Am Freitag heiraten Charles & Camilla

Zirkus Krone

Ein Happy End nach 35-jähriger Liebesbeziehung

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Das offizielle Verlobungsfoto wurde von einer Küchenangestellten geschossen, statt Champagner fließt saurer Biowein, und der Fummel der 57-jährigen Braut stammt von einem Designer-Duo, dessen Name keinerlei „Vogue“-Relevanz besitzt. Auch die Schwiegereltern der Braut werden am Standesamt nicht anwesend sein. Dafür haben sie die der Zeremonie folgende Party in den eigenen Gemäuern auf den Status einer schlechteren Kinderjause degradiert: Mit 18 Uhr ist unwiderruflich das Ende des Empfangs auf Schloss Windsor angesetzt.
Dann müssen Mette-Marit und Hakoon von Norwegen sowie Ex-First-Lady Nancy Reagan ab ins Körbchen – womit die hochklassigen Festgäste, abseits der engeren Verwandtschaft und Show-Prominenz wie TV-Komiker Rowan
Atkinson, auch schon fast erschöpfend aufgezählt wären. Zu allem Überfluss soll das von der bekannt knausrigen Königin ausgerichtete Buffet auch noch sehr Fruchtkuchen-lastig sein.

Die Legalisierung der langjährigen Liaison zwischen Prince Charles und Camilla Parker-Bowles am Freitag dieser Woche steht unter denkbar trostlosen Vorzeichen. Was den Glamour-Faktor betrifft, kommt die Hochzeit des Jahres einem Bankrott gleich. Dennoch bietet sie Romantik auf 5-Sterne-Niveau. „Es ist
der Glamour der Gefühle, der hier die Herzen zum Strahlen bringt“, hätte Barbara Cartland, die verstorbene Schund-Romancière, möglicherweise geschrieben, wenn sie nicht mit Lady Di verwandt gewesen wäre. Ach ja, Diana. Deren Heiligenschein hat seit ihrem Unfalltod 1997 auch einiges an Strahlkraft eingebüßt. Selbst Elton „Candle in the Wind“ John erklärte jüngst in einem Interview, dass die Prinzessin „für Charles wohl wirklich die falsche Frau gewesen ist“.
Wenn Kinder, so der verstorbene Psychoanalytiker Bruno Bettelheim, Märchen brauchen, dann lechzen Erwachsene, vor allem jene weiblichen Geschlechts, nach Reality-Romanzen, wie sie der englische Thronfolger und Camilla Parker-Bowles seit fast 35 Jahren bieten. Das Drama einer Liebe, die nicht sein darf; die Leidenschaft einer „Zu zweit gegen alle“-Nähe und endlich – nach einem halben Leben gemeinsam erlittener Demütigungen und Heimlichkeiten – der offizielle Anfang eines „Happy Ends“. Das ist der Stoff, der die Trockenhauben von Aberdeen bis Zeltweg zum Wackeln bringt.

Der nicht zu unterschätzende Nebeneffekt, der trotz jahrelangen Camilla-Bashing für Wohlwollen im Volk sorgt: Die triumphierende Protagonistin dieses Passionsspiels sieht, trotz ihres aufwändigen Styling-Relaunches in teintschmeichelnden Pastellfarben, beileibe nicht aus wie eine Göttin, sondern beruhigend irdisch. Zu ihrer Fotogenität pflegt sie, beneidenswert eins mit sich selbst, gern anzumerken: „Oops, schon wieder 13 Doppelkinne auf nur einem Gesicht.“

