Sommergespräch mit Erwin Steinhauer

„Zwei Finger in der Nase des Bundeskanzlers“

„Zwei Finger in der Nase des Bundeskanzlers“

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profil: Herr Steinhauer, kürzlich lief eine alte Folge der Serie „Der Sonne entgegen“ aus den frühen achtziger Jahren, in der Sie mitspielten. Fühlen Sie sich manchmal wie ein Fernseh-Fossil?
Steinhauer: Nein. Die Serie drehte sich damals um vier Burschen, die absolut nicht mehr wollen und die es sich leisten können auszusteigen. Das war ein Hit in einer Zeit, in der es noch kein Kabelfernsehen gab. Man hatte mit jeder Sendung drei Millionen Zuseher, du warst mit einem Schlag im ganzen Land berühmt. Das gibt es heute nicht mehr.
profil: Sie machen Ihren Job jedenfalls schon sehr lange. Was tun Sie, um zu viel Routine zu verhindern?
Steinhauer: Ich versuche, Risiken einzugehen, neue Sachen zu machen. Ich bin ein bekennender Flüchtling. Ich kann mich an Diskussionen mit meinem Vater erinnern, der glücklich war, als ich am Burgtheater engagiert wurde. Ich hatte ja das Jus-Studium abgebrochen und ihm nicht die Freude eines akademischen Titels bereitet. Er hat es absolut nicht verstanden, dass ich – obwohl ich am Burgtheater sozusagen ein Beamter im Bundesdienst war – von dort wieder weggegangen bin.
profil: Bei der Interview-Vorbereitung bin ich auf das Programm eines Friedensfests in der Wiener Stadthalle 1982 gestoßen. Auszug aus dem Programm: „10 Minuten Steinhauer (Dritte Welt), 5 Minuten Turrini, 10 Minuten Kärntner Partisanen-Chor“. Denken Sie manchmal: Wir haben damals ganz schön dick aufgetragen?
Steinhauer: Nein, so denke ich eigentlich nicht. Wir hatten eine politische Haltung und waren mutig genug, sie auch zu äußern. Heute passiert das nicht so oft, und es gibt auch keine politisch aktive, breite Bewegung unter den Künstlern. Das finde ich schade.
profil: Sie haben den Herrn Karl am Akademietheater gespielt. Ein Mann mit der Vita des Herrn Karl wäre heute mindestens 90 Jahre alt. Warum wurde nie eine zeitgemäße Version davon geschrieben?
Steinhauer: Sie wurde ja geschrieben, von Herwig Seeböck: „Charlie, der Kegel“, gespielt von Götz Kauffmann, Schauspieler und Glückstherapeut.
profil: Aber das Stück war nie so erfolgreich wie das Original.
Steinhauer: Carl Merz und Helmut Qualtinger haben 1961 halt ein übergroßes Vorbild geliefert. Aber wie das halt so ist: Thomas Bernhard zum ersten Mal? Psychopath! Wahnsinn, fürchterlich! Mistablagerungen vor dem Burgtheater, große Aufregung. Und jetzt? Thomas Bernhard wird in Reichenau gespielt, und alle, die sich vor 20 Jahren aufgeregt haben, sitzen im Publikum und finden das ganz toll.
profil: Bei der Präsidentenwahl 1998 waren Sie im Personenkomitee für Gertraud Knoll, 2002 im Komitee der SPÖ. Haben Sie keine Angst, dass jemand sagt: Heute kommt wieder dieser rote Steinhauer im Fernsehen, den schauen wir uns nicht an?
Steinhauer: Ich habe schon in den achtziger Jahren Briefe von Leuten bekommen, die schrieben: Wenn der Blade mit den runden Brillen aus dem Fernseher rausschaut, dann drehe ich schon ab. Aber es gibt auch Leute, die drehen beim Albert Fortell ab – und der ist wirklich nicht rot. Es ist doch gut, wenn Menschen eine Haltung haben und zu dieser Haltung auch stehen. Ich habe ja auch eine kritische Haltung zu dem politischen Eck, aus dem ich komme.
profil: Aber können Sie sich diesem „politischen Eck“ bei Ihrer Familientradition ganz entziehen? Ihr Großvater war Feuerwehrmann in Floridsdorf, war beim Schutzbund …
Steinhauer: … wurde dann verhaftet, zum Tode verurteilt, aber letztendlich, nach der Hinrichtung Georg Weissels, begnadigt. Das prägt natürlich. Aber ähnlich geprägt muss auch Andreas Khol sein. In Abwandlung eines berühmten Zitats sage ich: Ich kann die ganzen schwarzen Gfrießer nicht mehr sehen. Sie wissen, wen ich zitiere?
profil: Andreas Khol über „die roten Gfrießer im ORF“, nehme ich an. Er hat das Zitat aber nie bestätigt.
