„Zuwanderungsstopp als Signal“

Streitgespräch. Ex-Innenminister Karl Schlögl und der Wiener SPÖ-Gemeinderat Omar Al-Rawi im Streitgespräch

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Moderation: Otmar Lahodynsky

profil:
Herr Schlögl, Sie haben vorige Woche in der „Wiener Zeitung“ einen Zuwanderungsstopp gefordert. Der größte Teil der Zuwanderer nach Österreich kommt aber aus EU-Ländern. Und die kann man nicht aufhalten.
Schlögl: Natürlich wird es immer eine gewisse Zuwanderung geben. Aber man muss sich auch dessen bewusst sein, dass viele Zuwanderer bereits hier leben und noch immer nicht gut integriert sind. Daher sollte man sich zuerst um diese Gruppe kümmern.

profil: Rechnen Sie mit mehr Zuwanderung aus dem EU-Raum?
Schlögl: Ab dem Jahr 2011 und 2013 gilt die freie Niederlassung in der EU auch für alle Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedsstaaten. Unser Arbeitsmarkt wird dann vollständig geöffnet sein. Dann werden sehr viele Menschen nach Österreich drängen. Daher bin ich der Meinung, dass man aus Ländern außerhalb der EU nur mehr solche Personen aufnehmen sollte, die politisches Asyl brauchen, Spitzenarbeitskräfte sind oder aufgrund der Familienzusammenführung in unser Land kommen. Bei allen anderen Personen muss man äußerst restriktiv vorgehen. Das ist nach den jüngsten Wahlergebnissen ein politisches Signal, das man setzen sollte.

profil: Im Wiener Wahlkampf war die Zuwanderung und Integration von Moslems das beherrschende Thema.
Schlögl: Ich halte das Wiener Wahlergebnis für einen Wahnsinn. Da gelang es einer Partei, der FPÖ, mit einem einzigen Thema zu punkten. Natürlich gibt es echte Probleme bei der Integration. Daher muss man jetzt im Bereich der Zuwanderung handeln. Und da stehe ich nicht allein in der SPÖ.

profil: Aber eine Null-Zuwanderung haben bisher nur Sie so deutlich verlangt.
Schlögl: Nein, nehmen Sie nur die Aussagen der Ministerin Heinisch-Hosek, der Landeshauptleute Voves und Burgstaller oder von ÖGB-Chef Foglar im gestrigen Parteipräsidium. Sie sagen es halt nicht so direkt, wie ich mir das als kleiner Parteifunktionär, der ich jetzt bin, erlaubt habe.

profil: Herr Al-Rawi, hat die Wiener SPÖ bei der Integration von Zuwanderern in den vergangenen Jahren versagt?
Al-Rawi: Die Zuwanderung war nie eine kommunale Angelegenheit, sondern immer Bundessache, und was Herr Schlögl jetzt so lautstark fordert, ist in Wahrheit längst Stand der Dinge. Im Moment gibt es de facto keine Zuwanderung. Im vergangenen Jahr gab es 1500 Schlüsselarbeitskräfte und zirka 2500 Familienzusammenführungen. Dazu kommen noch die Angehörigen von Drittstaaten, die Österreicher heiraten. Das waren im Vorjahr rund 11.000 Personen.

Schlögl: Aber das ist auch reglementiert worden. Die Quoten für Zuwanderung habe ich als Innenminister gesenkt.
Al-Rawi: Im Aufenthaltsrecht wurden die Bestimmungen für gemischte Ehen verschärft, auch durch strenge Einkommensgrenzen. Daher geht die Forderung von Ihnen nach Null-Zuwanderung in eine Richtung, bei der man Emotionen weckt. Ich will es jetzt nicht populistisch nennen, aber das kommt halt gut an bei den Menschen.
Schlögl: Ich möchte mich von Ihnen nicht ins populistische Eck drängen lassen, auch wenn ich Populismus nicht total ablehne. Natürlich zielt die Forderung nach einem Stopp für Zuwanderung auf die Gefühle der Menschen. Aber in der Politik kann man nicht immer nur rational vorgehen, sondern man muss auch Gefühle transportieren. Ich bin für Zuwanderungsstopp mit den geschilderten Einschränkungen, und Sie sagen, dass es ihn de facto bereits gibt, also sind wir doch gar nicht so weit auseinander.
Al-Rawi: Gerade weil es weiterhin Zuwanderung aus den EU-Staaten geben wird, sollte man den Menschen nichts versprechen, was man nicht halten kann. Derzeit sind die Deutschen die größte Gruppe an Zuwanderern.

