Wo Sie schneller sterben

Wo Sie schneller sterben: Fatale Mängel machen den Herztod zu einer Ortsfrage

Herztod wird zur Ortsfrage

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Eigentlich hätte es ein spannender Fußball­abend vor dem Fernseher werden sollen. Für das WM-Spiel Deutschland gegen Argentinien hatte sich Franz-Josef R. bereits auf den Heimweg gemacht, als er einen Druckschmerz in der Herzgegend verspürte. „Zu Hause habe ich mich hingelegt, aber der Druck in der Brust wurde immer stärker“, berichtet der heute 52-jährige Wiener Lehrer. Schließlich rief R. den Notarzt, der ihn aufgrund des EKGs sofort ins nahe Wiener Wilhelminenspital einwies. Dort sollte sich der Verdacht bestätigen: Vorderwandinfarkt. Franz-Josef R. überlebte. Doch nicht in allen Fällen geht die Geschichte so glimpflich aus. Jährlich sterben in Österreich etwa 6000 Menschen an einem Herzinfarkt. Das entspricht acht Prozent aller Sterbefälle. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind mit 32.000 jährlichen Sterbefällen (44 Prozent) nach wie vor die Todesursache Nummer eins in Österreich. Das ist im EU-Vergleich überdurchschnittlich hoch. Vor allem bei Frauen werden Symptome oft unterschätzt oder auch von Medizinern schlichtweg nicht erkannt. Die Gründe für einen Herzinfarkt oder eine andere Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems liegen vor allem in einer ungesunden Lebensweise.

Durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren, die durch Stress, Bluthochdruck oder Nikotin begünstigt werden, kommt es zur Gefäßverkalkung. Dabei lagern sich unter anderem Blutfette wie Cholesterin in der Gefäßinnenwand ab. Irgendwann reißt die Wand auf, sodass sich an der lädierten Stelle innerhalb von Minuten rote Blutplättchen absetzen und ein Gerinnsel bilden, welches das Gefäß verengt oder sofort verschließt. Der Herzmuskel, der nun nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird, kann zwanzig Minuten ohne bleibende Schäden weiterschlagen. Danach beginnt das Gewebe abzusterben. „In dieser Zeit schafft man es aber nie, das Gerinnsel zu lösen“, erklärt Anton Laggner, Leiter der Notfallambulanz im Wiener AKH. Auch treten oft erst nach dieser Zeit die ersten Schmerzen auf. Wichtig ist, dass der Patient sofort die Rettung ruft, da Minuten über sein Überleben entscheiden können. Laut den aktuellen, von der European Society of Cardiology (ESC) erstellten Richtlinien sollte ein Infarktpatient innerhalb von neunzig Minuten nach dem ersten Arztkontakt in einem Herzkatheterlabor behandelt werden, um optimal versorgt zu werden.

Da aber Herzkatheterlabors nicht über­all verfügbar und die vorhandenen Labors häufig zur Nachtzeit und am Wochenende nicht besetzt sind, können Zeitpunkt und Standort des Patienten über Leben und Tod entscheiden. Im tiefen Nieder- und Oberösterreich oder im hintersten Alpental sind die Überlebenschancen freilich geringer als im vergleichsweise gut versorgten Wien. Aus Kostengründen weigern sich Gesundheitspolitiker in vielen Regionen, eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung sicherzustellen. Die bestehenden Zentren, die auch außerhalb der regulären Zeiten Dienst versehen, sind überlastet, und Katheterärzte machen sogar im Wiener AKH mitunter 48 Stunden ohne Schlaf durch. Das Resultat: Vom Tod bedrohte Patienten werden mit fataler Fahrlässigkeit versorgt.