Steinhauer: Ich bestätige meinen Satz gleich jetzt.
profil: Sie waren bis 1983 sogar Parteimitglied der SPÖ und haben dann Ihr Parteibuch zurückgegeben …
Steinhauer: … am Weg ins Burgtheater.
profil: Wo haben Sie es denn abgeworfen?
Steinhauer: Beim Portier in der SPÖ-Zentrale, die ist ja gleich hinter dem Theater. Und die Partei hat reagiert. Nach sechs Jahren habe ich einen Brief von Leopold Gratz bekommen, warum ich das gemacht habe. Ich habe noch einmal sechs Jahre gewartet und dann zurückgeschrieben.
profil: Warum wollten Sie nicht mehr bei der SPÖ sein?
Steinhauer: Weil die SPÖ damals mit den Freiheitlichen zusammengegangen ist.
profil: Aber der damalige FPÖ-Chef Norbert Steger wurde wenig später das erste Haider-Opfer.
Steinhauer: Nicht alles, was angepinkelt wird, ist auch ein Meilenstein, oder weniger polemisch: Weil man Haider-Opfer ist, muss man noch lange nicht liberal sein. Für mich war das ein Grund, aus der Partei auszutreten, und ich habe diesen Entschluss nie bereut.
profil: 1983 war auch das Jahr des Endes der Ära Kreisky. Hatte Ihr Austritt vielleicht damit zu tun?
Steinhauer: Nein, weil man auch zu Bruno Kreisky eine kritische Distanz haben muss. Er hat genau gewusst, wie toll das in Österreich kommt, wenn man fünf ehemalige Nazis in die Regierung holt – noch dazu als jüdischer Sozialist. Es hat sich dann ja bei den Wahlen auch ausgezahlt.
profil: Im Stück „Freundschaft“ spielen sie am Wiener Rabenhoftheater die Hauptrolle: einen Vater, SPÖ-Funktionär, Angestellten bei der Zentralsparkassa, der im Zwiegespräch mit seinem Sohn dessen Grundsatzlosigkeit beklagt. Aber beklagen sich Eltern nicht immer über ihre Kinder?
Steinhauer: Bei uns war das nicht so. Die Beziehung zu meinem Vater war immer von Diskussion geprägt, bis hin zum Streit. Aber er konnte mir nie Grundsatzlosigkeit vorwerfen. Ein Streitpunkt zwischen meinem Vater und mir war zum Beispiel immer das Sicherheitsdenken. Aber klar: Wer 1927 geboren ist, denkt eher in Kategorien wie Sicherheit als ich, Jahrgang 1951.
profil: So wie im Stück ist es in der SP-Familie Steinhauer nie zugegangen?
Steinhauer: Die beiden Autoren Florian Scheuba und Rupert Henning haben das schon toll recherchiert, aber es ist natürlich wie so oft eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit. Unsere Familie war seit Generationen sozialdemokratisch bestimmt, ich bin aber aufgrund der jüdischen Vermischung in ein katholisches Internat gekommen …
profil: Die jüdische Vermischung führt ins katholische Internat?
Steinhauer: Ja, man weiß ja nie, was kommt. Meine Großmutter hat gemeint: Besser, wir geben ihn in eine katholische Schule. Zur Sicherheit. Ich bin überall rausgeflogen, 1965 bei den Marianisten übrigens mit der Begründung, wer seine Verwandten am jüdischen Friedhof besuchen muss, hat in einer katholischen Schule nichts zu suchen. 1965! Dann bin ich schnell in öffentliche Schulen gekommen. Als ich 14 Jahre alt war, hat mein Vater meine Erziehung in die Hand genommen, hat mich politisiert und mir eigentlich erst die Augen geöffnet.
profil: In „Freundschaft“ ist der Vater dann gar nicht so ein braver Sozialdemokrat, wie er vorgibt. Der Sohn ist nicht ganz ideologiefrei, und beim verstorbenen Pepi-Onkel, dem Super-Sozi, finden sie ein Raiffeisen-Sparbuch. Fazit: Es gibt keine Ehrlichkeit in der Politik, alle sind Egoisten. Ist das die Botschaft?
