Zeitgeschichte. Theodor Körner und seine Geliebte

Zeitgeschichte. Bundespräsident Theodor Körner und seine Geliebte

Der als homosexuell geltende Bundespräsident hatte in Wahrheit ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau

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Glühender kann Liebe kaum sein: „Jede Stunde dachte ich: „Gott! Wie lieb ich Dich! Wie tief demütig. Mein Geliebtes! My beloved! Meine liebe, liebe Trix.“ Der Schmachtende, der diese Zeilen 1952 schrieb, war kein verknallter Gymnasiast, sondern Bundespräsident der Republik Österreich, ein Mann mit 79 Jahren. Die Adressatin der leidenschaftlichen Depesche war eine 45-jährige Frau aus gutem Hause, verheiratet, Mutter zweier Töchter. Ihr Mann war eingeweiht – er hatte selbst ein „Konkubinchen“, wie die Zweitfrau in der Familie genannt wurde.

Wer hätte das von Theodor Körner gedacht, dem Wiederaufbau-Bürgermeister Wiens (1945 bis 1951), dem Bundespräsidenten der Staatsvertragsjahre (1951 bis 1957), der bis heute als früher Promi-Schwuler gilt? Man kannte Körner, wie er stets ohne Hut und Mantel am Abend selbst beim Greißler in Grinzing einkaufte und sich dann in die einsame Präsidentenvilla in der Himmelstraße zurückzog. Über vermutete sexuelle Neigungen wurde damals noch nicht offen gesprochen, getuschelt dafür umso mehr: Ein Mann seines Alters, der nie verheiratet war – da konnte etwas nicht stimmen.

Cherica Schreyer-Hartmann, die Tochter jener Frau, der die späte Liebe des Bundespräsidenten galt, erzählt nun in einem Buch erstmals den wahren Hergang der Dinge und belegt ihre Schilderung mit bisher unbekanntem Fotomaterial und Briefen, die der bis über beide Ohren verliebte Präsident ihrer Mutter geschrieben hatte.

Theodor Körner ist ohne Zweifel eine der bemerkenswertesten Gestalten der österreichischen Zeitgeschichte. Er war 1873 im ungarischen Komorn in eine Offiziersfamilie geboren worden. Der kräftige Bursche wurde in die Militäroberrealschule von Mährisch-Weißkirchen geschickt. Wenige Jahre später sollte ein junger Klagenfurter namens Robert Musil dasselbe Internat ­besuchen und darüber den Roman „Die ­Verwirrungen des Zöglings Törleߓ ­schreiben.

Theodor Körner entwickelte sich zu einem tüchtigen Offizier. Als Leutnant in einem Pionierzug hantelte er sich einmal während eines Hochwassers im Bereich der heutigen U-Bahn-Station Schönbrunn tollkühn ins Bett des Wien-Flusses, um verkeilte Baumstämme loszumachen. Das Ministerium beauftragte ihn mit der Einführung der Feldtelefonie. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg freundete er sich mit Oberst Alfred Redl an, dem Leiter der Spionageabteilung. Am 1. Mai 1913 schickte Körner Redl ein Porträtfoto mit persönlicher Widmung: „In aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit und treuer, warmer Freundschaft. Theodor Körner.“ Drei Wochen später wurde Redl als Spion für Russland entlarvt. Die Agenten des Zaren hatten ihn wegen seiner Homosexualität erpresst. Maximilian Ronge, Geheimdienstchef des Kaisers und bis zu seinem Tod 1953 glühender Monarchist, nahm das Bild an sich, ebenso wie jene Fotos, die Redl nackt oder in Damenwäsche zeigten.

Hatte auch Körner sexuellen Kontakt mit Redl?
Das Foto ist jedenfalls kein Beleg dafür: Das Verschicken eigener Lichtbilder galt in jenen Jahren als Zeichen der Wertschätzung, und das Wörtchen „warm“ war nicht unbedingt sexuell konnotiert. Körner schadete die Bekanntschaft mit Redl jedenfalls nicht. Er wurde Generalstabschef der Armee am Isonzo – einem der grausamsten Kriegsschauplätze des Weltkriegs. Einmal signierte er ein Todesurteil gegen einen Soldaten, der sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatte. „Wir können nicht mehr tun, als dass wir diesen herzlosen Menschen der allgemeinen Verachtung übergeben“, schrieb die „Arbeiter-Zeitung“ empört gegen Körner an.

Dennoch wendet sich der hohe Offizier nach dem Krieg den Sozialdemokraten zu – wahrscheinlich unter dem Eindruck des furchtbaren Blutbads. Staatskanzler Karl Renner will Körner mit dem Aufbau eines neuen, demokratischen Heeres beauftragen, doch dann gewinnen 1920 die Christlichsozialen die Wahlen. Körner wird pensioniert und zieht für die Sozialdemokraten in den Bundesrat ein. Als sich die Lage nach dem Justizpalastbrand von 1927 zuspitzt und sich mit schwarzer Heimwehr und rotem Schutzbund zwei Parteiarmeen gegenüberstehen, ist der General zutiefst besorgt. „Wer über revolutionäre Gewalt reden will, muss sich militärisches Wissen aneignen“, schreibt er. Eindringlich warnt er seine Genossen vor der direkten Konfrontation, etwa mit dem Bundesheer, die nur in eine Katastrophe münden könne. So wie später Fidel Castro und Che Guevara schwebt Körner für den Ernstfall eine Guerillastrategie vor, die schrittweise „die Massen“ einbeziehen müsse. Die Schutzbundführung hält von Körners Thesen nichts.

Überwinterung.
Im März 1933 verjagt Kanzler Engelbert Dollfuß das Parlament, am 12. Februar 1934 kommt es zu der von Körner vorausgeahnten Niederlage der Linken. „Sinnloser Selbstmord“, knurrt Körner in einem Brief. Der nun 61-Jährige wird von den Austrofaschisten elf Monate lang eingesperrt. Nach seiner Entlassung zieht er sich aus der Politik zurück und betreibt im Militärarchiv strategische Studien. Dort überdauert er auch den Einmarsch der Nazis. 1944 wird er noch einmal verhaftet, kommt aber schließlich frei.

Am 12. April 1945, die Rote Armee hat Wien endgültig eingenommen, findet er einen Zettel an seiner Wohnungstür: „Bitte komm morgen um neun Uhr ins Rathaus, wir brauchen Dich. Schärf.“ Im Roten Salon warten die vom provisorischen SP-Chef Adolf Schärf zusammengetrommelten Überlebenden der sozialdemokratischen Vorkriegsführung und bitten den nun 72-Jährigen, das Amt des Bürgermeisters von Wien zu übernehmen. Sie wissen: Körner hat im Militärarchiv auch Russisch studiert – das wird für die Stadt überlebenswichtig sein.

Sechs Jahre später lässt sich der beliebte Wiederaufbau-Bürgermeister widerwillig als Kandidat der SPÖ bei der Bundespräsidentenwahl aufstellen. Seine Genossen müssen ihm vorher versichern, er habe ohnehin keine Chance und dürfe im Rathaus bleiben. Aber Körner gewinnt gegen den oberösterreichischen Landeshauptmann Heinrich Gleissner von der ÖVP.
Im Sommer 1956 erleidet Körner einen Schlaganfall, von dem er sich nur langsam erholt. Als er seinem Arzt Professor Hans Hoff am 4. Jänner 1957 zeigen will, wie gut er schon die Treppe in der Präsidentschaftskanzlei hinabsteigen kann, bricht er zusammen und stirbt.

Kein Eremit.
Immer wieder war in den Jahren seiner Amtszeit die Geschichte des Fotos für Oberst Redl aufgetaucht – wohl geschürt vom nun ebenfalls bereits greisen Ex-Geheimdienstchef Ronge (er starb 1953). Körner selbst inszenierte sich wie zur Bestätigung als eiserner Junggeselle, der mit Frauen nichts am Hut hat. „Ich habe ja meine Arbeit“, antwortete er stets, wenn er gefragt wurde, ob er sich nicht einsam fühle in der menschenleeren Präsidentenvilla.

Als die Schwulen- und Lesbenbewegung ab Mitte der achtziger Jahre immer selbstbewusster an die Öffentlichkeit trat und in ihren Zeitungen Listen berühmter Homosexueller veröffentlichte, tauchte auch der Name Körner wieder auf. Die Homosexuellen-Initiative Wien (HOSI) gestaltete im Dezember 2005 in der Wiener Neustifthalle eine Ausstellung, in der auch das Bild des vorgeblichen Promi-Schwulen Körner hing. Daraufhin wandte sich eine Dame aus Kitzbühel namens Cherica Schreyer-Hartmann an Bundespräsident Heinz Fischer: Körner sei mitnichten homosexuell gewesen – er habe schließlich jahrelang ein Verhältnis mit ihrer Mutter gehabt. Fischer bat die HOSI brieflich um entsprechende Klarstellung.

In dem nun von Cherica Schreyer-­Hartmann veröffentlichten Buch tritt dem Publikum tatsächlich ein ganz anderer ­Theodor Körner entgegen: Der angebliche Eremit brachte den größeren Teil seines Lebens in durchaus engem Kontakt mit Frauen zu und war alles andere als der einsame Wolf, als der er manchen bis heute gilt.

Schon 1920 bezog Körner eine Wohnung in der Mahlerstraße 5, unweit der Wiener Staatsoper, die neben jener der Baronin Netka Latscher-Lauendorf lag. Die Baronin, geboren 1863 und damit zehn Jahre älter als Körner, war die Witwe nach dem k. u. k. Verteidigungsminister Julius von Latscher von Lauendorf, inzwischen aber eine glühende Anhängerin der Sozialdemokraten und des Roten Wien. Die Wohnungen hatten eine Verbindungstür, die – wenn Besuch kam – diskret mit einem Teppich zugehängt wurde. Die beiden hätten in einer Art „Rentenkonkubinat“ zusammengelebt, schrieb Ruth von Mayenburg, Frau des späteren KPÖ-Chefideologen Ernst Fischer, die sowohl Netka Latscher als auch Körner gut kannte, in ihren Erinnerungen: „Verlegen wie ein kleines Mädchen“ sei Netka gewesen, wenn sich der groß gewachsene Mann über sie gebeugt habe. Als Netka 1943 starb, war Körner tief verzweifelt und dachte sogar an Selbstmord.

Einem anderen Armeekameraden, dem Rittmeister Gedeon von Bolla, hatte er an dessen Totenbett versprochen, ein Auge auf seine zurückbleibende Frau und die beiden Töchter zu haben. Ihnen wandte Körner nun neben der Tätigkeit als Bürgermeister des zerstörten Wien seine Aufmerksamkeit zu. Die Kinder waren längst erwachsen. Sibylle Bolla-Kotek lehrte als Rechtsprofessorin an der Wiener Universität. Beatrix („Trix“), geboren 1906, war in zweiter Ehe mit dem Kitzbüheler Manuel Hartmann verheiratet, einem um sechs Jahre jüngeren Skilehrer und Bergführer. Sie betrieb im Kitzbüheler Stadttor ein Keramikgeschäft und hatte selbst zwei Töchter.

Gegenbesuch.
Trix, nun eine Frau Mitte vierzig, schien Körner besonders zu gefallen. Ab etwa 1949, Körner war noch Bürgermeister, wurde der Kontakt enger. Trix besuchte Körner in Wien, dieser fuhr als Gast der Familie nach Kitzbühel. „Ich habe mich sehr gefreut, Euer Leben kennen zu lernen. Ihr seid insgesamt prächtige, brave Menschen“, schrieb er ihr danach. Die Aufmerksamkeit, mit der Körner der offenbar zunehmend vom alten Herrn eingenommenen Trix begegnete, war bald nicht mehr zu übersehen. „Ich hab Dich braves Frauenzimmer beinahe zu gern. Lasse Deinen Mann herzlich grüßen“, schrieb er ihr im Sommer 1949. Tochter und Buchautorin Cherica, Jahrgang 1942, ist bis heute nicht sicher, „ob es sich tatsächlich um ein Liebesverhältnis handelte“. Einmal hatte sie allerdings selbst eine intime Szene beobachtet, als sie unerwartet im Ankleidezimmer der Präsidentenvilla auftauchte: „Auf der Suche nach meiner Mutter erblickte ich die beiden am Ende des Raums. Sie küssten einander. Sie hielten sich an den herabgesenkten Händen, eine Geste des vollkommenen, freiwilligen Gebens.“

Die Briefe Körners, die Cherica Schreyer-Hartmann im Nachlass ihrer 1989 verstorbenen Mutter fand, geben ebenfalls recht deutlich Auskunft über die Natur der Beziehung: Körner war schwer verliebt. Die Gefühle von Beatrix Hartmann sind schwerer nachzuvollziehen, da Körner ihre Briefe sicherheitshalber verbrannte – bis auf jenen, in dem sie schrieb, auch ihre Liebe festige und verwurzle sich immer tiefer.

