Zukunftsbüros

Zukunftsbüros: Room to move

Room to move

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Montag, 8.45 Uhr. Maria Soimu registriert sich mit ihrem elektronischen Ausweis am Eingang des Forschungslabors des Computerkonzerns IBM in Zürich. Als sie ihr Büro betritt, schalten sich automatisch Licht und Klimaanlage ein, der Computer fährt hoch und projiziert den aktuellen Terminkalender an die Wand. Er kündigt an: „9.30 Uhr Teambesprechung, 14 Uhr Präsentation E-Shop.“ Unmittelbar daneben weist eine weitere Projektion darauf hin, dass bereits ein wichtiges E-Mail im Posteingang darauf wartet, gelesen zu werden. Noch während Maria Soimu die Tür schließt, springt das Statuslicht im Gang vor der Bürotür an und schaltet auf Grün – für Anwesenheit.

Was futuristisch klingt, existiert tatsächlich – wenn auch vorerst nur als Prototyp im Forschungslabor. Das Büro- und Kommunikationssystem heißt „BlueSpace“ und wurde von einem Expertenteam des amerikanischen IBM-Forschungszentrums Watson Research Center in Zusammenarbeit mit dem US-Büromöbelhersteller Steelcase entwickelt. „Alle Technologien und Geräte des neuen Bürokonzepts sind interaktiv ausgerichtet und auf die persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen abstimmbar“, erklärt Marisa Viveros, Leiterin der Abteilung Wireless E-Business Services bei IBM.

Kernstück von BlueSpace ist das so genannte Everywhere Display. Damit lassen sich Inhalte, die sonst am Bildschirm dargestellt werden, unverzerrt in den Büro-raum projizieren – an die Wand, auf den Schreibtisch oder auch auf den Fußboden. Neue Technologien der Bilderkennung ermöglichen es, das projizierte Bild, ähnlich einem Touchscreen, direkt zu bedienen – beispielsweise mit dem Finger. Eine Kamera fokussiert dabei auf die aktuelle Position des Bildes und nimmt die Szene auf. Ein angeschlossener Computer analysiert außerdem die komplexe Datenstruktur des Bildes mithilfe einer speziellen Software. Auf diese Weise wird permanent errechnet, wo sich der Finger des Anwenders gerade befindet, und die gewünschte Funktion wird ausgelöst.

Pilotprojekte. Ergänzt wird BlueSpace durch den „BlueScreen“, eine Art Touchscreen-Monitor, der neben dem eigentlichen Arbeitsbildschirm auf dem Schreibtisch steht. Maria Soimu: „Er fungiert als Kontrollmonitor, der den Nutzer über das tatsächliche und virtuelle Arbeitsumfeld informiert.“ Über interaktive Symbole kann der Benutzer zum Beispiel die Raumtemperatur, die Klimaanlage und die Beleuchtung nach seinen Bedürfnissen regulieren. Gleichzeitig verhilft der BlueScreen gewissermaßen zu einem gemeinschaftlichen Arbeitsumfeld: Mithilfe interaktiver Buttons können die Nutzer Projekte mit ihren Kollegen zusammen bearbeiten und in Echtzeit Nachrichten weitergeben – ähnlich einem Chatroom.

Wie bei IBM werden derzeit vielerorts Visionen für den Arbeitsalltag im dritten Jahrtausend entworfen. Mit oftmals aufwändigen und kostspieligen Pilot- und Prestigeprojekten wetteifern zahlreiche internationale Computer- und High-Tech-Konzerne darum, die Arbeitslandschaften der Zukunft zu entwerfen – und versuchen meist mit einigem technischen Pomp plausibel zu machen, dass Berufstätige in Hinkunft kaum mehr ohne intelligente Möbel, denkende Türen und allerlei vernetzte Einrichtungsgegenstände das Auslangen finden werden.

