenstein-Preis einen Lehrstuhl garantiert, bemängelt FWF-Vizepräsidentin Renée Schroeder ebenso wie ihr Kollege Heribert Hirt von den Max-Perutz-Labors. Die beiden international renommierten Biowissenschafter sind Österreich gerade einmal eine Vertragsprofessur wert, erst heuer, befristet auf zwei Jahre, verliehen. Schroeder leistete bahnbrechende Arbeiten zur Erforschung der Ribonukleinsäure (RNA). Aufgrund ihrer Erkenntnisse, wie sich dieser Teil der Erbinformation zu komplexen dreidimensionalen Gebilden faltet, konzentriert sich die Strategie der Antibiotikaforschung heute auf die RNA der Zielbakterien.

Heribert Hirt flirtet bereits mit einer Position an einem Forschungszentrum in Paris: Eigentlich wollte er mit dem Wittgenstein-Geld ein pflanzengenetisches Labor einrichten. Doch „mangels Unterstützung durch die Universität mit Raum und Ausrüstung ließ sich das nicht verwirklichen“, bedauert Hirt. Die Max-Perutz-Labors werden zur Hälfte von der Wiener Medizinuniversität finanziert, und „die anerkennt die genetische Grundlagenforschung an Pflanzen nicht als Priorität, trotz deren Bedeutung für medizinische Wirkstoffe“.

Abgedreht. Von Ambivalenz geprägt ist die Erfahrung der ersten Wittgenstein-Preisträgerin 1996, Ruth Wodak, damals Professorin für Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Aufwändige Feldstudien ihres Teams, zum Teil hinter normalerweise verschlossenen EU-Türen, erzeugten, so Wodak, „ein Wissen über die Kommunikation zwischen EU-Institutionen und Bevölkerungen, das in der EU bereits rezipiert und hoffentlich auch angewendet werden wird“. Enttäuscht von der Uni Wien, die ihr während des Projekts „den Forschungsschwerpunkt abgedreht“ hat, ist Ruth Wodak 2004 einem Ruf nach Lancaster, Großbritannien, gefolgt.

Dass die Preisträger an den Unis nicht immer optimal unterstützt werden, führt der Präsident des FWF, Christoph Kratky, auf strukturelle Probleme zurück: „Die Uni-Rektoren müssen aus knappen Mitteln ständig Ressourcen zuteilen, und da besteht die Tendenz, dort zu investieren, wo die Defizite am größten sind.“ Da die Rektoren wiedergewählt werden wollen, müssten sie auch auf Machtstrukturen Rücksicht nehmen, die nicht unbedingt zugunsten der Besten wirken. Damit es für die Unis lohnend wird, in Bereiche der Spitzenforschung zu investieren, hofft der FWF, demnächst damit den Unis den erhöhten Ressourcenbedarf geförderter Spitzenwissenschafter abzugelten.

Kratky wartet freilich noch darauf, das Geld vom Wissenschaftsministerium zur Verfügung gestellt zu bekommen, um solche Zahlungen tätigen zu können, die in anderen Ländern längst üblich sind. Die Wanderbewegungen der Forscher sieht der FWF-Präsident gelassen: „Wissenschaft ist ein internationales Geben und Nehmen. Einer geht, ein anderer kommt. Hauptsache, unterm Strich stimmt die Rechnung.“

Als nicht einfach austauschbar dürfte sich der Laserforscher Ferenc Krausz erweisen. Krausz macht seine weltweit beachteten Experimente seit 2003 am Max-Planck-Institut in München. „Wie nur konnte Wien einen der Weltbesten ziehen lassen?“, fragt sich Haim Harari, Mitglied des neu geschaffenen Kuratoriums der in Gründung begriffenen Elite-Uni. „Seine Arbeit ist in jeder denkbaren Weise wichtig für Wissenschaft und Wirtschaft. Österreich hätte diesem Mann ein Imperium bauen müssen, damit er bleibt.“

Cluster. Die Forschungsmanager sind sich darin einig, dass ein kleines Land wie Österreich kompetitive Clusters oder Centers of Excellence fördern müsste. Bei der Wahl der Gebiete, so Harari, komme es immer auf die verfügbaren Wissenschafter an: „Am Anfang braucht es mindestens eine erstklassige Person. Wenn die nicht vorhanden ist, dann sollte man sich nicht einmal auf viel versprechende Dinge einlassen.“

Ein Beispiel für einen spontan um einzelne Spitzenforscher entstandenen Cluster ist die Quantenoptik-Gruppe in Innsbruck, die sich mit der Übersiedlung von Anton Zeilinger auch nach Wien fortgepflanzt hat. Der auch in den USA an der absoluten Spitze mitforschende theoretische Physiker Peter Zoller ließ sich 1994 durch das Potenzial der Innsbrucker Gruppe überzeugen, aus Boulder im US-Bundesstaat Colorado, einem Zentrum der Quantenforschung, nach Österreich heimzukehren.