Märchen. Das ist „ein zeitgemäßes Märchen für richtige Erwachsene und Verfechter einer Pro-Realismus-Ideologie“, wie die „New York Times“ trocken konstatierte. Jenes Ereignis, das im Juli 1981 mehr als 700 Millionen Menschen zu Tränen rührte, mutet im Vergleich wie eine Soap für Friseusen an: Unschuldige 19-jährige Kindergärtnerin mit dem Charisma eines scheuen Rehs kriegt einen Prinzen, Kiri Te Kanawas Tremolos und acht Meter lange Schleppe inklusive. Dagegen hat das späte Glück der silberhaarigen Camilla mit all ihrem trotzigen Understatement irgendwie entschieden mehr authentische Tiefe.
Ein Rolls-Royce Phantom V, Baujahr 1962, wird diesen Freitag die Auffahrt des Windsor Castle, des größten bewohnten Schlosses der Welt, herunterrollen und das kurze Stück zur Guildhall im Städtchen Windsor fahren. Dann werden die Mittfünfziger Romeo und Julia alias Seine Königliche Hoheit Charles, Prince of Wales, und Camilla Parker-Bowles aussteigen, um in dem schmucken Bau aus dem 17. Jahrhundert zu verschwinden. Zwanzig Minuten später werden die beiden das Gebäude wieder verlassen und zurück nach Windsor Castle schweben, zum kirchlichen Segen und anschließenden Imbiss mit 750 Gästen. Damit wird eine der kuriosesten Liebesgeschichten unserer Zeit ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben.

Der idyllische Schein trügt. Dass Charles und Camilla einander nunmehr das Jawort geben dürfen, war jahrzehntelang so unwahrscheinlich erschienen wie der ehrenamtliche Vorsitz der Queen bei einem Wettrülpsverein. Zwischen den Liebenden standen unter anderem: zwei Ehepartner, die Königin von England, uralte Gesetze im Verfassungsrang, alle Medien der westlichen Welt, die Öffentlichkeit, die anglikanische Kirche, die Angehörigen.
Zwischen dem Bräutigam und dem mutmaßlich schönsten Tag seines Leben steht einstweilen aber vor allem schlechte Laune. Beim offiziellen Fototermin vergangenen Mittwoch im schweizerischen Klosters, wo Charles traditionsgemäß mit seinen Söhnen jährlich schiurlaubt, murmelte der 57-jährige Prinz angesichts des Paparazzipulks: „Grässliche Leute allesamt!“

Verdammte Farce“. Dabei übt sich die britische Presse wenige Tage vor der Hochzeit des Jahres erstaunlicherweise in jener Disziplin, für die sie am wenigsten bekannt ist: Zurückhaltung. Offensichtlich hat man des Prinzen Klagen über „die verdammte Farce“ im Vorfeld, „wo alles in die Hosen ging, was nur in die Hosen gehen konnte“, beherzigt. Mediale Kränkungen wie „Langweilige alte Leutchen heiraten“ („Daily Star“) oder „Jetzt heiratet der Prinz der Parasiten eine Frau mit einem Gesicht, das an Iggy Pops Hintern erinnert“ (die Kolumnistin Julie Burchill in der „Times“) blieben dem am längsten amtierenden Thronfolger der westlichen Hemisphäre zuletzt erspart.
Immerhin geht es um einen Mann, der den Britinnen 1993 den Kose-Begriff „It’s Charlie-time“ für ihre Monatsregel bescherte (nachdem seine Liebestelefonate mit Camilla ruchbar geworden waren, in denen er als ihr Tampon reinkarniert werden wollte); und einen Mann, der mehrere PR-Super-GAUs überstand, im Vorjahr etwa die Enthüllungen des früheren Diana-Butlers Paul Burrell, der Prince Charles nicht nur beschuldigte, konspirativ am Unfalltod seiner Ex-Frau beteiligt gewesen zu sein, sondern auch, die Vergewaltigung eines Palastbediensteten seitens seines engsten Mitarbeiters vertuscht zu haben.
Doch die Probleme mit der Legalisierung der königlichen Methusalem-Romanze dürften den sonst von schier unerschütterlicher Contenance geprägten „edelmütigen Ritter“ („The Sun“) schließlich doch überfordert haben. Der Pannen-Parcours nahm seinen Auftakt mit der Verlagerung der standesamtlichen Trauung vom Schloss Windsor in das deprimierend bürgerliche Rathaus des Ortes, dessen Hauptsaal maximal dreißig Leute fasst. Auf Schloss Windsor kann mangels standesamtlicher Lizenz nur kirchlich getraut werden. Denn würde für Prinzen eine Ausnahme gemacht, könnte ja plötzlich auch der Plebs die grauen Standesämter verschmähen wollen.
Dann verlautete aus dem Buckingham-Palast, dass die Königin und Prinz Philip dem amtlichen Ehegelübde nicht beiwohnen würden. Offizielle Begründung: Man wolle die Zeremonie durch zu viel Aufhebens nicht unnötig stören. In Wahrheit hatten die „grauen Männer“, wie Lady Diana den rigiden Höflingsstaat der Queen zu bezeichnen pflegte, der Chefin geflüstert, dass ihre Anwesenheit bei der Trauung zweier Ehebrecher ihrer moralischen Autorität irreparablen Schaden zufügen würde. Also trudeln „Mummy“ und der „Iron Duke“ erst zum kirchlichen Segen durch den Erzbischof von Canterbury in der St. George’s Chapel ein – ein weiteres Indiz dafür, dass die Beziehung zwischen der Queen und ihrem Ältesten unverändert frostig ist. Innerhalb des Windsor-Clans gilt Charles als jenes Familienmitglied, dem das stolze Geschlecht den dramatischsten Image-Verfall seit der Abdankung von Edward VIII. wegen der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson 1936 zu verdanken hat.
Die hitzige Diskussion um Camillas offiziellen Titel, sollte Charles dereinst den Thron besteigen, trug auch nicht zur Gelassenheit bei. Denn für die exzentrische Biografie des amtierenden Prince of Wales ist selbst die an sich sehr flexible britische Verfassung, „die ohnehin nur in ein paar modrigen Papierrollen in einer Abstellkammer des House of Lords existiert“, so der deutsche Windsor-Biograf Tom Levine, nicht gewappnet. Die Titel-Debatte endete mit dem Fazit, dass Camilla, die durch die Hochzeit ein Upgrading zur „Herzogin von Cornwall“ erfährt, später unter keinen Umständen als „Princess of Wales“ und schon gar nicht als „Königin“ angeredet werden darf, sondern schlicht „Prinzgemahlin“ (Princess Consort) sein wird.

