Treichl: "Ziehen Sie sich Windeln an"

"Ziehen Sie sich Windeln an": Erste-Bank Chef Andreas Treichl im Gespräch mit profil

Erste-Bank Chef im Gespräch mit profil

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Interview: Michael Nikbakhsh

profil: Herr Generaldirektor, es sieht so aus, als könnte das starke Engagement der österreichischen Banken in Ost- und Südosteuropa zu einem echten Problem werden. Die Konjunktur in einigen Staaten schwächelt bereits bedrohlich, erhebliche Vorsorgen und Ausfälle stehen im Raum. Wie schlimm ist es wirklich?
Treichl: Ich teile die Ansicht, dass die Probleme in einzelnen osteuropäischen Staaten eine größere Dimension haben als allgemein erwartet. Dennoch gilt es zu differenzieren. Die Krise trifft ja nicht jedes westeuropäische Land gleichermaßen, und auch Osteuropa ist nicht Osteuropa. Die Lage in Tschechien ist eine andere als in Rumänien, in Ungarn anders als in der Slowakei. Wenn man über die Auswirkungen der Krise redet, sollte man zumindest klar zwischen EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern unterscheiden. Und man sollte nicht vergessen, dass es in den meisten Ländern der Region auch 2009 ein Wirtschaftswachstum geben wird, was man von den wenigsten Ländern in Westeuropa behaupten kann.

profil: Österreichs Banken sind hauptsächlich in den neuen Mitgliedsstaaten etabliert. Und da läuft es derzeit in keinem Markt wirklich rund.
Treichl: Ich tendiere zu der Meinung, dass diese Länder die Krise besser überstehen werden als viele der großen alten EU-Volkswirtschaften. Die neuen EU-Mitglieder haben den Vorteil, dass sie bis 2013 rund 100 Milliarden Euro an EU-Fördermitteln zur Verfügung gestellt bekommen, sofern sie auch in der Lage sind, überfällige Infrastruktur- und Umweltprojekte auf die Beine zu stellen. Diese 100 Milliarden sind ein substanzieller Prozentsatz des Bruttosozialprodukts dieser Länder. Zusammen mit einer steuerlich günstigeren Situation als in der alten EU, wesentlich niedrigeren Lohnkosten und einer anderen mentalen Einstellung zur Krise, werden diese Länder sicherlich besser dastehen. Daher bin ich als Banker lieber in Rumänien als in Frankreich aktiv. Und um Eckhäuser lieber in der Tschechischen Republik als beispielsweise in Holland tätig.

profil: Wie darf man sich die „andere mentale Einstellung zur Krise“ vorstellen?
Treichl: Wenn Sie heute einen 45-jährigen Rumänen fragen, wie er diese Krise zu überstehen gedenkt, wird er Ihnen vielleicht antworten: „Ceausescu hat meine Eltern eingesperrt und meinen Vater umgebracht. Ich habe während meines Studiums Pamphlete verfasst und wurde ebenfalls eingesperrt. Später habe ich einen Betrieb übernommen, wurde ausgeraubt und landete ohne Job auf der Straße. Und Sie wollen mir etwas von einer Krise erzählen? Ziehen Sie sich Windeln an.“ Wir in Westeuropa können das Wort Krise zwar buchstabieren, haben aber nie in einer gelebt.

profil: Wollen Sie damit andeuten, West­europa brauche sich nicht in die Hosen zu machen?
Treichl: Ich sehe zumindest keinerlei Veranlassung, in Panik zu geraten.

profil: Finanzminister Josef Pröll hat jüngst aber aufgeregt angekündigt, er wolle Regierungskollegen etwa in Bukarest, Kiew und Sofia dazu bewegen, nationale Rettungspläne nach westeuropäischem Vorbild zu konzipieren. Benötigt etwa die rumänische Erste-Tochter BCR bereits staatliche Hilfen?
Treichl: Wir brauchen von Rumänien kein Kapital und wollen auch keines. Ich tue mir schon schwer genug, die Aufnahme von Partizipationskapital in Österreich zu verhandeln. Darüber hinaus ist das Rating der Erste Bank wesentlich besser als das Rumäniens. Das würde uns also überhaupt nicht helfen. Es wird auch gerne übersehen, dass der Einfluss der Bankensysteme auf osteuropäische Volkswirtschaften wesentlich geringer ist als bei uns. Und dadurch, dass die Finanzsektoren in den CEE-Ländern mit wenigen Ausnahmen von internationalen Investoren beherrscht werden, haben sie auch vergleichsweise weniger Giftmüll in den Bilanzen. Der liegt nicht in Prag, Bratislava oder Bukarest, sondern in London, Mailand oder ­Paris.

