Zehn Jahre Haider-FPÖ

Windig und Wendig

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In einer Wiener Bürgerwohnung wird der Geburtstag einer Ärztin gefeiert. Ein anregender Abend: Man spricht über Kindesmißbrauch und Antisemitismus, über Europa und die trüben Aussichten von F-Gewinnen bei den kommenden Wahlen. Eine typische Wiener Gesellschaft: Psychoanalytiker, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte, Juden und Nichtjuden, Linke und Liberale - ein Milieu, das Jörg Haider ganz gewiß als jene Schickeria beschimpfen würde, die immer wieder Tugendterror gegen ihn und seinesgleichen ausübt. Peter Sichrovsky ist nicht geladen. Er kommt dennoch. Ein Freund hat ihn mitgebracht. Er ist charmant wie immer, lächelt bubenhaft-sardonisch und erzählt von seiner Arbeit mit Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Deutschland, dessen Biographie er in Alleinregie geschrieben habe. Das war am Samstag.

Am nächsten Tag läßt sich Peter Sichrovsky in der Meierei im Prater von der Spätsommer-Sonne wärmen. Oscar Bronner, mit dem Sichrovsky jahrelang als Redakteur des "Standard" zusammengearbeitet hatte, winkt ihm zu und bemerkt en passant, Sichrovsky sei rechtzeitig nach Wien gekommen, um die Pressekonferenz des Jörg Haider zu beobachten.

Keine 24 Stunden später - Montag vergangener Woche - grinst Jörg Haider breit in die Fernsehkameras. Er präsentiert stolz den jüdischen Autor und Journalisten Peter Sichrovsky als Kandidaten der Freiheitlichen für das Europaparlament. Die Überraschung ist perfekt. Die Telefone laufen heiß. Die Gastgeberin, zu deren Geburtstag Sichrovsky gekommen war, empört sich: "Wie komme ich dazu, so jemanden zu bewirten." Der gute Freund, der ihn zur Party mitgebracht hat, hatte keine Ahnung davon, daß Sichrovsky beschlossen hatte, Politiker zu werden. Auch Bronner hat das seinem langjährigen Mitarbeiter nicht zugetraut. Er kommentiert trocken-sarkastisch: "Wenn er sich's verbessern kann." Und fügt hinzu: "Jeder ist seines Unglücks Schmied."

Daß Sichrovsky gerne provoziert, sich lustvoll als Kämpfer gegen die "political correctness" geriert und ein Freund des Unkonventionellen ist, das wußte man, aber daß er gleich ins Haider-Lager kippen würde - das hat niemand geahnt.

Seine Wendung hin zur FPÖ erscheint vielen seiner Bekannten als ein abrupter Akt. Aber Jörg Haider behauptet, daß schon seit Jahren eine Männerfreundschaft zwischen den beiden keimt. Der FPÖ-Obmann, der noch Mitte der achtziger Jahre - wahrscheinlich nicht unrealistisch - diagnostizierte, daß in der FPÖ nur einer als Freimaurer oder Jude denunziert werden müsse, um politisch tot zu sein, hat für den jüdischen Intellektuellen schon lange ein Faible. Er hätte Sichrovsky vor fünf Jahren das erstemal am Flughafen Schwechat getroffen. "Tage später schrieb er mir einen netten Brief. Es entwickelte sich dann ein kritischer Dialog zwischen uns. Jetzt ist es eine richtige Freundschaft." Und Sichrovsky bestätigt. "Wir sind uns seit langem sehr sympathisch."

Führte der frischgebackene F-Kandidat in den vergangenen Jahren ein Doppelleben? Für viele sieht es so aus. Hatte er nicht noch vor zehn Jahren Haider für einen potentiellen Naziverbrecher gehalten? "Wenn ich diese Leute der Taten ihrer Väter für fähig halte, dann deshalb, weil sie dem allen die Dimension des Ungeheuerlichen abgesprochen haben", formulierte er hart in einem profil-Interview. Auf die Frage, ob er mit Haider reden würde, antwortete er: "Nein. Ich unterhalte mich nicht mit jemandem, für den âhistorisch umstritten' ist, was meine Verwandten nicht überlebten."