Steinhauer: Die Figuren in dem Stück haben alle einen doppelten Boden, aber Menschen haben generell mindestens einen doppelten Boden.
profil: Nach der Premiere gab es im Theater eine Diskussion. SPÖ-Klubobmann Josef Cap saß auf der Bühne und sagte sinngemäß: Wolfgang Schüssel wird sich freuen, wenn er dieses Stück sieht.
Steinhauer: Der Satz von Josef Cap, der uns wirklich sehr betroffen gemacht hat, lautete: Ihr betreibt das Geschäft des politischen Gegners. Sich kritisch, aber liebevoll mit der eigenen Partei auseinander zu setzen würde also bedeuten, das Geschäft des politischen Gegners zu betreiben. Das war ein fataler Satz.
profil: Sie haben von Beginn an zu den Kritikern der Regierung Schüssel gehört …
Steinhauer: … überraschenderweise.
profil: Ist es so schlimm geworden, wie Sie damals gedacht haben?
Steinhauer: Absolut, ja. Er hat mich nicht enttäuscht.
profil: Immerhin: Jörg Haider ist inzwischen eine bedeutungslose Größe.
Steinhauer: Die Sache ist nicht vorbei.
profil: Sie glauben an ein Comeback?
Steinhauer: Er ist Obmann der Regierungspartei BZÖ und wird von Schüssel als verlässlicher politischer Partner bezeichnet. Und da fühle ich mich als halbwegs intelligenzbegabter Mensch, als hätte man mir ins Gesicht gespuckt. Da fühle ich mich verarscht. Aber Haider hat mit Schüssel noch eine Rechnung offen. Er wird warten, bis das internationale Licht auf das kleine Land Österreich fällt. Während der EU-Präsidentschaft wird er dann zwei Finger in der Nase des Herrn Bundeskanzlers einführen und ihn daran herumführen.
profil: … was, wenn es so käme, das Land in einige Probleme bringen würde.
Steinhauer: Ja, sicher, aber für Dr. Haider ein erotisches Szenario. Und dafür trägt der Herr Bundeskanzler die Verantwortung. Er hat diese Leute salonfähig gemacht, Leute mit „nationalem, ewiggestrigem“ Gedankengut sind an hohe Entscheidungsstellen dieses Landes geschwemmt worden.
profil: Unlängst war der israelische Präsident Mosche Katzav in Österreich, Schüssel war in Brüssel sogar als Kommissionspräsident im Gespräch. Vergisst die internationale Öffentlichkeit schneller als Sie?
Steinhauer: International war man auch bereit, einen Berlusconi zu akzeptieren – da ist kein großer Unterschied zum Dr. Haider. Die Regierung hat in der Zeit der Sanktionen ja mit dem großen Österreich-Schmäh gearbeitet: Nein, das geht nicht gegen die Regierung, das sind Sanktionen gegen Österreich. Das war natürlich falsch: Die Sanktionen waren gegen das Salonfähigmachen dieses rechten Suds gerichtet.
profil: Die ÖVP liegt in den Meinungsumfragen nicht schlecht. So unzufrieden können die Österreicher mit der Regierung also nicht sein.
Steinhauer: Man gewöhnt sich auch an den Wahnsinn. Man stumpft ab. Man findet nichts daran, wie der Herr Museumsdirektor Seipel mit Rechnungen umgeht oder wie er seinem Freund Morak mit Steuergeld ein Fest ausrichtet. Es findet keiner mehr etwas daran, dass der Herr Finanzminister Grasser Steuern nicht zahlt. Der Liebling der Schwiegermütter. Dass das Nulldefizit ein Schmäh war, dass wir gegenüber vergleichbaren Ländern viel schlechter abschneiden – wen kratzt das?
profil: Das zu thematisieren ist Aufgabe einer Opposition.