profil: Eine Abschwächung der Konjunktur, wenn nicht eine Rezession würde aber doch unweigerlich zu Ausfällen im Kreditportefeuille führen. Speziell die Erste Bank hat das osteuropäische Privatkundengeschäft in den vergangenen Jahren stark forciert.
Treichl: Wir sind in der Region stark gewachsen, aber es ist im Vergleich zu Österreich immer noch ein Minigeschäft. Von unseren 14 Millionen Kunden in Ost- und Südosteuropa haben zum Beispiel nur 300.000 einen privaten Wohnbaukredit laufen. Wachstumsraten hängen immer an den absoluten Beträgen, von denen sie ausgehen. Wenn ich in einem Land einen Euro an Krediten in den Büchern habe und auf zwei Euro erhöhe, habe ich eine Wachstumsrate von 100 Prozent. Wenn ich dagegen von fünf Milliarden auf sechs Milliarden erhöhe, sind es nur 20 Prozent. Trotzdem kommt in einem Fall nur ein Euro dazu, im anderen aber eine Mil­liarde.

profil: Es fällt aber auf, dass der Bankensektor international über Jahre ein ziemlich großes Rad gedreht hat. Statt Reserven zu bilden, wurde immer neues Risiko in die Bücher genommen. Ihr Haus war da keine Ausnahme.
Treichl: Wir hatten vor zehn Jahren eine Eigenkapitalquote von fünf Prozent, Ende 2008 waren es rund sieben Prozent. Unsere Eigenkapitalausstattung hat sich also um rund 50 Prozent verbessert. Und: Wir sind mit dem Risiko sehr vorsichtig umgegangen. Ich habe aber ohnehin große Probleme mit diesen Relationen, da sie nicht zwischen liquiden und illiquiden Instituten differenzieren. Investoren, Ratingagenturen und Medien meinen jetzt ausnahmslos, man bräuchte in der Krise zumindest neun bis zehn Prozent Eigenkapital. Also wesentlich mehr als noch vor zwei Jahren. Es macht aber einen Unterschied, ob man, so wie wir, praktisch das gesamte Kreditgeschäft mit Einlagen refinanziert oder, wie in vielen anderen Fällen, 300 bis 500 Prozent der Kundeneinlagen als Kredite vergeben hat und das durch den brachen Interbankenmarkt refinanzieren muss. Wenn man ernsthaft über Sicherheit im Bankgeschäft reden wollte, dann ginge dies in Richtung Industrie, wo man Eigenmittelquoten von bis zu 30 Prozent hat. Das würde aber unweigerlich dazu führen, dass die Eigenkapitalverzinsung der Banken dramatisch abnimmt. Langfristig würden Investoren von mir Renditen verlangen, die ich nur über höhere Margen darstellen könnte. Also müssten am Ende die Kunden die Rechnung dafür bezahlen.

profil: Jetzt ist aber erst einmal der Steuerzahler dran. Sie wollen bei der Republik Österreich demnächst bis zu 2,7 Milliarden Euro an Partizipationskapital aufnehmen, um die Eigenmittelausstattung zu verbessern.
Treichl: Wir reden hier nicht von Geschenken. Für den Staat wäre das ein super Geschäft. Durch die Zinsen (geplant sind acht Prozent jährlich auf vorerst fünf Jahre, Anm.), die wir als Erste Group zahlen würden, könnte man den Wegfall der Studiengebühren finanzieren.

profil: Wäre, könnte?
Treichl: Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.

profil: Heißt das, der Einstieg des Staats könnte noch platzen?
Treichl: Das hängt von den Auflagen ab. Wir sind ein börsennotierter Konzern und müssen auch die Interessen unserer Investoren im Auge haben. Wir sind ja keine Bank, die Verluste schreibt und verstaatlicht werden muss, sondern müssen schauen, wie wir am schnellsten die höheren ­Eigenmittelerfordernisse erfüllen. Der Staat ist da eine Möglichkeit. Wenn der Eindruck entstünde, der Staat würde bei uns hineinregieren, dann würde kein Mensch mehr unsere Aktien kaufen. Unter diesen Umständen würden wir das Kapital beim Bund nicht aufnehmen.

profil: Was würde dann passieren?
Treichl: Wenn wir das Kapital nicht nehmen, wird sich unser Rating wahrscheinlich verschlechtern, weil der Markt der Meinung ist, dass rund sieben Prozent ­Eigenkapital nicht ausreichend sind. Wir müssten uns also teurer refinanzieren und in weiterer Folge restriktiver bei der Kreditvergabe sein.

profil: Noch restriktiver? Es ist jetzt schon schwer genug, in Österreich an Finanzierungen zu kommen. Vor allem der Mittelstand beklagt die ominöse Kreditklemme. Dabei sind die Zinsen zumindest auf dem Papier niedrig wie lange nicht mehr.
Treichl: Der Vorwurf einer Kreditklemme ist absurd. Wir sind eine Bank und leben davon, Kredite zu vergeben, und das tun wir nach wie vor. Aber natürlich haben sich in der Krise die Risikoaufschläge für alle verteuert, auch für Kunden mit guter Bonität, selbst für Staaten. Kreditnehmer und -geber sind vorsichtiger geworden. Und ich glaube auch nicht, dass sich Kredite in nächster Zeit verbilligen werden.

