Wohnungseinbruch: Auf Biegen & Brechen

Wohnungseinbruch: Auf Biegen und Brechen

Die Polizei bläst zur Jagd auf Einbrecherbanden

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Donnerstag vergangener Woche, halb neun Uhr morgens: An einer Wohnungstür eines Zinshauses in Wien-Leopoldstadt klopft es. Erst leise, dann heftiger. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Zwei verschlafene Augen eines jungen unrasierten Mannes blinzeln verdutzt heraus – direkt in die Mündung einer Dienstwaffe der Wiener Polizei.

Sieben bewaffnete Beamte stürmen die heruntergekommene 60-Quadratmeter-Kaschemme und stehen plötzlich zehn Georgiern gegenüber. Sie finden, was Kriminalisten im Fachjargon eine Bunkerwohnung nennen: die kombinierte Wohn- und Geschäftsadresse einer gewerbsmäßigen Einbrecherbande. Unter Matratzen lagern Uhren, Schmuck, Bargeld und Digitalkameras. In den Matratzen selbst entdecken die Ermittler einschlägiges Spezialwerkzeug, um fremde Wohnungstüren im Akkord zu öffnen. Die zehn Georgier werden festgenommen. Für die Beamten beginnt die Uhr zu laufen. Gelingt es ihnen nicht, innerhalb von 48 Stunden die sichergestellte Beute einem der hunderten Wohnungseinbrüche der vergangenen Wochen zuzuordnen oder eine Straftat nachzuweisen, müssen sie die Verdächtigten wieder auf freien Fuß setzen.

An diesem Donnerstag hat die Exekutive wie so oft in jüngster Zeit Großkampftag. Seit dem Morgen patrouillieren Streifen- und Zivilbeamte verstärkt durch die Straßen der von Einbrechern bevorzugten Gegenden Wiens. Abends riegelt die Exekutive die Ausfahrtsstraßen ab. Kleine Lieferwagen mit Ostkennzeichen werden zur Seite gewunken und penibel durchsucht. Spürhunde schnüffeln in Fahrzeugen und Gepäck. 200 Beamte im Sondereinsatz fahnden nach Diebsgut, das auf dem Weg nach Osteuropa sein könnte. Ein Kleinbus erweist sich als Fundgrube. Drei junge Serben müssen ihr in die Jahre gekommenes Fahrzeug entladen. Sechs alte Fernseher, fünf Waschmaschinen, vier Kühlschränke, drei Gasherde, zwei Dutzend Reifen und ein altes Sofa in nicht mehr definierbaren Pastelltönen stapeln sich neben dem Auto. Unter dem Fahrersitz finden sich ein neuer Laptop und die täuschend echte Attrappe einer silber-schwarzen Pistole, Marke Beretta. Den Computer wollen die drei Serben für 100 Euro auf einem Wiener Flohmarkt gekauft haben. Laut
Polizeicomputer stammt das Gerät jedoch aus einem Wohnungseinbruch in der Wiener Gablenzgasse vom 8. November. Der Wiener Polizeigeneral Roland Horngacher stolziert mit erhobenen Zeigefingern zwischen seinen Beamten: „Man muss nur emsig sein, nur emsig sein.“

Resultat eines langen Tages: 200 Beamte haben geschätzte 2000 Arbeitsstunden investiert und dabei 33 Personen festgenommen. Zehn wegen unklarem Aufenthaltsstatus, 23 Personen, denen strafrechtliche Delikte vorgeworfen werden, jedoch keinen der georgischen Einbrecher, denen der Großeinsatz auch gegolten hätte.

Zwei Drittel aller in Österreich durchgeführten Einbrüche werden in Wien begangen. In der Wiener Bevölkerung ist das massive Ansteigen der Einbruchsdelikte während der vergangenen Jahre eine der wichtigsten Ursachen für das abnehmende Sicherheitsgefühl.

Geringe Aufklärungsquote. Einbruchsdiebstahl wird zwar mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht. Dazu braucht die Justiz freilich Täter und Beweise. Doch mit einer extrem mageren Aufklärungsquote von vier Prozent bei Wohnungseinbrüchen ist das abschreckende Strafmaß wirkungslos. Bei Spitzen von bis zu 70 Einbrüchen pro Tag werden derzeit in Wien durchschnittlich 34 Wohnungen ausgeräumt. Und nur jeden zweiten Tag wird ein Einbruch aufgeklärt.