Zivildiener. Wie profil-Recherchen ergaben, kommt vor allem am Land in vielen Fällen ein mangelhaft ausgebildetes Rettungspersonal zum Einsatzort, bis endlich der Notarzt folgt. Oft sind es Zivildiener, die unter Bruch des Sanitätergesetzes mit Blaulicht durch die Gegend rasen. Aber selbst Ärzte sind oft nicht in der Lage, einen Herzinfarkt einwandfrei zu diagnostizieren. Von fünf Herzinfarktpatienten, die profil über Vermittlung des Österreichischen Herzverbandes kontaktierte, berichteten drei, dass ihr Infarkt selbst im Krankenhaus nicht entdeckt wurde. In einem Fall einfach deshalb, weil der Oberarzt der Kardiologie auf Urlaub war. In einem anderen Fall wurde der Patient wegen vermeintlicher Magenprobleme behandelt. Der Infarkt wurde erst Jahre später diagnostiziert. Eine im Vorjahr im „New England Journal of Medicine“ publizierte Studie kommt außerdem zu dem Schluss, dass die Mortalitätsrate bei jenen Herzinfarktpatienten signifikant höher liegt, die am Wochenende im Spital aufgenommen werden, wenn die Katheterzentren auf Notbetrieb heruntergestuft sind. Die Forscher hatten die Daten von mehr als 231.000 Patienten durchforstet, die im Zeitraum 1987 bis 2002 mit der Diagnose Herzinfarkt in Spitälern des US-Bundesstaates New Jersey aufgenommen wurden. Dabei zeigte sich, dass das Sterberisiko deutlich geringer ist, wenn der Patient rechtzeitig einer Herzkatheterbehandlung unterzogen wird.

Bei dieser Behandlungsmethode wird durch die linke Arm- oder Beinarterie mithilfe eines besonders biegsamen Drahtes ein Ballon ins Herz geführt und an der verengten Gefäßstelle aufgeblasen, um so das Gerinnsel zu beseitigen. Da aber die Zeitrichtlinie spätestens für die neunzigste Minute bereits das Aufblasen des Ballons vorsieht und vom Eintreffen des Krankenwagens bis zu diesem Punkt etwa eine halbe Stunde vergeht, bleibt für den Transport zum Katheterlabor weniger als eine Stunde. Erhält der Patient nicht innerhalb dieser neunzig Minuten einen Katheter, so wird als Ersatz eine so genannte Lysetherapie vorgezogen. Diese stark blutverdünnende Injektion kann bereits vom Notarzt verabreicht werden, ist aber wegen der Gefahr unerwünschter Blutungen – etwa im Gehirn oder bei Magengeschwüren – nicht in jedem Fall anwendbar. Außerdem zeigt die Therapie bei einem Drittel der behandelten Patienten nicht die gewünschte Wirkung.

Der Katheter hingegen bleibt nur bei zehn Prozent der Eingriffe wirkungslos. Er gilt in jedem Fall als optimale Behandlungsmethode, beispielsweise auch deshalb, weil er im Fall eines Versagens der Lysebehandlung als Rettungsanker gilt. Durchschnittlich vergehen vom ersten Auftreten der Schmerzsymptome bis zur Ballon-Dilatation vier Stunden. Bei dem Eingriff wird in die verengte Koronararterie auch ein so genannter Stent, ein schlauchförmiges Gitternetz, eingesetzt, das einen neuerlichen Gefäßverschluss verhindern soll. Im Jahr 2006 wurden in Österreich 19.263 Herzkatheterbehandlungen durchgeführt, die durchschnittlichen Kosten pro Eingriff betragen 4960 Euro.

Vergleichsstudie. Laut einer vom Hannoveraner Gesundheitsökonomen Ernst Bruckenberger im Vorjahr durchgeführten, altersbereinigten Vergleichsuntersuchung starben im Jahr 2006 in Nieder­österreich um 57 Prozent und in Ober­österreich um 53 Prozent mehr Patienten pro 100.000 Einwohner an einem Herzinfarkt als in Wien.*) Auch im Burgenland und in Tirol starben überdurchschnittlich viele Menschen an einem Herzinfarkt. Viel besser hingegen schnitten außer Wien auch die Bundesländer Salzburg und Vorarlberg ab. Bei einem Vergleich mit Deutschland schneidet Österreich aber insgesamt deutlich schlechter ab. In Wien kann ein Patient mit 80 Minuten sogar unter der von der ESC vorgeschriebenen Zeit behandelt werden. Oder besser gesagt: könnte. Denn nicht jedes Krankenhaus, das über ein Katheterzentrum verfügt, ist rund um die Uhr besetzt. Gründe dafür liegen in den erheblichen Personalkosten. In Wien hat beispielsweise außerhalb der gewöhnlichen Dienstzeiten von 8 bis 15 Uhr immer nur ein Katheterzentrum mit einem Team einen 24-Stunden-Anwesenheitsdienst. Dieser rotiert während der Woche zwischen der Rudolfstiftung, dem SMZ-Ost, dem Krankenhaus Hietzing, dem Wilhelminenspital und dem Hanusch-Krankenhaus.

