Interview

Ermittler zu Cybercrime: „Das sind durchaus intelligente Täter“

Burkhard Mühl ist der hochrangigste Vertreter Österreichs bei Europol. Dort leitet er das Europäische Zentrum für Finanz- und Wirtschaftskriminalität. Ein Gespräch in Den Haag über Betrüger im Internet und warum sie immer schwerer zu fassen sind.

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Das Büro von Europol hat vier Türme. Im höchsten Turm, im „B-tower“, sind Verbindungsbeamte aus ganz Europa untergebracht, aber auch aus Partnerländern außerhalb davon. Wer in das Gebäude hineinwill, der muss sich frühzeitig anmelden und durch eine Sicherheitsschleuse. Tonaufnahmen sind nur in einem Sitzungszimmer gestattet. Europol, das ist eine Art Knotenpunkt, mit und in dem sich Strafverfolger aus ganz Europa zu laufenden Ermittlungen austauschen können. Der perfekte Ort also, um über das Thema einer neuen profil-Reihe zu sprechen: Anlagebetrug im Internet, auch Cybertrading genannt.

Herr Mühl, Betrug im Internet ist eines der am stärksten steigenden Delikte bei Europol. Wie erklären Sie sich das?
Burkhard Mühl
Anlagebetrug ist an und für sich eine sehr alte Verbrechensform. Das gibt es seit Jahrzehnten. Neu ist die Form der Betrugsbegehung durch Onlineplattformen. Durch die rasante, technische Entwicklung haben die Betrüger die Möglichkeit, weltweit tätig zu werden. Während der Pandemie haben die Betrugsdelikte stark zugenommen, weil die Leute mehr Zeit zu Hause vor dem Computer verbracht haben und somit leichter von den Tätern angesprochen werden konnten. Ein anderer Faktor ist die Zinslandschaft. Bei den Banken gibt es kaum bis gar keine Zinsen für das Ersparte. So waren die Leute interessiert daran, ihr Geld möglichst gewinnbringend zu investieren. Dieses Umfeld hat es den Tätern leicht gemacht.
Sie sind seit über dreißig Jahren Finanzermittler. Wie hat sich Anlagebetrug seitdem gewandelt?
Mühl
Schneeballsysteme nach Art des „Ponzi-Scheme“ gibt es seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Bernie Madoff (Anm. US-amerikanischer Anlagebetrüger) hat noch in den frühen 2000er Jahren Milliarden durch so ein System erzielt. Anlagebetrug ist und war volkswirtschaftlich schon immer sehr schädigend. Auch wenn der einzelne nur ein paar tausend Euro verliert, kommen zusammengerechnet enorme Summen zusammen. Es gibt Menschen, die ihr ganzes Ersparte verloren haben. Früher haben dafür eigene Keiler Informationsveranstaltungen in Hotels abgehalten und erzählt, welche sagenhaften Renditen sie erwirtschaften können im Vergleich zu den herkömmlichen Investments, die von Banken angeboten werden.
Wir berichten über den Fall eines Unternehmers aus Oberösterreich, der 320.000 Euro in so einem Cybertrading-Betrug verloren hat. Wird er sein Geld je wiedersehen?
Mühl
Das lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen. Aber leider sind die Täter sehr versiert in der Geldwäsche. Die Gelder verlassen in kürzester Zeit die Europäische Union und werden durch mehrere Länder durchgeschleust. Die Täter machen sogar eine Marktanalyse, damit es der Polizei und der Justiz besonders schwerfällt, Informationen zu bekommen. Die Ermittler müssen außerhalb der EU in den meisten Fällen mit  Rechtshilfeersuchen arbeiten , aber bis es so weit ist, haben die Täter das Geld wieder weiterverschoben. Am Anfang ist der Aufwand für die Betrüger noch relativ groß. So ein Call-Center zu installieren, braucht eine gewisse Anschubfinanzierung. Aber das, was man zurückbekommt, ist ungleich größer. Als ich vor 30 Jahren bei der Wirtschafspolizei in Wien begonnen habe, hatten wir eine Serie von Betrugsbriefen aus Nigeria.
Worum ging es?
Mühl
