Die Schwarzen und die Braunen

Zeitgeschichte: Die Schwarzen und die Braunen

Die ÖVP quittiert die BSA-Studie mit Schweigen

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Am Montag blieb es still, ebenso am Dienstag. Erst am Mittwoch konnte Nationalratspräsident Andreas Khol der Versuchung nicht widerstehen. „Die ÖVP hat ihr kritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus immer unter Beweis gestellt“, diktierte er stolz den „Salzburger Nachrichten“ in einem Interview: „Diejenigen, die unsere Partei gegründet haben, kamen alle aus dem Widerstand.“

Die Bemühungen Khols, seine Partei von den in der BSA-Studie dokumentierten Sündenfällen der SPÖ in den Jahren nach 1945 abzuheben, sind tapfer – historisch haltbar sind sie nicht: Auch die schwarzen Sagengestalten der frühen Jahre hatten sich für Nazis verwendet, die Parteigründer kamen mitnichten durchwegs aus dem Widerstand, und antisemitische „Ausrutscher“ von ÖVP-Politikern sind bis in die jüngere Vergangenheit belegt.

Der Umgang der ÖVP mit den ehemaligen Nationalsozialisten unterschied sich dennoch grundlegend von jenem der Sozialdemokraten: Versuchte die SPÖ ihren Mangel an Bildungseliten – in Zeiten des entstehenden Proporzsystems ein ernstes Problem – durch das Anheuern ehedem brauner Akademiker zu kompensieren, ging es der ÖVP einfach um Stimmen. Das Personal für die Postenbesetzungen hatte sie zum überwiegenden Teil aus dem autoritären Ständestaat übernommen.

Beiden Parteien war klar, dass der Ausschluss der etwa 500.000 weniger belasteten NSDAP-Mitglieder vom politischen Willensbildungsprozess nicht von Dauer sein konnte. Bei der zweiten Nationalratswahl der neuen Republik, jener von 1949, waren die NS-Parteigänger schon wieder dabei. Die Zahl der Wahlberechtigten stieg schlagartig um 25 Prozent.

Komplexe Lage. Die Verhandlungen der ÖVP-Granden Julius Raab und Alfons Maleta mit Vertretern des beschönigend so genannten „dritten. Lagers“ über eine gemeinsame Liste mit der ÖVP zerschlugen sich. Deren Wortführer, der Wirtschaftsprofessor Taras Borodajkewycz1), forderte 25 Prozent der Mandate, was Raab jedoch nicht zugestehen wollte. Bei der Nationalratswahl 1949 kandidierte der „Verband der Unabhängigen“, die Vorgängerpartei der FPÖ, und erhielt auf Anhieb 490.000 Stimmen (11,6 Prozent).

Das Verhältnis der ÖVP zu den „Ehemaligen“ war komplex. Einerseits bekämpften die Christlichsozialen im Ständestaat Hitlers dessen Griff nach Österreich erbittert. Viele aus der Führungsgarde mussten ins Exil oder kamen ins KZ. Kanzler Kurt Schuschnigg überlebte die NS-Herrschaft in einem Promi-Lager. Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg gelang die Flucht nach Südamerika.

Andererseits hatten sich viele politische Haltungen der Austrofaschisten mit jenen der Nazis gedeckt: Beide waren strikte Antidemokraten und – wenn auch in sehr unterschiedlichem Maß – Antisemiten. Der ÖVP-Bundeskanzler der Jahre 1966 bis 1970, Josef Klaus, hatte 1932 als Leiter der „Deutschen Studentenschaft“ an der Universität Wien heftig gegen die Wahl eines Juden zum Dekan der Medizinischen Fakultät protestiert: „Wollen Sie bedenken, dass Sie sich an einer deutschen Hochschule befinden und dass die deutschen Studenten als ihre Führer nur deutsche Lehrer anerkennen!“ Zwei Jahre zuvor war der spätere Bundeskanzler Julius Raab (er regierte von 1953 bis 1961) als Heimwehr-Sturmführer am berüchtigten „Korneuburger Eid“ beteiligt gewesen. Die Eidformel: „Wir wollen nach der Macht im Staate greifen! Wir verwerfen den westlichen demokratischen Pluralismus!“ Später behauptete Raab, er sei zwar in der Formation zum Schwur angetreten, habe aber geschwiegen.