Das AKH-Team steht außerhalb der regulären Dienstzeit immer in Bereitschaft – was allerdings bedeutet, dass die Kardiologen im Notfall erst gerufen werden müssen, wobei lebensnotwendige Zeit verloren geht. Für die sechs bis zehn Herzinfarktfälle, die in Wien pro Tag auftreten, bedeutet das, dass im schlimmsten Fall zwei Patienten gleichzeitig im Zentrum eintreffen. Der behandelnde Arzt steht somit vor einer unangenehmen Entscheidung: Welcher von beiden soll zuerst behandelt werden? Wie im Katastrophenfall werden die Patienten dabei beinhart nach bestimmten Kriterien abgeklopft: Wie alt ist der Patient, welche Krankheiten oder wie viele Herzinfarkte hatte er vorher und – wie hoch stehen seine Überlebenschancen? Jener mit der höchsten Überlebenschance bekommt als Erster den Herzkatheter. Herzinfarktopfer Franz-Josef R. berichtet: „Ich lag eine schwache Stunde im Wilhelminenspital, bis der Katheterplatz im Hanusch-Krankenhaus, das an diesem Freitag Dienst hatte, frei war. Die Lysetherapie, die man mir einstweilen verabreicht hat, hatte leider nicht die gewünschte Wirkung, weshalb es bei mir sogar zu Herzstillständen kam und ich defibrilliert (Anm.: mit Elektroschocks behandelt) werden musste.“

An Wochenenden ist die Situation in Wien noch dramatischer, denn dann ist nur das Katheterlabor im AKH mit einem Team im 48-Stunden-Dienst besetzt. Ein einzelner Kathetereingriff dauert etwa zwei Stunden. Bei durchschnittlich zehn Patienten pro Tag, also zwanzig pro Wochenende, finden sich für den behandelnden Kardiologen kaum Ruhepausen, wie AKH-Kardiologin Irene Lang berichtet: „Wir haben zwar gelernt, uns kurz hinzulegen, aber zum Schlafen komme ich bei so einem Dienst manchmal gar nicht.“ Außerdem werden aus Kostengründen auch weniger dringende Fälle eingeschoben – was sich dann bei Eintreffen eines akuten Infarktes als problematisch erweisen kann. „Beim Flugverkehr wäre so etwas nie möglich“, kommentiert Lang die Belastung der diensthabenden Kardiologen. Deshalb werden bereits seit Längerem Stimmen laut, die am Wochenende ein zweites Team für das AKH oder eben die Besetzung eines zweiten Katheterlabors in einem anderen Wiener Spital fordern. Die übrigen Wiener Krankenhäuser sollen dabei wie unter der Woche an Samstagen und Sonntagen einen wechselnden 24-Stunden-Dienst etablieren, damit die 48-Stunden-Dienste wegfallen und nur noch akute Fälle behandelt werden, um so für eine bessere Herzinfarktversorgung zu sorgen.

