Investigativ

Causa Kurz: Ex-Minister Löger im „Erinnerungsdilemma“

Der Prozess gegen den früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz geht in die Weihnachtspause. Vorher wurde allerdings noch der ehemalige Finanzminister Hartwig Löger als Zeuge einvernommen – auch zum überraschend komplexen Thema: „Wer war die ÖVP?“

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Hartwig Löger hat es nicht immer ganz leicht mit seinem Gedächtnis. Da erinnert sich der ehemalige Finanzminister auf ÖVP-Ticket zwar ganz genau daran, mit dem damaligen FPÖ-Staatssekretär Hubert Fuchs etwas unterschrieben zu haben. Vor seinem geistigen Auge sieht er sogar, wie beide dieselbe grüne Tinte verwenden. Allein, was da genau unterzeichnet wurde, weiß er nicht mehr. Nur so viel: Jenes inoffizielle Koalitions-Einigungspapier zu Postenbesetzungen, um das es gerade vor Gericht geht, sei es nicht gewesen. 

„Erinnerungsdilemma“ nennt der ehemalige Finanzminister der türkis-blauen Koalition unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache mit höflichem Bedauern dieses Problem. Am Montag war Löger im Prozess gegen Kurz als Zeuge geladen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft dem Ex-Kanzler und früheren ÖVP-Chef bekanntlich vor, als Auskunftsperson vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt zu haben – Kurz hat das immer bestritten. Inhaltlich geht es bei den Vorwürfen unter anderem um Aussagen zur Besetzung des Vorstandes und des Aufsichtsrats der Staatholding ÖBAG Anfang 2019. Letztlich alles Vorgänge im Wirkungsbereich des Finanzministers. Doch Löger scheint nicht nur ein singuläres Erinnerungsdilemma zu plagen, sondern auch die eine oder andere handfeste Gedächtnislücke.

Zwischen Dilemma und Lücken

Schon im Ermittlungsverfahren erlebte der frühere Minister und nunmehrige Generaldirektor der Vienna Insurance Group ein – vor Gericht eindrucksvoll beschriebenes – Aha-Erlebnis, als ihm die WKStA Indizien zu einer Sitzung im Bundeskanzleramt vorhielt, an die er sich zuvor ungestützt partout nicht mehr erinnert hatte. Aus allen Wolken fiel Löger, als ihm die Ermittler dann auch noch auf Basis einer Handy-Auswertung klar machten, dass er bei dieser Sitzung einen Ausschnitt aus einem streng geheimen Koalitions-Sideletter zu parteipolitischen Postendeals fotografiert hatte.

Die Schocktherapie fruchtete offenbar: „Ich werde dieses Dokument in meinem Leben nicht vergessen“, gab Löger am Montag zu Protokoll. Um das andere relevante Papier mit der angeblichen grünen Tinte herrscht allerdings immer noch Unklarheit. Ebenso wenig im Gedächtnis schienen Löger viele seiner Chatnachrichten geblieben zu sein. Diesbezüglich zog er sich vor Gericht wiederholt auf mangelnde Erinnerung zurück, um dann lediglich eine mögliche inhaltliche Interpretation zu liefern – aber keine klare Wahrnehmung.

„Mit bestem Gewissen“

Löger fand sich bei seiner Zeugeneinvernahme in einer heiklen Position wieder. Nicht nur, dass gegen den ehemaligen Finanzminister seit Jahren ein Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit einem mutmaßlichen Postendeal bei den Casinos Austria läuft – der Ex-Minister hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Auch zu vielen im Kurz-Verfahren gegenständlichen Themen wurde er schon früher von der WKStA befragt. Im Strafantrag gegen Kurz warf die Anklagehörde Löger vor, zugunsten von Kurz „offensichtlich falsch ausgesagt“ zu haben. Dies allerdings im Rahmen einer Beschuldigteneinvernahme, bei der keine Wahrheitspflicht herrschte. Im Zeugenstand vor Gericht war das nun deutlich anders.

Bemerkenswerterweise wollte sich Löger am Montag als Zeuge nicht final darauf festlegen, an seinen früheren Aussagen umfassend festzuhalten. „Ich selbst habe feststellen müssen, dass es bei kleineren Themen Widersprüche gibt“, sagte Löger. Seine Aussagen seien „immer mit bestem Gewissen zum damaligen Informationsstand“ erfolgt, fügte der frühere Minister hinzu. Nach vier bis fünf Jahren, zahlreichen erfolgten Befragungen und zusätzlich gewonnen Informationen aus dem Aktenstudium sei es ihm nicht möglich, „zu allen Inhalten völlige Richtigkeit zu deklarieren“ .

„Am Ende der Komfortzone“

Kurz wird bekanntlich vorgeworfen, seine Rolle in Bezug auf die ÖBAG-Postenbesetzungen unzulässig heruntergespielt zu haben. Der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, der als Belastungszeuge fugiert, gab vor Gericht an, Kurz habe eine Art Veto-Recht bei praktische allen wichtigen Postenbesetzungen innegehabt. Das könne er nicht nachvollziehen, sagte nun wiederum Löger. Es habe Situationen gegeben, in denen Kurz sich interessierte gezeigt habe. Er als – im konkreten Fall für die ÖBAG zuständiger Minister – habe jedoch „nicht den Druck verspürt“, etwas umzusetzen. 