Seine alten Bekannten wollen jetzt mit ihm nicht mehr sprechen. Der junge jüdische Autor Doron Rabinovici winkt ab, als er aufgefordert wird, mit Sichrovsky ein Streitgespräch zu führen. Und der Schriftsteller Robert Menasse erwidert auf die gleiche Anfrage: "In âGottes erster Liebe' von Friedrich Heer kann man nachlesen, daß historisch immer zuerst die Hofjuden engagiert und dann die Pogrome entfesselt wurden. Es ist alles gesagt, und wenn die Sichrovsky-Tragödie doch nur eine Farce ist, dann habe ich erst recht nichts dazu zu sagen."

Die Beurteilungen seines Haider-Engagements können vernichtender nicht sein: "Eine tragische Figur" will der Leiter des "Jewish Welcome Service", Leon Zelman, in Sichrovsky sehen. "Er ist grenzenlos geltungssüchtig", sagen viele. "Er hat keinen Charakterfehler, er ist ein Charakterfehler", ätzt einer, der lang mit ihm befreundet war. "Er ist der Verräter schlechthin." Aber was hat er verraten, und warum?

Viele Freiheitliche würden Peter Sichrovskys Vater als Verräter am Vaterland bezeichnen. Der Emigrant Harry Sichrovsky kämpfte im Zweiten Weltkrieg als englischer Soldat gegen die Deutschen und deren Verbündete. In Indonesien nahm er von einem japanischen General die Kapitulation entgegen, um dann in britischer Uniform in seine Heimat zurückzukehren, wo er bis 1968 als "Volksstimme"-Redakteur und danach als Fernost-Spezialist im ORF arbeitete.

Peter wurde ein Jahr nach Kriegsende in Wien geboren. Er studierte Pharmazie und Chemie, als 1968 die Jugendrevolte ausbrach. Schon damals zeigte er sich unkonventionell. Er ließ sich - unähnlich den meisten Gleichaltrigen mit ähnlicher Herkunft - von der Rebellion nicht erfassen. Er kandidierte auf einer Studenten-Liste der ÖVP-nahen ÖSU. Sichrovsky: "Ich mußte nicht links werden, weil meine Eltern rechts gewesen wären - ich mußte nicht rechts werden, weil meine Eltern links waren. Ich konnte mir damals schon leisten, meinen eigenen Weg zu gehen."

Nach einem kurzen Gastspiel als Mittelschullehrer werkte er vier Jahre in der Pharmaindustrie. Die Geheimnisse der Anfang der achtziger Jahre verpönten Branche verriet er unter dem Pseudonym Paul Werner als Koautor in den medizinkritischen Bestsellern "Gesunde Geschäfte" und "Bittere Pillen".

Parallel dazu ließ er sich zum Gruppendynamiker ausbilden. Auch da betätigt er sich als eine Art Wallraff: Er schreibt 1984 eine Dichtung und Wahrheit vermischende Erzählung in der Zeitschrift "Transatlantik". Zwar ohne Namen und Ortsbezeichnung, ist darin doch für jeden Insider das Institut für Unternehmensführung, Hernstein, erkennbar. Er bekam dort nie mehr einen Auftrag. Sein nächstes Interessengebiet bringt ihm Ruhm ein.

Er wirft sich auf das Thema Juden und Nazis. Er protokolliert in mehreren Büchern Gespräche mit Kindern der Täter und Kindern der Opfer. Vergangenheitsbewältigung ist gerade en vogue. Seine Arbeiten bilden die Grundlage für Theaterstücke, die erfolgreich am Burgtheater und an vielen anderen Bühnen aufgeführt werden. Aber auch da fühlen sich Menschen verraten: "Wir weisen darauf hin, daß die Erzählungen auf der Basis unserer Lebensdaten zustande gekommen sind, daß aber durch Hinzufügen und Weglassen von Aussagen willkürliche Zusammenhänge entstanden sind. Diese reißerische Selbstdarstellung des Autors ist weder unsere Geschichte noch unsere Gegenwart." So reagierten einige seiner Gesprächspartner in einem Flugblatt auf die vorgeblich "authentischen Protokolle".