Queen Camilla? Damit sollte das Camilla-skeptische Volk beschwichtigt werden. Tatsächlich jedoch wäre ein Verzicht auf den Königinnentitel juristisch nur möglich, wenn in allen Ländern des Commonwealth vorher entsprechende Gesetzesänderungen beschlossen würden.
Unterdessen pochen Charles’ Mitstreiter im Kampf um die Wiederverheiratung auf dessen Recht, als ganz normaler Bürger zu heiraten. Ihre vorgebliche Normalität bemühen Mitglieder von Königsfamilien allerdings nur in ausgesuchten Momenten ihres Daseins, dann nämlich, wenn sie davon profitieren.
Wie zum Beispiel im Februar, als die Rechtsgültigkeit einer Ehe zwischen Charles und Camilla von mehreren republikanischen Juristen bezweifelt wurde. Eigentlich sieht das Eherecht, zurückgehend auf den „Marriage Act“ von 1836, für die Mitglieder der Königlichen Familie keine standesamtliche Ehe vor. Doch unter Aufbietung zahlreicher royaler Rechtsneudeuter wurden dieser Einwand sowie alle weiteren für obsolet erklärt. Man berief sich dafür ironischerweise auf die Menschenrechte, die jegliche Diskriminierung verbieten – insbesondere die Diskriminierung aufgrund von Reichtum, Macht und Zugehörigkeit zur Königlichen Familie.
„Tatsächlich dürften die Ausgaben für Rechtsbeistand alle übrigen Kosten der Hochzeit von Charles und Camilla bei weitem übertreffen“, bemerkte die Londoner „Times“ spitz. Sollte etwa zwischen den Brautleuten ein Ehevertrag geschlossen worden sein, was bei Zweitehen gang und gäbe ist, dürfte das Konvolut einige Laufmeter Schlossbibliothek füllen, denn Charles bringt nicht eben wenig Besitz in die Ehe ein, und wer bekäme etwa im Falle einer weiteren Scheidung das Nutzungsrecht für Cornwall?
Endgültig grünes Licht für die Legalisierung des Dauer-Konkubinats gab jedoch die Queen selbst, die im Alter von 78 Jahren und im 52. Jahr ihrer Regentschaft bei allem Widerwillen gegen „diese Person“ die Weichen für ihre Nachfolge stellen muss. Und ein König, der sich in einem quasioffiziellen schlampigen Verhältnis befindet, wäre dem Volk nicht zumutbar.
„Das ist ja das Unglaubliche an dieser Monarchie, sie ist so ziemlich das Absurdeste, was man sich nur vorstellen kann, und wird trotzdem ernst genommen“, erklärt der britische Kolumnist Christopher Hitchens.
Dieser Befund gilt auch für die Protagonisten der Monarchie. Von allen Windsors, tot oder lebendig, kann es an Schrulligkeit wohl niemand mit Prince Charles aufnehmen. Es bedarf keiner fundierten Psychologiekenntnisse, um die seit Jugendjahren praktizierte Flucht des Kronprinzen in eine eigenartig anmutende Gegenwelt zu erklären – eine Gegenwelt aus esoterisch angehauchter Philosophie, Naturverbundenheit, Aquarellmalerei und Konversationen mit Gemüseknollen. So entzog sich der „exzentrische Schwächling“ (Prinz Philip über seinen Sohn) einem Leben voller Zwänge, in dem „Etikette, bis das Blut gefriert“, als oberstes Gesetz gilt. Die einzigen Wesen, mit der die Queen je beim Austausch von Zärtlichkeiten beobachtet worden ist, waren und sind ihre Corgis. Statt eines Gute-Nacht-Kusses bekam der Erstgeborene von seiner Mutter eine Rüge, wenn er sich vor der Bettruhe nicht ordnungsgemäß vor ihr verbeugte.

