Die Zentrale des Österreichischen Integrationsfonds in Wien

Intergrationsfonds-Prozess: Die Stroh-Advokatin und der Wohnungs-Deal

Im Millionenprozess um diverse Immobiliengeschäfte des Österreichischen Integrationsfonds wurde am Mittwoch eine Anwältin als Zeugin befragt. Sie verrechnete 57.000 Euro – doch sie behauptet, nicht wirklich etwas mit dem Deal zu tun gehabt zu haben.

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„Drive-by-Gutachter“, ein staatlicher Fonds-Oberaufseher mit gewissen Schwächen bei der Bilanzanalyse und bei der Kenntnis der Fonds-Satzung – und nun auch noch eine Rechtsanwältin als eher unbedarfte Strohfrau: Im Millionenprozess rund um Immobilien-Deals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) ist am Mittwoch das erste Verhandlungsjahr zu Ende gegangen. Unabhängig von den eigentlichen strafrechtlichen Vorwürfen, verdichtet sich mehr und mehr die Vorstellung davon, warum in dieser Republik manches so läuft, wie es läuft.

Gleich als erste Zeugin an diesem letzten Verhandlungstag vor dem Sommer war eine Wiener Rechtsanwältin geladen. Im Prozess geht es – wie wiederholt ausführlich berichtet – um den Vorwurf, ein früherer ÖIF-Geschäftsführer und ein Klüngel aus Freunden und Geschäftspartnern hätten den Fonds im Zuge von Immobiliengeschäften um Millionen geschädigt. Einer dieser Deals: der Paket-Verkauf von 70 Wohnungen des ÖIF im Jahr 2009 um rund 870.000 Euro. Gemäß Anklage wäre das „weit unter dem Verkehrswert“ der Wohnungen gewesen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ortet alleine in Bezug auf diesen Anklagepunkt einen Schaden von zumindest 3.189.300 Euro. Alle Angeklagten bestreiten sämtlich Vorwürfe.

„Keine inhaltliche Tätigkeit“

Die Anwältin, die am Mittwoch als Zeugin befragt worden ist, kommt insofern ins Spiel, als sich ihr Name als Vertragserrichterin in großen Lettern ganz oben auf dem Kaufvertrag findet und sie in Zusammenhang mit dem Deal ein Honorar von 57.000 Euro verrechnet hat. Insofern mutete ihre Antwort auf die Frage des WKStA-Vertreters, ob sie mit den Immobilien des ÖIF etwas zu tun gehabt habe, gleich etwas seltsam an: Sie stellte das nämlich in Abrede. Sie habe keine inhaltliche Tätigkeit geleistet, erklärte die Anwältin unter Wahrheitspflicht. Sie habe lediglich zwei, drei Unterschriften in Bezug auf Grundbuchangelegenheiten geleistet und in Zusammenhang mit der Honorarzahlung mit Vertretern des Integrationsfonds telefoniert. Eigentlicher Klient war offenbar die Käuferfirma. Den Akt habe zur Gänze ihr damaliger Kanzleikollege geführt, an den sie dann auch das Honorar durchgereicht habe.

Mit anderen Worten: Die Rechtsanwältin trat nur zum Schein in dieser Angelegenheit nach außen auf. Sie sei damals neu im Anwaltsberuf gewesen und habe ein Vertrauensverhältnis mit dem Kollegen gehabt, gab die Frau sinngemäß zu Protokoll. Nun mag stimmen, dass sie damals neu im Anwalts-Business durchstartete. Dennoch handelte es sich um eine erfahrene Juristin aus bestem Hause: War sich doch zuvor dreizehn Jahre lang bei der Finanzprokuratur tätig gewesen – der Anwältin der Republik.

„Absolut unrichtig“

Ihr damaliger Kanzleipartner wurde noch nicht vor Gericht befragt – im Zuge des Ermittlungsverfahrens jedoch sehr wohl. Und dort soll wiederum er gesagt haben, es sei seine damalige Kollegin gewesen, die den Akt selbst bearbeitet habe. Die Anwältin wurde am Mittwoch mit dieser Aussage konfrontiert und meinte, das sei „absolut unrichtig“. Sie könne sich diese Behauptung auch nicht erklären.

Dann wollte der Vertreter der WKStA von der Zeugin wissen, ob sie in diesem Zusammenhang seinerzeit auch Dinge unterschrieben habe. Sie könne das nicht ausschließen, meinte die Anwältin. Aber in Bezug auf umfangreichere Unterlagen wäre ihr das nicht in Erinnerung. Wie auf Stichwort projizierte der Anklagevertreter daraufhin einen „Nachtrag zum Kaufvertrag“ auf die Bildschirme im Gerichtssaal. „Das ist meine Unterschrift“, meinte die Frau. Sie könne sich an den Inhalt nicht erinnern. Vermutlich habe sie der Kanzleikollege gebeten, es zu unterschreiben.

