Wut, Schweiß und Tränen

Bundesheer Manche Offiziere üben erstaunlich scharfe Kritik an ihrem Dienstherrn.

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„Woher kommt plötzlich dieser große Hass auf Offiziere?“, sorgt sich General Christian Ségur-Cabanac, der für Einsätze des Bundesheers zuständige Sektionschef im Verteidigungsministerium. „Wir werden von Boulevardmedien als Operetten-Offiziere und sogar als Pack beschimpft. Dabei sind wir der einzige Berufsstand, der im Eid Treue zur Republik bis in den Tod gelobt. Und wir sind ganz sicher keine Reformverweigerer“, so der aus einer traditionellen adeligen Offiziersfamilie stammende General gekränkt.
Die Abberufung von Generalstabschef Edmund Entacher durch Verteidigungsminister Norbert Darabos will Ségur-Cabanac nicht kommentieren. Nur so viel: „Das hat uns alle überrascht. Aber in der Krise und im Gefecht muss ein Kommandant besondere, ruhige Gelassenheit zeigen.“
Der Verteidigungsminister hat mit seinem unerwarteten Kraftakt viele Offiziere und Unteroffiziere verschreckt. Es ist ihm gelungen, aus der durchaus begründbaren – und nach Ansicht vieler überfälligen – Abkehr Österreichs von der allgemeinen Wehrpflicht eine ernste Koalitionskrise zu machen. Die ÖVP, die vom Vorstoß der SPÖ zunächst in argen Argumentationsnotstand geraten war, gewann damit wertvolle Zeit. „Darabos hat anfangs einen guten Lauf gehabt“, räumt auch Oberösterreichs schwarzer Landeshauptmann Josef Pühringer, neuer Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, im Gespräch mit profil ein. „Aber den Vorsprung hat er durch die Absetzung Entachers rasch verspielt.“ Pühringer glaubt, dass bei einer Volksbefragung eine Mehrheit für die Abschaffung der Wehrpflicht „keineswegs sicher“ ist.

Abgeschirmt. Den Misstrauensantrag der drei Oppositionsparteien im Nationalrat überstand Darabos am vergangenen Freitag nach einem heftigen Schlagabtausch. Die ÖVP stimmte zwar für den Verteidigungsminister, aber nur aus Rücksicht auf den Bestand der Koalition. „Überspannen Sie den Bogen nicht“, warnte VP-Klubchef Karl-Heinz Kopf, der zuvor einen „Koalitionsbruch“ nicht mehr ausschließen wollte.
Hohe Offiziere wagen nur in vertraulichen Gesprächen Kritik an ihrem Minister. „Wir haben bisher alle Reformen loyal mitgetragen“, meint ein Brigadier. Doch Darabos verweigere selbst seinen wichtigsten Generälen Gesprächstermine. Ihr Feindbild ist der Kabinettschef von Darabos, Stefan Kammerhofer, der alle wichtigen Entscheidungen vorbereitet und seinen Chef vor unerwünschten Besuchern abschirmt.
„Der Verteidigungsminister ist wie ein Phantom. Man wartet wochenlang auf einen Termin, und dann wird er vom Kabinettschef eine Stunde vorher mit fadenscheinigen Begründungen abgesagt“, beschwert sich ein Generalstäbler. Sogar sozialdemokratische Offiziere haben vergangene Woche bei einer Sitzung ihr Recht auf freie Meinungsäußerung bekräftigt, ohne das Primat der Politik infrage zu stellen.
„Es muss doch erlaubt sein, als Offizier vor einem so weitreichenden Beschluss wie der Abschaffung der Wehrpflicht auf mögliche negative Folgen hinzuweisen“, meint ein Brigadier.
Derzeit kursiert im Generalstab ein Dokument, in dem das von Darabos präferierte Modell einer Berufsarmee mit Freiwilligenmiliz arg zerzaust wird. Vor allem die Kosten seien auf Anordnung des Ministerbüros mehrfach geschönt worden, damit das neue Bundesheer mit dem gleichen Budget wie bisher, also knapp 2,2 Milliarden Euro pro Jahr, zu finanzieren sei. Dabei sei zu viel „hingetrickst“ und „mit dem Daumen gearbeitet“ worden, heißt es in dem von der „Presse“ veröffentlichten Papier. Die vorgesehene Kürzung bei den Berufssoldaten um einige Tausend Personen werde auch nicht so leicht und schon gar nicht zu den gleichen Kosten wie bisher erfolgen können, warnen die Militärs. „Die Berufssoldaten haben ja einen Arbeitsplatz und können nicht von heute auf morgen entlassen werden“, meint ein Offizier. „Das wird also Jahre dauern und Geld kosten.“ Deshalb sei die Annahme von Darabos, die Kosten des künftigen Heers würden auf dem derzeitigen Stand bleiben, nicht haltbar.
Die Nagelprobe kommt spätestens 2014. Dann laufen die jährlichen Raten für die Eurofighter-Beschaffung – 216 Millionen Euro – aus. Zieht man diesen Betrag und die Ausgaben für die Sportsektion ab, kommt man heute auf ein Heeresbudget von deutlich unter 1,9 Milliarden Euro.

