Schüssels Rücktritt in neuem Licht

Affäre. Wie er in eine Telefonüberwachung von Grasser schlitterte

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Seine Karriere endete mit einer „Vorrang“-Meldung der Austria Presse Agentur. „Schüssel scheidet aus dem Nationalrat aus“, titelte die APA am Montag, den 5. September 2011, um 11.40 Uhr überrascht: Bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz hatte der Architekt und Kanzler der schwarz-blauen Koalition (2000–2006) seinen Abschied aus dem Parlament und damit aus der Politik verkündet. So überraschend die Demission, so eigenwillig deren Begründung. Mit Hinweis auf die damals bereits laufenden Untersuchungen im Telekom-Komplex erklärte Schüssel: „Ich will dazu beitragen, eine objektive, eine von jeder politischen Beeinflussung oder medialen Vorverurteilung unabhängige Aufklärung durch die Justiz zu erleichtern.“

Des Altkanzlers Abschied war umso rätselhafter, als gegen ihn damals wie auch heute keinerlei Verdachtsmomente in Zusammenhang mit Zahlungen der Telekom Austria bestanden, anders als bei manchen seiner Parteifreunde.

Bezeichnend, dass mit Schüssel nur ein ÖVP-Mandatar zurückgetreten ist, der sich in diesem Zusammenhang nichts vorzuwerfen hat. Seiner Logik zufolge müssten die Reihen der ÖVP im Lande mittlerweile ziemlich verwaist sein.

Gut möglich, dass der VP-Parteiobmann a. D. mit seinen Gedanken ganz woanders war. Nur vier Tage zuvor war Schüssel die Abschrift eines Telefonats zugeschickt worden, welches er am 4. September 2010 kurz vor 15 Uhr mit Karl-Heinz Grasser geführt hatte. Grasser stand schon damals wegen seiner Rolle bei der Buwog-Privatisierung 2004 im Visier der Behörden, das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung hatte sein Telefon angezapft. Das Protokoll des 17-minütigen Telefonats liegt profil vor, dessen Inhalt darf aus medienrechtlichen Gründen aber nicht veröffentlicht werden.

Nur so viel: Um die Telekom war es dabei nicht gegangen, wohl aber um einen Komplex, der nun ebenfalls Gegenstand behördlicher Untersuchungen ist.

Von der Aufzeichnung des Gesprächs erfuhr der auch im Buwog-Verfahren unbeteiligte Schüssel erst nach Beendigung des Lauschangriffs auf Grasser, in diesem Fall am 8. August 2011. Von diesem Zeitpunkt an entwickelten der Altkanzler und sein Anwalt Werner Suppan hektische Betriebsamkeit, mit dem einzigen Ziel, das Protokoll so rasch wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Am 10. August verlangte Suppan erstmals Einsicht in die Überwachungsunterlagen. Dieser Urgenz sollten zwei weitere folgen, ehe die Abschrift am Mittwoch, den 30. August 2011, tatsächlich bei Schüssel einlangte. Noch am gleichen Tag berief sich Schüssel in einem Schreiben an die Justiz auf Paragraf 139 der Strafprozessordnung, wonach Ermittlungsergebnisse, welche nicht verfahrensrelevant sind, vernichtet werden müssen.

Zufall oder nicht: Fünf Tage später trat er zurück. Damit war die Sache mit der Telefon­überwachung noch lange nicht aus der Welt. Am 26. September ließ die Justiz Werner Suppan wissen, seinem Begehr auf Vernichtung des Datensatzes könne nicht entsprochen werden, worauf Suppan insistierte – und umgehend Einspruch wegen so genannter Rechtsverletzung geltend machte. Wieder lehnte die Staatsanwaltschaft ab.

Suppan urgierte weiter die Löschung, weil, wie er gegenüber profil betont, „der Inhalt des Gesprächs keinerlei Relevanz in Bezug auf die Erhebungen und den Erhebungsgegenstand hatte“. Am 5. Dezember brachte der Anwalt schließlich einen Fristsetzungsantrag ein, in dem er eine rasche Entscheidung einmahnte. Suppans Begründung: Mittlerweile habe eine „Vielzahl von Personen schon aufgrund der Vielzahl der Beschuldigten“ Zugang zu den Buwog-Akten – und damit auch zum protokollierten Telefonat mit Karl-Heinz ­Grasser.

Eines steht fest: Wolfgang Schüssel hatte und hat kein gesteigertes Interesse dar­an, dass der Inhalt seiner damaligen Unterredung an die Öffentlichkeit gelangt.

Erst am 26. Jänner dieses Jahres, ein halbes Jahr nachdem Schüssel von der Existenz des Protokolls Kenntnis erlangt hatte, war die Angelegenheit Geschichte – aus juristischer Sicht. Das Landesgericht für Strafsachen Wien verfügte die Vernichtung des Dossiers.

Aus politischer Sicht steht die Causa freilich noch auf der Agenda. Das Protokoll hat dem Vernehmen nach seinen Weg in den parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefunden