Zeitgeschichte: Der verwaltete Schrecken

Österreichs Banken und die Nazis: Braunes Geld

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Ernst Klaar galt als einer der herausragenden Bankbuchhalter seiner Zeit. Versiert, penibel, mehrsprachig. 1909 war er in die Dienste der damaligen Länderbank eingetreten und hatte sich mit beständigem Fleiß nach oben gearbeitet. Als er am späten Nachmittag des 12. März 1938 sein Büro in den schon damals altehrwürdigen Räumlichkeiten der Länderbank-Zentrale Am Hof Nummer zwei in der Wiener Innenstadt betrat, begrüßte ihn einer seiner Subalternen mit einem knappen „Heil Hitler!“ und eröffnete ihm, er könne nicht länger „Anweisungen“ von ihm entgegennehmen. Wenige Tage später wurde Klaar die Prokura entzogen, im August musste er die Bank gegen eine mehr als bescheidene Abfertigung verlassen. Ernst Klaar wurde 1942 zusammen mit seiner Frau nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Er war Jude. Wie viele andere seiner Zunft auch.

Fünf Jahre lang hat eine unabhängige Historikerkommission jene Rolle erforscht, welche die drei österreichischen Geldinstitute Creditanstalt, Länderbank und Zentralsparkasse – heute allesamt in der Bank Austria Creditanstalt vereint – in der NS-Zeit erfüllt haben. Die Arbeit war eine der Auflagen des im Jahr 2000 in den USA geschlossenen „Holocaust-Settlements“ mit Opfern des NS-Regimes. Der 2019 Seiten starke Abschlussbericht, erstellt von den Historikern Gerald D. Feldman, Oliver Rathkolb, Theodor Venus und Ulrike Zimmerl, liegt seit wenigen Tagen vor. „Die Vergegenwärtigung der Geschehnisse jener Zeit sowie das Eingeständnis von menschlichen und unternehmerischen Versagen sind schmerzvoll“, so BA-CA-Vorstandsdirektor Johann Strobl anlässlich der Präsentation am Mittwoch vergangener Woche. „Wir haben jedoch sowohl gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als auch gegenüber der Gesellschaft eine demokratiepolitische und moralische Verpflichtung, zu unserer Verantwortung zu stehen.“
61 Jahre nach Ende des Krieges liegt erstmals eine annähernd vollständige wie detailreiche Aufarbeitung der Geschehnisse zwischen 1938 und 1945, respektive der zaghaften Restitutionen in den Jahren nach dem Krieg, vor.

Die Historiker räumen vor allem mit einem bislang gängigen Klischee auf: Österreichs größte Banken und deren Manager seien der Nazi-Doktrin hilflos ausgeliefert gewesen. „Sicherlich hatte das nationalsozialistische Deutschland keine freie Marktwirtschaft“, schreibt Gerald Feldman, Professor an der renommierten US-Universität Berkeley, in seinem Vorwort, „gleichwohl besaßen die Wirtschafts- und Finanzinstitutionen ein beachtliches Maß an Autonomie. Sie waren in der Lage, uneingeschränkt Initiativen zu ergreifen und günstige Möglichkeiten zu verfolgen … um so den Fortbestand und den Profit ihrer Unternehmen zu sichern.“

Was auch geschah.

Opfer und Täter. Das Bankgeschäft war und ist, mehr wohl als manche andere Branche, ein „people’s business“. Daher haben die Historiker besonderes Augenmerk auf die historische Verantwortung ausgewählter Persönlichkeiten der damaligen Hochfinanz gelegt. Die Erkenntnisse sind erschütternd und erhellend zugleich.

Es waren nicht vornehmlich deutsche Nazis, die hierzulande in die Komplizenschaft und Mitwirkung an den NS-Verbrechen verstrickt waren. Es waren durchwegs Österreicher, die sich bereits Mitte der dreißiger Jahre der dunklen Seite der Macht zugewandt hatten – und diese nach dem Anschluss beanspruchten.

Beispielgebend die Creditanstalt: Die weiland mit Abstand größte Bank Österreichs wurde zwischen 1936 und 1938 von Generaldirektor Josef Joham (1889–1959) geführt. Joham, im Ständestaat groß geworden, war selbst kein bekennender Nationalsozialist, eher Opportunist, was ihn aus der Sicht der Historiker keineswegs exkulpiert. Selbst wenn er, wie inzwischen dokumentiert, nach 1943 begonnen hatte, den damaligen US-Geheimdienst OSS, den Vorläufer der heutigen CIA, mit Informationen aus Wien zu versorgen.

Joham hatte vielmehr bereits vor dem Anschluss die Nähe zum einflussreichen Chef der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, gesucht und nicht ohne Stolz auf das schrittweise Hinausdrängen von Juden aus der Bank verwiesen. Er wurde zwar nach 1938 formell entmachtet, blieb dem Haus aber als Vorstand erhalten und übernahm nach dem Krieg wieder dessen Führung. „Zum einen gab es zweifellos bereits vor dem März 1938 viele Antisemiten bei der CA“, so Gerald Feldman, „der Anschluss machte es dann jedoch möglich, ganz unverhohlen als antisemitisches Unternehmen zu agieren. Juden wurden nicht nur umgehend aus der Belegschaft entfernt und oftmals durch Parteimitglieder ersetzt. Darüber hinaus wurden Nationalsozialisten und bekennende Antisemiten auf Schlüsselpositionen berufen“ (siehe Seite 51).