profil: Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sieht das aber offenbar anders. Er wähnt sehr wohl eine Kreditklemme und will dem Problem jetzt unter Einbindung der staatlichen Fördereinrichtung Austria Wirtschaftsservice beikommen. Sie soll ab Mai günstigere Finanzierungen für Klein- und Mittelbetriebe anbieten.
Treichl: Das finde ich insofern eine gute Idee, als dann all jene Unternehmen, die angeblich von den Banken als Kreditnehmer abgelehnt werden, einen staatlichen Kredit erhalten. Als Minister wäre mir nur vor der drohenden Höhe der Ausfälle etwas bang.

profil: Vier Monate nach dem Kollaps von Lehman Brothers und dem Ausbruch der Finanzkrise in Europa werden zunehmend kritische Stimmen laut, die meinen, die Banken sollten das Schlamassel, das sie angerichtet haben, doch bitte schön selbst ausbaden – und nicht den Staat in die Pflicht nehmen.
Treichl: Diesen puristischen Ansatz könnte man natürlich verfolgen. Aber zum einen ist die Situation international so gefährlich, dass sie ohne jeden staatlichen Eingriff leicht eskalieren würde. Der Zusammenbruch des Finanzsystems wäre eine Katastrophe für alle Menschen. Zum anderen leben wir seit Jahrzehnten in einem System, in dem der Staat laufend Risiken übernimmt, die Banken nicht tragen wollen. Wäre das nicht so, bräuchten wir zum Beispiel keine Kontrollbank. Der Staat übernimmt Garantien nicht aus Wohltätigkeit, sondern weil es seiner Wirtschaft nützt. Jetzt passiert Ähnliches unter anderen Vorzeichen. Wir durchleben eine echte Krise, der Staat möchte die Wirtschaft ankurbeln und gewährt zum Beispiel Partizipationskapital. Wir zahlen dafür, der Staat macht ein Geschäft und hofft, dass sich die Liquiditätssituation innerhalb des Bankensystems irgendwann wieder entwickelt, die Kreditvergabe weitergeht, die Unternehmen Geld verdienen und die Steuerleistung steigt.

profil: Aber warum sollten ausgerechnet die Bankmanager, die für die Krise mitverantwortlich zeichnen und diese bisher auch beruflich überlebt haben, jetzt plötzlich alles besser machen?
Treichl: Was ist die Alternative? Wollen Sie alle Banker weltweit austauschen? Gegen wen? Die wirkliche Schwierigkeit ist, das Vertrauen wieder zu erlangen. Alles, was wir tun, basiert auf Vertrauen, ganz egal, wie viele Verträge man macht. Sie geben einer Bank Geld im Vertrauen, dass Sie es zu einem späteren Zeitpunkt mit einer anständigen Verzinsung zurückbekommen. Die Bank verleiht das Geld im Vertrauen, dass der Kreditnehmer es auch zurückzahlt. Man kann Vertrauen im Guten verspielen, und man kann es im Bösen verspielen. Der Vertrauensschwund in der Krise wurde aber weniger durch kriminelle Handlungen hervorgerufen. Tausende Mitarbeiter von Sparkassen, Raiffeisen und anderen Sektoren haben Kunden Produkte mit besten Absichten verkauft. Und sie haben die Kunden enttäuscht. Dieses Vertrauen muss man wiederherstellen.

profil: Sie und Ihre Kollegen predigen seit Wochen, die Sparer mögen ihre Sparein­lagen nicht abziehen, weil das Geld in Österreich sicher sei und keine Bank in Konkurs ginge. Umgekehrt trauen die Kreditinstitute einander aber nach wie vor nicht über den Weg und wollen untereinander kaum Geld verleihen. Wie geht das zu­sammen?
Treichl: Gute Frage. Der Kreislauf ist zwar gestört, aber er wird sich wieder schließen. Die Politik und die Zentralbanken haben hier rasch und gut reagiert, daher sehe ich eine echte Chance, dass die Krise anders ausgeht, als viele glauben.

profil: Die Erste-Gruppe beschäftigt derzeit europaweit 53.000 Mitarbeiter. Wie viele Arbeitsplätze gehen verloren?
Treichl: Wir haben nicht vor, ausgerechnet in der Krise Arbeitslose zu schaffen. Unsere Mitarbeiter sind jetzt sehr gefordert, die Kunden ausgezeichnet zu beraten.

profil: Am 1. Juli begehen Sie Ihr zwölfjähriges Jubiläum an der Spitze der Erste Bank, zwei Wochen zuvor werden Sie 57 Jahre alt. Haben Sie nicht Angst, dass Ihnen die Kraft ausgeht?
Treichl: Ich komme langsam in ein Alter, in dem Selbstreflexion eine ganz natür­liche Sache ist. Aber ich habe eine relativ gute Kondition. Diese Krise ist eine
Herausforderung, und sie gibt mir viel
Energie.

profil: Ihr Vertrag läuft noch bis 30. Juni 2012. Sie sind dann 60. Hängen Sie noch eine Ehrenrunde dran?
Treichl: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch eine Periode dranhänge, ist zum Entsetzen meiner Mitarbeiter gestiegen. Der Spirit der Leute im Haus ist besser geworden, und diese Krise hat uns massiv geerdet. Ich bin überzeugt davon, dass wir da gut durchkommen. Und da möchte ich unbedingt dabei sein.