Emigranten. Leopold Figl, erster ÖVP-Nachkriegskanzler und Raabs Vorgänger, war im Ständestaat Bauernbunddirektor gewesen. Mit dem ersten Häftlingstransport nach dem Anschluss wurde er am 1. April 1938 ins KZ Dachau eingeliefert. Der raschen Wiedereingliederung der ehemaligen Nationalsozialisten ins öffentliche Leben stellte er sich nach 1945 dennoch nicht entgegen. Skepsis hegte Figl gegen jene, die Hitler durch Emigration entkommen waren und „die Zeit in ihren Clubsesseln verbracht haben, anstatt für Österreich zu leiden“, wie er einmal bitter anmerkte. Als Landwirtschaftsminister Josef Kraus (ÖVP) 1948 im Ministerrat angesichts jüdischer Entschädigungswünsche trompetete, er sehe nicht ein, warum man jetzt „einer Rasse besondere Privilegien einräumen“ solle, pflichtete ihm Kanzler Figl bei und fügte hinzu, damit würde man sich nur „in Gegensatz zu den Nationalsozialisten bringen“. Das war im Jahr vor jener Nationalratswahl, bei der die minderbelasteten Ex-NSDAP-Mitglieder erstmals wieder wählen durften, höchst unklug.

Wie die Sozialdemokraten halfen auch ÖVP-Politiker hohen Beamten und Richtern aus der NS-Zeit zurück in schöne Ämter. Hermann Hiltscher, Ermittlungsrichter am NS-Volksgerichtshof, Nazi der ersten Stunden und Träger des goldenen NSDAP-Ehrenzeichens, war nach 1945 zwangspensioniert worden. Der Bescheid wurde vom Justizministerium aufgehoben, nachdem sich sowohl die Wiener ÖVP als auch das Domkapitel von Sankt Stefan für ihn eingesetzt hatten. Hiltscher war bis 1968 am Oberlandesgericht Wien tätig.

Für den NS-Richter Philipp Metzler machte sich 1950 Julius Raab, damals noch Nationalrat, bei SPÖ-Justizminister Otto Tschadek stark und blitzte vorerst ab. Wenig später intervenierte Kanzler Leopold Figl persönlich: Seinem Wunsch, Metzler wenigstens in die Verteidigerliste aufzunehmen, wurde entsprochen.

Frühe Nazis. Der NS-Jurist Arthur Klohs war schon im Jänner 1933 der NSDAP beigetreten und waltete in der Nazizeit als Landesgerichtspräsident von Wiener Neustadt seines dunklen Amtes. Ab 1946 als Anwalt tätig, forderte er 1954 eine Anrechnung seiner NS-Dienstzeit in die Pensionsbemessung. Nach einer Fürsprache des nunmehrigen Bundeskanzlers Julius Raab beim Justizminister wurde der Wunsch erfüllt.

Eine andere Episode aus Raabs Biografie galt in der ÖVP stets als „Familiengeheimnis“: Raab, hieß es, habe in den dreißiger Jahren dem illegalen Nazi Hermann Neubacher aus dem Gefängnis verholfen. Dieser habe den Heimwehr-Funktionär Raab dafür in der Nazizeit – Neubacher war Wiener Bürgermeister – vor der Gestapo abgeschirmt. Anfang der fünfziger Jahre machte Neubacher, nun wieder mit Unterstützung Raabs, Karriere in der Österreichischen Mineralölverwaltung.

Wie Leopold Figl war auch Alfons Gorbach, ÖVP-Bundeskanzler zwischen 1961 und 1964, im KZ Dachau interniert gewesen und hatte schwere körperliche Schäden davongetragen. Nach 1945 war der Steirer Gorbach paradoxerweise einer der entschlossensten Nazi-Umarmer. Als Dritter Nationalratspräsident übermittelte er 1949 dem Justizminister eine ganze Liste von ehemaligen NS-Juristen, die seiner Meinung nach wieder in den Justizdienst aufgenommen werden sollten.

