KURZ PROZESS: KURZ
INVESTIGATIV

Kurz-Prozess: Die Russen reisen nicht

Mit Hilfe zweier russischer Geschäftsleute will die Verteidigung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Thomas Schmid erschüttern. Nach Österreich kommen sie nicht – nun feilt das Gericht an einer Video-Lösung.

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„Unfortunately we cannot travel to Austria.“ – Unglücklicherweise können wir nicht nach Österreich reisen. So zitierte Richter Michael Radasztics am Mittwoch im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts aus einem Antwort-E-Mail, das er am 3. Jänner 2024 erhalten hatte. Absender: einer von zwei mysteriösen russischen Geschäftsleuten, mit deren Unterstützung die Verteidigung von Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Thomas Schmid erschüttern will. 

Kurz hat mittlerweile acht – teils sehr lange – Prozesstage vor Gericht verbracht. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft dem früheren Regierungs- und Parteichef bekanntlich vor, als Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss im Jahr 2020 falsch ausgesagt zu haben. Unter anderem soll er seine Rolle in Bezug auf die Besetzung des Aufsichtsrats und des Vorstands der Staatsholding ÖBAG im Jahr 2019 heruntergespielt haben. Kurz hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Belastet wird Kurz nicht zuletzt auch von Thomas Schmid, der damals den ÖBAG-Vorstandsjob erhalten hat und nun in Bezug auf andere Vorwürfe Kronzeugenstatus erlangen will. Im laufenden Prozess legte die Verteidigung des Ex-Kanzlers dann plötzlich eidesstattliche Erklärungen zweier russischer Geschäftsleute vor, die Schmid angeblich einen Job angeboten und im vergangenen Sommer in Amsterdam getroffen haben wollen. Dabei soll Schmid Aussagen getätigt haben, die laut Kurz-Verteidigung Zweifel an der Glaubwürdigkeit des potenziellen Kronzeugen aufkommen lassen würden. 

Video-Schaltung möglich

Fest steht: Dabei geht es um viel mehr als nur um den aktuellen Prozess wegen mutmaßlicher Falschaussage. Schmid hat unter anderem in der sogenannten Umfragen- und Inseratenaffäre ein umfassendes Geständnis abgelegt und eine ganze Reihe prominenter Mitbeschuldigter belastet. Diese Causen befinden sich noch im Ermittlungsstadium. Würde die grundlegende Glaubwürdigkeit Schmids ernsthaft beschädigt, könnte das weitreichende Auswirkungen haben. Kein Wunder, dass die Vorgänge rund um die mysteriösen Russen seit Wochen mit größter Aufmerksamkeit verfolgt werden.

Und tatsächlich könnte es dazu kommen, dass man die beiden Geschäftsleute demnächst vor Gericht sieht: mangels Reisefreudigkeit zwar nicht leibhaftig, aber doch live und in Farbe. Richter Radasztics will eine Befragung per Video-Schalte durchführen und erwägt zwei Alternativen: den offiziellen Rechtshilfeweg mit der russischen Justiz, der allerdings Monate in Anspruch nehmen könnte, falls er derzeit überhaupt umsetzbar wäre – oder eine Video-Befragung in einem österreichischen Konsulat. Zweiteres geht nur mit Zustimmung aller Verfahrensparteien. Die Verteidigung war am Mittwoch – wenig überraschend – dafür. Die WKStA erbat sich noch Bedenkzeit und hinterfragte die genauen Modalitäten einer solchen Einvernahme wie etwa die Identitätsfeststellung. 

Auch die schnellere Variante würde wohl einige Wochen Vorlauf benötigen. Nächster Verhandlungstermin ist der 25. Jänner. Da soll der frühere Finanzminister Gernot Blümel als Zeuge befragt werden. Dem Vernehmen nach könnte der Prozess – aus jetziger Sicht – bis Mitte bzw. Ende Februar laufen. Bis dahin wäre jedenfalls noch genügend Zeit für eine Live-Schaltung nach Russland. 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).