Weitere Sichrovsky-Werke folgen, vor allem Kinderbücher. Daneben entfaltet er eine betriebsame journalistische Aktivität. Lange hält es ihn aber nirgendwo: Zwei Monate "Männer-Vogue", dann Ende der achtziger Jahre mit dabei, als der "Standard" gegründet wird, wechselt er dort in kurzen Abständen vom Posten des Kulturchefs zu dem des Außenpolitik-Leiters, vom Feuilleton-Chef zum Beilagen-Koordinator. Auch seine Fernost-Korrespondenten-Existenz für die "Süddeutsche" und den "Stern" bleiben nur erfolglose Intermezzi. Schließlich klopft er, bevor er vergangenes Jahr nach Chicago auswandert, hektisch an alle möglichen Türen: Beim "Kurier" und bei der "Presse" will er anheuern, eine europäisch-jüdische Gazette gründen, die Zeitschrift der Wiener Jüdischen Gemeinde übernehmen. Alles vergeblich. Leon Zelman zur Ablehnung Sichrovskys als Redakteur der "Gemeinde": "Sein Charakter hinkt seiner Intelligenz nach. Auf ihn ist kein Verlaß."

Selbst seine letzte Arbeit ging schief. Entgegen Sichrovskys Aussage, er sei alleiniger Autor der Biographie Ignatz Bubis', schildert dieser die Zusammenarbeit mit ihm als mittlere Katastrophe: "Herr Sichrovsky hat ein Viertel des vorgelegten Textes frei erfunden. Er hat mir Äußerungen angedichtet, die nicht meiner Haltung, aber antisemitischen Klischees entsprechen." Bubis' Fazit: "Am 29. Mai wurde die Zusammenarbeit mit Herrn Sichrovsky beendet. Ich habe mindestens 70 Prozent des Buches umschreiben bzw. neu schreiben müssen."

Und warum gibt er sich jetzt als Alibi-Jude für Haider her? Da wird Sichrovsky böse. Mit seinem Judentum, das lange Zeit seine Geschäftsgrundlage war, habe das nichts zu tun. Haider habe ihn aufgestellt, "wahrscheinlich, weil er mich so gern hat", meint er ironisch, um dann hinzuzufügen: "Wenn man mich aus dem Ghetto herausläßt, wer bestimmt den Zeitpunkt und die Ausgangstür? Wo darf ich als Jude hingehen, und wo darf ich nicht hingehen? Und was heißt überhaupt Abstammung. Abstammung hat ein Hund."

Welches Ghetto er meint, ist unklar. Das kulturelle Ghetto von Juden in einer traditionell antisemitischen Gesellschaft, das KP-Ghetto seiner Eltern in einem antikommunistischen Land. Oder ist es ein inneres Ghetto, dem er immer wieder, immer schneller und jetzt so skandalös zu entfliehen sucht? Aber sein Gang zu Haider hat auch seine humoristischen Seiten. Will nicht der F-Chef, der es nie zur Akzeptanz der österreichischen Eliten gebracht hat, ebenfalls aus einem Ghetto, dem Nazi-Ghetto, entfliehen. Nun soll der Jude ihn, den geächteten Populisten, aus seinem Outcast-Dasein herausführen. So gesehen hat der Flirt der scheinbar so Unähnlichen seine skurrile Richtigkeit.

Wird er nun seinen neuen Freund verraten, wie so viele vor ihm? Paradoxerweise beantworten diese Frage so konträre Figuren wie Doron Rabinovici und Hans Dichand im gleichen Sinn. Daß Haider Sichrovsky für Europa nominiert, sei ein schwerer Fehler der F, schreibt der "Krone"-Herausgeber. Sichrovsky, der Autor des Buches "Schuldig geboren", ein Vertreter der "Kollektivschuld"-These also, könne, so Dichand, als F-Vertreter für Haider gut nicht sein. Auch Rabinovici warnt Haider: "Diesen unsicheren Kantonisten wünsche ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind. Spätestens in zwei Jahren könnte er das Buch schreiben: "Ich war Haiders Zahnbürste."

Sichrovskys erstes Buch, eine Arbeit über Management-Methoden, hieß: "Wie ich in sechs Tagen das Gesicht verliere." Das klingt programmatisch.