Weit gehend einig sind sich die meisten Experten, dass die klassischen Bürostrukturen bald ebenso obsolet sein werden wie die gewohnten Arbeitsabläufe. Zwei große Trends zeichnen sich angeblich für das Berufsleben der Zukunft ab: Einerseits soll der Mensch immer mehr von geschickt in Mobiliar und Architektur integrierter Hochtechnologie unterstützt werden. Andererseits sollen die traditionellen Grenzen zwischen Job und Privatsphäre, zwischen Bürogebäude und Wohnung allmählich verschwimmen.

„Wir werden auch in Zukunft Bürogebäude brauchen, aber sie werden primär andere Aufgaben zu erfüllen haben als bisher“, ist Burkhard Remmers, Unternehmenssprecher des deutschen Möbelherstellers Wilkhahn, überzeugt. „Statt als Ansammlung von Schreibtischen und Aktenschränken für die Einzelarbeit werden sich die Büros von morgen dem Benutzer als flexible Kommunikationslandschaften darstellen.“

Kooperative Räume. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass der durchschnittliche Büromitarbeiter heute rund 30 Prozent seiner Arbeitszeit in Besprechungen verbringt. „Im Management sind es sogar zwischen 60 und 90 Prozent der Zeit, die nicht mehr der Einzelarbeit am Schreibtisch, sondern der Face-to-Face-Kommunikation mit Kollegen, Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten dienen“, sagt Norbert Streitz, Leiter des Forschungsbereichs „Ambiente“ am Institut für Integrierte Informations- und Publikationssysteme (IPSI) des Fraunhofer-Instituts in Darmstadt. „Deshalb ist es besonders wichtig, Gebäude und Räume so zu gestalten, dass sie sich gegenüber den Benutzern kooperativ zeigen.“

Die neue Bürowelt in solch „kooperativen Gebäuden“ hat bequeme Stühle und Tische, die miteinander vernetzt sind und einen beinahe uneingeschränkten Datenaustausch möglich machen. Streitz: „Wir bezeichnen das als ‚Roomware‘. Dabei handelt es sich um Raumelemente wie Wände, Türen und Möbel, in die Informations- und Kommunikationstechnik integriert ist.“ Der Computer tritt dabei als Gerät in den Hintergrund und wird quasi unsichtbar. „Die Funktionalität, die der Rechner bereitstellt, ist aber trotzdem
überall zugänglich und verfügbar“, betont Streitz. Roomware-Komponenten können schließlich auch über drahtlose Netze kommunizieren und verfügen über eine autarke Stromversorgung. Außerdem sind sie mit einer speziellen Sensortechnologie ausgestattet, um flexibel konfigurierbare Konstellationen zu ermöglichen.

Intelligenter Sessel. „Future Office Dynamics (FOD)“ nennt sich jene High-Tech-Installation, die Streitz und sein Team in jahrelanger Forschungsarbeit – zunächst unter der Bezeichnung „i-Land“ – entwickelt haben. Grundelement ist der „CommChair“, ein intelligenter Bürostuhl, dessen Sockel modernste Computerelektronik beinhaltet. Über einen berührungssensitiven Bildschirm, der sich in den ausklappbaren Armlehnen befindet, erledigt der Nutzer seine Arbeit. Und weil der schlaue Sessel über eine Funkanbindung verfügt, kann er auch Informationen mit anderen CommChairs austauschen oder Informationen auf die so genannte DynaWall übertragen.

Bei der DynaWall handelt es sich um eine interaktive, elektronische Wandtafel von 4,50 Meter Breite und 1,10 Meter Höhe. Mit einfachen Handbewegungen, die der Computer mithilfe einer speziellen Software in für ihn verständliche Befehle umsetzt, können Mitarbeiter an der DynaWall Informationen abrufen, Projekte skizzieren und Dokumente bearbeiten.