profil: Die Versäumnisse der Wiener SPÖ bei der Integration von Migranten können Sie aber nicht so leicht abstreiten.
Al-Rawi: Wir haben viel getan. Schon vor zehn Jahren haben wir eine eigene Integrationsstadträtin eingesetzt und den Integrationsfonds geschaffen, eine eigene Magis­tratsabteilung für Integration und Diversitätsangelegenheiten, vor einem Jahr die Wohnberater und „Hausmeister neu“ für den Gemeindebau, den Gratiskindergarten und so weiter. Eine Lösung für viele Probleme könnte darin bestehen, dass mehr Migrantinnen und Migranten in die Mittelschicht aufsteigen können. Solange diese Gruppe zum Großteil in der sozial schwächsten Schicht bleibt, wird es weiterhin Probleme geben.

profil: Das verpflichtende Kindergartenjahr mit Deutschkursen wurde erst vor einem Jahr eingeführt.
Al-Rawi: Diese Versäumnisse hat aber die schwarz-blaue Regierung zu verantworten. Sie hat das Vorschuljahr und Zusatzlehrer eingespart. Auch der Hausmeister wurde damals abgeschafft. Die von der Wiener SPÖ getroffenen Maßnahmen im Bereich Integration werden vermutlich erst in einigen Jahren sichtbare Erfolge haben. Doch in der Zwischenzeit packen unsere Gegner die emotionale Keule aus und schüren Ängste in der Bevölkerung für ihre Zwecke.
Schlögl: Es stimmt, dass die FPÖ diese Probleme bewusst ausnützt, um Wahlen zu gewinnen, weil das auch ihre einzige Chance ist. Es gibt kein anderes Thema, das so viele Emotionen weckt. Wenn man in Wien in einigen Bezirken einen sehr hohen Ausländeranteil hat, dann ergibt das automatisch ein Problem. Im Wiener Umland von Klosterneuburg bis Mödling gibt es auch ausländische Mitbürger, aber in geringerer Anzahl. In Wien gibt es Wohnanlagen mit einem Anteil von 50 und mehr Prozent. Das macht das Hauptproblem aus.

profil: Herr Al-Rawi, haben die Probleme mit Zuwanderern auch damit zu tun, dass sich vor allem die türkischen Einwanderer oft nur in ihrem eigenen Kulturkreis be­wegen?
Al-Rawi: Wir haben in Wien sicher keine Ghettos, aber Bezirke mit starker Konzentration. Der hohe Anteil von Zuwanderern in manchen Wohnvierteln geht aber auch darauf zurück, dass eben früher Gemeindebauten für diese Bevölkerungsgruppe nicht zugänglich waren. In der Wiener Wohnungspolitik achten wir jetzt mehr auf Durchmischung und sozialen Zusammenhalt. In Wien sind nicht diese Planungsfehler wie in Paris passiert, wo man die Migranten einfach an den Stadtrand gedrängt hat.

profil: Es gab Kritik an der moslemischen SPÖ-Kandidatin Gülsüm Namaldi, die Kopftuch trägt und eher konservative Einstellungen vertreten soll. Sie gewann über 4700 Vorzugsstimmen. Ist sie das richtige Signal für Integration?
Al-Rawi: Ist sie wirklich konservativ, nur weil sie ein Kopftuch trägt? Wir hatten auf der SPÖ-Liste rund 30 moslemische Kandidaten mit unterschiedlichem Hintergrund. Das ist eben das Spiegelbild der Gesellschaft.

profil: Was kann man gegen den hohen Migrantenanteil in vielen Wiener Schulen unternehmen?
Schlögl: Das halte ich für eines der größten Probleme. Hier müsste man für eine bessere Durchmischung sorgen.
Al-Rawi: Die Einführung der Gesamtschule aller Zehn- bis 14-Jährigen könnte dazu viel beitragen. Ich weiß, dass viele Kinder von Emigranten in der vierten Volksschulklasse scheitern, nicht weil sie nicht Deutsch können oder dumm sind, sondern weil sie niemanden haben, der ihnen bei den Hausaufgaben helfen kann. Dann landen sie in der Hauptschule, und nur wenige schaffen es in die AHS. In der Hauptschule passiert die soziale Segregation. Hier muss man eingreifen.

profil: Was macht man mit Klassen, in denen es einen Migrantenanteil von über 70 Prozent gibt?
Schlögl: Das darf es meiner Meinung nach nicht geben.
Al-Rawi: Ich halte diese Statistiken für problematisch. Wer ist Schüler mit Migrationshintergrund? Meine Kinder sind in Wien geboren, sprechen nur Deutsch und gelten als Schüler mit Migrationshintergrund, weil ich als ihr Vater nicht in Österreich geboren wurde.

