Die Tür zum Verhandlungssaal 401 am Wiener Straflandesgericht, wo der ÖIF-Prozess derzeit stattfindet.

ÖIF-Prozess: Schrilles Pfeifen, Public-Hearing am Gang – und ein Hauch Palermo

Der Millionenprozess um umstrittene Immobiliendeals des Österreichischen Integrationsfonds steht phasenweise am Rande der Durchführbarkeit. Das Landesgericht Wien bekommt technische Probleme nicht und nicht in den Griff. Am Freitag musste die Verhandlung abermals unterbrochen werden.

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Eigentlich wäre hochfrequentes Verhandeln in diesem Verfahren wirklich angesagt: Gemäß Anklage geht es um mehr als zehn Millionen Euro Steuergeld. Prozessstart war bereits im vergangenen Sommer, ein Ende ist noch längst nicht in Sicht. Doch hochfrequent war am Freitag hauptsächlich das unerträgliche und dauerhafte Pfeifen aus der Tonanlage. Kein isolierter Problemfall: Das Landesgericht Wien bekommt im Großprozess mit rund 25 bis 30 Beteiligten technische Troubles nicht und nicht in den Griff. Phasenweise steht das Verfahren am Rande der Durchführbarkeit.

Dass Angeklagte hin und wieder über Prozessbedingungen motzen, mag in der Natur der Sache liegen. Wenn jedoch auch Richter, die schon von Berufswegen auf Distanz getrimmt sind, spürbar verzweifeln, ist das durchaus ungewöhnlich. Am Landesgericht für Strafsachen Wien stehen seit Sommer 2024 fünf Beschuldigte vor einem Schöffensenat, weil sie – laut Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – Millionen an öffentlichen Mitteln veruntreut haben sollen, dies im Rahmen umstrittener Immobiliendeals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in den späten 2000er Jahren. Unter anderem sollen – so der Vorwurf – Häuser mit Flüchtlingswohnungen viel zu billig verkauft worden sein.

Es geht um eine Menge Steuergeld. Für die Angeklagten, die sämtliche Vorwürfe vehement bestreiten, geht es um bis zu zehn Jahre Haft. Dass die mutmaßlichen Taten mehr als fünfzehn Jahre zurückliegen, macht die Wahrheitsfindung vor Gericht auch nicht einfacher. Umso wichtiger wäre ein funktionierender Verhandlungsrahmen. Doch da hakt es mitunter ordentlich.

Das Ausweichquartier vom Ausweichquartier des Ausweichquartiers

Wurzel des Übels: Derzeit wird der Große Schwurgerichtssaal, in den ein solcher Prozess eigentlich gehören würde, umgebaut. Das erste Ausweichquartier war ein eher provisorisch eingerichteter Raum – offenbar mit gewissen Kinderkrankheiten im IT-System. Zumindest wirkte es so, als wäre es hier für einzelne Beteiligte noch herausfordernder als sonst, auf den Saal-Bildschirmen vom eigenen Laptop aus relevante Aktenteile einzublenden. Bei Zeugeneinvernahmen mit vielen Akten-Vorhalten kann das durchaus zeitaufreibend sein.

Nächstes Ausweichquartier war zwar ein schön renovierter Saal. Eigentlich zu klein – nicht nur, wenn wieder einmal eine Schulklasse mitten in der laufenden Verhandlung ungerührt aus- und einging. Aber den latenten Platzmangel hätten wohl alle in Kauf genommen. Als dann jedoch der Baulärm in der unmittelbaren Umgebung des Saales so laut wurde, dass man kein Wort mehr verstehen konnte, musste Hauptrichter Michael Tolstiuk unterbrechen – und für den Tross aus Berufsrichtern, Schöffen, Sachverständigen, Angeklagten, Verteidigern und einem Journalisten von profil spontan eine neue Bleibe finden

Mittlerweile ist das Verfahren dauerhaft im vierten Stock des Landesgerichts angekommen. Saal 401. Groß genug. Eigentlich guter Zustand. Aber auch hier sind die hauseigenen Gerichtstechniker an manchen Verhandlungstagen Dauergäste, wenn nicht gar unfreiwillige Hauptdarsteller.

Einmal spielte die Klimaanlage verrückt und drosselte die Temperatur so weit, dass manch Prozessbeteiligter in seinen Mantel schlüpfen musste. Und noch viel unangenehmer: Offenbar liegt irgendwo in der Verkabelung der Tonanlage ein ganz schwer zu findender Hund vergraben.

Am Freitag wurden zwei Zeuginnen per Videokonferenz befragt. Schon bei der ersten zeigte sich, dass es kaum möglich war, das Mikrofon des fragenden WKStA-Oberstaatsanwalts laufen zu lassen und gleichzeitig via Lautsprecher die Antworten der Frau zu hören. Die Rückkoppelung verursachte im besseren Fall einen Hall wie aus einem Science-Fiction-Film, im schlechteren Fall ein Pfeifen, dass sich viele im Saal nur noch die Ohren zuhalten konnten.