Nach Körners Wahl zum Bundespräsidenten werden die Hartmanns zu seiner Quasi-Familie. Im Sommer kommen alle nach Mürzsteg: Trix und ihre beiden Töchter, Schwester Sibylle, die alte Mutter, sogar die Haushälterin und deren Tochter dürfen mit in die idyllische Präsidentenvilla. Körner führt Trix und die Kinder nach Carnuntum aus, sie besichtigen das Schönbrunner Palmenhaus und essen am Tulbinger Kogel zu Mittag. Oft kommt Trix allein nach Wien. Ist sie wieder abgereist, schickt ihr der Bundespräsident schmachtende Briefe hinterher: „Es war feenhaft. Dieses Glück! Kann kaum zurückfinden auf diese Welt. Gott! I love you!“ Reist sie an, jubelt ihr Körner brieflich entgegen: „Bald kann ich Dich sehen, sprechen, umarmen. Welche Seligkeit! Du mein alles, alles! Dein Teddy.“

Die Zeitungen interessieren sich damals noch kaum für die privaten Verhältnisse der Politiker. Dabei versteckt Körner seine Trix gar nicht: Er geht mit ihr zum Ländermatch ins Praterstadion, fährt mit ihr an den Neusiedler See und begleitet sie zum Bahnhof. Manchmal stehen sie am Fenster und hören zu, wie Attila Hörbiger und Paula Wessely im Garten der benachbarten Hörbiger-Villa in schönstem Burgtheaterdeutsch mit­einander streiten.

Als der Dienstwagen bei einem Ausflug einmal einen kleinen Unfall hat, gibt Körner die im Fond sitzende Dame als seine Nichte aus. Der Präsident geht neckisch mit seinem Verhältnis um. 1952 schreibt er Trix: „Vorgestern wurde ich gefragt, wer die junge elegante Dame war, mit der ich im Krottenbachtal gefahren bin. Aber ich habe es nicht verraten und bleibe interessant!“

Aufpasser. Er vertraut ihr zunehmend ­Bürosorgen an, etwa seine Skepsis über den erst kurz zuvor aus dem schwedischen Exil zurückgekehrten Bruno Kreisky (Körner schreibt „Krejsky“), den ihm die SPÖ als Aufpasser in die Präsidentschaftskanzlei gesetzt hat. Denn Körner verhält sich nicht so, wie es der spröde SPÖ-Chef Adolf Schärf von einem Bundespräsidenten erwartet: Bei Besuchen in den Bundesländern springt er oft schon vom ausrollenden Waggon, um nicht auf den roten Teppich steigen zu müssen. Fährt er am Wochenende von Grinzing auf den Kahlenberg, nimmt er lieber den Bus als die Dienstlimousine. In einem Brief an Körner macht Schärf ungeniert dessen privaten Status dafür verantwortlich: „Ein Verheirateter hat jemand zur Seite, der sagt: ,Das kannst Du nicht, das macht Dich unernst.‘ Ein Junggeselle hat diese Kontrolle nicht.“

Körner berichtet umgehend Trix von diesen Ermahnungen und seinem neuen Anstandswauwau „Krejsky“. Auch er spart nicht mit Kritik: „Hatte die Franzosen. Botschafter Payart, General Bertrand und Figl, Schärf, Helmer, Gruber. Unsere Leute etwas alkoholisiert. Dass sich Unsere nicht zurückhalten können!“

Geschenke von Staatsbesuchern kommen mitunter Trix zugute. Der naturfarbene Kaschmir, den der indische Präsident gebracht hatte, wird zu einem Kleid umgearbeitet. Wegen der hellbraunen Farbe nennen Körner und Trix es das „Eichkatzelkleid“.

1953 ist Gatte Manuel Hartmann einmal wegen eines Arztbesuchs allein in Wien. Auch er wohnt in der Präsidentenvilla. Am Abend setzt sich Körner ans Pult und schreibt an Trix: „10 Uhr nachts. Manuel ist noch nicht zurück, und ich flüchte zu Dir, geliebte einzige Trix. Mein Leben gehört Dir, Dir ganz allein, Dir andächtig geweiht.“ Beatrix Hartmann bleibt Körner treu, als er im Sommer 1956 einen Schlaganfall erleidet und zeitweise halbseitig gelähmt ist.

Als im Jänner 1957 der Trauerkondukt mit dem verstorbenen Bundespräsidenten über die Ringstraße zieht, ist Trix nicht dabei. Sie steht am Cobenzl und schaut hinunter auf die Stadt. Es war der Lieblingsplatz ihres Teddy.