Doch trotz manchmal auftretender Engpässe gilt das vor etwa zehn Jahren initiierte Wiener Netzwerk österreichweit als Vorbild: Immerhin konnte dadurch die Sterberate bei unter 75-jährigen Patienten ohne Anzeichen eines Herzstillstandes von 16 auf acht Prozent halbiert werden. Das Ziel von zwei Prozent ist aber noch lange nicht erreicht. In der Bundeshauptstadt erhalten bereits zwei Drittel der Herzinfarktpatienten innerhalb der vorgeschriebenen 90 Minuten einen Katheter. „Am Land herrscht eine andere Struktur, daher können dort Transportzeiten zwei bis drei Stunden betragen. Nur 30 bis 35 Prozent erhalten innerhalb der vorgeschriebenen Zeit einen Katheter, der Rest wird lysiert“, erklärt Kurt Huber, Chefkardiologe am Wiener Wilhelminenspital und Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft. Ursache der Verzögerung sind aber nicht allein die langen Anfahrtswege zu einem diensthabenden Katheterzentrum, sondern vor allem logistische Probleme.

Freiwillige. Verfügt Wien über eine städtische Rettung, so wird dieser Dienst am Land von nichtstaatlichen, gemeinnützigen Organisationen wie dem Roten Kreuz oder dem Samariterbund bestritten. Diese Institutionen werden jedoch nicht nur von professionellen Berufssanitätern, sondern vor allem von engagierten Freiwilligen oder Zivildienern mit unterschiedlicher Erfahrung und Ausbildung getragen. Zwar ist jeder Rettungswagen mit einem Defibrillator ausgerüstet, der bei einem Herzstillstand auch von ungeschultem Personal angewendet werden soll, doch die Verabreichung von Medikamenten darf nur der Notarzt vornehmen. Dieser befindet sich aber nur im seltensten Fall bereits mit an Bord, wird nachgefordert und trifft oft erst später am Einsatzort ein, was in manchen ländlichen Gegenden mitunter bis zu 30 Minuten dauern kann. Doch auch danach kann auf dem Weg zum Katheterlabor noch viel Zeit verloren gehen. „Viele Notärzte fahren einfach ihr Stammkrankenhaus an, anstatt gleich direkt mit dem gerade diensthabenden Katheterteam Kontakt aufzunehmen. So kommt der Patient erst mit einem Zweittransport anstatt gleich direkt zu uns“, berichtet Kardiologie-Primar Gerald Zenker vom Landeskrankenhaus Bruck an der Mur. Dazu kommt, dass viele Ärzte oder sogar Notärzte oft kein EKG lesen können, außerdem ist ein Herzinfarkt in 15 Prozent der Fälle auf dem EKG gar nicht erkennbar.

Zwar gibt es spezielle Geräte, die das EKG ins Krankenhaus übertragen können, um dort von einem Kardiologen überprüft zu werden. Während die Wiener Rettung derzeit dabei ist, ihre Krankenwagen mit solchen Geräten auszustatten, gibt es im übrigen Österreich maximal 20 derart ausgerüstete Rettungswagen – bei Kosten von maximal 800 Euro pro Gerät. Oft wird deshalb erst im Krankenhaus festgestellt, ob es sich tatsächlich um einen Herzinfarkt handelt oder nicht. Eine sichere Aussage lässt sich oft erst durch eine Blutanalyse treffen, da der Herzmuskel bei seinem Absterben spezielle Proteine absondert, die einen Infarkt anzeigen. Je nach Auslas­tung des Labors kann die Auswertung mitunter eine halbe Stunde dauern.

Vorschriften. Behördliche Vorschriften verschärfen den Wettlauf mit dem Tod. So darf beispielsweise ein Notarzt aus dem Raum Villach seinen Bezirk nicht verlassen – auch nicht außerhalb der Spitalsdienstzeiten, in denen nur das Landeskrankenhaus Klagenfurt über einen Katheterbereitschaftsdienst verfügt. Der Patient muss zuerst nach Villach und von dort erst nach Klagenfurt gebracht werden. Dabei kann bis zu einer Stunde wertvoller Zeit verloren gehen. „Das sind bürokratische Schildbürgerstreiche erster Klasse“, meint der grüne Nationalratsabgeordnete Kurt Grünewald, selbst praktizierender Internist. Auch Georg Grimm, Kardiologie-Primar am LKH Klagenfurt, meint: „Hier wird Politik auf Kosten des Patienten betrieben.“
Oder ein Beispiel aus Salzburg: Da Zell am See über kein Katheterzentrum verfügt, muss es alle Infarktfälle in andere Spitäler abschieben – bevorzugt dabei aber nicht das ungefähr 30 Kilometer nahe Schwarzach, sondern bringt die Patienten über das deutsche Eck in die 90 Kilometer entfernte Landeshauptstadt. „Dieses Politikum, das es so bestimmt kein zweites Mal in Österreich gibt, ist für mich unbegreiflich“, mokiert sich Hubert Wallner, Leiter des Herzkatheterlabors am Krankenhaus Schwarzach.

Maßnahmen für eine bessere Versorgung hat Otmar Pachinger, Chefkardiologe an der Medizinischen Universität Innsbruck, getroffen. Da es sonst kein Katheterlabor in Tirol gibt, ist gerade hier eine funktionierende Kette nötig. Durch die alpine Landschaft und die schwer erreichbaren Täler in Tirol müssen viele Patienten, darunter zahlreiche Touristen in den Wintermonaten, per Hubschrauber eingeflogen werden. Doch diese Helikopter sind nur bedingt einsetzbar und können bei schlechter Witterung oder in der Nacht nicht starten (siehe Kasten rechts). Bei Straßendistanzen von mehr als 75 Kilometern, die in Tirol leicht zusammenkommen, ist aber das Innsbrucker Katheterzentrum nicht innerhalb von 90 Minuten erreichbar. Deshalb trainiert Pachinger mit Notärzten zweimal im Jahr in Hall, um diesen das richtige Lesen eines Herzinfarkt-EKGs und andere wichtige Kenntnisse näherzubringen.

„Der Notarzt ist der Key-Player, an ihm hängt der gesamte Erfolg oder Nicht­erfolg des weiteren Krankheitsverlaufs“, erklärt der Klagenfurter Chefkardiologe Georg Grimm. Zum Notarzt kann jeder Arzt nach abgeschlossenem Turnus oder jeder Facharzt aufgrund einer kurzen Zusatzausbildung werden. Dass die Rettungssysteme in Österreich noch nicht vereinheitlicht und Notärzte nicht verpflichtet sind, im Fall eines Herzinfarkts sofort mit dem zuständigen Kardiologen Kontakt aufzunehmen und den Patienten direkt ins nächste diensthabende Katheterzentrum zu fahren, regt Gerald Zenker, Chefkardiologe in Bruck an der Mur, maßlos auf: „In dieser Hinsicht ist sogar Tschechien besser als wir.“ Benötigt also Österreich mehr Katheterplätze zum Stückpreis von 2,8 Millionen Euro, bei einer notwendigen Erneuerung alle sieben Jahre? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zwar ist ein Zentrum pro 240.000 Einwohner vorgesehen, doch geht es vor allem um die Verfügbarkeit außerhalb der Dienstzeiten. „Bei uns in Kärnten kommen 60 Prozent der Herzinfarkte am Wochenende oder an Feiertagen“, berichtet Grimm. Das veranschaulicht, wie wichtig der Zusammenschluss mehrerer Katheterzentren zu Netzwerken ist, die ihre Dienste aufeinander abstimmen.

Dienstrad. Derartige Netzwerke gibt es derzeit nur in wenigen Regionen Österreichs. So teilen sich beispielsweise die Katheterzentren der Grazer Universitätsklinik, des LKH Graz-West und des Krankenhauses Bruck an der Mur ihre Nacht- und Wochenenddienste. Doch auch wenn die steirische Landeshauptstadt gut versorgt ist, so ist das Katheterzentrum in Bruck nur von Donnerstag bis Sonntag außerhalb der regulären Dienstzeiten besetzt. Alle Herzinfarktpatienten aus der Obersteiermark müssen ansonsten nach Graz, Patienten aus Mariazell sogar nach St. Pölten transportiert werden. Deshalb wird jetzt darüber diskutiert, ob das Katheterzentrum Bruck künftig während der ganzen Woche besetzt sein soll. Ob für eine solche Ausweitung des Dienstes oder ein neues Katheterzentrum das nötige Fachpersonal zur Verfügung steht, das in jahrelanger Übung die nötige Routine für die schwierigen Eingriffe erworben haben sollte, bezweifelt Pachinger. Der Innsbrucker Chefkardiologe fürchtet im Fall der Aufteilung auf mehrere Zentren um die Qualität der Behandlung: „Das müssen Experten sein, die nichts anderes machen und eine gewisse Fallzahl aufweisen können.“ Als Mindestanforderung gelten international 75 Katheterinterventionen pro Jahr für jeden Arzt sowie 40 Eingriffe bei akutem Herzinfarkt.