Steinhauer: Das ist ein trauriges Kapitel – gerade jetzt, wenn man sich die Asyldebatte anschaut. Es hat überhaupt keine Notwendigkeit bestanden, dem zuzustimmen, was diese Regierung beschließt. Die SPÖ wollte einfach signalisieren: Hallo, wir würden auch den Vizekanzler machen!
profil: Oder man wollte ehemalige FPÖ-Wähler anziehen, ohne die die SPÖ nicht stärkste Partei werden kann.
Steinhauer: Das ist noch schlimmer. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die Zustimmung zum Asylgesetz netto Stimmen gekostet hat. Das war eine Wählervertreibungsaktion.
profil: Sie glauben nicht, dass wir den Tag noch erleben, an dem Alfred Gusenbauer ins Kanzleramt einzieht?
Steinhauer: Wie ist Ihr Gesundheitszustand, Herr Lackner?
profil: Danke, gut.
Steinhauer: Bei mir weiß ich es nicht genau. Ich wünsche Gusenbauer jedenfalls alles Gute. Die ÖVP sitzt jetzt ja schon seit 20 Jahren an entscheidenden Hebeln. Sie hat es viel besser als die Roten verstanden, das Land komplett umzufärben – auf schwarz, katholisch. Wien ist anders, das stimmt diesbezüglich wirklich.
profil: Sie sind ein Schauspieler für die Massen, den man auch in Fernsehserien sieht, und kein „Eliteschauspieler“, der sich bloß in einem teuren Theater zeigt. Ist das ein politischer Reflex?
Steinhauer: Ich kann mit dem Begriff „Eliteschauspieler“ nichts anfangen. Ich spiele jetzt gerade in einer kleinen, feinen Produktion in Reichenau, in „Alte Meister“ von Thomas Bernhard, eine beglückende Theaterarbeit mit Hermann Beil. Ich fühle mich da ein bisschen elitär aufgehoben. Es sind sehr intelligente Texte, manchmal wundere ich mich, dass wir eine Gage kriegen. Ich würde sogar bezahlen, um auf einer Bühne vor 450 Leuten sagen zu können: „Diese immer dümmer werdenden Regierungen, die wir hier in Österreich haben, werden schon mit der Zeit dafür sorgen, dass es in Österreich bald keinerlei Kultur mehr gibt, nur noch das Banausentum.“ Geschrieben wurde das von Bernhard 1984/1985, damals für die kleine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ. Heute ist es noch treffender.
profil: Emmy Werner hat noch als Volkstheaterdirektorin einmal in einem Interview über Sie gesagt: „In Erwin schlummern noch unglaubliche schauspielerische Schätze. In 25 Jahren wird er der König Lear sein, möglicherweise müsste er sich die Latte schon heute ein bisschen höher legen.“ Können Sie dem zustimmen?
Steinhauer: Eine interessante Äußerung. Sie hat insofern Recht: Ich müsste mir die Latte höher legen. Meine Persönlichkeitsstruktur hat mir nie erlaubt, mich zu lange an einem Theater aufzuhalten, ich hatte immer Angst, bequem zu werden. Mut zum Risiko und die Wut behalten – das war mir wichtig. Nörgeln verbraucht sich. Entscheidend ist, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, aber dennoch bereit zu sein, für seine Ideale zu kämpfen.
profil: Dann vielleicht doch lieber den „Hamlet“? Da fließt viel Blut.
Steinhauer: Zu spät. Und was den Lear betrifft: Ich verlasse mich auf den Instinkt der von mir sehr verehrten Emmy Werner.

Interview: Herbert Lackner

Erwin Steinhauer, 53.
Der gebürtige Wiener studierte Germanistik und Geschichte, bevor er sich der Bühne zuwandte. 1974 gründete Steinhauer mit Wolfgang Teuschl und Erich Demmer die Kabarettgruppe Keif, zu der später auch Lukas Resetarits stieß. Ab 1977 spielte er im Simpl, wenig später im Theater der Courage und von 1982 bis 1988 am Burgtheater. Zuletzt stand er im Volkstheater in Wolfgang Bauers „Change“ auf der Bühne. Dem TV-Publikum ist Steinhauer aus Serien wie „Der Sonne entgegen“ und „Trautmann“ sowie als Dorfgendarm „Polt“ bekannt.