Für den diesjährigen Wittgenstein-Preisträger Hannes-Jörg Schmiedmayer gab jetzt die Schaffung des eigenen Labors im Wiener Atominstitut den Ausschlag. Dazu war nötig, was in Österreich aufgrund seines kleinen wissensbasierten Industriesektors noch allzu selten geschieht: Die Wirtschaft, in diesem Fall Siemens, machte Geld locker. „Wenn Siemens heute für meine Forschung Geld hergibt“, sagt Schmiedmayer, „dann wissen die Leute dort, dass ihre Produkte darauf beruhen, dass sich vor 50 Jahren Leute mit Halbleitern gespielt haben.“

Deshalb, mahnt Herwig Kogelnik, langjähriger FWF-Juryvorsitzender und früherer Photonik-Vizepräsident von Bell Labs in den USA, „muss Österreich sich sehr anstrengen, um auf eine wissensbasierte Industrie umzusteigen“. Österreichs gesamte Forschungsinvestitionen – aktuell knapp sechs Milliarden Euro, davon ein Drittel aus öffentlichen und zwei Drittel aus Wirtschaftsquellen – bewegen sich im Rahmen des Forschungsetats eines großen multinationalen Konzerns. Kogelnik sieht aber einen erfreulichen Aufwärtstrend: Während die Forschungsausgaben im Jahr 2000 noch 1,91 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt betrugen, liegen sie heuer bereits bei 2,43 Prozent.

Ein nicht von außen, sondern durch die Vergaberegeln der FWF-Preise verursachtes Problem besteht darin, dass in den ersten zehn Jahren insgesamt nur fünf Frauen und deutlich weniger Geistes- als Naturwissenschafter zum Zug kamen. Eine Verschiebung der Altersgrenze – vorerst nur beim Start-Preis – soll dem entgegenwirken. Ab 2007 soll das Limit nicht mehr bei 35 Lebensjahren, sondern bei zehn Jahren nach der Promotion liegen. Dadurch hofft der FWF, Kindererziehungszeiten abzufangen und der langsamer ansteigenden Publikationskurve der Geisteswissenschafter entgegenzukommen.

Vor einer Unterbewertung der Geisteswissenschaften warnt der erste Vorsitzende der internationalen Start-Wittgenstein-Jury und frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Wolfgang Frühwald: „Sie sind der Nährboden der Naturwissenschaft. Europa hat in den Geisteswissenschaften einen einzigartigen Vorsprung, und der muss unbedingt gewahrt bleiben.“

Papyrologie. Wie rasant ein kleines Land in einer vernachlässigten Disziplin zuzulegen vermag, zeigt das Beispiel von Bernhard Palme, der heute als Professor für Papyrologie an der Universität Wien arbeitet und lehrt: „Dass mir das Start-Projekt zugeschlagen wurde, hat die Öffentlichkeit erst auf die Existenz der Papyrologie aufmerksam gemacht.“ Ein eigener Lehrstuhl war die Folge. Da die Nationalbibliothek mit der Sammlung Erzherzog Rainer den zweitgrößten Papyrus-Fundus der Welt beherbergt, der noch keineswegs vollständig ausgewertet ist, herrscht erheblicher Bedarf an Palmes Expertise.

Für den Kulturanthropologen André Gingrich bedeutete der Wittgenstein-Preis nach eigenem Bekunden einen „Riesenschritt“ in seiner wissenschaftlichen Karriere. „Für einen Geisteswissenschafter ist das ein ungeheurer Brocken Geld, viel mehr als für Naturwissenschafter, die zwar teure Labors brauchen, denen zugleich aber Drittmittel zufliegen.“ Mit dem Geld baute Gingrich an der Akademie der Wissenschaften eine eigene Abteilung auf, in der sein Team ebenso den Islam in Nordafrika und in Westasien erforscht wie dörfliche Identitäten im buddhistischen Zentralasien oder den Nationalismus im postkommunistischen Südosteuropa.

Als erste Frau und Juristin erhielt Susanne Kalss, Professorin am Institut für Bürgerliches Recht und Handelsrecht an der WU Wien, den Start-Preis. Ausgangspunkt für ihre Forschungsarbeit war die in der EU geltende Ansiedlungsfreiheit für Unternehmen. Die Rechtssituation eines bestimmten Landes kann den Ausschlag dafür geben, ob sich ein Unternehmen dort ansiedeln möchte oder nicht. Um Standortvorteile herauszuarbeiten, ermittelte Kalss in einem EU-Ländervergleich, wie optimale Rechtsvorschriften für Kapitalgesellschaften aussehen könnten. Kalss’ 900 Seiten umfassende Arbeit wird als Grundlage für die Reform des Kapitalgesellschaftsrechts im Brennpunkt des diesjährigen Juristentages stehen, der vom 18. bis 21. Oktober in Graz abgehalten wird.

Originalität zieht sich als roter Faden durch alle ausgezeichneten Projekte. Kaum zu toppen erscheint das „Geisterklavier“ und Forschungsinstrument von Gerhard Widmer. Während sich die Tasten des mit Elektronik vollgepackten Bösendorfer-Computerflügels selbsttätig bewegen, erklingt ein und dasselbe Beethoven-Stück – hintereinander reproduziert im Stil von Alfred Brendel, Friedrich Gulda oder anderen Interpreten. Dazu erscheinen auf einem Monitor so genannte „performance worms“, Übersetzungen der Klänge ins Visuelle, deren unterschiedlich schlängelnde Bewegungen den besonderen Charakter jeder Interpretation deutlich machen – eine singuläre Höchstleistung im Bereich der Artificial Intelligence.

Widmer, Vorstand des Instituts für Computational Perception an der Uni Linz, will mit seinen Methoden „aufdecken, was in der Musik passiert und wie Interpreten Musik zum Leben erwecken“. Viel versprechend sind auch die kommerziellen Anwendungen „intelligenter“ Musikdatenanalyse – beispielsweise im Internet. So hat Widmers Gruppe Progamme entwickelt, die lernen, welchen Geschmack ein Kunde hat, sodass sie ihm entsprechende neue Musikstücke zum Herunterladen empfehlen können.

Von Johanna Awad-Geissler