OLG kippt Kurz-Schuldspruch: Er hat doch nur „Ja“ gesagt
Manchmal sind es nicht die großen Rechtsfrage, die aufsehenerregende Prozesse entscheiden. Manchmal ist es einfach nur das unterschiedliche Verständnis eines einzelnen Wortes.
Am Montag fand am Oberlandesgericht (OLG) Wien die mit Hochspannung erwartete Berufungsverhandlung in der Causa um Sebastian Kurz wegen des Vorwurfs der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Jahr 2020 statt. Im Vorjahr war Kurz diesbezüglich vom Landesgericht Wien zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Der Ex-Kanzler und frühere ÖVP-Chef, der die Vorwürfe immer vehement bestritten hatte, erhob Rechtsmittel. Und das – wie sich nun herausstellen sollte – mit Erfolg.
Grundlegend andere Interpretation
Das OLG verwandelte den Schuldspruch aus der ersten Instanz in einen rechtskräftigen Freispruch. Kern des erstinstanzlichen Urteils war der Vorwurf gewesen, dass Kurz zu seiner Involvierung in die Bestellung des Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG im Jahr 2019 unvollständig ausgesagt habe – um seine Rolle aus politischen Gründen herunterzuspielen. Das OLG gelangte nun zu einer grundlegend anderen Interpretation der Aussage im U-Ausschuss und sprach Kurz frei.
Hauptsächlich ging es dabei um eine Frage der NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper im damaligen Ausschuss. Diese Frage an Kurz lautete: „Haben Sie allgemein Wahrnehmungen zur Frage, wie der Aufsichtsrat besetzt wurde? Waren Sie da selbst eingebunden?“ Kurz antwortete laut Protokoll: „Ja, ich weiß, dass es da im Finanzministerium und im zuständigen Nominierungskomitee Überlegungen und Gespräche gab. Bei Aufsichtsratsbestellungen wird man als Bundeskanzler – das ist von Minister zu Minister unterschiedlich und von Anlassfall zu Anlassfall unterschiedlich – manchmal mehr, manchmal weniger informiert. Grundsätzlich treffen die Minister, die zuständig sind, ihre Entscheidungen. Im Regelfall werde ich danach informiert, manchmal werde ich vorher um die Meinung gefragt.“
Überhaupt keine Beweise notwendig
Im Gerichtsverfahren in der ersten Instanz arbeitete Richter Michael Radasztics – über zwölf Prozesstage hinweg – heraus, dass Kurz in Bezug auf die ÖBAG nicht nur „danach informiert“ oder „vorher um die Meinung gefragt“ worden sei. Er sei viel stärker eingebunden gewesen. Chat-Nachrichten zwischen unterschiedlichen Personen wurden vorgelegt. Zahlreichen Zeugen wurden befragt. Am Ende hielt Radasztics die Angelegenheit für klar genug, um Kurz zu verurteilen. Zu zwei weiteren Falschaussage-Vorwürfen, bei denen die Beweislage aus Sicht des Richters nicht so dicht war, sprach er den Ex-Kanzler jedoch bereits in erster Instanz frei.
Für den nun erfolgten Freispruch des OLG in Bezug auf den einen verbliebenen Punkt wäre tatsächlich überhaupt keine gerichtliche Beweisaufnahme – keine Chatnachrichten, keine stundenlangen Zeugenbefragungen – notwendig gewesen. Der Dreier-Senat des Oberlandesgerichts sah nämlich im allerersten Wörtchen der Kurz-Antwort im Ausschuss den alles entscheidenden Faktor: Kurz habe „Ja“ gesagt. Das sei die abschließende Antwort auf die gestellte Ja/Nein-Frage gewesen, erklärte der Vorsitzende des Richtergremiums in der Urteilsbegründung. Die weiteren Ausführungen von Kurz im U-Ausschuss hätten an dieser Aussage nicht gerüttelt.
Die Entscheidung erfolgte somit auf rein semantischer Ebene. Keine Rolle spielte die von der Verteidigung zuvor aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss überhaupt derart eng auszulegen sei, wie das das Erstgericht gesehen habe. Was eine – von der Verteidigung behauptete – angebliche Anscheinsbefangenheit bei Richter Radasztics betrifft, verneinte das OLG das Vorliegen einer solchen klar. Für Kurz spielte das ohnehin keine Rolle mehr, sehr wohl jedoch für seinen früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli.
Ex-Kabinettschef verurteilt
Im Unterschied zu Kurz wurde der mitangeklagte Ex-Mitarbeiter am Montag wegen Falschaussage rechtskräftig verurteilt. Bonelli hatte in erster Instanz einen Schuldspruch ausgefasst, weil er in Bezug auf die Involvierung von Kurz in die ÖBAG-Aufsichtsrats-Angelegenheit die Unwahrheit gesagt haben soll. Diese Ansicht teilte das OLG. Es glaubte Bonelli nicht, dass sich dieser im U-Ausschuss 2021 an die relevante Angelegenheit nicht mehr erinnern konnte und bestätigte den Schuldspruch von sechs Monaten bedingter Haft. Eine sogenannten Aussagenotstand billigte das Gericht dem Kurz-Vertrauten nicht zu.
Kurz trat nach der Verhandlung vor die Kameras und meinte, er sei jahrelang mit Vorwürfen konfrontiert gewesen. Nun sei „alles in sich zusammengefallen“. Die Verurteilung Bonellis bedaure er zutiefst: Dieser sei eine integre Persönlichkeit. Er wolle in den kommenden Tagen noch ausführlich Stellung nehmen.
Für Kurz ist damit ein erstes strafrechtliches Problem vom Tisch. Offen sind allerdings noch umfangreiche Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zum Thema Inseratenkorruption. Auch diesbezüglich bestreitet der Ex-Kanzler sämtliche Vorwürfe.