„Wie wär’s mit uns?“ Als an einem windigen Regentag des Jahres 1970 die damals 23-jährige Camilla Shand auf dem Polofeld von Windsor den begehrtesten Junggesellen der Nation kennen lernte, schnodderte sie voll Nonchalance: „Meine Urgroßmutter war die Mätresse deines Ururgroßvaters. Wie wär’s mit uns?“
In diesem Eisbrecher waren all jene Eigenschaften verpackt, die den Prince of Wales 34 Jahre bei der Stange halten sollten: Humor, Direktheit und eine durch nichts zu erschütternde Selbstsicherheit, zu der er selbst nie gefunden hatte. Nicht ohne Einfluss blieb wohl auch die Tatsache, dass die Tochter eines Majors sowie wohlsituierten Weinhändlers und einer Aristokratin ihre Kenntnisse beim „größten Spaß, den man ohne zu lachen haben kann“ (Woody Allen), damals im Gegensatz zum 24-jährigen Charles bereits weit gehend vertieft hatte. In der Londoner „upper class“ genoss sie in dieser Disziplin jedenfalls einen exzellenten Ruf.
Während ihrer dreijährigen Beziehung verfestigte sich in dem emotional bislang so unterernährten Thronfolger der Wunsch, Camilla zu heiraten. Doch aus Angst, erneut einen Korb zu bekommen, wagte er es nicht, die Frage aller Fragen zu stellen. Charles war bereits zweimal zuvor von anderen Frauen zurückgewiesen worden. Und auch Camilla hatte ihm mehrfach klar signalisiert, dass der Königinnen-Job mit all seinen öden Riten und Zwängen definitiv nicht in ihrer Zukunftsplanung vorkomme. Als Camilla 1972 ihre Verlobung mit dem Offizier Andrew Parker-Bowles bekannt gab, fuhr Charles gerade im Rahmen seiner Marineausbildung zur See. Nachdem er die Nachricht erhalten hatte, schloss er sich mehrere Stunden weinend in seiner Kajüte ein. 1980 scheiterte Camillas Ehe in aller Stille, worauf die „amour fou“ mit Charles revitalisiert wurde. Während dieser im Juli 1981 der Kindergärtnerin Diana das Jawort gab, trug er die mit verschlungenen C&C-Initialen dekorierten Manschettenknöpfe seiner „Gladys“, so Charles geheimer
Kosename für „die einzige Frau, die ich je wirklich liebte“. Sie wiederum herzt ihn als „Freddie“. Der Rest der ebenso komischen wie tragischen Reality-Soap ist sattsam bekannt und nährt bereits seit einem Vierteljahrhundert den Boulevard.