Ab Mitte 1938 waren die Organe der größten österreichischen Banken mit teils hochaktiven, bekennenden Nationalsozialisten durchsetzt. „Zu den auffallenden Aspekten der Ernennungen für den Verwaltungsrat Ende März gehört die starke österreichische Präsenz“, so der Bericht zu den Vorkommnissen in der CA.

Unter den genannten CA-Verwaltungsräten (heute vergleichbar den Mitgliedern eines Aufsichtsrats): Franz Hasslacher, Kärntner Holzindustrieller und bekennender Nationalsozialist; Franz Langoth, Leiter der NS Volkswohlfahrt, SS-Offizier und später Bürgermeister von Linz; Phillip von Schoeller, Industrieller und Bankier, der sich nach 1936 „auf Gedeih und Verderb den Nationalsozialisten verschrieben hatte“; Gottfried Schenker-Angerer, Transportunternehmer, laut Historikerkommission Anführer eines SA-Trupps, der „für seine Gewaltbereitschaft berüchtigt war“; Hermann Rhomberg, Dornbirner Textilindustrieller, „einflussreichster Wirtschaftsführer im Vorarlberger Land“, der die Nazis „unterstützt“ hatte.

Die NS-Schergen. Auch bei Länderbank und Zentralsparkasse machten es sich durchwegs österreichische Nazis in den Organen bequem. Die Länderbank stand zwar ab Juli 1938 im Eigentum der Dresdner Bank, die Zentralsparkasse war jedoch weiterhin das Institut der Gemeinde Wien. Was weder Generaldirektor Walther Schmidt noch dessen Stellvertreter Robert Pokorny davon abhielt, am 14. März 1938, also nur zwei Tage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen, die Aufnahme in die NSDAP zu beantragen.

„Schmidt war kein Nationalsozialist im engeren Sinn“, so Autor Theodor Venus, „sein Antrag wurde erst 1941 angenommen, weil die politischen Bewertungen durchwegs negativ waren.“

Dennoch: Mildtätigkeit, Menschlichkeit oder gar Courage war von Herren dieses Schlages kaum zu erwarten.

Wie die Historiker dokumentieren, waren die Kreditinstitute, allen voran CA und Länderbank, direkt und indirekt in umfangreichem Ausmaß in die Arisierung jüdischen Vermögens involviert. Betroffen waren davon die Eigentümer von Unternehmen mit klingenden Namen wie Gerngroß, Bunzl & Biach, Montana Delka oder die Bettfedernfabrik Gans. Die Banken standen daneben auch privaten „Ariseuren“ mit günstigen Betriebsmittelkrediten zur Seite, verwalteten „Sperrkonten“ jüdischer Bürger, handelten mit Raubgold und machten Geschäfte mit Konzentrationslagern.

Sicher war all das zum Wohl des Deutschen Reichs und seines selbsternannten Führers – aber eben nicht nur. Die Institute schlugen aus ihren Geschäften ungeniert Profit. Und waren nach Ende des Kriegs zunächst nur bedingt geneigt, die Opfer aus den eigenen Reihen, also Manager und einfache Angestellte, geschweige denn die geschädigten Kunden und deren Angehörige angemessen zu entschädigen. „Es ist in diesem Zusammenhang ein ähnlicher Effekt zu beobachten wie bei gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus und der Kollaboration von Österreichern und Österreicherinnen“, halten die Autoren fest. „Die eigene Opfergeschichte überlagert völlig die Vorgeschichte und den eigenen Anteil am Funktionieren des NS-Regimes – auch im Bereich der totalen Entrechtung und Ausbeutung von Juden und Jüdinnen sowie anderen Opfergruppen des Terrorregimes.“

Beispielgebend die Rückstellung des Textilherstellers Tiller AG, der den Eigentümern Emil und Josef Toffler sowie Ludwig Deutsch 1941 mit tatkräftiger Unterstützung der CA abgepresst worden war. Der nach dem Krieg mit Restitutionen befasste Oberprokurist des Instituts, Heinrich Fiala, war laut Bericht zwischen 1938 und 1945 „aktiv an etwaigen Arisierungen“ beteiligt gewesen. Das Ergebnis des 1946 eingeleiteten Rückstellungsverfahrens überrascht nicht. Die Erben der Familie Toffler und Deutsch wurden im Laufe der Verhandlungen in eine, wie es heißt, „Minderheitsposition“ gedrängt. 1954 fand das Schauspiel im „Verkauf“ des Unternehmens an die CA ein unwürdiges Ende. „Letztlich“, resümieren die Autoren, „hatten sich die ökonomisch und politisch Stärkeren gegen die Erben der ursprünglichen Eigentümer durchgesetzt.“
Von Michael Nikbakhsh