Alt-Nazi-Mobilisierung. Im Nationalratswahlkampf desselben Jahres buhlte Gorbach ganz ungeniert um die Stimmen der Braunen: „Da mögen die Herren Emigranten noch so viel Moralinsäure verspritzen: Jene, die draußen (an der Front, Anm.) ihren Mann gestanden haben, wissen besser, was anständig ist, als jene, die sich beim ersten Kräuseln des Ozeans in Sicherheit gebracht haben. Ich spreche den Emigranten das Recht ab, in der NS-Frage mitzureden!“

Die Botschaft wurde verstanden. Der ehemalige NSDAP-Bauernführer der Steiermark, Sepp Hainzl, mobilisierte 100 frühere Nazi-Promis, die einen in mehreren Zeitungen veröffentlichten Wahlaufruf für die ÖVP unterschrieben: Nur mit einer Stimme für die ÖVP könne Österreich „Vorposten gegen die rote Flut aus dem Osten bleiben und der Einbruch des marxistisch-leninistischen Materialismus verhindert werden“. Ähnliche Töne hatte nicht allzu lange vorher der „Völkische Beobachter“ angeschlagen.

In Kärnten hatte es seit jeher eine protestantische Bauernschaft gegeben, weil der Arm der Gegenreformation südlich des Alpenkamms einfach zu schwach war. Entsprechend karg war dort der Boden für Christlichsoziale und ÖVP. Im Landtagswahlkampf 1949 schickte die ÖVP daher gemeinsam mit dem VdU einen Kandidaten ins Rennen: Hans Steinacher, einen Helden des Kärntner Abwehrkampfes von 1920. In seinem Buch „Sieg in deutscher Nacht“, erschienen 1943, hatte Steinacher die Kämpfe an Kärntens Südgrenze nationalsozialistisch gedeutet. Seine Mitgliedschaften bei NSDAP und SS verhinderten nicht, dass er stellvertretender Landesobmann der ÖVP Kärnten wurde.

In den schwarzen Reihen tummelten sich nach 1945 auch schwer Belastete. Der letzte Finanzminister des christlichsozialen Ständestaats, Rudolf Neumayer, war nach Hitlers Machtübernahme im Staatsdienst verblieben und im Mai 1938 zum Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung befördert worden. Nicht linientreue Mitarbeiter lieferte er an die Gestapo aus. Nach 1945 inhaftiert, wurde er nach zwei Jahren krankheitsbedingt entlassen und kam im ÖVP-nahen „Verein der Freunde des Wohnungseigentums“ unter. 1969 ging er im Alter von 82 Jahren in Pension. Er starb 1977.

Hoffnungslos. Ein schweres Kaliber war auch Franz Hausberger, Jahrgang 1919, in den siebziger Jahren ÖVP-Bürgermeister von Mayrhofen im Zillertal. Hausberger hatte unvorsichtigerweise mit seiner Kriegsvergangenheit in der 1. SS-Infanteriebrigade geprahlt, die an Massenmorden beteiligt gewesen war. Hausberger selbst hatte in Holland ein Kind erschossen, das sich gewehrt hatte, als ihm der SS-Mann den Hund wegnehmen wollte. „Nimm diese Dinge nicht zu ernst“, tröstete Landeshauptmann Eduard Wallnöfer den Parteifreund nach dem erzwungenen Rücktritt.

In den achtziger Jahren gab es einen größeren Wirbel, als ruchbar wurde, dass der ÖVP-Bezirksvorsteher von Wien-Mariahilf, Franz Blauensteiner, 1945 als Mitglied des Reichsarbeitsdienstes vier gefangene US-Piloten erschossen hatte. In einem Prozess wurde Blauensteiner freigesprochen, weil er zur Tatzeit erst 17 war.

Manche blieben hoffnungslos unbelehrbar. „Saujud“, entfuhr es dem ÖVP-Abgeordneten Alois Scheibengraf 1967 im Zusammenhang mit dem neuen SPÖ-Obmann Bruno Kreisky. „Alles Juden!“, schrien die betrunkenen ÖVP-Abgeordneten Walter Suppan und Johann Haider im Nationalrat, als Kreisky 1972 eine Liste von Auftragnehmern beim Bau der UNO-City vortrug.

In der ÖVP will man vorerst dennoch nicht braune Flecken in der Vergangenheit aufspüren. Da es auf VP-Seite keine dem BSA vergleichbare Organisation gegeben habe, würde man da auch nicht fündig werden, beschied Generalsekretär Reinhold Lopatka am Donnerstag knapp.