Knappes Budget. Darabos erklärte gegenüber profil, er trete dafür ein, dass der für den Eurofighter-Kauf reservierte Betrag dem Heer auch nach dem Auslaufen der Ratenzahlungen zur Verfügung stehen solle. Aber diese Prognose wird von Militärs bezweifelt. „Wer immer dann Finanzminister sein wird: Dass ein Verteidigungsminister eine Anhebung des Heeresbudgets um ein Zehntel durchsetzen wird, ist wegen der im Vorjahr festgesetzten Budgeteinsparungen schwer vorstellbar“, so ein hoher Offizier.
Darabos tat sich als ehemaliger Zivildiener von Beginn an schwer im Umgang mit Soldaten. Bei einem Truppenbesuch vor zwei Jahren verweigerten ihm zwei Unteroffiziere den Handschlag, indem sie immer nur streng salutierten. Seit damals, wissen Insider, fühle sich der Minister noch unwohler in Gegenwart von Soldaten. Vergangene Woche sagte er kurzfristig auch seine Teilnahme am traditionellen Offiziersball der Militärakademie in Wiener Neustadt ab.
Viele Uniformträger fühlen sich vom Verteidigungsminister geringgeschätzt.
Vor allem die von Darabos im ORF geäußerte Feststellung, wonach bei den Reformen „Militärs nicht relevant“ sind, hat Offiziere, Unteroffiziere und Chargen in ihrer Ehre verletzt. „Ein Konzernchef, der seine Mitarbeiter als irrelevant einstuft, müsste in der Privatwirtschaft abtreten“, kritisiert Milizbrigadier Werner Bittner, früher Generaldirektor eines Zementkonzerns. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht werde die Miliz völlig verändert sein. „Diese einzigartige Mischung von Vertretern aus allen Berufsgruppen – vom Bankdirektor bis zum Installateur – wird es künftig nicht mehr geben“, befürchtet Bittner.
Unter den 12.800 Berufssoldaten und den 27.000 Milizangehörigen herrscht tiefe Verunsicherung. Ihre Kritik zielt immer in die gleiche Richtung: Bisher seien noch bei allen Heeresreformen, zuletzt auch 2004 von der Zilk-Kommission, getroffene Vereinbarungen nicht oder nur ansatzweise umgesetzt worden.
„Wir sind Experten und haben die Pflicht, zu beraten oder auf Gefahren aufmerksam zu machen“, sagt Brigadier Gerhard Christiner, Leiter der Abteilung „Operation“ im Streitkräfteführungskommando Graz. „Auch wir sind sicher, dass es im Bundesheer Reformen geben muss.“ Jetzt müsse eine „rasche Versachlichung“ in der Debatte über den von Darabos geforderten Umstieg auf ein Berufsheer erfolgen. Danach werde die jeweilige politische Entscheidung zügig umgesetzt werden.