Was polizeistrategisch daraus folgt, ist eine massive Jagd auf potenzielle Tätergruppen, um sie zu vertreiben. Im Fall der rumänischen Diebsbanden, die in den vergangenen Jahren auffallend aktiv waren, hat das funktioniert. Polizeichef Horngacher: „Jetzt geht es hauptsächlich um Georgier. Wir bekämpfen sie mit allen Mitteln.“ Täglich werden in der Kommandozentrale der Polizei am Wiener Schottenring „Führungsberichte“ mit allen angefallenen Delikten erstellt, die Tatorte in Dichtheitsanalysen auf Karten sichtbar gemacht und überfallsartig mit Polizisten beschickt.

„Die Georgier“ sind also da. „Primitiv und brutal“ sei ihre Arbeitsweise, sagt Kriminalist Ernst Geiger. „Arm und verzweifelt“ sei aber deren Situation zu Hause, räumt Roland Frühwirth von der Kriminaldirektion 1 ein, „viele dieser Menschen gehen auch dann noch auf Beutezug, wenn andere Täter vor der massiven Polizeipräsenz bereits kapitulieren“.

In Wien, der ersten reichen EU-Metropole auf dem Weg in den Westen, leben laut Polizei mehr als 1000 georgische Staatsbürger, die in ihrem Heimatland als Einbrecher geschult wurden, in der Bundeshauptstadt dann mit Unterkunft, Handy und „Arbeitswerkzeug“ versorgt werden und bereit sind, Einbrüche zu begehen. Laut Polizei bringen die meisten von ihnen einen Asylantrag ein, um legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Horngacher ist überzeugt: „Von denen will niemand Asyl, die wollen den Einbruchsdiebstahl.“ Nach zwei bis drei Monaten werden die Akteure ausgetauscht.

Die polizeiliche Statistik der Festgenommenen zeigt: In der Zeit vom 1. Juni bis 14. September dieses Jahres haben Georgier doppelt so viele Einbrüche begangen wie Österreicher. Dazu Gerhard Haimeder vom Landeskriminalamt Wien: „Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr auf bestimmte ethnische Gruppen konzentrieren und dabei die österreichischen Täter übersehen.“ Auf Platz drei finden sich Täter mit unbekannter Herkunft, gefolgt von Rumänen, Ungarn und Serben. In München etwa scheinen Georgier als Einbruchsbanden noch nicht angekommen zu sein. Von dort gibt es keine derartigen Wahrnehmungen. Nach Ansicht der Polizei befindet sich bereits die nächste Gruppe im Anmarsch auf Wien: „die Moldawier“.

Großbanden. In einem profil vorliegenden internen Bericht der Exekutive zur „Sonderauswertung der Einbruchskriminalität“ werden die ermittelten Hintergründe des groß angelegten Einbrecher-Gewerbes geschildert. Dem zufolge handelt es sich um vier bis sechs große Banden, die ausschließlich aus Georgiern bestehen, voneinander unabhängig operieren und sich als Hauptgebiete den 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk ausgewählt haben, aber in ganz Wien und Umgebung tätig sind. Dabei handle es sich um organisierte Kriminalität, jedoch gebe es keine Strukturen, die als mafios bezeichnet werden könnten.

Als Unterkünfte dienen laut Polizei meist Wohnungen von in Österreich eingebürgerten Georgiern. Die Unterkünfte werden häufig gewechselt. Das Diebsgut (siehe Kasten) wird zum Teil auf dem Schwarzmarkt am Wiener Mexikoplatz veräußert. Was nicht absetzbar ist, wird per Post nach Georgien versandt. Manche Diebe reisen als Touristen ein und bringen ihre Beute auf dem Landweg nach Georgien oder verschiffen sie in Italien. Schließfächer auf dem Wiener Süd- und Westbahnhof dienen oft als Zwischenlager.