profil: Die Probleme mit schlecht Deutsch sprechenden Schulkindern sind aber Tat­sache.
Al-Rawi: Gerade in Volksschulen haben wir viel getan. Jetzt gibt es auch das verpflichtende Vorschuljahr, und Bürgermeister ­Häupl hat ja versprochen, dass kein Kind mehr ohne Deutschkenntnisse in die Volksschule kommt.

profil: Der türkische Europaminister Egemen Bagis hat kürzlich von seinen Landsleuten in Deutschland gefordert, dass sie besser Deutsch lernen und sich auch mehr an die Lebensweise in Deutschland anpassen sollten. Stimmen Sie ihm zu?
Schlögl: Da hat er wohl Recht. Es ist eine Frage der Bildung. Menschen, die aus der Türkei mit einer hohen Qualifikation zu uns kommen oder sie hier später erwerben, integrieren sich viel leichter als jene, die ungebildet nach Österreich kommen und hier nur schlecht bezahlte Hilfstätigkeiten ausüben können.

profil: Da sind wir bei der so genannten „Rot-Weiß-Rot-Card“, mit der nur mehr besser qualifizierte Zuwanderer nach Österreich kommen sollen.
Schlögl: Ja, das fände ich gut. Darum kann ja meine Forderung, dass man innehält und jene Personen, die bereits bei uns sind, integriert, nicht so falsch sein. Es gibt immer mehr Probleme mit Migranten der zweiten und dritten Generation aus islamischen Ländern. Viele von ihnen schaffen den sozialen Aufstieg nicht, besinnen sich ihrer Wurzeln und werden empfänglich für islamischen Fundamentalismus. Da sehe ich eine neue und gefährliche Entwicklung.
Al-Rawi: Diese Gefahr würde ich nicht nur auf Moslems reduzieren. Jugendliche, die den sozialen Aufstieg nicht schaffen, können für jede Form von Extremismus empfänglich werden.

profil: In Deutschland ist nach dem Buch von Thilo Sarrazin eine heftige Debatte über moslemische Zuwanderer ausgebrochen. CSU-Chef Seehofer hat eine weitere Zuwanderung von Moslems nach Deutschland abgelehnt. Wird es auch in Österreich zu einer ähnlichen Polarisierung kommen?
Al-Rawi: Viele der eigenartigen Debatten, die wir jetzt in Österreich führen, wurden aus Deutschland importiert. Begriffe wie Leitkultur, Hassprediger oder Minarettverbot kommen aus Deutschland. In Österreich haben wir immer mehr auf die Lösung von Problemen geachtet und den politischen Diskurs auch weniger radikal geführt.
Schlögl: Man muss beachten, dass in Österreich eine opportunistische Partei wie die FPÖ zweistellige Wahlerfolge erzielt. In Deutschland gibt es auch rechte Parteien, aber die kommen gerade einmal mit fünf oder sechs Prozent in einen Landtag, aber bei uns erzielt die Freiheitliche Partei mit Slogans, die jenen der deutschen rechtsradikalen Parteien sehr ähneln, zweistellige Ergebnisse.

profil: Der Dritte Nationalratspräsident, FPÖ-Politiker Martin Graf, überlegt eine Volksbefragung zu Minaretten.
Schlögl: Das ist eine Debatte um des Kaisers Bart. Denn wo sind wirklich Minarette geplant?
Al-Rawi: Bei 200 Moscheen und Gebetshäusern in Österreich haben wir genau vier Minarette. Das heißt, die Moslems haben von sich aus freiwillig darauf verzichtet.
Schlögl: Sollte es so ein Volksbegehren wirklich geben, dann dient es nur zu einer Emotionalisierung bis zu den nächsten Wahlen. Das lehne ich ab.

profil: Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh, hat aber gefordert, dass es in Österreich in Zukunft in jeder Landeshauptstadt eine Moschee mit Minaretten geben soll.
Al-Rawi: Präsident Schakfeh wurde zu seinen Visionen für die Zukunft in 50 Jahren befragt, und da hat er gewagt zu träumen.

profil: Macht ein eigenes Staatssekretariat für Integrationsfragen Sinn?
Schlögl: Ich denke nicht. Integration ist immer auch eine sicherheitspolitische Frage, die im Innenministerium angesiedelt bleiben sollte.
Al-Rawi: Ich bin dafür, weil Integration eine Querschnittsmaterie ist und auch mit Wirtschaft, Sozialem und Bildung zu tun hat. Ich wäre für eine Anbindung an das Sozialministerium, weil Integration nicht dauernd mit Sicherheitsfragen in Zusammenhang gebracht werden sollte. Wenn man jetzt hört, dass so ein Staatssekretariat zu teuer wäre, ist es wieder ein falsches Signal. Integrationsmaßnahmen sind wichtig und kosten eben auch Geld.