Tischgesellschaft. Der Gedankenaustausch kann freilich auch im kleineren Rahmen stattfinden – zum Beispiel am „InteracTable“, einem Plasmabildschirm, der einfaches Skizzieren mit einem Stift erlaubt, oder an den so genannten „ConnecTables“. Dies wiederum sind kleine Tische, die einfach vor einen konventionellen Bürostuhl geschoben werden oder für eine Zweier-Konferenz zu einem gemeinsamen großen Stehpult kombiniert werden können.

Einzelne Komponenten des FOD-Systems gibt es bereits zu kaufen. „Fünf Produkte sind im Augenblick serienreif“, berichtet Frank Sonder vom deutschen Möbelhersteller Wilkhahn. Der Preis ist allerdings beachtlich: 25.900 Euro sind für den InteracTable zu bezahlen. Im Rahmen eines Leasingvertrages kostet der Tisch immer noch 800 Euro pro Monat.

Am Fraunhofer-Institut arbeitet man indessen schon an einer noch weiter gehenden Vernetzungsphilosophie: „Ambient Agoras“ ist der Name des neuesten Projekts, das von der EU mitfinanziert wird. Teil von Ambient Agoras ist die „GossipWall“, eine aus 124 leuchtenden Zellen bestehende Wand, deren Helligkeit und Dynamik über die in jeder Zelle enthaltenen Leuchtdioden gesteuert werden. Dadurch lassen sich unterschiedliche Muster erzeugen, die vorbeigehende Personen zum Beispiel darauf hinweisen, dass wichtige Informationen oder E-Mails in ihrem Büro auf sie warten. „In der Zukunft wird freilich nicht an allen Arbeitsplätzen so gearbeitet werden“, schränkt der Physiker und Psychologe Streitz ein. „Es wird nur für etwa 20 bis 30 Prozent der Angestellten Sinn machen, diese Möglichkeiten tatsächlich zu nutzen.“

Von höherer Bedeutung für einen größeren Anwenderkreis sollen indes Einrichtungen sein, die mobiles Arbeiten unterstützen. Das Beratungs- und Marktforschungsunternehmen TechConsult aus Kassel hat dazu kürzlich eine Studie durchgeführt. Befragt wurden die Informationstechnologie-Verantwortlichen von mehr als 800 deutschen Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern. Ergebnis: Zwölf Prozent der Beschäftigten in den untersuchten Unternehmen sind bereits heute mobile Mitarbeiter, die mehr als ein Fünftel ihrer Arbeitszeit nicht an ihrem stationären Arbeitsplatz verbringen. Der Anteil dieser Beschäftigten wird laut TechConsult in den nächsten zwei Jahren auf 15 Prozent ansteigen.

Speziell für solche „Büro-Nomaden“ entwickelt Microsoft unterstützende Software. „SmartView“ heißt beispielsweise eine solche Entwicklung, die aus dem Microsoft Research Center im britischen Cambridge stammt. Dabei handelt es sich um eine Software, die Internetseiten automatisch umformatiert, wenn sie auf einem kleineren Display als einem PC-Bildschirm, also etwa auf einem so genannten Personal Digital Assistant (PDA) oder einem Handy, betrachtet werden.

„SmartView ist grundsätzlich markt-reif“, verspricht Ralph Sommerer, der zuständige Projektverantwortliche bei Mi-crosoft. „Es gibt auch schon erste Gespräche mit Hardware-Herstellern“, so Sommerer, „die Interesse daran bekundet haben, SmartView in ihre Geräte zu integrieren.“

Und was, wenn ein Tele-Arbeiter trotz all der Erleichterungen für mobiles Arbeiten doch einmal einen fixen Büroarbeitsplatz benötigt? Eine Antwort auf diese Frage soll „Office 21“ geben, ein Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts in Stuttgart. Für Office 21 wurden persönlich reservierte Arbeitsplätze gar nicht erst eingerichtet. Jeder Mitarbeiter schiebt stattdessen auf einem fahrbaren Computer seine Unterlagen, das mobile Telefon und einen per Funk vernetzten Rechner vor sich her. 35 Angestellte sollen auf diese Weise mit 18 Plätzen, die jeden Tag neu verteilt werden, das Auslangen finden können.