Der erwähnte Sideletter, den Löger teilweise abfotografiert hatte und wieder vergessen haben will, ist nicht zuletzt deshalb im Verfahren von Interesse, weil er bestimmte Nominierungsrechte für „die ÖVP“ vorsieht. Nun stellt sich die Frage, wer „die ÖVP“ ist. Löger jedenfalls gab an, niemals Parteimitglied gewesen zu sein. (Er sei im Dezember 2017 von Sebastian Kurz angerufen worden und habe sich innerhalb von zwei Stunden entscheiden müssen, ob er Finanzminister werden wolle. Seine damalige Entscheidung geprägt habe auch ein Spruch, den der erfahrene Versicherungsmanager kurz zuvor bei einem Verwandten auf einem Kühlschrank gelesen habe: „Life begins at the end of the comfort zone.“ / „Das Leben beginnt am Ende der Komfortzone.“)  

„Austausch zu Namen“

Während Löger zu erkennen gab, Posten-Nominierung der FPÖ von deren damaligen Parteichef Strache entgegengenommen zu haben, ließ er sich von der WKStA nicht darauf festnageln, ÖVP-Nominierungen von Kurz oder aus dem Kanzleramt erhalten zu haben. Konkret zu den vier der ÖVP zugefallenen ÖBAG-Aufsichtsräten befragt, sagte der Ex-Minister lediglich allgemein, es habe zu den Namen durchaus einen Austausch gegeben. Dabei dürfte der damalige Finanzminister durchaus empfänglich für parteipolitische Notwendigkeiten gewesen sein. Ein qualifizierter Kandidat für den ÖBAG-Aufsichtsratsvorsitz scheiterte laut Löger daran, dass ihn „niemand in der ÖVP“ gekannt habe.

Von der WKStA mit Nachfragen in die Enge getrieben, meinte Löger einmal, die ÖVP sei für ihn Thomas Schmid gewesen, der „als Kabinettschef der Verbinder“ gewesen sei. Verbinder zu wem konkret, blieb allerdings offen. Kurz sagte zuletzt vor Gericht, Thomas Schmid sei nie in seinem „Inner Circle“ gewesen. Löger wiederum gab zu Protokoll: „Aus meiner Sicht hat Thomas Schmid viele Jahre eng mit Sebastian Kurz zusammengearbeitet.“

 Löger bestätigte Interimsüberlegungen zu Wolf

Löger bestätigte, dass sich Sebastian Kurz den Investor Siegfried Wolf als Aufsichtsratschef für die Staatsholding gewünscht hatte. Kurz bestreitet das nicht – ganz im Gegenteil: Da Wolf die Position nicht erhalten hat, argumentiert der Ex-Kanzler nun, dass er ebenen keine Postenbesetzungen vorgeben konnte. 

Schmid wiederum gab an, es sei im Hintergrund an einer Übergangsregelung gebastelt worden, die es Wolf ermöglichen hätte sollen, die Position später doch noch zu übernehmen. Löger bestätigte am Montag diesbezügliche Überlegungen, die er sogar mit zwei anderen Kandidaten für den ÖBAG-Aufsichtsratsvorsitz besprochen habe. Während die Kurz-Verteidigung dem Belastungszeugen Schmid vorwirft, die Wolf-Bestellung aus Eigeninteresse hintertrieben zu haben, gab Löger zu Protokoll, er selbst habe den Unternehmer nicht zum Aufsichtsratschef der Staatsholding machen wollen.

Russische Zeugen sollen kommen

Auch um die Bestellung Schmids zum Alleinvorstand der ÖBAG im Jahr 2019 geht es vor Gericht. Schmid sagte aus, er habe das Backing von Sebastian Kurz gehabt. Der Ex-Kanzler argumentiert, Schmid habe sich unter anderem durch einen Deal mit dem Gewerkschafter Wolfgang Katzian ohnehin selbst eine FPÖ-SPÖ-Mehrheit im ÖBAG-Aufsichtsrat gesichert. Die Verteidigung des Ex-Kanzlers macht dies unter anderem an einer Änderung eines Gesetzesvorschlages fest. Löger sagte nun aus, er selbst habe diese Änderung mit Katzian besprochen und so die Zustimmung der SPÖ zum ÖBAG-Gesetz im Nationalrat gesichert.

Nach gut fünf Stunden im Zeugenstand hatte es Löger hinter sich, was den Kurz-Prozess anbelangt. Für den Ex-Kanzler selbst dürfte das noch länger nicht der Fall sein. Richter Michael Radasztics gab vier weitere Verhandlungstermine bekannt. Der Prozess läuft somit zumindest bis Ende Jänner. Zumindest acht weitere Zeugen sollen noch befragt werden – darunter der ehemalige Finanzminister Gernot Blümel und zwei russische Geschäftsleute, die Thomas Schmid unter mysteriösen Umständen im August 2023 in Amsterdam kennengelernt haben soll. 

Die Russen behaupten in eidesstattlichen Erklärungen Schmid habe damals gesagt, gegenüber den Ermittlern unwahre Aussagen über Kurz getätigt zu haben. Schmid bestreitet das. Er hat im Vorjahr ein umfassendes Geständnis abgelegt und strebt Kronzeugenstatus an. Die Verteidigung versucht nun, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Man darf gespannt sein, ob die Russen den Weg von St. Petersburg nach Wien finden – oder zumindest via Videoschalte befragt werden können. Rechtshilfe mit Russland ist im Moment nicht ganz so einfach, wie Richter Radasztics mitteilte. 

 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).