Viele der Täter sind drogensüchtig und tauchen daher auf Umschlagplätzen wie dem Karlsplatz, dem Westbahnhof oder im Stadtpark auf. Zumeist sind sie in zwei- bis dreiköpfigen Gruppen unterwegs, oft führen sie auch Späher mit, die „Gegenobservationen“ (Horngacher) durchführen und ihrerseits die Polizei beobachten.

Die meisten Einbrecher setzen an den Schließzylindern der Wohnungstüren an. Seit Kurzem benützen sie Socken statt Handschuhen, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Denn Handschuhe sind im Falle einer Polizeikontrolle ein Verdachtsmoment. Manche verkleben die Türspione der Nachbarwohnungen mit Papierstücken, die sie mit Speichel befeuchten und so zu wertvollen DNA-Spurenträgern machen.

Statistisch am häufigsten wird zwischen 8 und 9 Uhr morgens eingebrochen, wenn die Bewohner zur Arbeit gegangen sind, oder abends, bevor sie heimkehren. Derzeit ist Hochsaison für „Dämmerungseinbrüche“, da die Dämmerung früher kommt als die Hausbewohner, laden unbeleuchtete Wohnungen zum Einbruch ein.

Der Wiener Peter S., 33, wurde innerhalb von eineinhalb Jahren in zwei verschiedenen Wohnungen zum Einbruchsopfer. Nach dem ersten Mal dauerte es, bis das schwarze Pulver der Spurensicherung wieder entfernt war, beim nächsten Mal machte sich die Polizei mit Spurensicherung keine besondere Mühe mehr: Sowohl an seiner Adresse in Wien-Margareten als auch an der nächsten in Wien-Neubau hatten die Einbrecher alle Wohnungen des Stockwerks heimgesucht, beide Male handelte es sich um Altbauten mit ungesicherten Türen und Schlössern. Der materielle Schaden von Peter S. war gering: „Beim ersten Einbruch wurde ausschließlich nach Schmuck und Geld gesucht, nichts davon hatte ich in der Wohnung.“ Beim zweiten Mal fehlten Kleidung, Parfüms und Rasierklingen. Seine Wohnungsnachbarin war so geschockt, dass sie auszog.

Bei Eva T. wurde im Oktober des Vorjahres aus der Wohnung in Wien-Erdberg der gesamte Schmuck gestohlen, die Maximalentschädigung von 8000 Euro in der Haushaltsversicherung konnte den Verlust nicht decken. Resigniert sagt sie: „Es waren so viele alte Stücke dabei, und die Polizei hat mir keine Hoffnung gemacht, dass ich davon je wieder etwas sehen könnte.“ Resignation auch bei einer alten Dame, aus deren Mietshaus in Wien-Hernals alles verschwindet, was sich im Keller oder auf Gängen befindet: „Man macht eine Anzeige, aber sie hat keine Wirkung.“

Offene Haustore. Die alte Dame ist von der Tatsache beunruhigt, dass ab Mitte des kommenden Jahres auch private Zustelldienste Zugang zu Postkästen und damit Haustorschlüssel bekommen. Die Tatsache, dass Wohnanlagen dann de facto offene Haustore haben, wird bereits jetzt in vielen Hausversammlungen heftig diskutiert.

Doch der immaterielle Schaden durch Wohnungseinbruch ist oft höher als der materielle Verlust. Das Deutsche Forum für Kriminalprävention hat festgestellt, dass sich nach einem Einbruch nur noch jeder Dritte gern in seiner Wohnung aufhält, 87 Prozent haben Angst, erneut zum Opfer zu werden.

Befragungen verurteilter Täter in Deutschland haben Einblicke in ihre kriminelle Welt gebracht. Viele nannten das geringe Entdeckungsrisiko als Hauptgrund, Einbrüche zu begehen. Einer meinte, man werde nur ertappt, wenn man „extremes Pech und die Polizei extremes Glück hat“. Ein anderer gab laut Studie zu Protokoll: „Jeder, der einmal auf frischer Tat ertappt worden ist, hat davor mindestens schon fünfzig Brüche gemacht, bei denen er nicht erwischt worden ist. Und das ist sogar noch tief geschätzt.“ Das geringe Risiko, sagte er, mache das Einbrechen „sehr attraktiv“.

Von Josef Barth, Emil Bobi und Marianne Enigl