Büro-Nomaden. Die anderen Teammitglieder sind beruflich unterwegs, machen Urlaub oder arbeiten von zu Hause aus. Brauchen sie ein Büro, melden sie sich im „Hotel“-Konzept online bei der virtuellen Rezeption an, buchen für ein paar Stunden einen Raum und verschwinden nach kurzer berufsbezogener Sesshaftigkeit wieder. Die jeweiligen Büroräume selbst sind flexibel und können innerhalb kürzester Zeit umgestellt werden. Alle Tische, Stühle und Container sind mit Rollen ausgestattet und können nach Belieben zusammengestellt und rangiert werden.

Entspannung und Abwechslung zwischendurch soll hingegen die „Interactive Creativity Landscape“ (ICL) erlauben, eine spezielle Interaktionszone. Neben einem im Boden versenkbaren Konferenztisch und einer frei kombinierbaren Sitz- und Liegelandschaft können darin mittels Virtual-Reality-Technik sogar künstliche Räume erschaffen werden. Anders im Rückzugsraum: In einem kokonartigen Umfeld soll durch individualisierbare, akustische und olfaktorische Reize Entspannung erzeugt und die Kreativität gefördert werden.

Tagesbüro. Ein im Ansatz durchaus ähnliches Konzept, wenngleich ohne versenkbare Möbel und Virtual Reality, wurde beim internationalen Beratungsunternehmen Accenture bereits umgesetzt. „Wir haben ein weltweites Reservierungssystem per E-Mail eingerichtet“, so Doris Ladewig von der Accenture-Niederlassung in Wien, wo sich derzeit rund 200 Mitarbeiter etwa 60 Büroarbeitsplätze teilen. Hat beispielsweise ein Mitarbeiter am nächsten Tag in der Frankfurter Niederlassung zu tun, reserviert er sich seinen dortigen Arbeitsplatz einfach per E-Mail im Voraus. In Frankfurt angekommen, muss er bloß den mitgebrachten Laptop anstecken und ist auf Knopfdruck mit der gesamten IT-Infrastruktur von Accenture verbunden. Vorteil des Systems: Durch gezielte Nutzung der Büroinfrastruktur lassen sich Unternehmensangaben zufolge immerhin etwa 25 Prozent der Fixkosten einsparen.

Abgesehen von derartigen Einzelbeispielen sind diese schönen neuen Arbeitswelten in der Mehrzahl noch weit davon entfernt, sich in der Praxis durchzusetzen. „Wirkliche Innovationen brauchen eben Zeit und sehr viel Kommunikationspower, um in den Markt getragen zu werden“, meint Büroexperte Burkhard Remmers. Die erste Generation der am Darmstädter Fraunhofer-Institut entwickelten Zukunftsmöbel war beispielsweise bereits im Jahr 1998 zu besichtigen – in relativ ähnlicher Funktionalität wie heute.

Wie viel Zeit bis zur praktischen Anwendung solcher Entwicklungen vergehen kann, zeigt auch das Beispiel des elektronischen Papiers. Die entsprechende Technik beschäftigt Ingenieure schon seit mehr als 20 Jahren. Und erst jetzt beginnt die digitale Variante des Papiers anwenderrelevanten Status zu erreichen.

Soeben hat das US-Unternehmen E-Ink den Prototyp eines Folienbildschirms vorgestellt, der eine Auflösung erreicht, die annähernd jener von Fotografien in Tageszeitungen entspricht. 2004 will E-Ink gemeinsam mit Philips erste Produkte in die Läden bringen – zunächst vermutlich in Form eines elektronischen Buches, bestehend aus bloß zwei starren Seiten. Zukunft braucht eben Zeit.