Ehe zu dritt. Wäre Diana mit dem Dulder-Potenzial von Königin Alexandra, der Ehefrau von Charles’ Ururgroßvater Edward VII. und Rivalin von Camillas Urgroßmutter Alice Keppel, ausgestattet gewesen, hätte „die Ehe zu dritt“, wie sie die delikate Konstellation in ihrem legendären BBC-Interview nannte, wohl klaglos fortdauern können.
Doch als Diana erkannte, in welcher Farce sie verheizt wurde, entschied sie sich für einen Karriereschwenk zum Super-Reh und begann den Mann, der sie so schmählich verraten hatte, PR-mäßig auszuspielen. Damit hatte niemand gerechnet – am allerwenigsten Charles und Camilla, die Diana stets „als lächerliches, aber biegsames Wesen“ eingeschätzt hatte.
Schließlich gehörten erotische Nebenschauplätze zu den immer schon von dynastischen Strategien beherrschten Königsehen wie Zepter und Zofen. Die Kirche duldete die Lustspiele nach Dienstschluss, solange sie nicht publik wurden. Königskerle vom Schlage eines Heinrich VIII. (1491–1547), der in seiner wilden Vita sechs Ehen (darunter zwei, die durch Enthauptung der jeweiligen Gattin endeten), zwei Scheidungen und die Gründung einer eigenen Kirche, die an diesem Privatleben keinen Anstoß nehmen sollte, verbuchen konnte, blieben die Ausnahme. Vorrangig arrangierte man sich in mehr oder weniger friedvollem Durcheinander. So zeugte etwa König Karl II. (1630–1685) Legenden zufolge an die 350 uneheliche Kinder.
Königin Alexandra, zeitlebens unter der fröhlichen Promiskuität ihres Gatten Edward VII. (1841–1910) leidend, musste sogar ihre Todfeindin Alice Keppel an das Bett ihres sterbenden Mannes holen. Bevor er endgültig ins Koma fiel, soll er von seiner gedemütigten Ehefrau verlangt haben, die Geliebte zu küssen. Die Rache folgte auf dem Fuße. Kaum war der Leichnam des Königs erkaltet, ließ Alexandra die Keppel von Kammerdienern gewaltsam entfernen.
Dass Camilla die Urgroßmutter, die ihre Urenkelin schon im Volksschulalter mit Anekdoten aus ihrer hochklassigen Mätressen-Existenz zu unterhalten wusste („Er brüllte: ‚Noch schnell einen Hofknicks und dann ab in die Federn!‘“), fast hundert Jahre nach der Alexandra-Schlacht so zu rächen imstande ist, muss sie mit besonderer Genugtuung erfüllen. Ob ihr auch das Königinnen-Stück gelingen wird, als Queen Camilla tituliert zu werden, steht allerdings in den Sternen.

Lang lebe die Queen. Denn die Windsors erfreuen sich dank fürsorglicher Betreuung – Prinz Charles wird sogar für die Urinprobe das Fläschchen gehalten – gewöhnlich eines langen Lebens. Queen Mum verstarb mit 101 Jahren, Prinzessin Alice wurde 102. Damit erscheint die Frage der Thronfolge nicht allzu akut, denn Königin Elizabeth II. wird erst im Jahr 2026 hundert Jahre alt. Die Frage ist vielmehr, ob es dann überhaupt noch einen Thron geben wird, den Charles – oder allenfalls sein Erstgeborener William – im Falle des Todes oder Abdankens der Königin besteigen kann. Etwa ein Viertel der Briten tritt für eine Abschaffung der Monarchie und die Einführung einer Republik ein.
Die Republikaner kommen mit ihrem Anliegen seit Jahrzehnten nicht so recht durch, denn der königliche Souverän gilt den Briten immer noch als „wichtiger Einigungsfaktor für unser Land“ (Premier Tony Blair), als moralische Institution und, eher prosaisch, als Tourismusfaktor. Allerdings denken die Untertanen dabei eher an die stoische, in ihrem Lebenswandel untadelige Königin Elizabeth als an ihren vergleichsweise missratenen Sohn. Diesen wünscht sich bloß ein Drittel der Befragten als König.
Emotionslos betrachtet, scheint das Königshaus verzichtbar. Die Queen verliest einmal im Jahr in Westminster die Regierungserklärung „of my government“, die der Premierminister verfasst hat. Doch die heute so archaisch anmutende Tradition existiert in dieser Form erst seit 150 Jahren. Zugleich wirft die monarchische Symbolik einen düsteren Schatten auf eine Gesellschaft, die vorgibt, auf den Grundwerten der Demokratie und Meritokratie zu basieren.