„Es wird jetzt auch auf den Gang übertragen“

Richter Tolstiuk tat sein Möglichstes, um die Situation und seinen Zeugen-Fahrplan einigermaßen zu retten. Er rief den technischen Support an und verschwand mit dem Handy am Ohr hinter dem Richtertisch – offenbar um dort irgendetwas umzustecken oder umzuschalten. Als er wieder zum Vorschein kam, ging es plötzlich besser mit der Tonanlage. Tolstiuk meinte allerdings: „Das Problem ist nur: Es wird jetzt auch auf den Gang übertragen.“ Erweiterte Öffentlichkeit via Public-Hearing sozusagen. Da in diesem Fall kein Zeuge draußen wartete, grundsätzlich zulässig.

Auch diese Problemlösung wirkte aber nur vorübergehend. Bald gab es wieder starke Rückkoppelungen. Als dann die zweite Zeugin des Tages – ebenfalls per Video-Schaltung – an die Reihe kam und das Problem eher noch schlimmer wurde, sah sich Tolstiuk gezwungen, die Verhandlung zu unterbrechen. Originalzitat: „Das geht gar nicht.“ Die Einzige, die zu diesem Zeitpunkt noch guten Mutes war, war die frisch zugeschaltete Zeugin, die die Vorgeschichte nicht erlebt hatte: „Kein Problem, ich warte“, meinte die ehemalige ÖIF-Mitarbeiterin. „Das wird schon klappen. Der Techniker wird es schon richten.“

Es dauerte noch, aber der Techniker richtete es provisorisch, indem er separate Lautsprecherboxen organisierte und auf dem Richtertisch aufstellte. Saal-Mikrofon konnte allerdings keines verwendet werden. Die Befragung verlief dann über das Laptop-Mikrofon des Richters. Jeder, der Fragen an die Zeugin richten wollte, musste sich dafür neben Tolstiuk setzen. Bis dieses Provisorium stand, war die erste Prozessstunde um. Eine Stunde, in der wenig Konzentration auf Inhaltliches möglich war. Eine Stunde, für welche die Angeklagten ihre Top-Anwälte aber genauso bezahlen müssen. Und für die der Staat drei anwesende Berufsrichter und einen Oberstaatsanwalt zu entlohnen hat.

„Sensibel für mafiöse Strukturen“

Was danach geboten wurde, erlebt man vor Gericht freilich auch nicht alle Tage. Die Zeugin, die früher leitende Angestellte beim Integrationsfonds gewesen war, ging auf vollen Konfrontationskurs mit dem Hauptangeklagten, einem früheren Geschäftsführer des ÖIF. Offenbar musste die Frau 2010 gegen ihren Willen ihre Position beim Integrationsfonds räumen. Ihrer Darstellung zufolge, weil sie sich geweigert hätte, eine fragwürdige Zahlung an einen Freund des Ex-Geschäftsführers freizugeben. Sie habe mitbekommen, dass der damalige Manager „Sitzungen manipuliert gestaltet“ habe. Er habe Mitarbeitern gedroht, wenn diese etwas getan hätten, was ihm nicht gefallen habe, behauptete die Frau. Die Aussagen der Zeugin gipfelten letztlich darin, dass sie erklärte, sie sei in Palermo geboren und sei deshalb „sehr sensibel“ für mafiöse Strukturen.

Johannes Zink, Verteidiger des Hauptangeklagten, bemühte sich, in der Befragung herauszuarbeiten, dass der unschöne Abgang der Zeugin beim ÖIF im Jahr 2010 auch einen anderen Hintergrund gehabt haben könnte. Er verwies auf die Einschätzung eines Personalberaters, die auf „wenig Führungserfahrung, hohes Selbstbewusstsein“ hinausgelaufen sei. Die Frau, die vorher in ihrer Zeugenaussage über die Angemessenheit von Sanierungskosten gesprochen hatte, musste einräumen, selbst keine Sachverständige für Bauen und Wohnen zu sein: Ihr Mann sei Architekt, meinte sie jedoch. Deshalb sei sie sensibel für derartige Themen gewesen. Ihr Mann erhielt – wie sich aus der Befragung ergab – übrigens auch einmal einen Auftrag vom ÖIF.

„Keine Kinder in Palermo“

Der Hauptangeklagte selbst konnte ebenfalls noch am selben Verhandlungstag zu den harschen Aussagen der Zeugin Stellung beziehen. Er wies diese zurück und verwies darauf, dass die Zeugin selbst ausgesagt hatte, seinerzeit grundsätzlich gegen den Verkauf der Flüchtlingswohnungen gewesen zu sein. Der Wohnungsverkauf sei jedoch vom Kuratorium – einem übergeordneten Aufsichts- und Entscheidungsgremium – beschlossen worden. Wenn ein Mitarbeiter Unternehmensziele nicht mittrage, sei es normal, dass man sich irgendwann trenne. Der Ex-Geschäftsführer bestritt auch die Darstellung der Zeugin, dass es ursprünglich fast schon ein väterliches Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seiner damaligen Mitarbeiterin gegeben habe: „Kinder in Palermo habe ich nicht.“

Bis zum Sommer stehen noch vier weitere Verhandlungstermine auf dem Prozessfahrplan. Dann geht es im September weiter. Unter welchen Rahmenbedingungen wird sich zeigen.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.