Als ihr ein E-Mail vorgehalten wurde, das damals von ihrer Adresse verschickt worden war, meinte sie, in der Kanzlei habe es die technische Möglichkeit gegeben, Mails unter ihrem Namen zu versenden. Konfrontiert mit einem Schreiben, das mit ihrer Paraphe gezeichnet war, meinte die Anwältin, es könne eine Briefvorlage verwendet worden sein: „Inhaltlich ist auch dieses Schreiben nicht von mir. (…) Mir persönlich sagt all das überhaupt nichts.“

Von wem war die Leistung?

Richter Michael Tolstiuk hielt der Frau dann noch ein seitenlanges Leistungsverzeichnis vor, das ebenfalls ihren Namen trug und unter anderem einen Hinweis auf ein mögliches Telefonat mit dem nunmehr angeklagten ÖIF-Geschäftsführer beinhaltete. Der Richter wollte wissen, ob sie das Telefonat geführt habe. Die Antwort: „Das weiß ich nicht. Steht im Leistungsverzeichnis mein Name bei dem Telefonat?“ Der Richter entgegnete: „Es ist Ihr Leistungsverzeichnis.“ Die Replik der Anwältin: „Das heißt bei weitem noch nicht, dass ich das Telefonat geführt habe.“

Tatsächlich gibt es einen Umstand, der die Angaben der Anwältin in Bezug auf ihre Rolle als reines Aushängeschild nach außen optisch zwar nicht besser macht, inhaltlich aber zu stützen scheint: Sie argumentiert, dass sie das erhaltene Honorar an ihren damaligen Kanzleikollegen weitergereicht habe, und legte am Mittwoch dem Gericht auch einen Auszug ihres Anwaltskontos vor, der das bestätigen soll.

Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, glaubt die WKStA jedenfalls eher der Frau als ihrem ehemaligen Kanzleipartner. Letzterer sei mit jenem Geschäftsmann befreundet gewesen, der nicht nur die 70-ÖIF-Wohnungen, sondern auch früher schon Integrationsfonds-Liegenschaften weit unter ihrem Wert erworben habe, so zusammengefasst die Darstellung in der Anklageschrift. „Aufgrund des deliktischen Hintergrunds“ hätten der Anwalt und der Geschäftsmann jeden persönlichen Bezug vermeiden wollen. Außerdem soll der Anwalt ein Schein-Angebot für die Wohnungen gelegt haben, das „zur Vortäuschung eines ordnungsgemäß durchgeführten Verkaufsvorgangs“ notwendig gewesen sei.

Angeklagt ist besagter Anwalt übrigens nicht, der Geschäftsmann, der die Wohnungen über eine Firma kaufte, schon. Richter Tolstiuk wollte von ihm am Mittwoch wissen, ob er mit der Zeugin den Kaufvertrag besprochen habe. Die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Ich kann mich nicht daran erinnern.“

Lange Prozess-Pausen

Was der betroffene Anwalt dazu vor Gericht zu sagen hat, wird sich erst nach der langen Sommerpause weisen. Für Anfang September sind die zwei nächsten Verhandlungstermine angesetzt. An einem davon soll der Mann als Zeuge befragt werden. Dann gibt es nach derzeitigem Planungstand wieder eine längere Vertagung bis in den November hinein.

Damit strapaziert das Gericht gleich zweimal – wenn auch um wenige Tage – eine von der Strafprozessordnung (StPO) vorgesehene Zwei-Monats-Frist für die Vertagung innerhalb einer laufenden Hauptverhandlung. In Paragraf 276a der StPO heißt es: „Die Verhandlung ist jedoch zu wiederholen, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes geändert hat oder seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen sind.“ Einschränkung: „Es sei denn, dass beide Teile auf die Wiederholung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten verzichten.“

Noch fünfzehn Zeugen

Nach einem eher langwierigen ersten Verhandlungsjahr will wohl niemand im Gerichtssaal wirklich zurück an den Start. Andererseits herrscht auch wenig Begeisterung darüber, dass man nun in der Prozessplanung bereits Ende November 2025 angelangt ist – damit aber wahrscheinlich immer noch kein Auslangen zu finden sein wird. Richter Tolstiuk wiederum muss bei der Terminplanung die Verfügbarkeit dreier Berufsrichter und mehrerer Schöffen sowie die eingeschränkten Verhandlungssaal-Kapazitäten des Gerichts unter einen Hut bringen. Offenbar ergeben sich daraus die langen Pausen. Im Sommer sei eben Urlaubszeit, meinte Tolstiuk. Im September ist dann einer der Berufsrichter aus privaten Gründen einen Monat lang verhindert.

Neben weiteren rund fünfzehn Zeugeneinvernahmen müssen auch noch mehrere Sachverständigengutachten erörtert werden. Diese spielen insbesondere mit Blick auf den möglichen Schaden aus den angeklagten Immobiliendeals eine zentrale Rolle. Mit einem Urteil im heurigen Jahr dürfte es wohl eher knapp werden.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.