Klassensystem. In den Augen der Republikaner repräsentiert die Krone die Fortdauer des unfairen Klassensystems und der religiösen und rassischen Spaltung der Gesellschaft. Ein einziges (weißes, anglikanisches) Kind in Großbritannien genieße die Erziehung zum Staatsoberhaupt, zetern die Anhänger der „Kampagne für ein gewähltes Staatsoberhaupt“, und dieses Kind werde so abnorm behandelt, dass es zwangsweise zu einem „beschädigten Staatsoberhaupt“ heranwachse, sticheln die Republikaner, ohne Prinz Charles namentlich zu erwähnen.
Die britische Monarchie steht heute am Ende einer Entwicklung, die 1215 mit der Magna Carta begann. Damals ging es darum, den König durch ein schriftliches Gesetz kontrollieren zu können. Mit der „Bill of Rights“ von 1689 schritt das Königreich weiter in Richtung einer konstitutionellen Monarchie, und im Lauf der Jahrhunderte büßten die Bewohner des Buckingham Palace praktisch ihre ganze reale politische Macht ein, mit Ausnahme des Repräsentierens ihrer Existenz. In anderen Worten: Sie bemühen sich um königliches Auftreten.
Da die Kompetenz der Monarchie auf einen symbolischen Kern zusammengeschmolzen ist, gerät jeder neue Skandal um ein Mitglied der königlichen Familie zum existenzbedrohenden Desaster, denn wenn es selbst mit dem königlichen Auftreten nicht mehr klappt, unterscheidet die Windsors von den Beckhams nur noch die Tatsache, dass sie nicht für Nassrasierer-Werbespots taugen.
Unter besonders starken Rechtfertigungsdruck geraten sie in ihrem Nebenjob als Übersee-Herrscher. Elizabeth II. fungiert als Staatsoberhaupt der parlamentarischen Monarchie Australien sowie von mehr als einem Dutzend weiterer Commonwealth-Staaten aller Größen von Kanada bis Tuvalu. 1999 war ein Referendum in Australien noch knapp zugunsten der Monarchie ausgegangen, beim nächsten Mal dürfte die Abstimmungs-Guillotine ihr endgültig den Garaus machen.
Im Mutterland der Krone gilt noch ein Gesetz, das es Parlamentariern verbietet, im Unterhaus die Abschaffung der Monarchie zu erörtern, doch auch dieser Damm gegen den republikanischen Mob wird irgendwann einmal brechen. Ein Gesetz gegen Verrat aus dem Jahr 1848, das es unter Androhung lebenslanger Haft untersagt, selbst mit friedlichen Mitteln für ein Ende der Monarchie einzutreten, wurde 2003 für ungültig erklärt.

Big Brother royal. Bleibt noch das Argument für Royals als Tourismusattraktion. Die Republikaner führen zwar ins Treffen, dass Schloss Versailles mindestens ebenso gut besucht sei wie der Buckingham-Palast, doch ohne Royals wären die britischen Schlösser bloßes Mauerwerk. Nichts regt die Fantasie mehr an als die Vorstellung, dass hinter den Mauern dieses gemischtgeschlechtlichen Vatikans die Post abgeht. Und weil die Öffentlichkeit immer mehr davon miterleben darf, entsteht eine Art Big Brother royal. Wer will wessen Tampon sein, welcher Privatsekretär vergewaltigt welchen Butler, wie viel Gin Tonics süffelt Omi, und wer gewinnt am Ende den Thron?

Charles dürfte insgeheim spüren, dass er mit seinem leicht abwegigen Beziehungsleben in Wahrheit die Monarchie rettet. Das Beispiel von Heinrich III. (1216–1272) beweist es: Dieser führte in seiner Jugend ein außerordentlich keusches Leben und danach eine mustergültige Ehe, außerdem war er einer der wenigen englischen Könige des Mittelalters, die keine unehelichen Kinder zeugten. Die Bevölkerung dankte es ihm entsprechend: Heinrich III. galt als impotent und schwach und war äußerst unbeliebt.

Von Angelika Hager und Robert Treichler