Um solche Fallzahlen und auch ein größtmögliches Einzugsgebiet mit den ­dazu nötigen Einwohnerzahlen zu be­kommen, müssten sich mehrere Zentren über Ländergrenzen hinweg zusammen­schließen. Das einzige länderübergreifende Dienstrad existiert seit Mitte des Vorjahrs zwischen den Krankenhäusern Mödling, Wiener Neustadt und Eisenstadt, die einander jedes dritte Wochenende abwechseln. Das heißt allerdings, dass Eisenstadt als einziges Katheterzentrum des Burgenlands immer zwei Wochenenden hintereinander ausfällt. Heinrich Kiss, Chefkardiologe am Schwerpunktkrankenhaus Oberwart, setzt sich dafür ein, dass an seinem Spital ein zusätzliches Katheterzentrum für die Versorgung des südlichen Burgenlands errichtet wird. „Für das nötige Einzugsgebiet müssten wir aber länderübergreifend mit dem südlichen Niederösterreich und der Steiermark kooperieren“, meint der Primar. Derzeit müssen südburgenländische Herzinfarktpatienten nach Graz oder in den Norden nach Wiener Neustadt geschickt werden. Doch wie schwer es ist, eine Zusammenarbeit von Spitälern über Landesgrenzen hinweg zu etablieren, veranschaulicht der Grün-Mandatar Grünewald: „Viele Länder verhindern aus falschem Nationalstolz Kooperationen mit anderen. Bei der Diskussion, ob man Osttirol für eine bessere Gesundheitsversorgung zu Kärnten geben sollte, waren in Tirol alle dagegen.“ Auch in Oberösterreich werden Stimmen laut, dass für die Versorgung der südlichen Landesteile ein weiteres Zentrum notwendig wäre. Vöcklabruck und Steyr haben bereits darum angesucht, die Frage ist, ob Steyr mit Waidhofen an der Ybbs, das ab kommenden Herbst einen Katheterplatz hat, eine Kooperation eingehen wird.

In Niederösterreich bietet nur das Landesklinikum St. Pölten einen ganzwöchigen 24-Stunden-Dienst. Das Krankenhaus Krems, das nachts und am Wochenende nur einen Bereitschaftsdienst eingerichtet hat, ist für die Versorgung des gesamten Waldviertels zuständig. Die Anfahrtszeiten von Zwettl, Waidhofen und Gmünd betragen allerdings schon alleine etwa eine Stunde. Für die Versorgung des Weinviertels wurde heuer im Februar in Mistelbach ein Katheterzentrum eröffnet – das aber noch im Aufbau ist und keine Nacht- und Wochenenddienste hat, was vermutlich auch in Waidhofen an der Ybbs nicht sofort möglich sein wird. Um die Situation der Herzinfarktbehandlung deut­lich zu verbessern, müssten aber auch verlässliche Daten erhoben werden. Die Zahlen der Statistik Austria repräsentieren nämlich nur Patienten, die mit einem akuten Herzinfarkt ins Spital eingeliefert werden. Jene, die bereits auf dem Weg dorthin oder schon davor sterben, sind darin nicht erfasst. Sie machen nach Schätzungen von Experten immerhin etwa ein Drittel aller Herzinfarkttoten aus. Bis auf die Erhebungen einiger weniger engagierter Kardiologen ist die Alpenrepublik auch in diesem Bereich eine Datenwüste. „In Österreich wird es wohl eher genaue Zahlen über alle Hühner und Schafe geben als qualitative Daten des Gesundheitswesens“, vermutet Grünewald.

Von Tina Goebel