Bloß: Sichrovsky brauchte keine sechs Tage. Er schaffte es in einem.

Kronberger: "Vielleicht bin ich naiv"

Hans Kronberger erfüllt eineMission. Wenn er darüber spricht, wird es pathetisch: "Was bleibt von der Welt übrig, wenn wir so weitermachen." Kronberger nimmt seine Mission ernst. Er schreibt täglich drei Stunden an verschiedenen Büchern und Fachartikeln, hält als Lektor an der Universität Salzburg Vorlesungen über Umweltpublizistik und hat sich auch sonst vorgenommen, die Welt zu retten. Sein Credo: "Die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte ist die Ökologie. Wenn da die Probleme nicht bewältigt werden, brauchen wir über Gestern und Morgen erst gar nicht zu diskutieren." Um dieser Aufgabe besser nachkommen zu können, kandidiert er als Ökologieexperte auf der freiheitlichen Liste für die Europawahlen.

So sehr sich Kronberger in seine Ökologiethemen hineinsteigert, so sehr scheint der ehemalige Innenpolitik-Redakteur des linken Magazins "Extrablatt" sein politisches Taktgefühl verloren zu haben. Berührungsängste mit den Freiheitlichen hat er jedenfalls keine: "Ich habe die F genausowenig analysiert wie alle anderen Parteien." An Haider & Co stört ihn jedenfalls nichts: "Vielleicht bin ich naiv, aber ich denke viel zu positiv. Es freut mich, daß sie mich aufgestellt haben."

Vorgezeichnet war die freiheitliche Karriere des gebürtigen Steirers keineswegs. Der Sohn eines Maurerpoliers und einer Nebenerwerbslandwirtin ist auf einem kleinen Bauernhof in einer, wie er selbst sagt, "sozialdemokratischen Familie" aufgewachsen. Sein Studium der Publizistik und Völkerkunde beendete Kronberger mit einer Dissertation über Egon Erwin Kisch. Originaltitel: "Seine politische und publizistische Entwicklung vom bürgerlichen Journalisten zum Schöpfer der literarischen sozialistischen Reportage." Gesponsert und unterstützt wurde Kronbergers Arbeit originellerweise vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, dem Feindbild Jörg Haiders schlechthin.

Nach einer kurzen Printkarriere wechselt Kronberger in den ORF. Dort werkt er gemeinsam mit Walter Schiejok ("Wir prägen einander seit 15 Jahren und waren fast schon wie ein Ehepaar") für die Sendungen "Argumente", "Bürgerforum" und "Konflikte". Ein Umfeld, in dem er sich wohl fühlt. Ein Umfeld, in dem auch Jörg Haider immer wieder gerne auf Quereinsteigersuche geht. So sitzt Hans Jörg Schimanek senior, Ex-Kollege Kronbergers, für die Freiheitlichen in der niederösterreichischen Landesregierung. Und nach dem ORF-Chefpopulisten Schiejok streckt Haider schon seit Jahren begierig die Finger aus. Auch jetzt vor der Europawahl. Er blitzte wieder einmal ab und muß ein weiteres Mal mit der zweiten Wahl vorliebnehmen.

Völlig unbeleckt ist Kronberger, was die FPÖ betrifft, auch sonst nicht. Er pflegte in den vergangenen Jahren zahlreiche Kontakte. Für den F-Umweltsprecher und aktuellen Bundes-Geschäftsführer Karl Schweitzer begutachtete er das Solarenergie-Konzept der FPÖ. Kronberger: "Das ist schlicht und einfach gut." Mit der Europaparlamentarierin Susanne Riess ist er persönlich befreundet, und als im ORF die Gründung einer freiheitlichen Betriebsratsriege diskutiert wurde, war Kronberger von Beginn an als Gründungsmitglied im Gespräch.

Die grüne Nationalrätin Monika Langthaler überrascht der F-Schwenk des ORF-Ökologen jedenfalls nicht: "Mich wundert nur, daß er erst jetzt richtig dabei ist. Er war von jeher ein Vertreter des rechten ökologischen Flügels."

Von Klaus Dutzler und Georg Hoffmann-Ostenhof
"profil" Nr. 37/1996 vom 9.9.1996