Kassasturz. Ärger bereitet den Offizieren der Vorwurf, Besitzstandswahrer und Reformverweigerer zu sein. Die Kritik, es gebe im Bundesheer zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer, sei ungerecht. Die hohe Zahl an Generälen – knapp 200 – liege am Dienstrecht, wonach Abteilungsleiter analog zum Ministerialrat automatisch zum Brigadier, also dem niedrigsten Generalsrang, befördert werden. Bei den 2- bis 4-Sterne-Generälen ist Österreichs Heer mit etwa 70 Personen durchaus vergleichbar mit anderen Armeen ähnlicher Größe. Während des Kalten Kriegs hatte das Bundesheer sogar 300 Generäle.
Vor allem die jüngere Generation an höheren Offizieren im Bundesheer tritt zunehmend selbstbewusst auf. Viele von ihnen haben neben der Militärakademie ein weiteres Studium an einer Universität absolviert, beherrschen Fremdsprachen und können zumeist auf Erfahrung aus militärischen Einsätzen im Ausland verweisen.
Sie müssen in der Truppe die politischen Anordnungen erklären, was nicht immer leichtfällt. Brigadier Thomas Starlinger, Kommandant der 7. Jägerbrigade in Klagenfurt, informierte vergangene Woche seine Bataillonskommandanten in der Steiermark über die aktuelle Debatte über die Wehrpflicht. „Ich habe betont, dass kein Grund zur Panik besteht und keine Einheit aufgelöst wird.“ Starlinger plädiert für einen „Kassasturz“ beim Bundesheer. Zuerst sollte die Sicherheitsdoktrin her, danach müssten die zur Verfügung stehenden Mittel festgelegt werden. Erst dann sollte entschieden werden, wie das Bundesheer konkret in fünf, zehn und 15 Jahren aussehen soll.
Sorge bereitet Starlinger, „dass wir schon jetzt mit den Fixkosten an die Budgetlinie stoßen“. Damit gebe es finanziell wenig Spielraum für notwendige Strukturänderungen.

Profi-Miliz. Dass derzeit die meisten Grundwehrdiener nach der Grundausbildung als „Systemerhalter“ eingesetzt werden, also als Kraftfahrer, Kellner oder Mechaniker, sei „nicht ideal“. Aber ein Umstieg auf externe Firmen und Dienstleister nach dem Vorbild anderer Armeen sei teuer.
Der Wiener Armeekommandant Brigadier Karl Schmidseder hat als erster General deutlich die Vorteile eines Umstiegs auf eine Berufsarmee betont und Darabos so den Rücken gestärkt.
„In den freien Wettbewerb zu gehen ­schadet dem Bundesheer sicher nicht“, sagt der drahtige Offizier, der mit seiner polierten Glatze wie ein amerikanischer GI aussieht. Seit Verteidigungsminister Günther Platter die verpflichtenden Übungen abgeschafft hat, sei die Miliz „ohnehin mehr tot als lebendig“. Für die im Darabos-Modell vorgesehene Profi-Miliz würden sich schon wegen der jährlichen Prämie von 5000 Euro genügend Freiwillige melden, glaubt Schmidseder. Zu klären sei noch, ob die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sein werden, Milizangehörigen für Einsätze und Übungen freizugeben.
Schmidseder plädiert für mehr militärische Kooperation mit EU-Nachbarstaaten. Das österreichische Bundesheer sei zwar international gut aufgestellt, nütze aber aus Rücksicht auf die Neutralität viele kostensparende Synergieeffekte durch die Zusammenarbeit mit anderen Armeen nicht. Das Bundesheer sei „integraler Bestandteil der Gesellschaft“, so der Oberösterreicher. „Daher verstecken wir uns nicht in den Kasernen.“ Nun sei ein „Neustart“ im Bundesheer notwendig. Schmidseder: „Wir stehen vor einer tiefgreifenden Reform der Streitkräfte. Die gilt es jetzt über parteipolitische Grenzen hinweg umzusetzen, auch wenn das Blut, Schweiß und Tränen kosten wird.“