Die Täter haben ihren Opfern spannende Geschichten erzählt. Zum Beispiel, dass sie ein Erbe von 50 Millionen Dollar erlangt haben, es aufgrund der politischen Situation aber nicht außer Landes schaffen können. Deswegen brauchen sie ein Konto in einem europäischen Land und ersuchen um Unterstützung. Als Gegenzug versprachen sie einen Anteil dieser großen Geldsumme. Und wenn das Opfer dann drauf einsteigt, kommt es zum sogenannten Vorleistungsbetrug. Das heißt, das Opfer wird dann aufgefordert Gelder im Voraus zu überweisen. Denn die Täter müssen angeblich Schmiergeld an Beamte bezahlen, damit das Geld außer Landes kommt. Damals haben die Täter noch richtige Umschläge frankiert und die Adressen aus Firmenbüchern abgeschrieben. Diese Briefe wurden dann per Post zugestellt und das Opfer hat handschriftlich geantwortet.
Heute erledigen das eigens installierte Marketingfirmen. Mittels Online-Werbebanner und Fake-Zeitungsartikel gewinnen sie Kundendaten und verkaufen sie an die Call-Center, sozusagen als Dienstleistung.
Mühl
Die Täter haben sich angepasst und sie sind kreativ. Das sind durchaus intelligente Täter, die ihre Betrugsmaschen laufend anpassen, auch an rechtliche Situationen. Die Länder, in denen die Call-Center stehen, haben in der Regel keine Opfer. Das ist eine Strategie der Täter, um sich einer gerichtlichen Verfolgung zu entziehen. All das erfordert eine internationale Zusammenarbeit all jener Länder, in denen Personen geschädigt werden.
Die Dunkelziffer beim Cybertrading ist groß. Wie kommt es, dass so wenige Menschen zur Polizei gehen?
Mühl
Viele genieren sich, dass sie auf diese Masche hereingefallen sind. Ich kann nur sagen: Das kann jedem und jeder passieren. Die Täter sind geschickt und wissen genau, wie man die Leute in die Irre führt. Jeder der geschädigt wurde, sollte auch Anzeige erstatten. Die Täter greifen gezielt an und sind Teil von organisierten Strukturen. Wir als Europol koordinieren die Ermittlungen – auch mit unseren Partnern in den USA. Wir versuchen die gestohlenen Beträge zurückzugewinnen, was im Einzelnen sehr aufwändig und schwierig ist.
Sind Ihnen die Schadenssummen bekannt?
Mühl
Es gibt keine europaweiten Statistiken. Wir sehen aber, dass die Schäden in die Milliarden gehen. Aber genau kann man das nicht quantifizieren. Bedenklich ist für uns, dass es eine große Anzahl von Geschädigten in jedem Land der Europäischen Union gibt und dass weite Teile der Bevölkerung geschädigt werden.
Sie leiten das Zentrum für Finanz- und Wirtschaftskriminalität. Womit beschäftigen Sie sich dort?
Mühl
Wir haben derzeit 83 Bedienstete. Und wir beschäftigen uns neben Betrugsdelikten  auch mit Geldwäsche, Korruption, Vermögensabschöpfung und Produktpiraterie, einschließlich  der Fälschung von Euronoten. Insgesamt haben wir eine sehr weite Aufgabenpalette, aber Betrugsbekämpfung steht bei uns sehr hoch auf der Agenda.
Innerhalb ihrer Abteilung gibt es das „Analyseprojekt MTIC“, das sich nicht nur mit Anlagebetrug beschäftigt. Was tun die Mitarbeiter da genau?
Mühl
Das Analyseprojekt MTIC ist auf Karussellbetrug spezialisiert, eine weit verbreitete Form des Steuerbetrugs mit einem geschätzten jährlichen Schaden von 50 Milliarden Euro in der EU. Das größte derzeitig anhängige Ermittlungsverfahren – Operation Admiral – geht von einer Schadenssumme von über 2 Milliarden Euro aus. Insgesamt haben wir neun Analyseprojekte, bei denen Ermittlern und Analysten zusammenarbeiten. Wir bekommen von den Mitgliedsländern und auch von Drittstaaten, mit denen wir operativ zusammenarbeiten, Fallinformationen angeliefert. Die werden bei uns gesichtet, mit den Datenbeständen bei Europol abgeglichen und priorisiert. Die priorisierten Fälle werden dann mit Unterstützung von Analysten, die speziell ausgebildet wurden, analysiert und zurückgeliefert. Wir versuchen also, die Informationen auf europäischer Ebene zu verbinden und grenzüberschreitende Ermittlungen zu koordinieren.

 

Fotos: Ilir Tsouko

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.